VOIVOD ... ist das nicht diese alte amerikanische Metal-Band aus den Achtzigern? Korrekt, VOIVOD gründeten sich in den Achtzigern, sie kommen aus Nordamerika, da aber wiederum aus Québec, dem französischsprachigen Teil Kanadas, und ja, sie werden allgemein dem Me- tal-Genre zugeordnet („thrash/progressive“), aber nicht erst seit der Veröffentlichung einer Zu- sammenstellung früher Demos auf Alternative Tentacles („To The Death“, 2012) sollte dem einen oder anderen punkfixierten Menschen mit Metal-Phobie aufgefallen sein, dass VOIVOD alles an- dere als eine „typische“ Metal-Band sind. Ihre Alben waren von jeher von einer seltsamen Rhyth- mik und eine ganz eigenen Klangfarbe geprägt (ich bezeichnete sie mal als die „Metal-Version von NOMEANSNO“), sie zählen Punk- und Hardcore-Bands zu ihren Einflüssen und Freunden, und Band(mit)gründer Michel „Away“ Langevin, Jahrgang 1963, ist zudem ein äußerst kreativer Künstler, der von Anfang an für die grafische Gestaltung aller Aspekte des Schaffens seiner Band sorgte und dessen Arbeiten unlängst im Buch „Worlds Away“ dokumentiert wurde. Erwartungs- gemäß erwies sich sich Michel als interessanter Gesprächspartner.
Du hast dich eben mit „Michel“ gemeldet – wann bist du „Away“, wann Michel?
Ich stelle mich immer als Michel vor, aber die meisten Leute nennen mich Away. Ich kann da nichts machen, haha. Ich bekam den Spitznamen ganz früh in der Bandgeschichte. Ich zeichnete schon in der Frühzeit der Band sehr viel, und als wir 1982/83 an unserem ersten Album „War And Pain“ arbeiteten, studierte ich parallel an der Universität und konnte so nicht die ganze Zeit im Proberaum dabei sein. Na, und weil ich also ständig weg war, fingen meine Bandkollegen an mich „Away“ zu nennen, haha. Mir machte der Spitzname nichts aus, im Gegensatz zu unserem Gitarristen Denis D’Amour, den jeder Piggy nannte. Er sagte: „Nenn’ mich nicht Piggy!“, und ich antwortete: „Okay, Piggy.“
Michel, du bist der Schlagzeuger von VOIVOD – und die einzige Konstante im Line-up seit der Bandgründung 1982. Darüber hinaus hast du die gesamte künstlerische Gestaltung in deiner Hand. Wie kam es dazu?
Die französische Prog-Rock-Band MAGMA war für mich schon immer ein starker Einfluss, und bei denen ist der Schlagzeuger Christian Vander seit der Gründung 1969 das prägende Mitglied. Der entwickelte das Bandkonzept, er hielt die Band zusammen, mit großer Disziplin, und das nahm ich mir zum Vorbild.
Über die Jahre war es aber sicher nicht einfach, immer das Steuerruder in der Hand zu halten, oder?
Es war für mich eigentlich gar nicht schwer, denn ich sehe mich nicht als Anführer an. Neil Peart von RUSH ist in der Hinsicht ein weiterer Einfluss, denn der ist bei seiner Band auch für die konzeptionelle Arbeit verantwortlich, ohne jedoch als Bandleader gesehen zu werden. Bei uns ergab es sich einfach, dass ich die ganzen dreißig Jahre lang immer da war. Außerdem half mir Piggy bei allem, er schrieb die meisten Songs, während ich mich um die Artworks kümmerte. Es gab bislang vier Line-ups von VOIVOD, und ich habe an alle sehr gute Erinnerungen als Team.
2012 erschien die deutsche Ausgabe von „Worlds Away“, das im Coffeetable-Buchformat deine Arbeit als Künstler dokumentiert. Wir reden also nicht von einem Motiv für jedes Album, sondern von hunderten Bildern und Zeichnungen.
Als ich die Bilder für das Buch zusammenstellte, merkte ich, dass ich wirklich tausende Zeichnungen hatte. Ich zeichne ständig, auch auf Tour, im Studio, wo immer ich bin. Dazu kommt, dass ich auch für viele andere Bands arbeite. VOIVOD waren trotz verschiedenster Hindernisse auf unserem Weg immer schon sehr produktiv, und für jedes Booklet, für jedes T-Shirt gab es neue Zeichnungen von mir. So gesehen könnte ich noch ein paar weitere Bücher füllen ... In der Tat arbeite ich auch an ein paar Projekten, so habe ich gerade ein Buchprojekt mit Phil Anselmo von PANTERA und DOWN abgeschlossen. Ich habe dafür 68 Bilder zu den düsteren Texten von Phil gezeichnet, und ich glaube, Phils Texte sind ziemlich autobiografisch. Ich finde, das hat was von Beatnik-Poetry, nur moderner. Diese Zusammenarbeit begann 2010, als VOIVOD und DOWN zusammen in Kanada tourten. Ich schätze, das Buch wird irgendwann 2013 erscheinen. Phil erzählt da sehr viel von sich, aus seiner Kindheit und Jugend, von seinen Erlebnissen im Zusammenhang mit Hurricane Katrina, der 2005 die Zerstörungen in New Orleans anrichtete, der Tod seines Bandkollegen Dimebag Darrell, sein Weg in die Hölle und zurück ... Das Buch endet aber versöhnlich, das finde ich cool. Das Buch bedeutete anderthalb Jahre Arbeit, aber ich bin zufrieden. Und dann ist da noch ein anderes Buch namens „Voyage“, in dem sich Bilder finden werden, die ich auf Tour gezeichnet habe. Dazu kommen dann noch Auftragsarbeiten wie CD-Cover, Buchumschläge oder Tattoo-Designs – ich habe also gut zu tun. Gerade die Sache mit den Büchern mag ich gerne, denn das waren meine ersten Gehversuche: als Teenager zeichnete ich die Titelbilder von Science-Fiction-Büchern nach.
Mille von KREATOR erzählte im Ox unlängst die Geschichten zu jedem der Albumcover, und das war und ist wohl jedes Mal harte Arbeit, das mit dem jeweiligen Künstler „durchzukämpfen“. Es muss viel leichter sein, wenn man selbst über die Fähigkeiten verfügt, seine Ideen nicht nur musikalisch, sondern auch grafisch umzusetzen.
Du hast Recht, es ist für mich natürlich einfacher, die Musik auch in Bildern wiederzugeben. Andererseits kann ich auch nicht immer alle glücklich machen, nicht jedem gefällt jedes VOIVOD-Cover, Schwierigkeiten gibt es also auch bei uns, denn es ist wirklich schwer, die Stimmung der Musik mit einem Bild einzufangen und gleichzeitig auch einen „eyecatcher“ für den Betrachter zu schaffen. Es ist immer wieder eine schwierige Aufgabe, und leider warte ich jedes Mal bis zur letzten Minute, bis ich mich ans Artwork setze. Ich habe immer Angst, der Aufgabe nicht gerecht zu werden, und entsprechend habe ich so meine Schwierigkeiten mit Deadlines ... Wobei mein Leben seit 1986/87 einfacher geworden ist: damals kaufte ich einen Commodore Amiga, meinen ersten Computer. Ich bin ja kein gelernter Maler, und die vier ersten VOIVOD-Albumcover haben endlos viel Zeit gekostet. Seit „Nothingface“ entstehen meine Bilder weitgehend am Computer. Ich mache auf Tour Zeichnungen mit Tintenstift auf Papier, und zu Hause scanne ich die ein und bearbeite sie mit Photoshop weiter.
Bist du ordentlich oder wie sieht dein Archiv aus?
Ich bin ein ordentlicher Mensch, alle Bilder sind nach Jahren geordnet abgelegt, zu jedem gibt es eine Notiz, wann und wo, auf welcher Tour es entstanden ist. So kann ich diese Informationen abrufen, falls es zu einer Veröffentlichung kommt. Ein VOIVOD-Archiv gibt es übrigens auch, wir haben einen großen Schrank in unserem Proberaum, wo wir alles sammeln, was mit der Band zusammenhängt. Besonders gut geordnet ist das aber nicht, haha. Was immer wir nach einer Tour noch übrig haben, verkaufen wir übrigens über irongang.com.
Bekommst du für deine Kunst, deine Bilder, eher Anerkennung vor allem aus der Musikszene, oder hast du auch schon mal lobende Worte aus der „richtigen“ Kunstszene zu hören bekommen?
Die Anerkennung bekomme ich sicher vor allem aus der Musikszene, aber es gab auch immer wieder mal Anerkennung von anderer Seite, von Galerien und so weiter. Wenn ich Ausstellungen mache, stehen die aber auch meist mit der Musik in Verbindung, so stellte ich beispielsweise während des Roadburn-Festivals in den Niederlanden aus. Es gab auch mal eine Ausstellung zusammen mit Nick Blinko von RUDIMENTARY PENI und Rob Miller von AMEBIX, also mit anderen Leuten, die Kunst vor allem für ihre eigene Band schaffen. Ich mache aber ziemlich selten Ausstellungen, ich bin ja als Heavy-Metal-Drummer schon schwer beschäftigt. Seit ich Mitte der Neunziger das Internet entdeckt habe, habe ich eine Datenbank angelegt von Leuten, für die ich gearbeitet habe und gerne arbeiten würde, und so mache ich die eine Hälfte des Jahres Musik, die andere Hälfte Artworks. Es ist für mich mein Traumjob, ich kann von all dem leben, und wenn ich nicht auf Tour bin, sitze ich zu Hause vor dem Computer. Ich kann mich echt glücklich schätzen, das einzige Problem ist meine Disziplin ... Wenn man selbständig ist, tendiert man gerne zu einer gewissen Faulheit, und seit ich das festgestellt habe, stelle ich mir jeden Morgen den Wecker. Zu Hause arbeite ich seitdem jeden Tag acht, neun Stunden und nehme mir das Wochenende frei – so funktioniert das, ich habe ein halbwegs normales Leben und bin produktiv. Besonders fiel mir das auf, als wir 1998 unseren Autounfall in Deutschland hatten und Eric danach ein Jahr im Krankenhaus lag. Da merkte ich, wie schnell sich das Leben ändern kann und dass ich mir ein zweites Standbein neben der Musik aufbauen muss.
Woher beziehst du deine Einflüsse? Die Geschichten von H.P. Lovecraft werden in diesem Kontext immer wieder mal erwähnt, aber auch HR Giger.
Lovecraft war einer meiner frühesten Einflüsse. Ich mochte seine Geschichten als Teenager, entdeckte dann aber auch Edgar Allen Poe und Science Fiction. Und dann stieß ich auf das Comic-Magazin Heavy Metal, das mich dazu anregte, das VOIVOD-Konzept zu entwickeln. Ich wollte damals Comic-Zeichner werden, für das Heavy Metal-Magazin. Mein Vater bestellte sich in den Siebzigern mal vier Bücher über UFOs und die faszinierten mich sehr, vor allem das Design der Objekte als solche. Ich fing dann an, UFOs zu zeichnen – und hörte nie wieder damit auf, haha.
Hast du schon mal eine UFO-Sichtung erlebt?
Also eine silberne Flugscheibe nicht, aber 1986 sahen Piggy und ich in Buffalo seltsame Lichterscheinungen am Himmel, das war ein echt komisches Erlebnis.
Dieses Interview erscheint in einem Punk- und Hardcore-Heft, keinem Metal-Magazin. Nun werden VOIVOD meist als Metal-Band bezeichnet, aber allein die Tatsache, dass kürzlich eine Zusammenstellung alter Demos auf Alternative Tentacles erschien oder du wiederholt diverse Punk- und Hardcore-Bands als Einflüsse zitiert hast, beweisen mir, dass ihr keine „typische“ Metal-Band seid.
Als Teenager in den Siebzigern war ich Fan von Hardrock-Bands wie LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE oder BLACK SABBATH, aber als dann Punk losbrach, entdeckte ich die SEX PISTOLS und THE DAMNED und mochte die genauso gern. Und als dann Anfang der Achtziger die New Wave of British Heavy Metal losging, fand ich die spannend – aber auch die damals noch ganz neue Hardcore-Szene, Bands wie DISCHARGE, CONFLICT und CRASS. Die Verbindung zwischen den beiden Genres, Metal einerseits und Punk/Hardcore andererseits, waren für mich immer MOTÖRHEAD – auf die konnten sich immer alle einigen. MOTÖRHEAD waren damals die Verbindung zwischen den Hardcore-Bands und dem Thrash-Metal – damals sah ich ständig MOTÖRHEAD-Shirts bei Mitgliedern von Hardcore-Bands, und Thrash-Metal-Musiker trugen G.B.H-Shirts. Der Crossover der beiden Genres fand aber noch nicht sofort statt, das kam erst Mitte der Achtziger, da spielten wir mit VOIVOD zusammen mit D.R.I., CORROSION OF CONFORMITY und Co. Thrash Metal und Hardcore vermischten sich damals immer häufiger, und das nicht nur musikalisch, sondern weil auf beiden Seiten die Texte sehr soziopolitisch motiviert waren. Die Angst vor einem Atomkrieg, die konservativen Reagan-Jahre, Umweltverschmutzung, die Zerstörung der Erde, das waren weit verbreitete Themen, sowohl im Hardcore wie im Thrash Metal.
Und damit auch bei VOIVOD.
Ja, unsere Texte haben immer auch so einen Hintergrund, auch wenn es parallel dazu immer diese Science-Fiction-Thematik gibt. Unser Sänger Snake hat sich beim Schreiben der Texte für das neue Album, an dem wir 2010 zu arbeiten begonnen haben, ganz klar von Themen wie der Occupy-Bewegung, dem Arabischen Frühling, der Atomkatastrophe von Fukushima und so weiter beeinflussen lassen. Über die Jahre sind es immer wieder die gleichen Themen, die uns beschäftigen. In den Reagan-Jahren in den Achtzigern hatten wir Angst vor einem Atomkrieg zwischen der Sowjetunion und den USA, heute geht es um Länder wie Nordkorea oder Iran. 1986 kam es zum Reaktorunglück von Tschernobyl, dieser Tage beschäftigt uns Fukushima – es ist im Grunde das gleiche altbekannte Thema von Technikversagen. Krieg und Umweltverschmutzung beschäftigen uns heute eben noch genauso wie damals.
Der Titel eures neuen Albums ist „Target Earth“.
Snake hat versucht, die Thematik so anzugehen, als werde die Erde von außen, aus dem Weltall angegriffen, aber ich schlug vor, noch einen weiteren Aspekt ins Spiel zu bringen, nämlich die Idee, dass sich ein Hacker der um die Erde kreisenden Satelliten bemächtigt und die Regierungen damit erpresst, bei Nichtzahlung eines Lösegeldes Satelliten auf ihr Gebiet abstürzen zu lassen. Snake fand den Vorschlag gut, und sowieso schätze ich an ihm, dass die Texte zwar seine Sache sind, er aber immer bereit ist, die Vorschläge anderer aufzugreifen. Und so kommen wir alle eben mit unseren Ideen vor. Snake ist „street“-orientiert, ich bin eher „space“-orientiert, haha.
Ich habe euch zuletzt vor ein paar Wochen in Essen live gesehen – es ist beeindruckend, live vorgeführt zu bekommen, warum VOIVOD so anders sind als andere Bands. Eure Rhythmik, eure Arrangements sind ... anders.
Es fällt mir schwer, auf den Punkt zu bringen, was für eine Band wir sind. Ich kann da andere Bands anführen, die ähnlich schwer einzugrenzen sind, beispielsweise CELTIC FROST oder AMEBIX. Unser Stil entwickelt sich in einem Paralleluniversum, soviel steht fest. Und er ist vielleicht der Grund, warum wir all die Jahre eine Underground-Band geblieben sind. Man muss sich schon wirklich für harte Musik interessieren, um auf VOIVOD zu stoßen. Viele Leute kennen zwar unseren Namen, aber nicht unsere Musik. Wir machen sehr seltsame Musik, ich weiß, hahaha.
Ich beschreibe euch Unwissenden immer als eine Art Metal-Version von NOMEANSNO. Einverstanden?
Oh ja, das ist eine weitere großartige kanadische Band, die man nicht in irgendein Genre einordnen kann.
Ihr kommt aus Kanada, zudem aus Québec, dem französischsprachigen Teil des Landes, aus einer Kleinstadt namens Jonquière ein paar hundert Kilometer nordöstlich von Montréal. Hat das eine Rolle gespielt in der Geschichte von VOIVOD?
Wir zogen 1985 nach Montréal, um Zugang zu all dem zu haben, was man braucht, um als Band voranzukommen. Unsere Heimatstadt Jonquière ist ziemlich abgelegen, es ist kalt da. Wir nahmen schon recht früh in unserer Bandlaufbahn ein Demo auf und schickten das Tape an all die Labels, deren Logos und Adressen wir auf den Platten, die uns gefielen, entdeckten. Das brachte uns einen Deal mit Metal Blade Records aus Los Angeles ein – wir hatten sicher auch das Glück, dass es damals nicht so viele Bands in unserer Art gab. Dass wir aus dem französischsprachigen Québec kamen, war eigentlich nie ein Thema, es war für uns aber auch von Anfang an wichtig, auf Englisch zu singen. All die Platten und Bands, die wir hörten, waren ja auch auf Englisch. Wir hatten ja auch von Anfang an den Wunsch, überall in der Welt auf Tour zu gehen. Englisch war einfach die Sprache der Rockmusik, auch die Bands aus Deutschland oder Brasilien sangen auf Englisch. Als Thrash-Metal-Fan hörte man damals Bands aus aller Welt, es machte für die Thrash-Metal-Crowd keinen Unterschied, aus welchem Land eine Band kommt. Wir tourten mit den Schweizern CELTIC FROST 1986 durch die USA, wir waren mit POSSESSED aus San Francisco in Europa unterwegs, gingen mit KREATOR auf Welttournee. Wir spielten überall vor ausverkauften Clubs, und nein, es war kein Problem für uns, dass wir aus einer französischsprachigen Kleinstadt kommen. Aber es dauerte natürlich eine Weile, bis wir in der Lage waren, von unserer Musik zu leben. Nachdem wir 1985 zusammen nach Montréal gezogen waren, dauerte es bis 1988 oder ’89, bis wir uns jeder eine eigene Wohnung leisten konnten. Wir hatten zuerst alle zusammen eine winzige, von Kakerlaken verseuchte Wohnung, von da zogen wir in eine größere Wohnung über einen Oben-ohne-Nachtclub, das war echt ziemlich Rock’n’Roll, hahaha.
Euer zweites, drittes und viertes Album erschien auf dem Berliner Label Noise Records, betrieben von Karl-Ulrich Walterbach, dem Gründer von Aggressive Rockproduktionen, den ich für das letzte Ox-Heft interviewt habe. Welche Erinnerungen habt ihr an diese Zusammenarbeit?
Oh, den gibt es auch noch? Karl hat uns damals die Chance gegeben, eine international bekannte Band zu werden. Wir nahmen „Killing Technology“ und „Dimension Hatröss“ in Berlin mit Harris Johns im Musiclab-Studio auf und das war eine fantastische Erfahrung. Wir hatten einen Deal über drei Alben, und zu dem kam es über das „World War III“-Festival 1985 in Montreal, wo wir zusammen mit CELTIC FROST, POSSESSED, NASTY SAVAGE und DESTRUCTION spielten. Wir gaben Martin Ain von CELTIC FROST einen Roughmix von „Rrröööaaarrr“. CELTIC FROST waren bei Noise unter Vertrag, Martin gab Karl das Tape, und wir bekamen einen Deal über drei Alben, das war großartig! Dass wir mit unserem fünften Album „Nothingface“ dann zum Majorlabel MCA wechselten, hatte damit zu tun, dass der Song „Tribal convictions“ von „Dimension Hatröss“ damals viel im Radio gespielt wurde und die so auf uns aufmerksam wurden. Es war einfach eine Art von Evolution, diesen Deal abzuschließen – über sieben Alben. Ich habe nur gute Erinnerungen an die Noise-Jahre, weiß aber, dass Karl wahrscheinlich enttäuscht war, als wir den Vertrag nicht verlängerten. Ich habe Karl seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, Harris Johns hingegen treffen wir ständig irgendwo in der Welt, denn er ist viel mit Bands unterwegs und mischt deren Live-Sound. Harris hat uns seinerzeit sehr dabei geholfen, uns im Studio technisch weiterzuentwickeln. Er machte uns auch mit digitalen Aufnahmeverfahren bekannt, brachte uns viel bei. Bevor wir ihn trafen, entstanden unsere Effekte aus Gitarreneffektgeräten und etwas Tape-Manipulation, doch er zeigte uns ganz andere Methoden und wir konnten uns wirklich in unserem Psychedelic-Metal-Stil weiterentwickeln.
Jede Zeit hat ihre Produzenten, wie es scheint – wer gestern einflussreich war, ist heute vergessen, wer heute bekannt ist, den kennt morgen kaum noch jemand. Woran liegt das?
Das hat meiner Meinung nach eher was mit den Entscheidungen von Plattenlabels als denen von Musikern zu tun. Oft ist es so, dass das Label der Band einen angesagten Produzenten oder Abmischer nahelegt, und diese Empfehlung ist manchmal auch keine schlechte Idee, aber man ist immer erst hinterher klüger. Zum Beispiel wurde uns für „Target Earth“ seitens Century Media Sanford Parker von MINSK und NACHTMYSTIUM empfohlen. Nachdem wir die ersten Aufnahmen gemacht hatten, schickten wir sie an Sanford und er kapierte sofort, worauf es uns ankommt, er hatte ein Gespür für den trippigen Vibe unserer Band. Ich finde, seine Abmischung ist fantastisch. Ein Produzent bringt neue Ideen in die Band, und mit manchen hat man einfach eine gute Verbindung, mit denen will man immer wieder arbeiten. In unserem Fall ist das Glenn Robinson, aber manchmal ist es eben auch eine gute Idee, frische Ideen einzubringen. Man kann aber auch nicht alle und jeden zufrieden stellen. „Angel Rat“ etwa nahmen wir mit Terry Brown auf, und das Album fiel ganz anders aus als unsere bisherigen – es war und ist für uns ein kontroverses Album, denn der eine Teil der Band fand die Zusammenarbeit mit Terry gut, wohingegen Blacky mit dem Mix überhaupt nicht einverstanden war und letztlich die Band verließ, mitten beim Endmix.
Du erwähntest eben Century Media, euer neues Label. Davor wart ihr bei Relapse, einem Label mit ebenfalls sehr gutem Ruf.
Wir arbeiten heutzutage so, dass wir die Alben im Alleingang fertigstellen und diese dann an Labels lizenzieren. Das führt dazu, dass wir oft das Label wechseln. Wir stellen denen die ersten Aufnahmen als Demotapes vor, und so machten wir das auch diesmal. Century Media waren bei weitem am stärksten interessiert, und als wir im April 2012 beim Roadburn Festival spielten – wir spielten das gesamte „Dimension Hatröss“-Album – waren sie im Publikum, wir unterhielten uns, und so kam es zum Deal. Wir freuen uns, die haben echt Bock auf uns, und das Album erscheint ja zudem Ende Januar passend zu unserem dreißigsten Geburtstag. 2013 wird auf jeden Fall anstrengend werden, wir werden in Nord- und Südamerika touren, in Europa ebenfalls, und wir arbeiten an Touren in China und Indien.
Das bedeutet auch: viele neue Zeichnungen.
Oh ja, ich versuche, in jeder Stadt etwas zu zeichnen. Nach diesem Jahr werde ich genug Material für noch ein paar Bücher haben, hahaha.
*****
Die Geschichte von VOIVOD
Beeinflusst von der New Wave of British Heavy Metal und dem Progressive Rock der Siebziger, gründeten sich VOIVOD 1982 in Jonquière in der französischsprachigen kanadischen Provinz Québec. Die Musiker mit den Pseudonymen Snake (Denis Bélanger, Gesang), Piggy (Denis D’Amour, Gitarre), Blacky (Jean-Yves Thériault, Bass) und Away (Michel Langevin, Schlagzeug) veröffentlichen 1984 ihr Debüt „War And Pain“ auf Metal Blade Records. Dominierten auf „War And Pain“ wie dessen Nachfolger „Rrröööaaarrr“ musikalisch noch klassische Thrash- und Speed-Metal-Elemente, wendeten sich VOIVOD auf den folgenden Releases immer mehr progressiven Elementen zu, coverten auf „Nothingface“ (1989) den PINK FLOYD-Song „Astronomy domine“ und schufen sich damit ihre eigene Nische zwischen Progressive Rock und Heavy Metal.
Die frühen Neunziger wurden von Besetzungswechseln bestimmt: Zunächst verließ Bassist Blacky die Band, um sich seinem Drogenproblem zu widmen, dann folgte Sänger Snake. Auch musikalisch schien die Band den Zenit überschritten zu haben. Das Artwork zu „The Outer Limits“ (1993), das wie alle Artworks von Drummer Away in seinem einzigartigen, von Science Fiction beeinflussten Stil entworfen wurde, gilt dennoch bis heute als Markenzeichen der Band.
Ab 1994 spielten VOIVOD dann wieder in einem festen Line-up: E-Force (Eric Forrest) heißt der neue Mann, der in der Doppelfunktion als Sänger und Bassist die Weiterarbeit als Trio ermöglicht. Nach zwei weiteren Alben schien jedoch wieder die Luft raus zu sein und so wurde 2001 eine einjährige Pause eingelegt. Das Comeback feierte man dann ohne E-Force, dafür holten VOIVOD sich nicht nur Gründungsmitglied Snake als Sänger zurück, sondern präsentierten als Neuzugang auch den Ex-METALLICA-Bassisten Jason Newsted (alias Jasonic).
Zehn Jahre nach der letzten Veröffentlichung mit Snake am Mikrofon erschien 2003 „Voivod“, das zum kommerziell erfolgreichsten Album der Prog-Metaller avancierte. Die Arbeiten am Nachfolger wurden dann jedoch abrupt unterbrochen, als Gitarrist Piggy, dessen Spiel schon immer einen wichtigen Teil des VOIVOD-Sound ausmachte, im August 2005 seiner Darmkrebserkrankung erlag. Dennoch schufen die verbleibenden Mitglieder mit Hilfe von Demo-Aufnahmen und Notizen aus Piggys Nachlass die Alben „Katorz“ und „Infini“.
2008 dann vermeldeten die Kanadier die Rückkehr von Ur-Bassist Blacky und den Ausstieg Jason Newsteds. Gleichzeitig hatte man mit Chewy (Daniel Mongrain) einen würdigen Nachfolger und Ersatz für Piggy gefunden. Dieser ist auf dem neuen Album „Target Earth“ erstmalig auch auf Platte zu hören.
Diskografie
„War And Pain“ (1984, Metal Blade)
„Rrröööaaarrr“ (1986, Noise)
„Killing Technology“ (1987, Noise)
„Dimension Hatröss“ (1988, Noise)
„Nothingface“ (1989, MCA)
„Angel Rat“ (1991, MCA)
„The Outer Limits“ (1993, MCA)
„Negatron“ (1995, Mausoleum)
„Phobos“ (1997, Slipdisc/Hypnotic)
„s/t“ (2003, Chophouse)
„Katorz“ (2006, Nuclear Blast)
„Infini“ (2009, Relapse)
„Target Earth“ (2013, Century Media)
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