LOU REED

Berlin: Live At St. Ann’s Warehouse

In letzter Zeit ist es ja in Mode gekommen, sich Klassikeralben des eigenen Schaffens zu nehmen und diese isoliert auf die Bühne zu bringen. Ob „Berlin“ so ein Klassiker-Album im Schaffen von Lou Reed war, sei mal dahingestellt, denn nach seinen ersten beiden legendären Post-VU-Platten „Transformer“ und „Walk On The Wild Side“ war „Berlin“ sowohl in kreativer als auch kommerzieller Hinsicht ein Rückschlag für Reed, der damit damals angeblich „the most depressing album of all time“ machen wollte, ein fragmentarisches Konzeptalbum über eine Art „Junkie romance“.

Es ist zwar nicht das erste Mal, dass Reed ein Album komplett live gespielt hat, aber aus „Berlin“ wurde dann direkt ein Multimedia-Spektakel, denn Julian Schnabel schnitt aus zwei Auftritten auch noch einen Konzertfilm zusammen.

Da ich zu „Berlin“ noch nie ein besonderes Verhältnis hatte, kann ich mich relativ unbelastet auf die Neuauflage einlassen und auch nur wenige der damaligen Kritikpunkte nachvollziehen, vielleicht auch weil mir der spätere, rohe Rocksound von Reed schon immer lieber war, der auch diese Platte prägt.

Auch wenn hier ein halbes Orchester auf der Bühne stand, im Mittelpunkt steht dennoch Reeds Gitarrenspiel (damals hatte er selbst gar nicht Gitarre gespielt) und seine im Alter immer faszinierender gewordene Stimme, die „Berlin“ live die emotionale Direktheit verleihen, die der Studioversion möglicherweise fehlte.

Vielleicht nicht die stärkste Platte im Schaffen Reeds, aber diese mitreißende, spannende Performance verleiht „Berlin“ auf jeden Fall eine neue Qualität, einhergehend mit einer Neubewertung des Albums.

Um hier auf eine vernünftige Konzertlänge zu kommen, hat Reed noch drei weitere Tracks angehängt, die nichts mit „Berlin“ zu tun haben: „Rock minuet“ vom schwachen Spätwerk „Ecstasy“ und die beiden VU-Klassiker „Candy says“, mit Antony von ANTONY AND THE JOHNSONS am Gesang, und „Sweet Jane“ in einer ziemlich dudeligen, aber nicht uninteressanten Version.

Nach langer Zeit mal wieder eine Platte von Reed, die mehr als nur gepflegte Langeweile für Rolling Stone-Leser ausstrahlt.