ZEAL & ARDOR

Foto© by Noemi Ottilia Szabo

Strength through coffee

Als Manuel Gagneux 2013 mit seiner innovativen Mischung aus Black Metal und Gospel um die Ecke kam, stieß er fast ausnahmslos auf Begeisterung. Das Konzept hat er seitdem schrittweise erweitert, wofür er auch kreativen Input aus seinen Bands SOFT CAPTAIN und BIRDMASK ziehen konnte. Für seine vierte Platte „Greif“ hat der bekennende Kontrollfreak locker gelassen und seine Bandmitglieder, die ihn schon seit Jahren auf weltweiten Touren begleiten, in den Entstehungsprozess einbezogen. Herausgekommen ist eine bemerkenswert vielfältige Platte, die beweist, dass ausgehend von der ursprünglichen Idee noch sehr viel mehr möglich ist. ZEAL & ARDOR sind auf „Greif“ neben Bandleader Manuel Gagneux noch Tiziano Volante (gt), Marc Obrist (voc), Denis Wagner (voc), Lukas Kurmann (bs) und Marco von Allmen (dr).

Manuel, zum ersten Mal hast du nicht alles alleine gemacht, sondern ihr seid das Album als Band angegangen. Warum jetzt und warum vorher nicht?

Ich glaube, es war aus Angst, dass ich das nicht so gemacht habe, und aus einer gewissen Unsicherheit heraus. Aber mittlerweile ist ZEAL & ARDOR ein so geteiltes Projekt, dass es irgendwie nicht richtig wäre, es weiterhin alleine zu machen. Und darum habe ich mir die beste Hilfe geholt, die ich mir vorstellen konnte.

Hast du die anderen angesprochen oder haben sie danach gefragt?
Angesprochen habe ich sie. Es war irgendwie schon etabliert als Routine, dass ich alles alleine mache. Und dann habe ich einfach vorgeschlagen, dass wir es ab jetzt zusammen machen, und glücklicherweise waren sie gleich dabei.

Und du scheinst zufrieden damit zu sein?
Oh, absolut, ja. Sehr.

Die Platte heißt „Greif“, zurückzuführen auf eine alte Tradition für Kinder bei euch in Basel, bei der sich jemand verkleidet und durch die Straßen zieht, um auf die Ungerechtigkeiten zwischen Oben und Unten hinzuweisen. Wie hast du das als Kind erlebt?
Basel ist zweigeteilt, es gibt Klein- und Großbasel, getrennt durch den Rhein. Und Kleinbasel war eher das Arbeiterviertel und der Rest war eher so etepetete. Der Greif war auf der Kleinbasler Seite und kehrte den Reichen den Rücken zu beziehungsweise zeigte ihnen den Arsch, haha. Und ich finde das als 800 Jahre alte Tradition schon irgendwie schön und Grund genug, es mit der Welt zu teilen. Er macht das jedes Jahr und es ist ein sehr imposantes Kostüm, das Ding ist drei Meter hoch und jetzt auf dem Cover der Platte. Mir und sehr vielen anderen Menschen, die es einmal gesehen haben, ist es in Erinnerung geblieben.

Auf dem neuen Album verstecken sich viele Experimente. Mit welchem Grundgerüst bist du in Marcs Hutch Sounds-Studio gekommen und wie habt ihr dann an den Songs gearbeitet?
Also geschrieben habe ich sie immer noch alleine, weil ich letztlich doch ein Kontrollfreak bin, haha. Aber eigentlich war es überraschend einfach. Es sind nach und nach die Leute gekommen, haben ihre Instrumente eingespielt und Ideen dazu abgegeben. Ich muss zugeben, dass es oft Sachen gewesen sind, auf die ich selber nicht gekommen wäre oder die ich so nicht hätte umsetzen können. Daher ist es immer eine schöne Erfahrung gewesen. Es war auf jeden Fall lustig. Und als Herzstück des Studios würde ich definitiv die Kaffeemaschine bezeichnen, die uns die nötige Energie geschenkt hat, haha.

Was versuchst du als Kontrollfreak zu bewahren, hast du immer eine konkrete Vorstellung davon, wie etwas klingen soll?
Man muss sich das so vorstellen, dass ich die Lieder bereits aufgenommen habe, aber in schlecht, haha. Und wir ersetzen Stück für Stück die Sachen, die dann aber andere Menschen gemacht haben. Und man läuft immer Gefahr, dass man sich in diese Demos verliebt. Aber ich habe mir das abgewöhnt. Schon lange, behaupte ich mal.

Bisher waren die Sprünge vom Demo zu fertigem Song also gar nicht so groß?
Die waren immer schon merklich groß. Und ich glaube, das ist auch das Schöne daran. Denn wenn es nur lediglich die Umsetzung gewesen wäre, wäre das bloße Fleißarbeit im Studio und gar nicht mehr lustig. Darum lasse ich immer absichtlich ein paar Löcher, in denen man ein bisschen experimentieren darf.

Kannst du ein Beispiel für etwas nennen, auf das du so nicht gekommen wärst?
Beim Schlagzeug ist es so, dass ich das nicht spielen, sondern lediglich programmieren kann. Beim Bass gibt es auch Sachen, auf die ich selbst so nicht komme, weil ich ihn als Instrument nicht ganz verstehe. Also etwa welchen Platz sollte sich der Bass nehmen und wo wirkt er am besten einfach unterstützend? Das sind einfach Effizienzsachen, die man durch Erfahrung lernt und sich nicht einfach so zusammenreimen kann, wie ich lernen musste und zugeben muss.

Gerade das Schlagzeug klingt dieses Mal besonders gut. Wer hat denn alles an der Produktion mitgemischt, nachdem Marc, der schon lange bei ZEAL & ARDOR singt, das Album aufgenommen hat?
Gemischt hat es Adrian Bushby, der auch schon mit den SPICE GIRLS gearbeitet hat, mit FOO FIGHTERS und mit uns, weil das einfach normal zu sein scheint und zusammengehört, haha.

Von Seiten FOO FIGHTERS könnte man sich jetzt was Richtung Kompetenzen und Schlagzeug zusammendichten.
Ja, das muss man wirklich sagen, das kann er und er ist noch dazu ein sehr, sehr netter Mensch.

Bezieht sich der Song „369“ auf die Manifest-Methode?
Das höre ich bereits zum zweiten Mal. Es hört sich cool an. Ich würde am liebsten sagen, ja, total. Aber eigentlich ist es ein Zitat aus einem Tom Waits-Song, der sich wiederum auf einen Shirley Ellis-Song bezieht. Und der geht so: „Three six nine, the goose drank wine“.

Bei der Manifest-Methode ist das so, dass man morgens dreimal, dann sechsmal mittags und neunmal abends aufschreibt, was man gerne erreichen will. Wie setzt du dir Ziele für deine Musik oder ist das beim Kreativsein eher kontraproduktiv?
Ich lüge mich eigentlich soweit es geht an und mache mir vor, dass es keine Erwartungen gibt. Und ich glaube, in dem Raum arbeite ich am besten, bis es irgendwann eng wird und ich effizienter arbeiten muss. Aber bislang ist es mir immer noch gelungen, diese Freiheit zu wahren. Mal sehen, wie es nächstes Mal wird.

Die Inhalte auf „Greif“ sind diverser. Wie findest du die Themen für deine Songs?
Das Album ist auf jeden Fall persönlicher und das ist ja auch kein Appell an die Öffentlichkeit, sondern eher ein Teilen meiner persönlichen Gefühle. Das war nicht bewusst gewählt, sondern ist einfach so geschehen. Aber es wirkt irgendwie homogen durch die Platte. Ich glaube, es ist auch die bisher ehrlichste und repräsentativste Platte, nicht nur für mich, sondern für alle in der Band. Wir sind offensichtlich keine ziegenschlachtenden Mondanbeter, sondern eigentlich sehr vielseitige lebensfrohe Menschen. Ich empfinde es als Luxus und Privileg, auch diese Freude durch die Musik ein stückweit teilen zu können.

Was war denn vorher weniger ehrlich?
Ich würde eher sagen, dass die anderen Platten mehr in einer Fantasie spielen als diese. Die natürlich auch. Aber ich glaube, wir haben uns jetzt einen Schritt näher Richtung Realität gewagt. Und das finde ich eigentlich noch schöner.

Wir haben uns am Tag, als der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine begann, persönlich gesprochen und waren beide entsprechend gelaunt. In „Thrill“ singst du jetzt: „For the record, I don’t feel anymore.“ Welchen Einfluss haben solche Ereignisse langfristig auf deine Kunst, versuchst du gegenzusteuern?
Ich versuche, es immer zu verarbeiten. Manchmal will ich es wegdrücken, aber es kommt irgendwie doch zurück. Was aber eine gesunde Reaktion ist, glaube ich. Vielleicht ist auch diese Platte ein bisschen hoffnungsvoller, weil ich dagegensteuern wollte. Weil der globale Konsens eher bedrückt und eigentlich ein bisschen panisch ist. Es ist lustig: Wenn ich Lieder schreibe, weiß ich oft nicht, was ich gerade damit behandle, und dann erkenne ich zwei Jahre später: Offensichtlich ist es deswegen gewesen, offensichtlich habe ich über dies und jenes geschrieben. Das heißt, ich muss ein bisschen Distanz gewinnen, um das wirklich beantworten zu können, glaube ich.

Zurück zur Vielfalt. Bei „Kilonova“ greifst du auf einen Begriff aus der Physik zurück. Kannst du beschreiben, wie du auf die Entstehung dieser massiven Explosion als Metapher gekommen bist?
Ich bin sehr, sehr, sehr an Physik interessiert und ich glaube, das war ein Nature-Artikel – weil der Begriff ziemlich neu ist, der ist erst zehn Jahre alt –, in dem beschrieben wurde, wie zwei Supernovas kollidieren und das in einer Kilonova resultiert. Und das ist die größte Explosion, die man sich überhaupt vorstellen kann, bis auf den Urknall. Und dafür, wie jetzt auch unsere verschiedenen Ideen als Musiker auf dieser Platte aufeinanderprallen, fand ich das ein sehr, sehr passendes Wort. Und es ist einfach cool, muss ich zugeben, haha.

Was genau bedeutet „an Physik interessiert“? Du liest viel darüber und schaust dir Dokus an?
Ja, und ich habe zwei Semester Physik studiert, aber das hat irgendwie nicht geklappt, dafür das mit der Musik, deswegen bin ich jetzt eben hier, haha. Mich beschäftigen eben viele Sachen, das kann ich nicht abstellen, das ist so.

Das macht deine Musik irgendwie einzigartig, wobei ich gerade heute einen Vergleich zwischen dir und ALCEST gelesen habe.
Ich glaube, er ist auch ein Tüftler, dieser Neige von ALCEST. Vielleicht liegt es daran, ja.

Seinen Namen hast du sehr gut französisch ausgesprochen. Wie entscheidest du eigentlich, welche Sprachen du verwendest, und könnte Schweizerdeutsch auch mal dabei sein?
Es hat oft mit dem Wortlaut zu tun, ob die Konsonanten in einem Stück eher härter sein sollten oder eher einfühlsamer. Englisch ist eine ziemlich weiche Sprache und Deutsch eben eine teilweise sehr eckige Sprache, obwohl sie sehr präzise und auch berührend sein kann. Und deshalb ist das eigentlich der maßgebliche Einfluss. Ich probiere das immer aus. Aber Schweizerdeutsch nutze ich jetzt nicht so oft, vielleicht weil es bei mir einfach auf kein großes Echo trifft.

War dir jetzt an dem Punkt klar, dass du dein ursprüngliches Konzept erweitern musst, dass Gospel und Black Metal auf Dauer nicht ausreichen könnten?
Das war keine bewusste Entscheidung. Ich glaube, es sind einfach diese Lieder entstanden, auf die ich Lust hatte. Aber vielleicht im Unterbewusstsein, ja. Auch das kann ich jetzt noch nicht beantworten, doch vielleicht in der Retrospektive, wenn wir uns wiedersehen in zwei Jahren zu einem Gespräch.

Vielleicht sollte man dich immer zur letzten Platte interviewen?
Es ist eine komische Position, denn ich spreche jetzt über dieses Album und wie es mir erging, aber ich kann noch gar nicht auf die Reaktionen eingehen, die die Leute haben. Das heißt, wenn es total floppt, hätte ich vermutlich schon eine andere Einstellung dazu. Oder wenn die Leute es mögen oder etwas Spezifisches dazu sagen. So ist eben das Timing von Promo.

Es interessiert dich also, was die Leute über deine Musik denken. In welchem Ausmaß checkst du das?
Ich glaube, ich versuche das zu ignorieren, aber am Ende des Tages ist es der Grund, wieso wir weiterleben können als Band. Denn nicht zuletzt sind mehrere Leute und ihre Kinder finanziell davon abhängig. Ich glaube, das kann ich nicht einfach so wegdenken, das wäre verlogen.

Ein Hobby ist das ja schon lange nicht mehr, wenn man sich eure weltweiten Touren anschaut.
Ja, aber das ist schön so. Und wenn es nicht mehr klappt, dann klappt es nicht mehr. Aber wir wären dumm, damit töricht umzugehen und das nicht zu schätzen.

Ziehst du aus den Konzerten viele Lehren, etwa dass man mal ein ruhigeres Stück wie das Instrumental „Une ville vide“ benötigt?
Ja, das ist so ein dramaturgisches Mittel, vor allem auf einem Album, damit man es am Stück hören kann. Ich mag es einfach auch, den Reset-Knopf beim Hörer zu drücken: Okay, wir haben das jetzt gemeinsam erlebt und jetzt setzen wir uns hin und stellen uns vor, wir sind die letzten Menschen auf der Welt. Und dann können wir weitergehen. Das ist mir enorm wichtig manchmal.

Visualisierst du zu deinen Songs immer was im Kopf? So wirkt es, wenn du sagst, wir sind die Letzten auf Welt.
Ja, also spezifisch bei dem Stück. Es ist auch so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich denke, dass ich ganz alleine bin, dass ich dann die beste Musik schreibe oder den besten kreativen Output habe. Und vielleicht ist es Wunschdenken, das damit herbeizuführen.

Muss man als Künstler auf einem emotionalen Peak stehen, um am besten zu sein?
Ich weiß nicht. Ich habe darauf noch keine definitive Antwort. Und je länger ich Musik mache, desto schwummriger wird es. Ich glaube, alles ist irgendwie wertvoll und künstlerisch irgendwie verarbeitbar. Für mich ist das Alleinsein als Konstante etwas, das mir immer hilft.

Ihr habt zum ersten Mal auf eurem eigenen Label veröffentlicht, offenbar ist das kein so großes Wagnis mehr. Warum hast du dich dafür entschieden?
Es gibt keinen wirklichen Grund, das jetzt nicht zu tun, beziehungsweise keinen, bei einem Label zu unterschreiben. Der einzige Grund, den man hat, ist der, dass man einen Vorschuss erhalten kann, und dann hat man Geld, das man ihnen zurückzahlen kann, um ihnen bis in alle Ewigkeit 20% von allen Einnahmen zu geben. Jetzt sind wir so organisiert, dass wir das Geld eigentlich schon haben, um eine Albenrunde zu drehen, und auch bereits die Connections zu den Promo-Leuten haben. Ich kann jetzt auch mit dir sprechen, ohne dass sich ein Label dazwischengeschaltet hat. Und es ist irgendwie langwieriger und nachhaltiger.

Könntest du jetzt direkt wieder ein neues Album für ZEAL & ARDOR schreiben, oder muss jetzt erst mal ein Kontrast kommen?
Ich glaube, das ist schon passiert. Ich habe bereits wieder etwas anderes für BIRDMASK aufgenommen. Das heißt, ich bin wieder in Stimmung für ZEAL & ARDOR, haha. Ich kann wieder nachlegen. Jetzt habe ich eigentlich Freizeit und da arbeite ich noch mit einem anderen Künstler zusammen. Und dann gehe ich, glaube ich, wieder in den ZEAL & ARDOR-Stollen, haha.

Wo du gerade BIRDMASK erwähnst, da hört man natürlich noch besser, wie gut du singen kannst. Hast du dich zuerst an Instrumenten versucht oder am Gesang?
Erst habe ich Gitarre gespielt, Geige und vor allem Piano. Dann wollte ich einfach alleine Musik produzieren, weil die anderen in den Bands das eben nicht so ernst genommen haben wie ich beziehungsweise andere Interessen hatten, wie Freundinnen und so. Und nachdem ich gelernt habe zu singen, wollte ich einfach Lieder aufnehmen, so lange bis mir meine Stimme auf den Keks ging und ich es wieder neu aufgenommen habe, bis es mich nicht mehr aggressiv machte. Und dann hat es irgendwie geklappt.

War es eine Überwindung, zum ersten Mal zu schreien?
Keine Überwindung, aber ich glaube, es waren viele Iterationen nötig. Also bis ich zufrieden war, war es schon eine große Übung. Man muss seine Stimme auch erst mal kennen lernen. Es ist ein Prozess.