Die GOLDENEN ZITRONEN wurden Mitte der Achtziger in Hamburg gegründet. Ted Gaier und Schorsch Kamerun, beide bis heute in der Band, schafften es mit ihrem unbekümmerten Schrabbel-Punkrock und textlichen „Frechheiten“ (zum Beispiel „Am Tag, als Thomas Anders starb“) schnell bis in die Charts und die Bravo.
Funpunk war der Sound der Stunde, selbst das Fernsehen machte mit, die Nachahmerbands schossen nur so aus dem Boden, „deutsche Punk-Musik“ war salonfähig beziehungsweise massentauglich geworden.
Die Zitronen waren eine der bekanntesten und beliebtesten Bands, stetiges Touren führte zu einer großen Fan-Schar. Doch Gaier & Kamerun entwickelten ihren Stil schnell weiter, weg vom Punk der frühen Tage, ließen Disco/Funk-Elemente einfließen beziehungsweise coverten geschickt (Donna Summers „Hot stuff“ wurde zu „Brennstoff“).
Der Sound wurde vielfältiger, die Texte politischer („Alles was ich will, ist die Regierung stürzen“). Besonders in der Provinz führte dies zu unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Publikum und Band, gerade dann, wenn die „alten Klassiker“ live konsequent verweigert wurden.
Mit der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 und dem einhergehenden neu aufkeimenden Nationalismus und den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, wandelte sich der Stil erneut. HipHop als Musikstil wurde aufgegriffen und verarbeitet, mit „80 Millionen Hooligans“ gelang ihnen eine sound- und wortgewaltige Abrechnung mit dem perfiden System.
Selbst Schlagertextfetzen („Das bisschen Haushalt“ wird zu „Das bisschen Totschlag“) konnten geschickt vereinnahmt werden, der Hörer wurde stetig mit neuen Sounds und Stilen konfrontiert.
Viele alte Wegbegleiter, inklusive mir, stiegen spätestens mit dem Album „Economy Class“ aus, eine Stufe der „Verkopfung“ war erreicht, die viele Fans und Hörer überforderte. Textlich meist weiter interessant, wurde aber allein durch die sperrige Instrumentierung und vertrackte Songstrukturen fast Dekonstruktion betrieben.
Parallel dazu startete Kamerun seine Karriere im Theaterbetrieb als Autor und Regisseur. Ich selbst kann davon nicht berichten, auch die folgenden Alben verfolgte ich nur noch aus weiter Ferne.
Das aktuelle Album glänzt mit enormer Vielfalt und einer zumindest ansatzweisen Rückkehr zu musikalischer Normalität, ohne sich anzubiedern oder einfach zu sein. Die Zitronen (gerne auch Goldies genannt) haben sich über die lange Zeit ein Netzwerk geschaffen, aus dem sie dann auch für ihre Produktionen schöpfen können.
Auch dadurch bleiben sie vielfältig und „modern“. Als Gäste begrüßen wir unter anderem Melissa Logan von CHICKS ON SPEED, Gustav, Petra Devlin und Gadoukou la Star, der beim afrikanischen „Ma place“ rappt, gemeinsam dem Slogan folgend „It ain’t got that Swing, if it don’t mean a thing!“.
Sie haben Bock auf Rock („Typ, Lederjacke, in der Ecke stehend“), hauen Funk-Kleinode raus („Der falsche Kuss“) und nehmen sich die Veranstalter der Loveparade vor („Duisburg“). Beim Schlussstück blubbert und fiept es mächtig, eine lässige elektronische Spielerei, ganz wie man die Zitronen kennt und liebt (oder eben auch nicht).
15 Songs, über 64 Minuten Spielzeit!
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