Der Elder Statesman der gepflegten Moritaten hat die Zwangspause unter Corona genutzt, um sich solistisch am Flügel zu inszenieren. Auf „Idiot Prayer“, ursprünglich ein Streaming-Event (mit begleitendem Kinofilm) im Alexandra Palace in London, spielt Cave 22 Songs aus seiner Pandoras Box der Untiefen des Lebens. Im Song „Girl in amber“, vom Album „Skeleton Tree“ (2016), gibt es die Songzeile „And if you want to bleed, just bleed“. Auf „Idiot Prayer“ will Nick Cave vielleicht bluten, weil er es kann, ohne dabei den persönlichen Aderlass zu beschwören. Er spart nicht mit Eifer, Wucht und Hingabe. Sechs Songs stammen von „The Boatman’s Call“, drei vom letzten Album „Ghosteen“, zwei von GRINDERMAN, die restlichen Songs aus den Nick Cave-Alben der Achtziger und Neunziger Jahre. Mit „Euthanasia“ gibt es einen neuen Song, eine zerbrechliche Melodie, eingespielt auf seinem Lieblingsklavier, dem Fazioli-Flügel. Dievon Nick Cave im Alleingang eingespielten Songs bewegen sich zwischen musikalischer Andacht und den Events, die er als Solokünstler unter dem Motto „An Evening of Talk and Music“ in den letzten Jahren zelebrierte. Die reduzierten Stücke zeigen die Kraft seiner Werke, gerade in ihrer Schlichtheit, die skelettiert in ihrer Dramaturgie gut funktionieren. Nach dem Tod von Leonard Cohen, der ewigen Inspiration von Nick Cave, hat der Australier seine musikalische Magie gut verpackt und ist noch näher an sein Vorbild Cohen herangerückt. St. Nick ist und bleibt eine Ausnahmeerscheinung, ob man seine prosaischen und von visueller Kraft strotzenden Übersteigerungen und plakativen Darbietungen nun mag oder nicht.
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