Mit „Pezzcore“ erschien 1995 das erste Album von LESS THAN JAKE und wurde eines der einflussreichsten Alben der zweiten Skapunk-Welle, die aus den USA nach Europa schwappte. Schon damals fiel der relaxte Sound von Drummer Vinnie Fiorello auf, der es nicht nötig zu haben schien, durch hektische Breaks auf sich aufmerksam zu machen, sondern eher den gesamten Song im Auge behielt. Zwanzig Jahre später sind LESS THAN JAKE immer noch am Start und spielten jüngst eine überragende Show auf dem belgischen Groezrock Festival, nach der sich ein bestens gelaunter Vinnie dem längst überfälligen Interview stellte.
Vinnie, wolltest du als kleiner Junge auch schon auf den Töpfen deiner Mutter herumtrommeln?
Nein, die Sache mit dem Trommeln fing bei mir ganz anders an. Ich war acht Jahre alt und wollte unbedingt Gitarre spielen. Mein Bruder war schon zwölf und wollte leider auch Gitarre spielen. Meine Eltern entschieden, dass der ältere Bruder die erste Wahl haben sollte, und natürlich suchte er sich die Gitarre aus, so dass meine Eltern mich danach fragten: „So, und was für ein Instrument möchtest du lernen?“ Und dann habe ich mich eben für das Schlagzeug entschieden, weil ich dachte, das ist immerhin schön laut. Mein Bruder und ich sind dann häufig zusammen in unseren Keller hinunter und haben da zusammen Krach gemacht.
Obwohl das Schlagzeug nicht deine erste Wahl war, bist du damit gut zurechtgekommen?
Oh, das war doch zuerst etwas schwierig. Nicht dass wir uns falsch verstehen, ich mochte mein Schlagzeug wirklich, aber richtig lieben lernte ich meine Drums erst, als ich Punkrock für mich entdeckte. Vorher trommelte ich so vor mich hin, nicht wirklich schlecht, aber als Punk in mein Leben trat, entwickelte sich die Sache auf einem ganz anderen Niveau.
Was hattest du bis dahin für Musik gehört?
Bis dahin habe ich hauptsächlich Metal gehört, von SLAYER über CELTIC FROST bis EXODUS. Dann gab es eine seltsame Begebenheit, die dazu führte, dass ich Punk kennen lernte und plötzlich MINOR THREAT und D.R.I. meinen musikalischen Horizont erweiterten. Damals spielten beide Bands eine Show zusammen in New Jersey und mein Bruder wollte hingehen. Nur leider musste er als älterer Bruder abends auf mich aufpassen und so hat er kurzerhand beschlossen, mich zu der Show mitzunehmen. Und diese Show hat wirklich mein Leben verändert, denn als ich sah, was da auf und vor der Bühne abging, bekam ich meinen Mund nicht wieder zu und konnte nichts anderes denken, als wie unglaublich diese Bands waren. Das war ein so großartiges Erlebnis, dass ich von diesem Moment an wusste, wohin meine Reise gehen sollte. Ich war natürlich sehr aufgeregt zwischen all den älteren Jugendlichen und da war auch diese aggressive, maskuline, wilde Grundstimmung, die mir Respekt einflößte, aber auf der anderen Seite eben auch diese unglaubliche Energie, die mich in ihren Bann zog.
Durftest du in dem Alter überhaupt schon auf Konzerte gehen?
Das war wirklich ein großes Problem. Ich war gerade zehn Jahre alt und mein Bruder 14. Da unsere Mutter nachts arbeitete, musste mein Bruder bis Mitternacht, wenn sie nach Hause kam, auf mich aufpassen. Er hatte wirklich Schiss, weil er mich einfach zu diesen Gig mitgeschleift hatte, und schärfte mir mehrfach ein, unserer Mutter nichts zu verraten. Viele Jahre später habe ich meiner Mutter diese Geschichte dann doch gebeichtet.
Haben deine Eltern dich gedrängt, Unterricht zu nehmen, oder hast du nur so für dich getrommelt?
Zunächst hatten meine Eltern mir dieses billige CB700-Drumset in Silbermetallic gekauft, auf dem ich lange Zeit nur so vor mich hin gespielt hatte, aber dann kamen meine Eltern irgendwann auf die Idee, dass es vielleicht gar nicht schlecht wäre, wenn ich mal ein paar Unterrichtsstunden nehmen würde, damit ich Fortschritte mache. Also sagte ich okay, und weil mein Bruder auch Unterricht bekam, konnten unsere Eltern uns zusammen hinfahren und auch wieder abholen. Zu Hause haben mein Bruder und ich dann zusammen Coversongs gespielt. Ich erinnere mich, dass wir Songs von Billy Squier und JUDAS PRIEST spielten und das war wirklich cool. Durch dieses Zusammenspielen habe ich viel über die Energie gelernt, die von Musik ausgeht, und als dann Punkrock in unser Leben trat, fühlte ich, ohne groß Noten auf dem Papier lesen zu können, welche Kraft von etwas ausgeht, das man wirklich liebt.
Gab es damals Bands oder Drummer, denen du nacheifern wolltest?
Eigentlich fand ich alles gut, was schnell genug war. „Violent Pacification“ von D.R.I. war großartig und mein einziges Ziel war es, genauso schnell spielen zu können wie diese Jungs. Denn darum ging es doch damals – so schnell wie nur möglich spielen zu können. Später kamen dann natürlich noch viele andere Bands und musikalische Einflüsse dazu, aber Geschwindigkeit war die erste Intention. Als ich 18 war, entdeckte ich Lookout Records für mich und insbesondere CRIMPSHRINE hatten es mir angetan. Ich entdeckte, dass ihr Drummer Aaron Cometbus nicht nur Schlagzeug spielte, sondern auch Texte schrieb und sein eigenes Fanzine namens Cometbus herausbrachte. Vorher war der Drummer für mich immer der Typ, der hinter den Trommeln zu sitzen und das Maul zu halten hat, aber Aaron Cometbus öffnete mir die Augen. Ich wollte auch meine eigenen Texte schreiben und mitbestimmen, in welche Richtung sich meine Band in visueller Hinsicht entwickeln sollte.
Bevor du mit Chris LESS THAN JAKE gegründet hast, gab es sicherlich noch andere Bands?
Vorher spielte ich mit Chris schon in einer lokalen Band namens NEEDLESS GUILT und da habe ich auch meine ersten Erfahrungen gesammelt und eigene Texte eingebracht. NEEDLESS GUILT lösten sich auf, als Chris nach Gainesville zog, und ich bin auch nach Gainesville gezogen, um dort auf das College zu gehen und weiter mit Chris Musik machen zu können. Dort haben wir dann LESS THAN JAKE gegründet. Es gab für uns zunächst mal THE CLASH, dann OPERATION IVY und natürlich die MIGHTY MIGHTY BOSSTONES. Als LESS THAN JAKE sich gründeten, gab mir ein Freund ein Tape, auf dem auf der einen Seite die DOUGHBOYS und auf der anderen Seite SNUFF drauf waren. Und SNUFF waren mit ihrem melodischen Punkrock und der Posaune einfach unglaublich. Wir haben uns also gefragt, was wäre, wenn wir ein bisschen von THE CLASH, ein bisschen OPERATION IVY und ein bisschen von den BOSSTONES nehmen und es mit etwas SCREECHING WEASEL und GREEN DAY mixen und dann noch die Posaune von SNUFF dazutun. So lief unsere Konversation damals und so begannen wir, Chicago-Pop-Punk und East-Bay-Punk mit SNUFF zu mischen. Und das Ergebnis war dann „Pezzcore“.
Bevorzugst du es, live oder im Studio zu spielen?
Ganz klar live. Im Studio bin ich immer als Erster dran. Da muss ich den Groove zum Laufen bringen, während noch niemand sonst von der Band vor Ort ist, und das kann ganz schön nervend sein. Live spielen natürlich alle zusammen und kreieren diese gemeinsame Stimmung, die ein tolles Erlebnis ausmacht.
Gibt es bei den vielen Alben, die du aufgenommen hast, eine, die dir vom Drumming her besonders gut gefällt?
Ja, die „Anthem“-CD von 2003, weil da der Drumsound genauso geworden ist, wie ich ihn haben wollte, und weil ich auch mit meinem Drumming nicht ganz unzufrieden war.
Spielst du neben dem Schlagzeug auch noch andere Instrumente?
Mittlerweile spiele ich ein bisschen Gitarre und schreibe meine eigenen Songs. Aber nur so zum Spaß und für mich alleine. Leider habe ich viel zu wenig Zeit zum Gitarrespielen, denn ich betreibe auch noch einen Tattooshop, kümmere mich um mein eigenes Schallplattenlabel und habe eine kleine Spielzeugfirma bei uns zu Hause, so dass ich mich über zu wenig Arbeit wirklich nicht beklagen kann. Und an erster Stelle kommt natürlich meine Familie, ich habe eine vierjährige Tochter, um die ich mich kümmern muss.
Was ist eigentlich aus euren Gainesville-Nachbarn AGAINST ALL AUTHORITY geworden?
Lustig, dass du danach fragst, denn tatsächlich kommen AAA dieses Jahr für ein paar Festivalshows wieder zusammen. Ob sie jemals wieder touren oder Platten machen werden, weiß ich nicht, aber ihr Sänger Danny arbeitet in einem Pizzaladen, den ich häufiger besuche, und ich habe ihm neulich angeboten, dass ich für AAA trommeln würde, wenn er einen neuen Drummer suchen sollte. Diese Einladung ist also immer noch offen und sollte es bald dazu kommen, würde ich mich sehr freuen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Christoph Lampert