Die Geschichte der GALLOWS ist eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. 2005 gegründet wird ihr 2006er Debütalbum „Orchestra Of Wolves“ von Brett Gurewitz zum besten Hardcore-Album seit „The Shape Of Punk To Come“ gekürt, ein Jahr später folgt der vermeintlich große Deal mit dem Majorlabel Warner. Der 1-Million-Pfund-Vertrag über drei Alben platzt aber bereits nach dem Nachfolgeralbum „Grey Britain“. 2011 verkündet schließlich der stilprägende und anscheinend nicht ganz unkomplizierte Sänger Frank Carter, der GALLOWS sowieso nie eine erfolgreiche Zukunft prophezeite, seinen Austritt aus der Band. Für die meisten Fans war das das Todesurteil der GALLOWS. Während Carter mit seinem neuen Projekt PURE LOVE ruhigere Töne anschlägt und gerne mal den einen oder anderen Seitenhieb austeilt, haben GALLOWS längst einen ebenbürtigen Nachfolger in Wade MacNeil gefunden. Der war früher Gitarrist und Sänger bei ALEXISONFIRE, die sich etwa zeitgleich mit Carters Austritt aus der Band auflösten. Drummer Lee Barratt kann sich das Grinsen kaum verkneifen, als er über die „neuen“ GALLOWS und das aktuelle Album spricht. Es scheint wieder steil bergauf zu gehen für die Band, oder um es mit seinen Worten zu sagen: „Everything is positive again.“
Lee, mittlerweile habt ihr ja schon einige Shows mit Wade gespielt. Wie war das für euch und wie hat das Publikum auf euren neuen Frontmann reagiert?
Wir haben uns inzwischen eingewöhnt. Wir haben letztes Jahr bei unserer EP-Tour die ersten Konzerte mit Wade in Amerika gespielt, diese ganze Sache war nicht besonders gut und es war teilweise echt hart. Im Dezember waren wir dann auch in England und danach hat es sich wirklich so angefühlt, dass Wade sich an alles gewöhnt hatte und wir eine stärkere Band geworden sind, als wir je waren. Das Feedback ist seitdem wirklich großartig. Wir sind jetzt eine viel geschlossenere Einheit als Band und die Leute lieben Wade. Nach ein paar Songs vergessen die alle, was früher war. So ging es uns auch. Wir brauchten eine Weile, um uns daran zu gewöhnen, denn fünf Jahre mit Frank sind natürlich schon eine lange Zeit, aber jetzt sind diese ganzen Probleme weit weg und Wade ist unser Frontmann.
Musste sich Wade erst an diese neue Rolle als Frontmann gewöhnen und hat ihn das nervös gemacht?
Ich glaube, er hatte ein bisschen Angst bei unserem ersten Auftritt in Amerika. Da waren 200 Kids, das hat ihn schon ein bisschen nervös gemacht. Ich denke, was ihn vor allem verunsichert hat, war die Performance. Er war nicht daran gewöhnt, der Frontmann zu sein, er war immer der Gitarrist, der auch gesungen hat. Mit dem Mikro auf der Bühne rumzulaufen und mit dem Publikum zu sprechen, war also nie wirklich sein Ding. Aber daran hat er sich jetzt gewöhnt und er fühlt sich damit auch wohl. Er ist nicht mehr nervös, sondern einfach glücklich, jetzt zu uns zu gehören.
Hattet ihr auch Sorgen, dass die Leute euch mit eurem neuen Sänger nicht mehr mögen würden?
Es gibt immer Leute, die mit Veränderungen nicht klar kommen. Für die war Frank die Band, aber darüber sind wir hinweg. Am Anfang war es hart, denn es war schließlich auch unsere Karriere und wenn dann Leute sagen, „Die Band kann ohne Frank nicht existieren“, stellt uns das in einem ziemlich schlechten Licht dar. Wir sind jetzt aber sehr zufrieden mit dem neuen Album und den Shows. Wenn also immer noch jemand so etwas sagt, dann kann er meiner Meinung nach nie ein richtiger Fan der Band gewesen sein.
Im Moment gibt es ja mit TURBONEGRO und PENNYWISE zwei gute Beispiele dafür, dass auch so stilprägende Sänger wie Hank und Jim Lindberg ersetzbar sind.
Ja, so etwas passiert seit Jahrzehnten: AC/DC, BLACK SABBATH, BLACK FLAG, IRON MAIDEN haben ihre Sänger dreimal gewechselt. Wir sind nur eine weitere in dieser Reihe von Bands, die das gut hinbekommt. Wir haben unseren Sänger gewechselt, aber unsere Shows sind immer noch die gleichen, wenn nicht sogar besser, denn Wade will alles bestmöglich machen. Meiner Meinung nach sind wir jetzt eine bessere Band, mir ist egal, was andere denken, denn ich weiß es einfach.
Warum habt ihr Wade als neuen Sänger gewählt? Ich habe gelesen, dass auch Franks und Stephs Bruder Richard im Gespräch war.
Richard war bei uns nie wirklich im Gespräch. Bei Richard hätten die Leute gesagt: „Oh, die ersetzen Frank einfach durch seinen kleinen Bruder.“ Das wäre für viele sicherlich auch die einfachste Lösung gewesen, aber wir wählen nicht die einfachste Lösung. Viele waren auch für Tom von THE GHOST OF A THOUSAND, aber der ist auch nur ein weiterer britischer Hardcore-Sänger. Wir wollten einfach jemanden, der mehr bieten konnte in Sachen wie Gesang, Persönlichkeit und auch Songwriting. Wir wussten, dass Wade viele ALEXISONFIRE-Songs geschrieben hatte. Und glücklicherweise – für uns – haben die sich gerade zu dieser Zeit aufgelöst. Es war für uns keine schwierige Entscheidung. Es waren zwar ein paar andere im Gespräch, aber als wir erfuhren, dass Wade verfügbar war, war es für uns eigentlich klar. Und er hat dann zum Glück auch Ja gesagt.
Wolltet ihr damit auch zeigen: „Unsere Band besteht nicht nur aus Frank und wir können auch ohne ihn weiterexistieren?“
Auf jeden Fall, ja. Als wir davon hörten, dass Frank aufhören wollte, waren wir uns sehr schnell einig, dass wir mit der Band weitermachen wollten. Die Band bestand nicht nur aus ihm. Er stand zwar offensichtlich für die meisten Fans schon deutlich im Vordergrund, aber wir waren als Band einfach noch nicht fertig. Wir hatten die letzten fünf Jahre wirklich hart gearbeitet und wollten das nicht einfach hinschmeißen. Glücklicherweise kam dann Wade hinzu. Wir identifizieren uns jetzt viel mehr als Band als nur durch den Sänger. Jeder, der uns live sieht, wird das erkennen. Wir sind eine Einheit und nicht nur „Frank Carter und vier andere Typen“. Wir sind jetzt die GALLOWS. Deswegen heißt unser neues Album auch so, das ist ein Statement. Wir können jetzt endlich Entscheidungen treffen, ohne dass jemand angepisst ist.
War es nicht irgendwie vorhersehbar, dass GALLOWS in ihrer Urform nicht ewig bestehen würden? Nach den Statements von Frank vor ein paar Jahren dürften die meisten Leute überrascht sein, dass es euch überhaupt noch gibt.
Ja, er hat da ziemlich viel Zeug geredet, dass wir es nie weiter als bis zum zweiten Album schaffen würden und so. Für ihn trifft das ja zu, mehr als zwei Alben hat er mit GALLOWS nicht gemacht. Aber eigentlich war das für uns schon immer eine Sache, die wir weitermachen wollten, für uns waren GALLOWS schon immer der Mittelpunkt unseres Lebens und sind es immer noch. Wir haben alle unsere Nebenprojekte, aber der Fokus liegt auf GALLOWS. Frank hat jetzt seine neue Band PURE LOVE, die für ihn gerade das Wichtigste ist. Ich glaube, wir sind alle froh, dass es so gekommen ist.
Also seid ihr jetzt motivierter, was die Band angeht?
Auf jeden Fall. Wir freuen uns sehr auf das neue Album und wollen auch schon an neuen Songs arbeiten. Früher haben wir nie auf Tour oder zwischen den Tourneen Songs geschrieben. Der Ablauf war: Schreiben, Album veröffentlichen, zwei Jahre touren, ein neues Album schreiben. Jetzt sind wir flexibler, wir wollen mehr schreiben, wir wollen mehr sprechen. Es wird definitiv ein weiteres Album nach diesem geben, aber wir müssen uns erst mal auf dieses konzentrieren und sichergehen, dass es den Leuten überhaupt gefällt.
Das klingt alles nicht so, als wärt ihr sehr zufrieden mit eurer bisherigen Karriere ...
Bevor Wade in die Band kam, waren wir bei dem Majorlabel Warner unter Vertrag. Da wurden einige schlechte Entscheidungen getroffen und viel Geld ausgegeben, das eigentlich nicht hätte ausgegeben werden müssen. Wir haben einfach die Kontrolle über alles verloren. Jetzt, seit Wade dabei ist, fangen wir wieder von vorne an. Wir haben jetzt viel mehr Kontrolle, in Großbritannien haben wir mit Venn Records unser eigenes Label. Wir bringen das neue Album selbst raus, mit der Hilfe des belgischen Labels PIAS. Alles ist jetzt einfach wieder positiv und das neue Album zeigt das auch.
Also war es ein Fehler, so einen Deal mit Warner zu machen?
Zu dem Zeitpunkt schien es für uns eine gute Idee zu sein. Wir bekamen viel Geld und uns wurden sehr viele Sachen versprochen, die keine Band abgelehnt hätte. Leider wurde vieles davon nicht eingehalten. Manchmal schon, es gab Zeiten, wo die ganz okay waren. Aber es gab echt viele Auseinandersetzungen, die wir mit dem neuen Label zum Glück noch nicht hatten, da können wir machen, was wir wollen.
Wie hat sich eure Arbeitsweise dadurch verändert, dass Wade jetzt in der Band ist?
Wir müssen uns mehr um unsere Zeitpläne kümmern und uns auch sehr genau daran halten, denn Wade muss immer extra aus Kanada kommen. Proben und Touren müssen gut durchdacht werden, wir können nicht einfach Shows arrangieren, wenn Wade nicht kommen kann. Komischerweise proben wir jetzt aber mehr als mit Frank, denn Frank kam nie zu den Proben. Wade kommt aber immer, er will proben, er will an neuen Songs arbeiten und alte Songs lernen. Das ist ein tolles Gefühl, wenn der Sänger wirklich motiviert ist, das inspiriert den Rest der Band sehr. Das Reisen ist teilweise ziemlich anstrengend, aber ich glaube, Wade gewöhnt sich daran.
Wie hat Wade euren Sound beeinflusst? Ich glaube, viele Leute waren skeptisch, weil ALEXISONFIRE ja schon ein bisschen softer waren und sie Angst hatten, dass ihr dann genauso klingen würdet. Aber ich finde die neuen Sachen tatsächlich um einiges härter als die alten.
Unsere erste EP mit Wade, „Death Is Birth“, war eigentlich so ein Schnellschuss. Wade war gerade erst zwei oder drei Wochen dabei und wir hatten nur ein paar Tage, um diese Songs zu schreiben. Wir dachten: „Wir müssen etwas Hartes und Schnelles machen“, einfach nur, um allen „Fuck you!“ zu sagen, haha. Das haben wir dann auch gemacht, ich glaube, es sind vier Songs in sieben Minuten. Die neuen Sachen klingen nicht unbedingt wie „Death Is Birth“. Es ist immer noch harte Musik, aber da passiert noch viel mehr. Es ist mehr der klassische GALLOWS-Sound wie bei „Orchestra Of Wolves“, es gibt mehr dissonante Gitarrenparts und es ist irgendwie rhythmischer. Wade ist außerdem mehr Punkrock als wir alle zusammen, er hört echt viel Punk, wir eigentlich nicht so, auch wenn wir als Punkband gesehen werden. Er bringt Sachen mit in die Songs ein, an die wir vorher nie gedacht hätten. Und er hat diese positive Fuck-you-Punkrock-Attitüde. Ich glaube, er wusste selbst gar nicht, dass er die hat, als er bei ALEXISONFIRE war, denn die waren eine etwas kommerziellere Band. Er hatte nicht wirklich die Chance, das zu tun, was er wollte, und GALLOWS bieten ihm jetzt diese Plattform.
Ich habe GALLOWS immer als britische Band angesehen, euer letztes Album hieß schließlich auch „Grey Britain“. Haben Leute ein Problem damit, dass Wade Kanadier ist?
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass es keinen interessiert. Aber wir sind eine Band, wir entwickeln uns weiter. Man kann nicht für immer dieselben Songs spielen und über dieselben Sachen singen, das ist einfach langweilig. Wir wollen unseren musikalischen Horizont erweitern. Wir können uns nicht auf die Leute konzentrieren, die wollen, dass wir die ganze Zeit nur über Großbritannien reden, es passiert doch noch so viel mehr. Wade hat das mit dem ersten neuen Song „True colors“ letztes Jahr sehr gut verdeutlicht. Es geht immer noch um wichtige Themen, nur nicht mehr die ganze Zeit um Großbritannien. Ich fände es echt schrecklich, wenn es in all unseren Texten nur darum gehen würde, wie furchtbar mein Heimatland ist, haha. Diejenigen, die Wade live gesehen und die neuen Songs gehört haben, haben das, glaube ich, verstanden. Wenn es jemandem nicht gefällt, soll er sich eben nicht unsere Musik anhören.
Wie ist euer Verhältnis zu Frank heute? Der rührt ja gerade ziemlich die Werbetrommel für sein neues Projekt PURE LOVE und hat nicht unbedingt viel Gutes über euch zu sagen.
Es ist ein bisschen schwierig. Während der letzten Tour, die wir mit Frank gespielt haben, wussten wir schon, dass er uns verlassen würde, also waren die Shows ziemlich schräg und die Atmosphäre nicht wirklich gut. Ich habe mir PURE LOVE noch nicht angehört, aber ich habe gehört, dass er glücklich damit ist, und das freut mich für ihn. Wir sind glücklicher als früher und er ist es auch, unsere Trennung war gut für alle und lief friedlich ab. Ich habe ein paar Sachen gelesen, die nicht so nett waren, aber man kann nie wissen, ob die Presse das nicht alles dramatisiert und übertreibt. Wir waren ruhig und haben nichts Schlechtes gesagt, und ich denke auch nicht, dass er es nötig hat, schlecht über uns zu reden. Wir haben für seine Karriere gesorgt und er für unsere, dabei sollten wir es belassen.
Habt ihr noch Ziele, die ihr erreichen möchtet?
Das ist echt verrückt, denn jedes Ziel, das ich hatte, als wir anfingen, haben wir irgendwie schon erreicht. Es gibt aber immer noch Bands, mit denen ich unbedingt touren will, und Orte, die ich besuchen will. Das grundsätzliche Ziel ist aber, dafür zu sorgen, dass die Band am Leben bleibt. Denn wir wollen touren und – auch wenn sich das jetzt nicht richtig anhört – Geld verdienen, denn es ist echt ein hartes Business. Solange weiterhin Leute zu unseren Shows kommen und unsere Musik mögen, sind wir zufrieden. Konkrete Ziele habe ich eigentlich nicht, weil ich nie wirklich weit vorausdenke, denn man weiß nie, was passieren kann. Was die Band an sich angeht, denken wir aber längerfristig und da wird noch einiges kommen.
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