Die „Theorie des Wandels“ beschreibt ein spezifisches Wirkungsmodell, das auf der Grundlage früherer Praktiken vorhersagen soll, wie zukünftige Aktivitäten funktionieren werden. Metaphorisch lässt sie sich demnach mit einer Kristallkugel vergleichen, allerdings mit dem Anspruch auf absolute Zuverlässigkeit. Dass dem Ganzen jedoch ein paradoxer Charakter innewohnt, liegt auf der Hand. Das wissen auch MAKEWAR aus Brooklyn, New York. Denn hätten sie 2020 in eine solche Kristallkugel geblickt, wären viele der bandinternen Entscheidungen wohl ganz anders ausgefallen. Stattdessen folgten Corona, abgebrochene Touren, Arbeitslosigkeit, Isolation, Alkohol und Depressionen. Noch dazu ging das 2019 veröffentlichte Album „Get It Together“ vollkommen in den Abgründen der Pandemie unter, was für noch größeren Frust sorgte. „2020 sollte unser bestes Jahr überhaupt werden – wir hatten gerade bei Fat Wreck Chords unterschrieben und planten Touren in Japan, Brasilien, Mexiko, Kanada, den USA und Europa“, erzählt Sänger und Gitarrist José Prieto. „Und dann war ich plötzlich arbeitslos, hatte kein Geld mehr und gab das Wenige, das ich hatte, für Kisten mit Wein aus, um mit der bedrückenden Lage irgendwie fertig zu werden.“ Dass das vierte MAKEWAR-Album „A Paradoxical Theory Of Change“, das nun das Licht der Welt erblickt, also keine sonnige Partyplatte werden würde, dürfte demnach auf der Hand liegen. Die zwölf Songs stehen allesamt sinnbildlich für eine Beziehung zum inneren Ich. Sie handeln davon, die eigenen Ängste zu verstehen, Geduld mit ihnen zu haben und daraus zu lernen, sie letztlich zu akzeptieren – also all dem, woran sich Prieto in den vergangenen Jahren schmerzhaft abarbeiten musste. Trotzdem oder gerade deswegen wagen MAKEWAR auch einen positiven Blick nach vorne. So beispielsweise in der ersten Single-Auskopplung „Not today“, in der die New Yorker über die Entscheidung singen, dem eigenen Leben trotz Perspektivlosigkeit eben doch kein Ende zu setzen. Ja, gewiss steht diese Neubesinnung in starkem Kontrast zu früheren Werken der Band, auf denen es vor allem darum ging, die eigenen Probleme zu ertränken. Und konsequenterweise ist auf „A Paradoxical Theory Of Change“ auch musikalisch so einiges anders. Die Geschwindigkeit der Songs wurde deutlich gedrosselt, halbverzerrte Gitarren und beschwingte Bassläufe bekommen endlich ihren Raum. Dazu überschlägt sich Prietos Reibeisenstimme wieder wunderbar und steht in schönem Kontrast zu den häufig ruhigen Arrangements und Riffs ihres Indie-Emo-Pop-Punk. So schimmert hier verdächtig oft die Hymnenhaftigkeit von THE MENZINGERS oder SAMIAM durch. Ein sehr erwachsenes Album und zweifelsohne das Beste, was MAKEWAR bislang veröffentlicht haben.
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