YUPPICIDE

Foto

New York Smartcore

1988 gründeten Jesse Jones, Joe Keefe und Steve Karp in New York YUPPICIDE, zu einer Zeit, als die Stadt noch das genaue Gegenteil des heutigen Touristen-Erlebnisparks war, nämlich ein ausgesprochen hartes Pflaster. Drei Alben auf Wreck-Age Records erschienen in den Jahren 1991, 1993 und 1995, mehrere Touren in Europa machten die Band zu einer der beliebtesten NYHC-Bands jener Tage, die allerdings nie dem latent machohaften NYHC-Klischee entsprach. Ende der Neunziger war die Luft raus bei YUPPICIDE, Steve, Jesse und Joe gingen getrennter Wege, doch seit einigen Jahren ist die Band um den gerne geschminkt oder verkleidet auftretenden Frontmann Jesse wieder aktiv und erweckt mit dem neuen Album „Revenge Regret Repeat“ nun den Eindruck, als wären gerade mal zwei und nicht zwanzig Jahre seit der letzten Platte vergangen.

Jesse, damals in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern gab es in der NYHC-Szene zwei verschiedene Bewegungen: einmal die, mit den Tough Guys und ihren Macho-Bands, und jene, der ihr angehört habt. Wie siehst du das rückblickend?


Auch ich hatte den Eindruck, dass es für eine kurze Zeit zwei dominierende Szenen gab – die NYHC-CBGB-Bands auf der einen Seite und dann die ABC No Rio- und Squatter Punk-Szene auf der anderen Seite. Wir taten unser bestes, Teil von beiden zu sein, passten aber weder in die eine noch die andere jemals wirklich rein. Ich denke, dass die HC-Punk-Szene in New York sowohl sehr kompakt als auch sehr dynamisch war. Sie entwickelte und veränderte sich immerzu. Einige würden natürlich sagen, dass das nicht immer zum Besseren führte! Aber alle paar Jahre gab es einen neuen Trend, eine neue Ausrichtung, die versuchte, die Führung zu übernehmen: Straight Edge, die Tough Guys usw. Ich persönlich bevorzuge eine gemischte Szene mit verschiedenen Sounds und Ideen. Aber aus irgendeinem Grund neigen solche Dinge dazu, zur Norm zu werden, je länger sie existieren.

Für den Frontmann einer HC-Band trägst du immer recht ungewöhnliche Bühnenoufits und eine Menge Make-up. Was hat dich damals dazu gebracht?

Das hat tatsächlich etwas mit meiner Antwort auf deine erste Frage zu tun. Als wir in den frühen Neunzigern anfingen, in immer mehr Clubs zu spielen, entwickelte sich die Tough-Guy-Szene gerade rasant. Die Shows wurden immer gewalttätiger, und häufig waren es die Punks und Weirdos, die verprügelt wurden! Ich fand es traurig, dass die Menschen, die die Szene gegründet hatten, nun durch sie Schaden erlitten, das war echt eine Schande. Aber eine neue Gruppe Kids begann zu den Shows zu kommen. Kids, die vermutlich im HipHop gelandet wären, wenn sie nicht jemand mit zu einer Hardcore-Show geschleift hätte. Diese Kids hatten nicht den blassesten Schimmer von der Geschichte des Punk oder der Politik, die alles ins Rollen gebracht hatte. Aber sie liebten die Musik und das Tanzen, den Zugehörigkeitsaspekt des Ganzen – und sie liebten es, sich zu prügeln. Ich begann, Make-up zu tragen, denn ich war mir sicher, dass das weniger aufgeschlossene und gewalttätigere Publikum so etwas befremdlich finden würde. Außerdem denke ich, dass der Sänger einer Band ein Entertainer sein sollte – vor allem wenn er nicht wirklich gut singen kann! Meine Mutter war Schauspielerin und mein Vater hat bei Theaterstücken und ein paar Filmen Regie geführt. Ich bin also damit groß geworden, meine Eltern auf die eine oder andere Weise in unterschiedlichen Rollen zu sehen. Das Make-up fungiert als eine Maske, das macht es einfacher, zum Charakter KFW zu werden. Es ist ein bisschen nervig, das immer tun zu müssen, weil die Leute es erwarten. Auf einer Tour entschied ich mich mal für den Henry Rollins-Style: nur Sporthosen und kein Make-up. Aber solche Gimmicks ermüden einen, manchmal möchte ich es einfach nur simpel halten.

Punk stand immer in Verbindung mit einem gewissen Äußeren und einem bestimmten Verhalten. Was bedeutet Punk zu sein für dich? Hat sich das über die Jahre verändert?

Punk als Idee ist mittlerweile 40 Jahre alt. Auf der einen Seite ist es bedeutungslos, auf der anderen Seite hat es ganze Bewegungen inspiriert. Die modische Seite ist meiner Meinung nach trivial, obwohl ich damals natürlich ein Fashion Victim war. Ich sehe mich heute nicht als Punk, mit Ausnahme der Erkenntnis, dass die Texte in Punk Songs großen Einfluss darauf hatten, mit welcher Einstellung ich dem Leben gegenüberstehe und welche Bedeutung Erfolg für mich hat. Das ist nicht immer positiv, denn Punk kann eine kontraproduktive, nihilistische Attitüde besitzen und das ist auf lange Sicht nicht gesund. Der DIY-Ethos hingegen ist sehr positiv – die Idee, dass du etwas mit ein bisschen Anstrengung und Motivation genauso gut selber machen kannst.

Punk und Hardcore waren zu Beginn eine Jugendbewegung. Jetzt machen Typen wie ich mit 47 Jahren ein Fanzine und du – ebenfalls in den Vierzigern, nehme ich an – bist immer noch in einer Band. Deine Gedanken dazu?

Stimmt, so war es. Manchmal sehe ich alte Videos mit Zwanzigjährigen, die vor einem Haufen Teenager spielen und das fühlt sich an wie die authentischste Version des Ganzen überhaupt. Meine erste Show im CBGB besuchte ich mit 15, und die Bands, die spielten, waren in der Regel nur ein paar Jahre älter als ich, wenn überhaupt. Erst mit 20 wurde ich Mitglied von YUPPICIDE. Aber die Tatsache, dass so viele von uns noch an der Musik interessiert sind, aktiv teilnehmen und die Szene unterstützen, zeigt die Kraft des Ganzen. Für manche Menschen ist es ein Lifestyle. Es deprimiert mich ein wenig, wenn ich mir Videos von mir im Alter von Zwanzig angucke und sehe, wie viel athletischer meine Auftritte damals waren. Aber was soll man machen, wir werden alle älter ...

Besonders auffällig auf dem neuen Album ist der Song „Political game“. Worum geht es?

Traurigerweise ist es gängige Praxis in der amerikanischen Politik, dass Konzerne Lobbyisten anheuern, um dadurch Kongressmitglieder dazu zu bringen, bestimmte Interessen zu unterstützen und durchzudrücken. Manchmal schreiben sie sogar die Gesetzesentwürfe, die die Kongressabgeordneten dann vors Plenum bringen! Wenn sie sich geschickt anstellen, werden sie nach ihrer Abgeordnetenlaufbahn in die Vorstände der Konzerne aufgenommen, von denen sie im Grunde geschmiert worden sind, und einen dicken Scheck gibt es noch obendrauf. Und dann gibt es noch das Phänomen, dass man zwar bei der Wahl für eine Regierung seine Stimme abgeben kann, das aber keinerlei Einfluss auf das System der Sicherheitsbehörden hat – da ändert sich nichts, egal wer Präsident ist. Das ist auch der Grund, warum keine wirklichen Unterschiede in der Außenpolitik von George W. Bush und Barack Obama zu erkennen sind, denn die Strippenzieher sind dieselben, egal, welcher Präsident gerade an der Macht ist.

Möchtest du dich zu Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur äußern?

Die Sache mit Donald Trump wäre durchaus lustig, wenn es nicht so verdammt erschreckend wäre. Tatsächlich legen manche Menschen mehr Wert auf überhebliche Ignoranz als auf politische Fähigkeiten und Erfahrung. Er hat keinen wirklichen Plan und schert sich auch nicht wirklich darum, ob er gewinnt oder verliert. Außerdem ist er rassistisch und fremdenfeindlich. Das wäre egal, wenn die Menschen ihn auch nicht wirklich mögen würden – aber das tun sie! Es stimmt einen nachdenklich, dass es eine Menge Amerikaner_innen gibt, die nicht verstehen, dass es die Freiheit ist, die dieses Land erst so großartig macht.

Was ist eigentlich aus Pavlos Ioanidis und Amber Green geworden, die euer damaliges Label Wreck-Age betrieben? Leben die beiden noch immer in Griechenland? Steht ihr noch in Kontakt?

Pavlos betreibt einen Club in Griechenland. Der Kontakt zu beiden ist leider abgebrochen, was schade ist, aber so ist das Leben. Als wir die „Anthology“-CD von YUPPICIDE planten, habe ich ihn über Facebook angeschrieben. Ich wollte, dass er darüber Bescheid weiß, dass wir die Songs, die ursprünglich von Wreck-Age rausgebracht worden sind, wieder veröffentlichten. Das war ein großartiges Label mit großartigen Menschen.

Auf dem Cover des neuen Albums „Revenge Regret Repeat“ sieht man eine weiße, von gleich drei Dolchen erstochene Taube. Was hat es mit diesem bedeutungsschweren Bild auf sich?

Ich habe das Bild entworfen und Steve Karp, unser Gitarrist, hat es gezeichnet. Wir haben überlegt, welche Aspekte zum Titel passen könnten. Eine Taube steht für Hoffnung und Frieden, und diese wird erstochen von drei Dolchen, die jeweils für ein Wort stehen: Rache, Bedauern und Wiederholung. Allzu häufig geraten wir in destruktive Kreisläufe, lernen nicht aus unseren Fehlern, sondern wiederholen sie eher noch. Für Steve stellt es eine noch krassere Message dar, denn er ist Veganer.

Wie sieht dein Leben und das deiner Bandkollegen abseits von YUPPICIDE aus?

Für uns alle ist die Band wirklich nur ein Hobby. Mit ihr füllen wir unsere immer rarer werdende Freizeit, für sie hauen wir unser Geld auf den Kopf, obwohl alle anderen in der Band auch noch leidenschaftliche Sammler von alten britischen Motorrädern sind – der einzige Brite in der Band – also ich – ironischerweise nicht. Joe, Jay und ich wohnen alle recht nah beieinander in Brooklyn, NY. Steve lebt in Connecticut. Ich bin Grafikdesigner und Webentwickler, Joe, unser Bassist, hat eine eigene Firma, die Filmkulissen baut, Gitarrist Steve entwirft 3D-Modelle für ein Architekturbüro und Jay, unser Schlagzeuger, ist Fußbodenverleger. Wir versuchen so häufig wie möglich zu proben, aber Steve wohnt nun mal zwei Stunden entfernt. Wir tun, was wir können.

In den vergangenen 21 Jahren hat es von euch nur sechs neue Songs gegeben. Ihr seid als recht politische Band bekannt, eine, die immer etwas zu sagen hat und Stellung bezieht. Warum diese lange Stille?

Das ist schon irgendwie wahr. Unser drittes Album „Dead Man Walking“ haben wir 1995 veröffentlicht. Wir wussten, dass wir uns trennen würden. Wir hatten die Band mit absoluter Priorität behandelt, was sich negativ auf unser persönliches und berufliches Leben ausgewirkt hat. 1997 haben wir uns trotzdem wieder zusammengerauft und ein Demo aufgenommen. Das ist zwar nicht offiziell veröffentlicht worden, aber es ist auf „Anthology“ enthalten. Zwei dieser Songs – „Destroyer“ und „Obsolete“ – haben wir für das neue Album erneut aufgenommen. Steve und ich waren noch in anderen Bands aktiv. Ich bei BLAZE CAMO – demnächst wird es eine LP mit kürzlich wiederentdeckten Aufnahmen geben – und MIND CONTROL ASSASSINS. Steve war bei 1000 DEMONS und FRONT TOWARDS ENEMY. Für eine kurze Zeit waren Joe und ich außerdem bei FREIGHT TRAIN TO THE FACE, zusammen mit unserem jetzigen Drummer Jay. Bis wir uns für die Black N’ Blue Bowl in NYC und die Promotion für „Anthology“ wieder zusammenfanden, waren YUPPICIDE zwischen 1997 und 2010 komplett auf Eis gelegt. Zwei Jahre später veröffentlichten wir die „American Oblivion“-EP und brauchten dann noch weitere zwei Jahre, um die restlichen Songs für „Revenge Regret Repeat“ zu schreiben. Wie ich vorhin schon sagte, wir sind alle sehr beschäftigt mit Familie und Arbeit, da kann es schon mal etwas dauern, neue Sachen zu schreiben.

Euer Stil war schon immer ein sehr einzigartiger Mix aus NYHC und britischem Punk. Nenn uns doch mal ein paar deiner All Time Favorites und was du an ihnen magst.

Das wäre aber eine lange Liste ... Die amerikanischen Bands, die mich wirklich inspiriert haben und mich zum HC-Fan gemacht haben, sind: NEGATIVE APPROACH, MINOR THREAT, DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG, FREEZE, CRO-MAGS, QUICKSAND und BAD BRAINS. Englische Bands sind CRASS, EXPLOITED, THE ADDICTS und BLITZ, sowie die Psychobilly-Band KING KURT. Aber ich höre auch eine Menge Two Tone-Ska und schön verrückte Bands wie THE BUTTHOLE SURFERS, ALICE DONUT, oder auch HELMET. Was ich an denen mag? An Bands wie NEGATIVE APPROACH, THE CRO-MAGS und BLITZ gefällt mir die rohe, brutale Energie. An Bands wie den DEAD KENNEDYS und CRASS gefällt mir der Intellekt. An Bands wie THE ADDICTS und KING KURT gefällt mir ihre Form von Selbstdarstellung. Ich höre auch sehr viel Reggae aus den Siebzigern bis zu den Neunzigern. Linton Kwesi Johnson ist ein Dub-Poet, der zugleich ein fantastischer Geschichtenerzähler ist und sehr kraftvolle Songs schreibt. Es gibt so viele Einflüsse – viel zu viele, um sie alle aufzuzählen.

„Revenge Regret Repeat“ wird auf GSR Records veröffentlicht werden. Wie ist der Kontakt zwischen dir und Theo entstanden? Warum GSR?

John Franko von Deadcity Records brachte Theo und GSR für den europäischen Vertrieb ins Spiel. Unser Vinyl wird auf dem deutschen Label CupCake veröffentlicht werden, und die wiederum sind Partner von Assurd Records in Italien, so dass auch andere europäische Märkte erschlossen werden. Das ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen kleineren Labels, die ein großes Netzwerk ermöglicht, was fantastisch ist!