1993, drei Jahre nach dem Mauerfall begann die große Flut New Yorker Hardcore Bands endlich auch den Osten Deutschlands zu überschwemmen. Neben Bands wie AGNOSTIC FRONT, SICK OF IT ALL, SHEER TERROR und KILLING TIME blieb mir vor allem eine Band im Gedächtnis: die 1988 gegründeten YUPPICIDE. Ihre intensive Bühnenperformance und den charismatischen, egozentrischen Sänger Jesse konnte man einfach nicht vergessen. Dazu kamen der einprägsame Gesang und der Abwechslungsreichtum ihrer Songs. Von der breiten Masse der Bands aus dem Big Apple haben sie sich immer unterschieden, sie waren etwas Besonderes, man konnte sie dafür lieben oder hassen, und erwähnt werden müssen natürlich auch ihre Alben „Fear Love“ (1990), „Shinebox“ (1992) und „Dead Man Walking“ (1994), alle auf dem Ausnahmelabel Wreck-Age erschienen. 17 Jahre musste ich warten, um diese Ausnahmeband erneut live erleben zu dürfen. Diese Gelegenheit nutzte ich, um Jesse und Steve, dem Bassisten, einige Fragen zu stellen.
Wie fühlt ihr euch dabei, nach all den Jahren zurück auf der Bühne zu sein?
Jesse: Sehr gut. Ich habe es vermisst und genieße die Auftritte. Es ist immer ein Vergnügen. YUPPICIDE ist echt was Besonderes für mich und es ist gut, wieder Konzerte zu spielen. Es macht einfach Spaß. Manchmal habe ich das Gefühl, es sind gar keine zwölf Jahre vergangen, seit wir unseren letzten Auftritt spielten, es fühlt sich wie gestern.
Steve: Manchmal macht es so viel Spaß, dass man denkt, so könnte es immer sein und will niemals aufhören zu spielen. Dann gibt es Zeiten, da denkt man mal kurz eine Minute nach und meint, zum Glück spielen wir nur dieses Wochenende und danach ist erst mal wieder Schluss. Aber es geht nicht nur darum, dass du auf der Bühne stehst und Musik machst, sondern dass du auch etwas gemeinsam unternimmst und mit Leuten abhängst, die dir wichtig sind und die du magst.
Spielt ihr eigentlich im Original-YUPPICIDE-Line-up?
Jesse: Bis auf unseren Drummer ist es das Original-Line-up, wenn du es so nennen willst. Bei YUPPICIDE gab es ein Haufen Besetzungswechsel, bevor die ersten Aufnahmen eingespielt wurden. Ich bin auch nicht der Sänger der Ur-Besetzung.
Steve: Wir spielen seit 1988, als wir unser erstes Demo veröffentlichten, mit Jesse als Sänger. Erst ab diesem Zeitpunkt würde ich es als die Band YUPPICIDE bezeichnen. Davor waren wir eine Party-Band, die Coversongs von MURPHY’S LAW und THE MISFITS spielte. Wir hatten eine Menge Besetzungswechsel und als der Typ, der damals bei uns sang, die Band verließ, wollten wir ihn erst zurückhaben. Aber dann kam Jesse auf unsere Shows und wir bemerkten, dass er eine wahnsinnige Stimme hatte, ideal für eine Hardcore-Band. Seit diesem Tag fühlte ich, dass wir zusammengehören. Als konstantes Line-up, also seit 1988, kann man Jesse am Gesang, Joe am Bass und mich an der Gitarre ansehen. Wir hatten eine Menge guter Drummer, die kamen und gingen, aber nun sind wir froh, mit Jay den richtigen Mann an den Drums gefunden zu haben. Er ist so etwas wie der Vinnie Stigma am Schlagzeug.
Wie würdest du YUPPICIDE für alle Leute beschreiben, die noch nicht die Chance hatten, euch live zu erleben, oder sonst von euch gehört haben?
Jesse: Es ist schwierig, YUPPICIDE einzuordnen. Ich denke, es ist eine Mischung aus New York Hardcore, Punk und Metal. Außerdem versuchen wir, eine Menge Spaß in die ganze Sache zu bringen. Viele Leute sagen, man kann uns nicht mit anderen Bands vergleichen. Wir versuchen, eine gute Performance hinzulegen, dazu gehört auch, dass wir uns verkleiden und komplett durchdrehen. Das macht den Unterschied zu anderen Bands aus.
Steve: Wir schreiben die Songs, die uns gefallen. Was andere sagen, interessiert uns dabei nicht. Es gibt eine Menge an Bands, die beim Schreiben ihrer Songs denken: Oh nein, das ist kein Hardcore-Part oder das ist kein Punkrock-Part, das kann man auf keinen Fall verwenden. Wenn wir etwas hören und dann finden: „Wow, großartig!“, dann müssen wir das in den Songs verwenden. Das ist meine Vorstellung vom Songwriting. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich etwas älter bin und aus einer anderen Generation stamme. Wenn jemand zu mir sagt, er spielt in einer Hardcore-Band, dann denke ich immer, dass er von den gleichen Sachen beeinflusst wurde wie wir. Viele der Bands in der heutigen Zeit sagen, sie spielen Hardcore und erzählen mir allerdings, dass sie von Death und Black Metal beeinflusst sind. Außerdem legen sie viel Wert auf extrem teures Equipment. Wir kommen aus einer anderen Generation. Wir gehen auf Shows ohne Erwartungen Dann spielen wir und geben alles, egal, was passiert. Wir sind aus der Generation, die aufgewachsen ist mit BLACK FLAG, BLITZ und NEGATIVE APPROACH. Aber wir haben nicht versucht, ihren Sound zu kopieren, sondern es ging uns mehr um die Denkweise und die Einstellung. Für uns mussten die Songs kurz und schnell sein.
Wie kam es nun dazu, dass ihr euch für eine YUPPICIDE-Reunion entschieden habt?
Jesse: Es war so nicht geplant. Eine Menge Leute fragten uns immer wieder, nachdem YUPPICIDE sich auflösten, ob wir Shows spielen wollen. Zwischen Joe, Steve und mir besteht echt eine enge Freundschaft, aber Joe konnte die ganzen Jahre nicht spielen. Er hat eine Familie mit zwei Kindern und einen sehr guten Job. Dadurch hatte er einfach keine Zeit, Shows zu spielen. Ohne ihn wollten wir aber keine Reunion mit YUPPICIDE. Jetzt sind seine Kids alt genug und in seinem Job ist es etwas ruhiger geworden. Er nimmt sich nun die Zeit und wir können auch wieder zusammen spielen. Dann kam ein Angebot, ob wir nicht Lust hätten, auf der Black N Blue Superbowl of Hardcore in New York City zu spielen und wir sagten natürlich zu. Eine Menge großartiger Bands wie CRO-MAGS, H2O und sogar SUPERTOUCH sind da aufgetreten. Dazu kam, dass es in einem bedeutenden Laden stattfand und zwar im Ritz. Da konnten wir gar nicht anders.
Was habt ihr die ganzen Jahre getrieben? Wart ihr immer noch in der Hardcore-Szene aktiv oder habt ihr euch eher um andere Dinge in eurem Leben gekümmert?
Jesse: Irgendwie hatte sich alles verändert. Steve lebte in Connecticut und ich in New York. Irgendwie gab es keinen Club mehr, wo konstant HC-Shows veranstaltet wurden. Die berühmten Sunday Matinees im CBGB’s fanden nur noch sehr unregelmäßig statt und eine Menge anderer Clubs haben dicht gemacht. Es gab immer weniger Konzerte. Ich wollte trotzdem irgendetwas mit Musik machen und versuchte mich als DJ. Es war mehr so zum Spaß. In den vergangen Jahren hatte ich einige Projekte und sang die Guest-Vocals für verschiedene Bands wie zum Beispiel ELISION aus Deutschland. Außerdem musste ich Geld verdienen, denn mit der Musik war es nicht möglich. Steve verlor eine Menge Jobs, weil er lieber auf Tour gegangen ist, aber irgendwie muss man seine Rechnungen bezahlen.
Steve: Ich habe in einer anderen Hardcore-Band gespielt, die sich 100 DEMONS nennt. Es ist ein komplett anderes Ding als bei YUPPICIDE, viel metallischer. Das Lustige ist, dass die anderen Bandmitglieder YUPPICIDE-Fans waren, und plötzlich die Chance bekamen, mit mir zusammen in einer Band zu spielen. Bis 2001 haben wir eine Menge getourt, ein paar Platten veröffentlicht und ich ging sehr viel auf Shows. Nach 2001 war ich irgendwie ausgebrannt. Ich brauchte Ruhe und musste etwas Abstand gewinnen. Irgendwie merkt man, dass man älter geworden ist und sich eine Menge geändert hat in der Hardcore-Szene. Es gab nun zwei Möglichkeiten. Erstens, ich versuche, bevor ich noch älter werde, Metalcore zu spielen. Entweder es funktioniert, oder das war’s. Oder, zweitens, ich kehre zurück zu den Anfängen und erinnere mich daran, als ich ein HC-Kid war, und mache das Gleiche wie damals. Beides kam für mich, 2001, nicht in Frage und ich beschloss: „Ich muss erst einmal raus.“ Als die Band dann Geschichte war, konzentrierte ich mich auf meinen Job. Außerdem verbringe ich viel Zeit mit meiner Familie.
Was hat sich eurer Meinung nach in der Hardcore-Szene über die Jahre hinweg verändert?
Jesse: Ich bin in den Zeiten aufgewachsen, als im CBGB’s noch regelmäßig die Sunday Matinees stattfanden. Ich habe MINOR THREAT, BLACK FLAG, AGNOSTIC FRONT und eine Menge anderer Bands gesehen. Damals gab es nur einen Begriff, unter welchem alles zusammengefasst wurde, und das war Hardcore-Punk. Obwohl alle Bands so unterschiedlich waren, ihren eigenen Stil hatten, wurde alles in einer Einheit zusammen gefasst. Auf Shows kamen alle zusammen, egal, ob Punks, Skins, Hardcore-, Straight-Edge-, Metal-Kids, scheißegal. In der heutigen Zeit gehen Punks nur auf Punkrock-Shows, Skinheads nur auf Oi!-Shows, Metal-Kids nur auf Metal-Shows. Die Szene hat sich in viele kleine Szenen gespalten.
Steve: Damals spielten sieben Bands hintereinander und fast jede hatte ihren eigen Stil. Da spielten NAUSEA zusammen mit YOUTH OF TODAY, CRO-MAGS, SICK OF IT ALL und alle haben zusammen gefeiert. Es wurden viele unterschiedliche Bands zusammen gebucht. Oder BLACK FLAG kamen in die Stadt und es war ein riesiges Highlight für alle HC/Punk-Kids und jeder musste dorthin. Ein anderes Beispiel ist die „Age Of Quarrel“-Platte von den CRO-MAGS. Das war die Platte, die die Kids vereinte. Es gab zu der Zeit keinen, der Hardcore mochte und diese Platte nicht kannte.
YUPPICIDE haben sich schon immer etwas außerhalb beziehungsweise neben der großen NYHC-Family bewegt. Was sind die Gründe dafür?
Jesse: Wir haben jede Show gespielt, die wir angeboten bekamen. Wir spielten auf Crust-Punk-Shows oder für Rocker. Wir spielten im ABC No Rio und am nächsten Tag im CBGB’s. Vielleicht liegt es daran.
Steve: Wir haben YUPPICIDE auch niemals als unseren Job angesehen. Wir haben alle unsere Berufe, womit wir Geld verdienen, und YUPPICIDE ist unser Hobby. Das war schon immer so. Bands wie SICK OF IT ALL und MADBALL arbeiten richtig hart mit der Band, da ist für jeden Einzelnen die Band ihr Beruf.
Anfang der Neunziger Jahre wart ihr sehr populär in Deutschland, anscheinend mehr als in den Staaten. Welche Bedeutung hat Deutschland in der Geschichte von YUPPICIDE?
Jesse: Ja, das war in der Tat so. Es lag daran, dass wir hier bei euch sehr viele Shows gespielt haben. Wir waren echt glücklich, dass wir sofort, als unser erstes Album erschien, in Deutschland auf Tour gehen konnten. Es war eine Art „neue“ Szene. Ich denke, unserer Sound hat genau den Nerv der Leute getroffen. Es steckt eine Menge Oi!, eine Menge Punk und natürlich Hardcore darin. Wie haben hier zwei große Touren gemacht, innerhalb von zwei Jahren. Dadurch hatten wir starke Unterstützung aus Deutschland. Es ist lustig, als wir mit unserer MySpace-Seite begannen, kam ein Großteil der Einträge aus Deutschland. Ich würde behaupten, es waren 70 %. Sie fragten immer wieder: „Wann kommt ihr zurück und spielt bei uns?“ Ich denke, das ist ein gutes Zeichen. Wir waren nicht wirklich viel auf Tour in den USA. Es ist einfach ein verdammt riesiges Land. Du musst dir vorstellen, der Staat New York größer als ganz Großbritannien. Wir haben einen Haufen Shows an der Ostküste gespielt, aber zum Beispiel niemals in Kalifornien. Freunde von uns haben dort getourt und erzählten uns, es gäbe keine Garantie für die Gage und so weiter. Okay, wir spielen nicht, um Geld zu verdienen, aber eine Tour kostet nun einmal Geld und keiner will es aus seiner eigenen Tasche finanzieren. Deutschland war immer cool. Nette Leute, sehr gute Läden, es ist echt gut zum Touren.
1993 haben ich euch das erste Mal gesehen, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Chemnitz. Ihr habt damals nackt auf der Bühne gestanden. Könnt ihr euch daran erinnern?
Steve: Natürlich können wir das! Es war unsere erste Tour zusammen mit 4 WALLS FALLING. Die Tage davor haben wir in Polen und der Tschechoslowakei gespielt und unser Schlagzeuger hat sich dort irgendwie etwas eingefangen. Jedenfalls ging es ihm richtig schlecht. Er lag die ganze Zeit im Van rum und konnte nichts machen. Abends spielte er die Shows und danach ist er gleich wieder in den Van zurück. Lustig wurde es, als wir endlich einen Arzt gefunden hatten. Wir kamen in das Wartezimmer und mussten feststellen, dass es ein Kinderarzt ist. Da saßen also drei riesige Typen aus New York City auf den kleinen Stühlen im Warteraum eines Kinderarztes. Als wir endlich dran waren, kam das nächste Hindernis, denn der Arzt sprach kein Englisch. Zum Glück konnte die Sprechstundenhilfe übersetzen. Er gab unserem Drummer ein paar Pillen und meinte, in ein paar Tagen dürfte es wieder vorbei sein. So war es auch. Das war echt krass. Aber zurück zu der Show. Als 4 WALLS FALLING ihr Set spielten war die Hölle los. Der Saal war brechend voll und die Leute gingen echt gut ab. Als wir auf die Bühne kamen, konnten wir gar nicht glauben, was wir sahen. Der Saal war fast leer, knapp 40 Leute waren nur noch anwesend. Joe und ich hatten irgendwie einen Wette laufen, wer sich traut, die meisten Klamotten auf der Bühne auszuziehen, und da habe ich mich gleich komplett ausgezogen, haha. Im Nachhinein haben wir erfahren, warum die Leute abgehauen sind, sie hatten den letzten Zug erwischen müssen, und der nächste kam in diesem Dorf wohl erst irgendwann in den Morgenstunden. Es war echt abgefahren, aber auch eine sehr lustige Show. Zumindest bleibt sie unvergessen.
Bei euren Shows verwendet ihr sehr oft Kostüme. Ihr verkleidet euch, setzt Masken auf und so weiter. Was wollt ihr damit ausdrücken, welches Ziel verfolgt ihr?
Jesse: Wenn du dir die alten Videos anschaust, kommt es noch etwas dämlich rüber und war eher so ein Fun-Ding. Im Laufe der Zeit wurde die New Yorker Hardcore-Szene allerdings immer gewalttätiger, es gab sehr viele Schlägereien. Es ist vorgekommen, dass Leute einfach zusammengeschlagen wurden, weil sie ganz normal aussahen. Also dachte ich, dass ich mich schminke und die ganzen „harten“ Typen das so lächerlich finden, dass sie nicht auf unsere Shows kommen, und es somit keine Schlägereien auf unseren Konzerten gibt. Anfangs hat es funktioniert, später dann kam das Make-up so beängstigend rüber, dass die harten Typen es schon wieder cool fanden, und somit hatten wir die ganzen Tough Guys wieder auf unseren Shows. Außerdem wurde ich in dieser Beziehung sehr stark von meinen Eltern beeinflusst. Sie sind beide Schauspieler und irgendwie mag ich es, auf der Bühne zu stehen und eine gute Performance hinzulegen. Dadurch erinnern sie sich an mich.
Wenn man sich eure Musik anhört, bringt das bei vielen Leute ihr Schubladendenken durcheinander, denn irgendwie vereint ihr verschiedenste Einflüsse. Welche Bands sind die größte Inspiration für YUPPICIDE gewesen?
Jesse: Oh, die Liste ist sehr sehr lang. Für mich waren es NEGATIVE APPROACH, DEAD KENNEDYS, FEAR, BLACK FLAG, STIFF LITTLE FINGERS und THE CLASH. Ich höre allerdings auch sehr viel Reggae aus den 70s. Meine absoluten Helden sind allerdings MINOR THREAT.
Steve: Bei mir ist es ein kleines bisschen anders als bei Jesse. Ich liebe BLITZ, COCKNEY REJECTS, COCK SPARRER, BUTTHOLE SURFERS. Wo wir uns auf jeden Fall einig sind, ist THE CLASH, die verehren wir beide.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus?
Jesse: Wir werden im Oktober zurück auf Europatour kommen. Außerdem werden wir eine komplette Diskografie herausbringen mit allen Songs, die wir jemals veröffentlicht haben, inklusive aller Texte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Joachim Hiller
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