Das Ende von MADRUGADA war tragisch: Im Juli 2007 starb Robert Burås, Gitarrist und Gründungsmitglied der norwegischen Band, die sich 1993 (noch unter anderem Namen) gegründet hatte, mit nur 31 Jahren. Das fast komplett aufgenommene titellose fünfte Album stellte die Band noch fertig, ging 2008 auf Abschiedstour, und das war’s. Bis ... 2018 dann die Ankündigung der Reunion kam, 2019 wurden europaweit über sechzig Konzerte und Festivals gespielt, und es stellte sich heraus, dass hier einer jener seltenen Fälle zu verzeichnen war, wo eine zu Lebzeiten schon verehrte Band nach ihrem Ende fast schon „larger than life“ wurde. Die Konzerte 2019 überzeugten, begeisterten, auch wenn da vielleicht eine Spur mehr Pathos und Schwelgerei war als ein Jahrzehnt zuvor, etwas weniger Dunkelheit und Härte. Ich beschrieb ihre Musik angesichts einer Rerelease-Offensive mal so: „MADRUGADA waren Meister des düsteren Dramatik-Rocks, kitschfreie Pathoshelden, nordskandinavische Americana-Vertreter. Nick Cave traf hier auf THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES, THE DOORS auf GUN CLUB, Chris Isaak auf GODFATHERS. Die Songs von MADRUGADA sind nie anbiedernd, immer dezent, sie strahlen Wärme und Behaglichkeit aus, aber auch eine gewisse Verzweiflung, sie sind – man verzeihe mir diese Floskel – ‚großes Kino‘, perfekte Rotwein-Musik.“ Viel davon ist geblieben, aber die Moll-Töne sind anno 2022 markanter, vordergründiger, die Songs über weite Strecken weicher, schwelgerischer, immer beherrscht von Sivert Høyems markantem Gesang, der hier (leider) immer wieder statt im bassigen Bereich zu bleiben in hohe Kopftöne wechselt. Er ist mehr als früher der Crooner, der epische Erzähler, das Balladeske steht bei den Songs im Vordergrund. Oder um es mit einer Referenz an den Bandnamen auszudrücken: statt der „Blauen Stunde“ – bald darauf beginnt die Nacht – zu huldigen, klingen die Songs auf „Chimes At Midnight“ weniger nach Mitternacht als vielmehr nach der halben Stunde vor Sonnenaufgang: heller, hoffnungsvoller, als man das von der alten Band kennt. Menschen ändern sich, Zeiten ändern sich – dies sind die MADRUGADA der Gegenwart, die Band von damals muss man auf den alten Alben finden. Ich denke, wir werden Freunde bleiben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #49 Dezember 2002/Januar/Februar 2003 und Achim Lüken
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Simon Brunner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #95 April/Mai 2011 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Manuel Möglich
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Joachim Hiller