SLIME

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Zwei.Tex

Mit „Wem gehört die Angst“ veröffentlichten SLIME im Frühjahr 2020, kurz vor der Corona-Pandemie, ein packendes neues Album, das von einer umfangreichen Tour begleitet werden sollte. Es wurden nur ein paar wenige Shows, und bevor es weitergehen konnte, verkündete Sänger Diggen im Juli 2020 recht grollig seinen Abgang. Es schien, als wären SLIME einmal mehr Geschichte, doch dann verdichteten sich im Laufe des Jahres 2021 die Gerüchte, dass es da einen neuen Sänger namens Tex gebe. Die Neugier war groß – und wurde im Dezember 2021 mit der Single und dem Video „Komm schon klar“ gestillt. Im Januar 2022 wurde „Sein wie die“ nachgelegt – und die Resonanz war überwiegend positiv. Also wollten wir wissen, wie das lief mit dem Abgang von Dirk und der Neuerfindung mit Tex. SLIME 2022 sind Tex Brasket (Gesang), Elf (Gitarre & Backgroundgesang), Christian Mevs (Gitarre), Nici (Bass) und Alex Schwers (Schlagzeug).

Die Ankündigung des Ausstiegs eures Sängers Dirk „Diggen“ per Rundmail an die Presse am 30.07.2020 kam für viele überraschend – für euch auch?

Elf: Ein wenig schon, aber das deutete sich an, nachdem die Pandemie losging. Dirk hatte uns im Herbst 2019 gesagt, dass für ihn Schluss ist aus gesundheitlichen Gründen, er aber noch eine Abschiedstour machen will. Zu dem Zeitpunkt haben wir das zähneknirschend erst mal akzeptiert. Als die Pandemie kam, wurde uns allen immer klarer, dass das wohl länger dauern wird, als man zuerst vielleicht dachte. Also haben wir als Erstes gedacht, eine Abschiedstour nach wer weiß wie langer Pause, also mittlerweile wären das locker zwei Jahre oder mehr, ist totaler Nonsens, da hat keiner mehr Bock drauf. Bestes Beispiel, wie das nach hinten losgehen konnte, sind TERRORGRUPPE. Dann ging die Diskussion darüber los und endete damit, dass wir gesagt haben, lasst uns das komplett sein lassen. Er wollte ja sowieso aufhören, also hören wir jetzt auf und nicht erst in zwei oder drei Jahren. Wir vier waren uns aber schon einig, dass wir mal überlegen, ob und wie das für uns weitergehen könnte mit einem anderen Sänger. Wir sehen uns als vier Musiker, die Bock haben, zusammen Musik zu machen, und zwar genau das, was wir seit nunmehr elf Jahren in dieser Besetzung und unter diesem Namen gemacht haben.
Chris: Nein, wir haben ja immer miteinander geredet. Was aber letztlich zu seinem Entschluss geführt hat, kann er selbst am besten sagen. Bei uns allen war irgendwie das Gefühl da – so genau kann man das ja nie sagen –, dass es nicht so richtig vorangeht. Deshalb haben wir auch über eine Abschiedstour nachgedacht.
Alex: Ich war nicht überrascht. Es hatte sich irgendwie über einen längeren Zeitraum in die Richtung entwickelt und für mich persönlich hatte sich das Kapitel SLIME auch dem Ende zugeneigt.

Dirk, „Diggen“ nannte in seinem Statement als Begründung „unüberbrückbare interne Probleme – u.a. über die praktische Umsetzung von Texten wie ‚Fünf Finger sind eine Faust‘, ‚Let’s get united‘ oder ‚Solidarity‘ v.a. beim Umgang mit Crew/Band-Mitgliedern“. Er erwähnte aber auch gesundheitliche Probleme auf der Tour kurz vor Corona. Wie seht ihr das?
Elf: Diese internen Probleme, die er erwähnt, habe ich nicht so gesehen. Und was er mit „praktischer Umsetzung“ genau meinte, musst du ihn selbst fragen, keine Ahnung.
Chris: Wir waren ja immer schon eine Band mit unterschiedlichen Meinungen und Haltungen zu allem Möglichen. Nicht immer sind wir uns einig. Seine Aussagen zu interpretieren, ist nicht unsere Sache. Von gesundheitlichen Problemen hat er die letzten Jahre aber immer wieder gesprochen.

Dirk war und ist eine Punk-Ikone und für viele Menschen – so wie das oft bei Sänger:innen einer Band ist – die Verkörperung von SLIME. Wie sehr war und sind SLIME aber ein Team-Ding, an dem auch vier andere Musiker:innen beteiligt sind?
Elf: Was sind denn schon Punk-Ikonen? Ist das noch Punkrock? Die Band ist das Team, und wofür sie steht, ist uns wichtiger als die Meinung von irgendwelchen selbsternannten Punk-Polizisten, dass so was ja nun gar nicht geht. Klar ist der Gesang fast immer das wichtigste Merkmal einer Band, deshalb mussten wir natürlich jemanden finden, der das Charisma, die Stimme und die Authentizität hat, am Ende nicht nur uns, sondern auch unsere Fans mitzureißen, und das haben wir definitiv geschafft mit unserem neuen Sänger Tex. Natürlich wird es immer Leute geben, die nur Dirks Stimme als die von SLIME akzeptieren werden, aber ich bin mir sicher, wenn Leute openminded die neuen Sachen hören, werden die meisten anders darüber denken.
Alex: Dirk wird für immer ein großer Teil der SLIME-Historie sein, aber SLIME sind eine Band bestehend aus fünf gleichberechtigten Individuen. Dirks Meinung hatte immer genauso viel Gewicht wie die Meinung jedes anderen in der Band.
Chris: SLIME haben schon immer viel von Einzelinitiativen gelebt. Jede:r von uns hatte schon Dinge, ob Themen, Songs, Aktionen, die ihm/ihr besonders wichtig waren, und dann hat man das durchgezogen und die anderen mitgeschleift. Grundsätzlich und in wichtigen Fragen sind wir aber eher demokratisch organisiert.

Noch mal Diggen aus seinem Ausstiegsstatement: „SLIME ist nun Geschichte, selbst wenn euch irgendwann mal eine Kapelle unter diesem Namen über den Weg laufen sollte, so hätte diese natürlich nix mehr mit der ursprünglichen Band zu tun!“ Ihr seht das sicher anders, oder ...?
Alex: Wenn menschliche Verbindungen nach so vielen Jahren auseinanderbrechen, ist das meistens mit Schmerz verbunden. Ich glaube, Dirk ist da im ersten Moment etwas übers Ziel hinausgeschossen. Er hat ja jetzt ein neues Zuhause bei Swiss gefunden, ich denke mal, er sieht das mittlerweile auch etwas milder. Ich wünsche ihm maximalen Erfolg mit dem, was er macht, und ehrlich gesagt habe ich die romantische Vorstellung, dass er in ein paar Jahren mal bei einem SLIME-Konzert auftaucht und zusammen mit Tex „Störtebeker“ singt.
Elf: Ich kann diese Haltung durchaus nachvollziehen, sehe das aber anders. So ist das eben, Leute kommen und gehen, wie es in ihr Leben passt, und gut ist. Dirk soll sein Ding machen mit Swiss oder wem auch immer, wir wünschen ihm durchaus, dass das für ihn funktioniert – und wir machen unseres.
Chris: Das stimmt natürlich. Genauso wie SLIME nicht mehr die sind, die sie waren, als der erste Sänger Thorsten „Scout“ Kolle noch dabei war; oder Stephan Mahler. Alles verändert sich. SLIME haben ein neues Kapitel aufgeschlagen!

Wie viel habt ihr vier darüber diskutiert, ob und wie es weitergeht, weitergehen kann? Und warum mit dem Ergebnis, dass es weitergehen wird?
Elf: Wie schon gesagt, wir vier sehen uns als die Band. Dirk war der Sänger, der seinen Teil zur Band beigetragen hat und nun letztendlich freiwillig raus ist. Uns war allen klar, dass wir einen neuen Sänger brauchen, der nicht einfach ein Dirk-Ersatz ist, um die alten Songs noch ein paar Jahre live zu spielen. Das wäre dann die DEAD KENNEDYS-Variante, die wir nicht wirklich gut finden. Wir wollten auf jeden Fall auch gleich was Neues schreiben, und die Zeit hatten wir ja nun durch die Pandemie zur Genüge. Wir haben elf Jahre lang mit dieser Band ’ne Menge Spaß gehabt, geile Musik gemacht, etliche großartige Konzerte gespielt und das gibt man doch nicht alles auf, nur weil einer keinen Bock mehr hat.
Chris: Das hat auch etwas mit Zufall zu tun. Ich habe unseren neuen Sänger Tex Brasket vor zwei Jahren kennen gelernt, und wir hatten ihn eingeladen, unser Support bei dem Release-Konzert am 13.03.2020 im SO36 in Berlin zu sein. Das fand ja aus bekannten Gründen nicht mehr statt, aber Tex war irgendwie in unseren Köpfen. Als Dirk dann raus war, haben wir vier unabhängig voneinander gedacht: Was wäre wenn ...? Tex einfach mal fragen? Und dann war da auf einmal wieder so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren!
Alex: Das hatten wir gar nicht diskutiert. Eigentlich war doch allen klar, dass wir die Band auflösen, bis Tex ins Spiel kam. Er war auf einmal da und es passte vom ersten Moment an. Ohne Tex hätten wir nie im Leben aktiv einen neuen Sänger gesucht und Castings oder so veranstaltet.

Gerüchteweise war schon das Jahr 2021 über zu hören, dass SLIME einen neuen Sänger haben. Im Dezember 2021 habt ihr Tex dann mittels eines ersten neuen Songs und Videos vorgestellt. Wie kamt ihr zu Tex und Tex zu euch?
Elf: Tex Brasket zu fragen, ob er nicht Bock hätte, es mit uns als neuer Sänger von SLIME mal zu probieren, war die beste Idee, die wir haben konnten. Ohne diesen Typen würde das Ganze wohl nicht funktionieren. Jetzt haben wir jemanden, der seine eigenen Texte schreibt, selbst Musiker ist und ein wirklich außergewöhnlicher Sänger. Tex hatte schon im Studio von Chris einige Solo-Songs aufgenommen und war Chris deswegen bekannt. Wir hatten alle schon seine Akustiksachen gehört und dann haben wir ihn einfach mal gefragt. Und siehe da, er ist seit den Neunzigern SLIME-Fan und die erste Session mit ihm, bei der wir nur eine Auswahl alter Songs gespielt haben, war so geil und überzeugend, dass wir nicht nein sagen konnten.

Wie waren die ersten Reaktionen auf das neue Material? Also von befreundeten Musiker:innen wie von Fans?Die Facebook-Kommentare zum ersten Song und Video im Dezember 2021 waren erwartungsgemäß gemischt, vom zu erwartenden Gemecker bis überrascht und begeistert – letztere sogar in der Mehrzahl, wie ich meine.
Alex: Ich habe unglaublich viele private Nachrichten von anderen Musikern und Bands gekriegt. Auch von welchen, die vorher nicht unbedingt SLIME-Fans waren. Teilweise von Leuten, bei denen ich im Leben nicht damit gerechnet hätte. Die Resonanz im Internet empfinde ich als fast durchgehend positiv. Der Tenor ist irgendwie, dass das mit Tex extrem authentisch ist und eine Frischzellenkur für SLIME.
Elf: Die Facebook-Kommentare sind so gespalten wie die deutsche Gesellschaft in Bezug auf die Pandemie. 80 bis 85% finden den neuen Sänger und den Song super, der Rest ist eben anderer Meinung. Man kann ja zu den Befürwortern noch die dazuzählen, die nur bemängeln, dass wir das unter dem Namen SLIME machen, den Song aber trotzdem gut finden. Die werden sich schon irgendwann daran gewöhnen, dass nun jemand anderes für uns singt. Und wenn doch nicht, dann bleiben die eben zu Hause und hören andere Platten.

Im Frühsommer soll nun auch ein neues Album kommen, auf eurem eigenen Label in Zusammenarbeit mir Fratz von Hulk Räckords. Verratet ihr schon ein paar Details?
Alex: Wir haben uns entschlossen, die Platte mit Hilfe von Fratz selbst zu veröffentlichen, weil es im Moment so ist, dass wir alle engagierter sind als je zuvor. Bei SLIME ist ja sowieso alles DIY, Christian hat ein eigenes Studio, wo wir die Songs aufnehmen, ich mache das Booking selbst, usw. Somit ist das jetzt nur konsequent, die Platte auch selbst zu veröffentlichen. Wir schätzen diese Unabhängigkeit.

Tex hat sich, wie eben schon von euch erwähnt, in Songwriting und Texte stark eingebracht. Wie war das gemeinsame Arbeiten im Studio – und das auch noch unter Corona-Bedingungen?
Alex: Tex hat uns seine Ideen vorgestellt und wir waren sofort begeistert. Dafür, dass er nicht schon seit Jahren mit Bands durch die Lande zieht, war er von Anfang an erstaunlich routiniert. Das ist wirklich ein respektvolles und neugieriges Herantasten von beiden Seiten gewesen. Es war ja auch jedem von vornherein klar, dass das eine Riesenchance für uns alle ist, das haben wir sofort gespürt. Nachdem das mit Tex beschlossen war, sind wir direkt eine Woche an die Nordsee auf den Hof des leider verstorbenen Rio Reiser-Bassisten Jochen Hansen gefahren und haben sozusagen einen Kurzurlaub mit Proben gemacht. Danach waren, glaube ich, schon fünf neue Songs fertig.

Was ja bislang noch niemand gehört hat: Wie klingen die SLIME-Klassiker mit Tex? Habt ihr die schon alle geprobt? Wird es die weiterhin live zu hören geben, gehen die Inhalten für ihn okay?
Elf: Wir haben beim ersten Treffen, als wir mit Tex eine Session gemacht haben, nur fünf, sechs alte Songs gespielt und fanden das so geil, dass alle meinten, der ist es und kein anderer. Klingt super und gar nicht so anders als Dirk.
Alex: Mittlerweile haben wir ja schon viele der alten Songs geprobt. Die meisten Songs saugt Tex so auf und macht sie sich zu eigen. Und die, die ihm nicht liegen, lassen wir einfach weg. Das sind aber nur ganz wenige.
Joachim Hiller

Tex Brasket ist seit 2021 der neue Sänger von SLIME und steht vor der schwierigen Aufgabe, einerseits das Erbe von Dirk antreten zu müssen, denn man kennt die SLIME-Klassiker eben mit dessen Stimme und Auftreten. Andererseits ist Tex selbst Songwriter, sein Gesang hat eine andere Klangfarbe, er soll und will nicht der sein, der irgendwen und irgendwas kopiert.

Tex, mit „Komm schon klar“ präsentierten SLIME im Dezember nicht nur ihre neue Single, sondern mit dir gleich auch einen neuen Sänger. Wer ist der Mensch und Musiker Tex Brasket? Wann hast du begonnen, Musik zu machen? Welche Musik magst und machst du vornehmlich? Was tust du, wenn du keine Musik machst? Was magst du uns über dich verraten?

Wer ist der Mensch Tex Brasket ... also Mensch stimmt schon mal an den meisten Tagen. Ich bin ein 41-jähriger Straßenmusiker, davon lebe beziehungsweise damit überlebe ich seit 2016. Ich bin gebürtiger Texaner, wurde von einem deutschen Paar adoptiert und bin sowohl in Deutschland als auch in den Staaten aufgewachsen. Ungefähr ein Drittel meines Lebens habe ich in den USA verbracht. Musik war schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Mit zwölf fing ich an, mir selbst Schlagzeug und Gitarre beizubringen, blieb dann aber ziemlich schnell an der Gitarre kleben. Meinen ersten eigenen Song habe ich mit dreizehn geschrieben. Es wäre einfacher aufzulisten, welche Musikrichtungen mich mit wenigen Ausnahmen nicht so sehr ansprechen. Zum Beispiel: Schlager, Techno und Free-Jazz, aber wie gesagt: selbst dort gibt es Ausnahmen. Für mich gibt es keine gute oder schlechte Art von Musik, es gibt nur gute oder schlechte Songs. Wenn ich beim Hören etwas spüre, ist es ein guter Song. Wenn ich gerade keine Musik mache oder höre, habe ich trotzdem meistens Musik im Kopf. Das ist sehr schwer abzustellen ... Meine Freizeit verbringe ich am liebsten in der Natur, reisend und am Lagerfeuer; im Idealfall mit meinen Liebsten, aber auch gerne allein. Das ist, was ich für mich als „artgerechte Haltung“ bezeichne. Beruflich habe ich früher hauptsächlich als Stagehand und Tierpfleger gearbeitet. Ich hatte auch viele andere Jobs, wo ich es aber nie lange ausgehalten habe. Stillstand und Stagnation waren mir schon immer ein Graus.

Dass du eines Tages als Sänger Teil von SLIME sein würdest, war wahrscheinlich nicht unbedingt von dir geplant. Wie kam es dazu? Hatten sich eure Wege zuvor schon einmal gekreuzt?
Das war zu keinem Zeitpunkt geplant, nicht einmal ansatzweise, nein! Ich hatte im Salon Berlin, also in Christian Mevs’ Studio, schon einige Demos, Singles und auch das Video für „Regen“ aufgenommen. Während dieser Zeit haben wir uns angefreundet und fingen auch an, privat Zeit miteinander zu verbringen. Christian hat dann ein paar Demos und Links mit dem Rest der Band geteilt. Das führte zum Angebot eines Supportgigs für SLIME beim Jubiläumskonzert im SO36. Für mich war das natürlich eine große Ehre und auch eine tolle Chance, mit meinem Akustikprogramm voranzukommen. Das Konzert fiel ja dann aufgrund der Pandemie flach. Einige Zeit später wurde ich eingeladen, mir fünf alte SLIME-Songs auszusuchen, ins Studio zu kommen und einfach mal ungezwungen abzurocken. Ich hatte anfangs erst mal selbst extreme Zweifel, ob das überhaupt funktionieren könnte, aber ein solches Angebot abzulehnen, ohne es zumindest probiert zu haben, kam nicht in Frage. Ein paar Stunden später war ich dann der Neue. Es passte einfach alles – musikalisch wie auch menschlich. Meine einzige Bedingung war, dass ich auch selbst neue Lieder schreiben darf, was einstimmig angenommen wurde.

Bands werden häufig über den Gesang und den/die Sänger:in identifiziert. Das gilt nicht zuletzt auch für SLIME. Manche sprechen von den „großen Fußspuren“, die Dirk hinterlässt. Ich habe den Eindruck, du bist gekommen, um eigene Spuren zu hinterlassen. Befürchtest du Akzeptanzprobleme durch den Wechsel am Mikro in der Szene?
Natürlich gab es da eine gewisse Unsicherheit, gerade am Anfang. Dass einige konservative Hardcore-Fans abspringen würden, war von vornherein klar. Wie viele, war sehr schwierig abzuschätzen. Wir haben uns einfach darauf fokussiert, 15 neue Songs, die wir selbst alle geil finden, zu schreiben, einzustudieren und aufzunehmen, und vor allem einfach Spaß dabei zu haben! Die „Szene“ sind in diesem Kontext letztendlich ein Haufen Individuen, die das dann entweder gut finden oder eben nicht. Wichtig war erst einmal, dass wir selbst es gut finden. Aber natürlich war die Erleichterung deutlich spürbar, als die vielen positiven Reaktionen auf die erste Single reinkamen, keine Frage.

Ihr habt für den Sommer 2022 ein neues Album angekündigt. Wie gestaltet sich das Teambuilding beim Songwriting dafür, zumal unter Pandemie-Bedingungen? Wie bringst du dich in den kreativen Prozess ein?
Es hat sich sehr schnell eine sehr organische Art von Zusammenarbeit entwickelt, basierend auf den jeweiligen Talenten und Stärken der einzelnen Bandmitglieder. Dieser Prozess von den ersten Demos bis hin zum eigentlichen Album war für alle Beteiligten eine angenehme und bereichernde Erfahrung. Für mich natürlich insbesondere, da es mein erstes Album überhaupt ist und ich keinerlei Erfahrung mit so was hatte. Ich habe unglaublich viel gelernt, nicht zuletzt auch über mich selbst. Elf hat mir von Bremen aus einige Tracks geschickt, zu denen ich dann Texte geschrieben und bei Christian im Studio eingesungen habe. „Komm schon klar“ war der erste Song, der auf diese Weise entstanden ist. Andere haben Christian und ich gemeinsam im Studio eingespielt und -gesungen und sie dann Elf geschickt, der dann weiter daran gebastelt hat. Dann haben wir uns – soweit die „C-Situation“ es eben zuließ – regelmäßig getroffen und die Stücke geprobt, bis alle zufrieden waren.

Deine Lyrics erzählen häufig sehr authentisch vom Leben Wohnungsloser. Welche Themen sind für dich noch wichtig?
Meine Texte sind alle sehr autobiografisch, das ist meine Therapie. Da ich einige Jahre keinen festen Wohnsitz hatte, ließ sich das Thema Obdachlosigkeit nicht vermeiden. Wobei sie vielmehr aus der Sichtweise eines Menschen außerhalb beziehungsweise am Rande dessen, was wir Gesellschaft nennen, erzählen. Man muss nicht zwangsweise „auf der Straße“ leben, um sie zu verstehen. Soziale Ungerechtigkeit, Existenzängste, Suchtprobleme, psychische Krankheit, Gewalt oder Ärger mit dem Gesetz, die berühren so gut wie jeden, der nicht mit verbundenen Augen das Haus verlässt. Die einen mehr, die anderen weniger. Meine Texte erzählen aber auch von Liebe in all ihren Formen, von Loyalität und Freundschaft, Durchhaltevermögen, Lebensfreude und Selbstreflexion.

Ich freue mich auf die neuen Songs, aber mindestens genauso gespannt bin ich auf deine gesangliche Interpretation der frühen Werke. Hattet ihr schon Gelegenheit, alte Songs einzuspielen?
Es ist eine Live-Session geplant, in der wir vor allem auch einige der alte Hits zum Besten geben, um zu zeigen, was einen auf einem SLIME-Konzert ab jetzt so erwartet. Die Songs noch einmal Schritt für Schritt aufzunehmen und zu mastern, wäre völlig sinnlos. In diesem Zeitalter kann man im Nachhinein so viel biegen, schieben, drehen und bescheißen, dass das gar nichts beweisen würde.

Wann werden wir dich das erste Mal live als Frontmann von SLIME sehen können?
So viel ich gerade weiß, auf dem Ruhrpott Rodeo diesen Sommer.

Was willst du unbedingt noch loswerden?
Bezüglich SLIME nur noch zwei Dinge: Erstens möchte ich sagen, dass ich nichts als Respekt und Achtung für Diggen empfinde und ihm sehr dankbar bin für seinen Gesang, seine Interpretation der Texte und die Energie, die er all diese Jahre da reingesteckt hat! Das muss ihm erst mal jemand nachmachen! Ich habe unzählig viele Erinnerungen an Momente, in denen diese Band mein Leben bereichert und in manchen dunklen Stunden vielleicht sogar gerettet hat. Ich verbitte mir also solch saublöde Kommentare wie „Lasst die beiden doch einfach gegeneinander boxen“ oder ähnliches Dummgesabbel! Ich hoffe, dass wir uns irgendwann einmal kennen lernen und ganz entspannt das eine oder andere Kaltgetränk zu uns nehmen können. Zweitens möchte ich aber auch betonen, was für unglaublich talentierte, technisch versierte und einfach nur fucking geile Vollblutmusiker meine vier neuen Bandkollegen sind. Ansonsten höchstens noch: Seid gut zu euch selbst und zu denen, die gut zu euch sind. Lasst uns unseren Humor nicht verlieren und nicht immer alles so scheiße ernst nehmen. Ich freue mich wie Bolle auf die Konzerte und alles andere, was jetzt so kommt. Bis bald!