Nach einer Handvoll CD-Rs plus Downloads seit 2010 ist „Fluidum“ genau genommen zwar nicht die erste, wohl aber die erste industriell gefertigte Platte, und damit das Debüt der drei jungen Menschen aus dem Hinterland der schwäbischen Landeshauptstadt, in der es seit geraumer Zeit eine bemerkenswerte Häufung aufregender Bands gibt, während anderswo vor allem Altes neu aufgewärmt oder schlicht geschwiegen wird.
Der These, dass unbefriedigende Zustände wütender Musik oder sogar Kreativität im allgemeinen förderlich seien, sollte in einer studentischen Arbeit ruhig einmal nachgegangen werden. Nicht untersucht werden muss hingegen die Tatsache, dass schlechte Reviews früher Tonträger, etwa in einschlägigen Fachzeitschriften wie Spex, nur ein Ritterschlag sein können.
Die letzte wirklich aufregende Neuentdeckung gab es bei jenen in den Achtzigern. Wer sich auf einschlägige Fachzeitschriften verlässt, die sowieso nie etwas bemerken, wenn es nicht schon im Radio rauf und runter genudelt wird, kommt leider häufig zu spät (wenn nicht ab und an aus Versehen das Review eines Praktikanten im Heft landet) – außerdem möchte ich nicht mit ihrer Plattensammlung tauschen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass das gewählte Genre, zwischen Noise, Post-Punk und einem gesunden Hang zum Lärm, kein Hort für lebensbejahende, fröhliche Texte ist, dafür lässt es das Herz eines heimlichen Misanthropen umso höher schlagen.
Wer hier mitfühlende Worte erwartet, hat definitiv die falsche Musik gewählt und befindet sich wahrscheinlich auch auf der vergeblichen Suche nach christlichem Black Metal. Selbstverständlich gibt es keine Neuerfindung des Genres (wann hast du die das letzte Mal erlebt?), dafür bedient sich die dreißigminütige Soundwand der NERVEN an den besten Nachlässen von Bands wie SHELLAC, KILLDOZER, FLIPPER, frühen DAF, ABWÄRTS, MUTTER, UNSANE, MC LUSKY/FUTURE OF THE LEFT oder DIE! DIE! DIE! und webt ganz nebenbei auch JOY DIVISION in den Teppich ein.
TOCOTRONIC hätten nach den ersten zwei 7“s einen ähnlichen Weg einschlagen können, sind dann aber doch anders abgebogen. Dabei bin ich mir sicher, dass die drei jungen Menschen zwar höchstwahrscheinlich nicht alle genannten Bands kennen, aber auf jeden Fall mögen würden.
Die auf das Wesentliche reduzierten Texte sind erfrischend frei von Befindlichkeiten nebst Reimschemata und sprechen mit Zeilen wie „Und andere Frauen ändern auch nichts an deinen Problemen“, „Du suchst ein neues Hobby – drück Heroin“ oder „Ich sehe tausend Menschen, die wissen, was sie wollen ...
und ich bin nicht dabei!“ sicherlich einigen aus der tiefsten schwarzen Seele. Zwar sind nicht alle Stücke grandios, aber in den Momenten, wenn die gekonnt aufgebauten Spannungsbögen explodieren (zum Beispiel bei „Bald“), erinnern wir uns an die vielen uneingelösten Versprechen anderer Kollegen.
Nicht wahr, Herr Albini?! Was aus den zehn Stücken herausragt, verpflichtet geradezu, ein Ohr zu riskieren, dazu gehören: „Schrappnell“, „Morgen breche ich aus“ (selten gab es ein treffenderes Suchtporträt), „Bald“ und „Irgendwann geht’s zurück“.
Aufregender, heißer Scheiß, mit spürbarer Tendenz nach oben!
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