Sowohl die Karriere als auch die Kreativität von WAKE entwickeln sich beständig und beachtlich. Mit dem Grindcore früherer Tage hat „Thought Form Descent“ nur noch in Ansätzen etwas gemein. Das kanadische Quintett setzt auf einen breit aufgesetzten Heavy-Sound und ein variables, kontraststarkes Songwriting.
Wir sind auf jeden Fall Musiknerds und schicken uns ständig gegenseitig Sachen, auf die wir stehen, und lieben es, über ehemalige Mitglieder von Bands, Black-Metal-Demotapes von schrecklichen lokalen Bands aus den Neunzigern und so ein Zeug zu fachsimpeln“, verrät Schlagzeuger Josh Bueckert, darauf angesprochen, dass die Akribie, mit der seine Gruppe vorgeht, schon auch einen Nerd-Faktor zu offenbaren scheint. „Auch in anderen Bereichen sind wir Nerds. Auf YouTube habe ich zum Beispiel etliche Tornado-Verfolgungs-Kanäle abonniert. Aber ja, ich denke, Musiknerds zu sein, ermöglicht es uns, dass sich die Arbeit mit der Band immer noch frisch anfühlt, Spaß macht und nicht zu einer lästigen Pflicht wird.“ Obwohl der Sound von WAKE immer zugänglicher wirkt, erscheint dieser in einer Gesamtanmutung immer noch komplex, technisch und extrem: „Mit den letzten Alben haben wir uns etliche große Schritte vom reinen Extrem-Metal entfernt und uns mehr darauf konzentriert, uns als Songwriter zu entwickeln“, erwidert Josh. „Es ist sicherlich immer ein kathartisches Gefühl, so aggressiv wie möglich zu spielen, aber das ist nicht länger unser Fokus. Unsere Absichten haben sich definitiv erweitert.“ Das bedeutet? „Wir versuchen einfach, die Musik zu machen, die wir gerne hören würden, und etwas Einzigartiges zu erschaffen“, erklärt der Künstler. „Wenn das dazu führt, dass Leute sich für Bands, wie wir eine sind, interessieren, ist das cool. Das ist aber kein primäres Ziel. Wir sind eine moderne Metalband mit Einflüssen aus vielen verschiedenen Genres. Oftmals werden wir noch als Grindcore-Band abgestempelt, basierend darauf, wie wir vor sechs Jahren klangen. Das verkennt, dass sich unsere künstlerische Orientierung seitdem drastisch verändert hat. Wenn die Leute also erwarten, dass wir wie ASSÜCK klingen, werden sie überrascht sein. Doch ja, wir sind weiterhin Underground. Für mich zählen sogar GOJIRA immer noch zum Underground, zumindest im Vergleich zu populärer Musik, also tun wir es definitiv auch.“
Die musikalische Evolution hin zu den aktuellen WAKE ist kein Zufall: „Die Band hat vor zehn Jahren als geradlinige Grindcore-Kombo angefangen, doch der größte Teil der jetzigen Besetzung war noch nicht dabei“, erinnert sich der Schlagzeuger. „Dieses Line-up formierte sich während des Schreibens und Tourens mit ‚Misery Rites‘. Seitdem haben wir immer wieder versucht, in neue Gebiete vorzustoßen, und uns mehr darauf konzentriert, Hooks zu schreiben sowie melodischer und atmosphärischer zu klingen. Wir alle mögen immer noch jede Menge Grind-Bands, es ist nur nicht mehr das, was wir selbst machen wollen. Die Philosophie hat sich ein wenig geändert, aber die Chemie innerhalb der Band ist besser als jemals zuvor.“ Corona und die damit einhergehenden Einschränkungen haben sich auf die Entstehung von „Thought Form Descent“ positiv ausgewirkt: „Während der Pandemie haben wir viele Stunden mit dem Schreiben verbracht, so dass wir bei der Arbeit an diesem Album kreativ richtig in Fahrt gekommen sind. Wir hatten das Gefühl, dass wir beim Schreiben von ‚Devouring Ruin‘ und ‚Confluence‘ exakt herausgefunden haben, was für uns am besten funktioniert, um die Teile so effizient wie möglich zu gestalten. Wir haben einen Prozess etabliert, der für uns gut passt. Und selbst als wir versuchten, neue Wege zu gehen und zu experimentieren, kamen die Ideen ziemlich leicht zusammen. Es war eine Menge Arbeit, aber es hat Spaß gemacht.“
Das sechste Album setzt den Weg seines Vorgängers aus 2020 und der MCD aus demselben Jahr nahtlos fort, führt den Ansatz von WAKE aber auch weiter: „Wir versuchen, nie zwei Mal das Gleiche zu schreiben und trotzdem einen identifizierbaren Sound zu erreichen“, benennt der Kanadier das Ziel der Band. „Wir haben auch keine Angst davor, eine Idee auszuprobieren und sie zu verwerfen, wenn sie nicht funktioniert. Einige Parts, die es auf die Platte geschafft haben, wurden vielleicht zunächst von DEPECHE MODE inspiriert, haben sich aber in etwas völlig anderes verwandelt. Das ist so ein bisschen das, was am Musizieren Spaß macht.“ Die nötigen Hausaufgaben hat das Quintett ja erledigt: „Wir alle haben viel Zeit in das Beherrschen unserer Instrumente gesteckt und hören ziemlich technische Musik“, bestätigt Josh. „Doch unsere ganze Virtuosität ist nur dazu da, um Kontraste zu schaffen oder Spannung aufzubauen. Es geht nicht darum, bloß mit dem Können anzugeben. Es ist schön, mit fähigen Musikern zu spielen, aber das technische Zeug ist nur ein Werkzeug, um dynamische Musik zu erschaffen.“ Exakt das bieten WAKE auf „Thought Form Descent“: „Es war eine bewusste Entscheidung, uns noch stärker auf das Songwriting zu konzentrieren und uns von der reinen Aggression zu entfernen“, erzählt der Schlagzeuger mit Nachdruck. „Wir sind immer noch eine Heavy-Band mit tonnenweise Blastbeats, aber die Kontraste sind auf diesem Album deutlicher zu erkennen und das ist so gewollt. Wir wollen Musik machen, die gut fließt und eine schwere Atmosphäre schafft, aber auch einprägsame Hooks und starke Melodien besitzt. Hoffentlich gelingt uns das.“ Der Musiker blickt gleichsam kritisch wie sachlich auf das, was seine Band leistet: „Ich habe immer noch Angst davor, unser fertiges Album zu hören und zu denken, dass ich am Schlagzeug scheiße bin. Oder ich höre Dinge, von denen ich wünschte, sie wären anders. So ist das eben. Aber ich kann mir das Album objektiv anhören und weiß, dass wir beim Schreiben von Musik immer besser werden. Zu Hause üben wir alle an einzelnen Sachen, aber hauptsächlich proben wir seit Jahren ein paar Mal pro Woche als Gruppe. Diese Arbeit hat sich ausgezahlt, weil wir dadurch als Songschreiber besser geworden sind.“
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