GALLOWS

s/t

Wer braucht heutzutage eigentlich noch ikonenhafte Frontmänner? Wenn Jim Lindberg und Hank von Helvete ersetzbar sind, dann doch wohl auch Frank Carter. Das müssen sich GALLOWS im August 2011 gedacht haben.

Frisch vom Sänger sitzen gelassen stand die Frage im Raum, ob und wie es weiter geht. Die Antwort war schnell gefunden: GALLOWS können auch sehr gut ohne einen Sänger, der seinen Egotrip ausleben muss.

Rückblickend ist es überraschend, dass es alle Beteiligten sechs Jahre zusammen ausgehalten haben, ist Carter doch nach eigenen Aussagen zu alt, um nur darüber zu singen, wie sehr er alles hasst, und der Rest der Band durfte nie mehr sein als seine Backup-Kapelle.

Rettung nahte schnell in Form von Wade MacNeil, doch die Fans waren unzufrieden. Der war ja vorher Gitarrist. Und das auch noch bei den deutlich softer klingenden ALEXISONFIRE. Und überhaupt kommt der ja nicht mal aus England! Das ließen GALLOWS nicht lange auf sich sitzen und veröffentlichten mit „Death Is Birth“ eine EP, die alle Zweifel weggeblasen haben dürfte.

MacNeils Stimme ist deutlich rauher und dreckiger als die seines Vorgängers. Wenn er live über die Bühne springt, im Publikum herumwirbelt und sich die Seele aus dem Leib shoutet, hängt ihm das Publikum an den Lippen, reckt die Fäuste in die Luft und singt so laut mit, als hätte es nie einen Frank Carter gegeben.

Der Kanadier hat die Lücke, die Carter hinterlassen hat, die vermutlich schon immer da war, perfekt geschlossen. Nicht umsonst heißt das neue Album „Gallows“ – die Band ist zu einer festen Einheit verschmolzen, in der jeder das Beste aus dem anderen herausholt.

Und irgendwie klingen die „neuen“ GALLOWS jetzt wieder wie die „alten“ GALLOWS zu „Orchestra Of Wolves“-Zeiten. „Gallows“ ist ein aggressives Hardcore-Punk-Album geworden, dessen Gangvocals sofort zum Mitgrölen einladen.

Dabei hat es die Band geschafft, trotz des ungezügelt rauhen Sounds catchy Melodien in die Songs zu packen, die sofort im Ohr bleiben. „In us we trust“ heißt es gleich im ersten Lied „Victim culture“ und klingt wie ein dickes „Ihr könnt uns alle mal“ an all diejenigen, die nicht an ein Bestehen der Band ohne Carter geglaubt haben.

Auch sonst ist jedes Lied eine Kampfansage, vom düsteren „Everybody loves you“ bis hin zum hymnischen „Cult of Mary“. Dabei bleibt die Band politisch und sozialkritisch. In der ersten Singleauskopplung „Last june“ geht es zum Beispiel um den G20-Gipfel in Toronto.

Mit dem Intro von „Outsider art“ wagt man sich in ruhigere Gefilde vor und schafft damit eine so nervenaufreibende Spannung, dass man es kaum abwarten kann, bis sich diese im weiteren Songverlauf entlädt.

Mit dem melodischen „Cross of Lorraine“ wird man schließlich nach über einer halben Stunde ohne Verschnaufpause in die Freiheit entlassen – und will sofort wieder von vorne anfangen. GALLOWS haben sich neu erfunden und sind sich dennoch treu geblieben.

Das British-Band-Image hat man abgelegt und sich zurück auf die Hardcore-Punk-Wurzeln besinnt. Die Band geht deutlich gestärkt aus der Trennung von Frank Carter hervor und die Songs repräsentieren nun endlich eine ganze Gruppe.

Der beste Beweis dafür, dass Veränderungen nicht immer schlecht sind.