Schweden und Finnland sind voll von grandiosen Crust- und Hardcore-Bands, man vergisst das nur manchmal, wenn man seinen Fokus eine Weile auf andere Genres gerichtet hatte. WOLFPACK etwa waren in den Neunzigern für jeden DISCHARGE-Hörigen eine Offenbarung. UNKIND aus Helsinki haben gerade ihr sechstes Album „Pelon Juuret“ auf Relapse veröffentlicht, und wessen Musiksensor bei der Erwähnung der beiden anderen Bandnamen Alarm geschlagen hat, sollte jetzt unbedingt weiterlesen. Meine Fragen beantwortete Schlagzeuger Saku.
Angenommen, euer neues Album wäre ein Theaterstück: Wie würde die Besetzung der Rollen aussehen?
Das Album wäre eine antike griechische Tragödie, deren Protagonist für die Menschheit steht, die schreckliche Verbrechen begeht, ohne zu bemerken, wie töricht und arrogant das ist. Die Band wäre ein klagender Chor, der vergebens versucht, der Hauptfigur die Augen zu öffnen, ihre Irrtümer einzusehen, bevor alles zu Grunde geht.
Crust, D-Beat, wie auch immer ihr es nennen wollt, ist ein besonderes Genre mit besonderen Fans. Kannst du dich daran erinnern, was ich dazu bewegt hat, solche Musik zu machen?
Es ist schwierig, sich an etwas zu erinnern, das schon so lange her ist. Aber der Hauptgrund war, dass wir etwas machen wollten, das so intensiv wie nur möglich klingt, und unsere größten Vorbilder waren – und sind immer noch – DISCHARGE und AMEBIX. Erstere haben diese rauhe und besondere Aggression und Wut, die durch ihre offensive Einfachheit nur verstärkt wird. Bei Letzteren ist es die perfekte Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Der Aufschwung der modernen Crust-Szene in den späten Neunzigern hat bestimmt auch zu unserer Musik beigetragen, wir waren ja damals gewissermaßen mittendrin.
Bevor ihr bei Relapse unterschrieben habt, habt ihr bei eher kleinen Labels wie Yellow Dog, Alerta Antifascista oder Combat Rock Industry veröffentlicht. Bei einem großen internationalen Label wie Relapse unter Vertrag zu sein, trägt viel dazu bei, dass die Leute sich eher für eine Band interessieren. Aber andererseits sind die D.I.Y.-Ultras auch schnell dabei, eine Band des „Sellouts“ zu bezichtigen. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
Im Grunde genommen verlief unser Wechsel sehr gut. Es gab im Internet einige Posts, wo von Sellout die Rede war und von Hochglanzfotos der Band in den Filialen großer Plattenläden. Das gab es aber nie und wir haben so ziemlich dieselbe Haltung bei dem, was wir tun, wie früher. Wir werden von Relapse sehr gut behandelt und sie haben nie Druck auf uns ausgeübt, dass wir etwas ändern sollten, sei es unsere Musik oder unser Auftreten in der Öffentlichkeit. Das Schlimmste, das wir gehört haben, war, dass uns ein paar besetzte Häuser in Deutschland boykottieren würden, weil Relapse Rechtsradikale unterstützen würde, da es mal ein paar umstrittende Metal-Alben in deren Mailorder-Angebot gab. Extremisten aller Art stützen sich auf Gerüchte, die sie von einem Kollegen hören, ohne sich selbst zu informieren. Es ist einfach nur ein Gerücht, deshalb wollen wir es dabei belassen. Das größte Hindernis für uns, zur D.I.Y.- oder generell extremen Musikszene zu passen, lag immer darin, dass unsere Musik für die Metal-Fans zu crusty war und für Crusties zu Metal-lastig. Durch Relapse haben wir eine Menge positives Feedback aus der Crust-Szene bekommen, ganz gleich, in welche Kategorie man unsere Musik jetzt einordnet. Und glücklicherweise ist von der Antipathie seitens der von dir erwähnten „Ultras“ nicht viel übrig geblieben.
US-Labels wie Relapse oder Southern Lord scheinen heute mehr denn je an europäischen Bands interessiert zu sein. Wie erklärt ihr euch das?
Das scheint seit Jahren nach dem immer gleichen Muster zu verlaufen, zumindest was die extremeren Musikrichtungen angeht, die stark durch die alten oder neuen europäischen Bands geprägt werden, denk nur an den Einfluss, den ENTOMBED auf viele amerikanische Death-Metal-Bands hatten, und das gilt natürlich auch für den norwegischen Black Metal insgesamt. Da ist es nur logisch, dass einige kluge Labels sich jetzt an der Quelle umschauen. Der Blick scheint momentan auf die Größen des europäischen Crusts gerichtet zu sein, wie MARTYRDÖD und WOLFBRIGADE, die Southern Lord sich rausgepickt hat, und ROTTEN SOUND, die schon seit Jahren bei Relapse unter Vertrag sind. Das ist toll, denn das Angebot in den Staaten ist für solche Bands zu breit gefächert, als dass man ohne einen US-Vertrieb dort Fuß fassen könnte. Diese Labels tun allen Beteiligten einen riesigen Gefallen, indem sie dem amerikanischen Publikum gute Bands vorstellen.
Viele skandinavische Metal/Hardcore-Bands bevorzugen es, in ihrer Muttersprache zu singen. Warum ist das so und inwiefern macht es das schwieriger, eure Message rüberzubringen?
Vor allem in Finnland gab es immer ein Problem mit der Glaubwürdigkeit der Lieder. Die schlechten Englischkenntnisse und der starke Akzent vieler Sänger haben oft alles kaputt gemacht. Das ist auch der Hauptgrund, warum wir uns dazu entschlossen haben, in unserer Muttersprache zu singen. Es ist einfacher, sich in den Texten auszudrücken und wir verschwenden keine Energie damit, sie zu übersetzen. Natürlich stellt das auch ein Problem dar. Es ist schwierig, unsere Message im Ausland verständlich zu machen, ohne Übersetzung auf dem Textblatt. Allerdings kann der Zuhörer so auch zuallererst und vor allem auf die Musik achten, was uns am wichtigsten ist. Ab und zu stellen wir Übersetzungen ins Netz, so wie neulich bei dem Video zu „Kehtoon tapetut“, eigentlich kann so ziemlich jeder sich die Texte im Internet selbst übersetzen, wenn es ihn wirklich interessiert.
Sprechen wir von der „Message“: Was sind wichtige Einflüsse und Themen für euch?
Hauptsächlich geht es um Widerstand gegen alle Arten von Faschismus und Unterdrückung sowie um andere eklatante Mängel und Ungerechtigkeiten in der modernen Gesellschaft. Aber natürlich auch, wie man mit den mentalen Problemen zurechtkommt, verursacht durch die Depressionen und die Frustration, in einer solchen Gesellschaft zu leben. Wir versuchen das unverantwortliche Verhalten der Menschheit zu beschreiben, anstatt nach Gesetzen zu rufen, wie sie sich verhalten soll. Eines der wichtigsten Frage war zuletzt, wieso Menschen dazu neigen, sich ohne eine gesunde Dosis Skepsis oder Kritik irgendwelchen Anführern und Gruppen unterzuordnen. Selbst wenn diese Mitläufer plausible Gründe anführen können, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, gibt es bei ihrer Haltung grundsätzlich immer einige falsche oder gar schädliche Aspekte. Außerdem ist es wichtig zu bedenken, dass egal, welche Größe die Bewegung hat, jene Menschen, die ihre Macht erhalten wollen, nie das Wohl der Allgemeinheit vor ihren persönlichen Erfolg stellen. Die Menschen sehnen sich danach, irgendwo dazu zu gehören, weil ihnen das eine Gefühl von Sicherheit und Stärke verschafft. Das ist der Hauptgrund, warum selbst kluge Leute dazu tendieren, irgendwelchen Fahnenschwenkern, „volknahen“ Politikern oder religiösen Fanatikern auf den Leim zu gehen. Addierst du noch die allgemeine Angst, öffentlich zugeben zu müssen, einen Fehler gemacht zu haben, und du hast die Quelle der meisten Probleme auf der Welt, ob groß oder klein. Jede Ideologie, die nicht zu 100% fehlerfrei ist, ist es nicht wert, ihr zu folgen – und zumindest ich habe noch keine fehlerfreie Ideologie gefunden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #98 Oktober/November 2011 und Jens Kirsch
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Jens Kirsch