X-RAY SPEX

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Poly’s Punky Party

Mitte der 70er schossen im Zuge der damaligen Punk-Welle in England neue Bands wie Pilze aus dem Boden, aber nur die wenigsten kamen über ihre erstes Album hinaus – wenn überhaupt. Das gilt auch für X-RAY SPEX, die Band der beiden Schulfreundinnen Marion Elliot (Poly Styrene) und Susan Whitby (Saxophonistin Lora Logic), die den Rest ihrer Mitmusiker durch eine Anzeige in NME und Melody Maker rekrutierten. Nach nur sechs Proben gaben sie ihre Premiere in Londons Vorzeige-Punkclub Roxy, nachzuhören auf dem „Live At The Roxy“-Album. 1978 erschien ihr Debütalbum „Germ Free Adolescents“ – Lora Logic war da allerdings durch Rudi Thompson am Saxophon ersetzt worden –, das auch heute noch seinen Stellenwert besitzt, durch Styrenes metaphorische Konsumkritik, das dominant eingesetzte ungewohnte Saxophonspiel und das Gespür der Band für klassische Popsongs abseits des üblichen Klischee-Punkrocks. Damit waren X-RAY SPEX quasi schon wieder Geschichte, 1981 nahm Styrene mit „Translucence“ noch ein Solo-Album auf, das aber nicht allzu viel mit ihrer alten Band zu tun hatte, danach trat sie der Hare Krishna-Bewegung bei und wandte sich von der Musik ab. 1995 folgte dann mit „Conscious Consumer“ zwar noch ein erträgliches Spätwerk, ansonsten ist man mit der 2006 erschienenen Compilation „Let’s Submerge: The Anthology“ durchaus gut bedient, was die Aufarbeitung der Band-Discographie angeht. Und kürzlich kam es im Londoner Roundhouse sogar zu einer durchaus erfolgreichen X-RAY SPEX-Reunion. Im folgenden ein Gespräch mit Poly Styrene über Vergangenheit und eventuelle Zukunft der Band.

Poly, Leute aus aller Welt kamen, um euer großartiges, ausverkauftes Konzert mitzuerleben, welches ihr am 6. September im Londoner Roundhouse gegeben habt. Wie hast du dich an diesem Tag gefühlt? Tauchten auch alte Bekannte aus der englischen Ur-Punk-Szene auf, an die du dich noch erinnern konntest?


Dee Generate von EATER habe ich backstage gesehen, Tessa von den SLITS war da und Don Letts spielte ein DJ-Set. Ich war wirklich sehr überwältigt von der herzlichen Resonanz des Publikums, die Leute schienen sämtliche Texte zu kennen.

Von der ursprünglichen X-RAY SPEX-Besetzung sind heute nur noch zwei Mitglieder dabei. Wie habt ihr eure neuen Musiker gefunden und was gibt es über deren Vergangenheit und ehemalige Bands zu erzählen? Hast du irgendwelche Versuche unternommen, B.P. Hurding, Rudi Thompson, Red Spectre oder Lora Logic ausfindig zu machen?

Unseren neuen Gitarristen Saxby habe ich zunächst durch unseren Promoter Symond, der die Concrete Jungle Festivals veranstaltet, kennen gelernt. Saxby spielte vorher bei einer Band namens ARNOLD, die bei Creation Records war. Flash, unser Saxophonist, wurde uns durch Tessa von den SLITS vermittelt, er spielte schon bei ESSENTIAL LOGIC, RIP RIG AND PANIC und den SLITS. Sid Truelove, ein alter Freund von mir, war früher mal Drummer bei Flux und spielt nach wie vor bei RUBELLA BALLET. Bei Paul Dean brauchte es natürlich nur einen Telefonanruf. Rudi, BP & Lora habe ich nicht kontaktiert, da ich über keinerlei Kontaktdaten von ihnen verfüge.

Beim Roundhouse-Konzert habt ihr das gesamte „Germ Free Adolescents“-Album gespielt, bis auf den Song „Plastic bag“, der von vielen gefordert wurde. Gibt es einen speziellen Grund dafür, dass ihr diesen Klassiker nicht gespielt habt?

Ich wollte „Plastic bag“ deswegen nicht spielen, weil darin die Zahl 1977 vorkommt, und es macht uns wahnsinnig, dass wir bereits 2008 haben.

Außerdem habt ihr „Age“ nicht gespielt, womit „Age“ und „Plastic bag“ die einzigen beiden Aufnahmen des Original-Line-Ups sind, die ihr nicht gespielt habt. Gibt es da eine Verbindung zwischen diesen beiden Songs oder war das eher Zufall? Nach welchen Kriterien habt ihr entschieden, welche Songs von „Conscious Consumer“ in die Setlist übernommen wurden?

Ich denke, „Age“ ist ein Song, den ich irgendwann noch einmal spielen werde, ich habe nur nicht dran gedacht und wir haben ja 19 Songs gespielt. Ich habe einige Tracks von „Conscious Consumer“ ausgewählt, da sie das Set ein wenig abwechslungsreicher und dynamischer machten und natürlich um meiner Stimme eine Pause zu gönnen.

Du hast „Age“ mal für dein Soloalbum „Translucence“ neu aufgenommen. Was war der Grund hierfür, nachdem du ja eine Menge von wunderbarem neuen Material für diese LP geschrieben hattest? War es ursprünglich geplant, einige dieser Songs für eine nachfolgende X-RAY SPEX-Veröffentlichung aufzunehmen?

Ich habe „Age“ neu aufgenommen, weil ich es auf eine andere Art und Weise gespielt hören wollte. Es war quasi ein Experiment. Ursprünglich wollte ich „Translucence“ als X-RAY SPEX-Release veröffentlichen, aber mein Management war damals der Meinung, es würde sich zu sehr von „Germ Free Adolescents“ unterscheiden. Also habe ich es mit anderen Musikern aufgenommen und als Soloalbum veröffentlicht.

Poly, nur du und Paul seid heute noch von der Originalbesetzung übrig, doch Lora Logic kehrte 1995 für die „Conscious Consumer“-CD zurück, nachdem sie nur eine Single mit der Originalband veröffentlicht hatte. Warum ist sie beim heutigen Line-up nicht mehr dabei?

Lora stand im Vergleich zu mir eher im Hintergrund, was die Spex-Besetzung anging, und sie zählt auch nicht gerade zu meinen engsten Freunden. Ich wollte lieber mit Leuten zusammenarbeiten, die untereinander klarkommen, mit denen die Band ohne Streitigkeiten funktioniert.

Wie kam es, dass es 17 Jahre dauerte, bis ihr euer zweites Album „Conscious Consumer“ aufgenommen habt? Das dürfte eine der längsten Zeitspannen zwischen der Veröffentlichung zweier Platten sein. Was haben du und die anderen Bandmitglieder während dieser Jahre getrieben?

Mir ist klar, dass die Wartezeit bis zum zweiten Album lang war, aber ich hatte die Songs und wollte immer eine weitere Platte aufnehmen. Schließlich ergab sich mit Trojan Records eine Möglichkeit, die vorher nicht bestand, und so produzierten wir schließlich eine. In der Zeit dazwischen heirateten viele von uns und gründeten Familien. Aber wir waren immer noch kreativ.

Ihr habt auch „Bloody war“ im Roundhouse gespielt, ist das ein gänzlich neuer X-RAY SPEX-Song oder ein älterer Titel, den die Band niemals aufgenommen hat?

Ich schrieb den Song letztes Jahr für GOLDBLADE, aber sie hatten bereits einen eigenen Anti-Kriegs-Song, also beschloss ich, ihn selbst gemeinsam mit der Band zu spielen. Und es hat ziemlich gut funktioniert, mit einem großartigen Saxophon- und verzerrtem Gitarrensound. Wir lieben ihn. Er sollte auf der Liveplatte und der DVD vom Roundhouse-Konzert enthalten sein.

Die Band deiner Tochter Celeste, DEBUTANT DISCO, hat bei der Roadhouse-Show als Opener fungiert und die Anwesenden mit ihrer Stimme und Bühnenpräsenz begeistert. Glaubst du, dass deine Musik ihre Kreativität beeinflusst hat, oder hatte sie gegen deine Herkunft aus dem Punk rebelliert, da Punk eventuell zu etabliert und aus einer anderen Ära sei?

Ich glaube nicht, das Celeste Punkrock als zu etabliert betrachtet. Ich habe versucht, Celeste kreativ zu erziehen, aber sie hat definitiv ihren eigenen Stil und ich mag DEBUTANT DISCO wirklich gern.

Was waren damals deine Einflüsse, als du die X-RAY SPEX-Songs geschrieben hast? Welche Musik hast du vor Punk gehört, welche Musik hörst du heutzutage?

Ich habe früher eine Menge Aretha Franklin, Chuck Berry, Jimi Hendrix, Janis Joplin und SEX PISTOLS gehört, doch die meisten Songs hatte ich bereits geschrieben, bevor das SEX PISTOLS-Album erschien. Heute höre ich mir selber zu, wenn ich Hare Krishna zur Entspannung singe, und während der Proben habe ich ausschließlich Zeit, X-RAY SPEX zu hören. Doch ich kann es kaum erwarten, endlich einmal wieder Hendrix aufzulegen.

Meines Wissens nach haben X-RAY SPEX niemals eine Coverversion gespielt, würdet ihr es heute in Erwägung ziehen? Du würdest eine hervorragende Aretha abgeben!

Nein, X-RAY SPEX haben niemals eine Coverversion gespielt, vielleicht würden wir es heute tun, wobei ich nicht denke, dass ich über die Stimme verfüge, um einen Aretha-Track zu covern. Meine Tochter Celeste wäre dafür besser geeignet.

Wie sind deine Erinnerungen an euren Abstecher nach New York City, zum legendären, nun geschlossenen CBGB’s? Kam Richard Hell jemals vorbei, um live zu hören, wie du ihn in „Let’s submerge“ erwähnst?

Das CBGB’s war eine sehr positive Erfahrung zu dieser Zeit und ich liebte New York. Richard Hell kam zur Show im CBGB’s, aber ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst war, dass ich seinen Namen in diesem Song verwendete.

Was war die erste Reaktion des frühen UK-Punk-Publikums, auf eure Art von Musik – mit einem Saxophon, großartigen Gitarrenriffs, aber nicht einem einzigen Gitarrensolo?

Wir wurden anfangs häufig bespuckt, bis wir unsere eigene Anhängerschaft hatten, die der Meinung war, dass die Saxophonsoli eine ziemlich originelle Idee für eine Punkband seien.

Wenn du dich für einen X-RAY SPEX-Song entscheiden müsstest, welches wäre dein liebster und warum?

„Let’s submerge“, da er ein Bild von den frühen Tagen im Roxy und CBGB’s zeichnet.

Poly, deine Kleidung und die Art, wie du singst, sowie der musikalische Gesamtstil waren derart eigenständig, als ihr mit der Band anfingt. Sogar für eine Punkband war euer Aufzug ungewöhnlich. Wie dachten eure Zeitgenossen in damaligen Szene darüber?

Ich glaube, Leute wie Andy, der Betreiber des Roxy, betrachteten uns nicht als Punk, da wir einen eigentümlichen Stil hatten. Im Allgemeinen hielten uns die Leute für anders als die anderen.

Hatte irgendjemand in der Band etwas mit der Covergestaltung von „Germ Free Adolescents“ zu tun? Und ist dir deren Ähnlichkeit mit einer Szene aus dem Horrorfilm „Attack Of The Puppet People“ bewusst?

Nur unser Manager. Er war ein frustrierter Filmregisseur, also wäre es möglich, dass ihm dieser Film bekannt war. Ihm gefiel die Idee mit dem Reagenzglas, da das Album ja „Germ Free Adolescents“ hieß, und er wollte, dass wir aussehen, als ob wir von einer Samenbank erschaffen worden wären. Er war fasziniert von künstlicher Befruchtung.

Du hast einmal erwähnt, dass du ein etwas unheimliches Erlebnis hattest, als du nach einem eurer letzten Auftritte in der Originalbesetzung ein Ufo über London schweben sahst. Weißt du noch genau, was damals passierte?Wusstest du, dass unter anderem auch der bedeutende Science-Fiction-Autor Philip K. Dick so genannte „pink light experiences“ gemacht haben, die der Beschreibung deines Ufo-Erlebnisses ähneln? Laut Dick und anderen, die darüber schrieben, müssen das ziemlich einschneidende Erfahrungen sein, die oft mit Rückführungen in vergangene Leben einhergehen.

Ich wusste bislang nichts über die „pink light experiences“ anderer, aber in der Tat, meines war ziemlich einschneidend und ich erlebte eine Rückführung in vergangene Leben, nachdem ich das Ufo sah. Die Begegnung an sich war nicht schlimm, aber mein Geisteszustand wurde damit in Frage gestellt, was eine ziemliche Belastung darstellte. Ich kann mich erinnern, dass, nachdem ich das Ufo beziehungsweise „pink light“ sah, Bilder aus vergangenen Leben vor meinem geistigen Auge auftauchten.

Einige Zeit hast du der Hare-Krishna-Bewegung angehört und befolgst immer noch einige ihrer Lehren. Hat das in irgendeiner Weise deinen Musikstil beeinflusst? „Translucence“ hatte für manche einen leicht indischen Einschlag und es sind auch auf „Conscious Consumer“ einige Passagen mit Sitar zu hören. Genau so wie bei dem Song „India“, wobei dieser eher zynisch anstatt erbaulich und pro-Krishna zu sein scheint.

Ich würde durchaus sagen, dass „Conscious Consumer“ durch meine Zeit in Bhaktivedanta Manor beeinflusst wurde. Ich sang jede Woche mit den anderen Anhängern gemeinsam „Hare Krishna“ in den Straßen. „India“ ist ein sehr persönliches Lied, welches während der Zeit entstand, als ich auf der Suche nach Wahrheit war. Es war niemals zynisch gemeint.

Was kommt als Nächstes für Spex?

Abwarten. Wir haben einiges vor, aber noch ist es zu früh, um Genaueres zu sagen.

Pat Fear und Susanna Motta