Ich bin heilfroh, dass meine Eltern mich einst zwar zum regelmäßigen Kirchenbesuch zwangen, mir aber erspart blieb, im Kirchenchor zu singen oder gar als Ministrant dem Pfarrer hinterwuseln zu müssen.
Nick Cave hatte weniger Glück, und vielleicht liegt es ja an dieser frühkindlichen Prägung, dass seine Musik immer wieder von biblischen Themen durchzogen wird. Albumtitel wie Titelsong widmen sich dem Märchen von Lazarus, den die Sagengestalt Jesus einst von den Toten auferweckt haben soll, und Cave war von der Geschichte von klein auf so beeindruckt, dass er sie nun in diesem Stück neu erzählt.
Der Trick von Cave besteht ja schon seit Jahren darin, seine Besessenheit von biblischen Themen so geschickt zu verpacken, dass man nie weiß, ob da echte Gläubigkeit dahinter steckt (man will es nicht hoffen), oder ob es nur eine popkulturelle Spielerei mit einer zugeben ziemlich faszinierenden Geisteswelt ist.
Rock'n'Roll und Satan kann ja schließlich jeder. Entstanden ist das neue, 14. Album Caves letztes Jahr parallel zum GRINDERMAN-Album, und ich bin einmal mehr erstaunt, mit was für einem Eifer Cave seiner Mission nachgeht.
Über all die Jahren hat er nie eine wirklich schwache Platte gemacht, ist er nie einen Weg gegangen, auf dem man ihm als alter BIRTHDAY PARTY-Fan hätte die Gefolgschaft verweigern wollen, und das hat, um in christlicher Terminologie zu bleiben, etwas von einem Prediger, einem Anführer, dem man treu ergeben folgt, im Wissen (und der Hoffnung), dass der das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht.
"Dig, Lazarus, Dig!!!" bildet da keine Ausnahme, ist ein düstereres Album als "Abattoir Blues/The Lyre of Orpheus" und überrascht damit, dass anders als bei den Vorgängern der letzten Jahre kein sofort erkennbarer Überhit à la "Where the wild roses grow" oder "Nature boy" enthalten ist.
Schmälert das meine Begeisterung? Nein, denn der Herr Cave ist mein Hirte und wird es schon richten. Wundervolle Verpackung übrigens - bitte erkläre mir irgendjemand endlich mal den Sinn eines digitalen Album-Releases.
(9)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Claus Wittwer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #77 April/Mai 2008 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #148 Februar/März 2020 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Markus Kolodziej
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #132 Juni/Juli 2017 und Markus Kolodziej
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #134 Oktober/November 2017 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #64 Februar/März 2006 und Joachim Hiller