Anfangs als Klischee-Punks belächelt, haben sich TOTAL CHAOS über 17 Jahre letztendlich doch in die Herzen der Oldschool-Fans gespielt. Nach langer Stille um die Jungs aus Kalifornien hat die derzeit zum Quartett geschrumpfte Truppe endlich mit People Like You ein neues Label gefunden und mit einer Rückschau auf das bisherige Werk sofort eine neue Veröffentlichung am Start. Wir sprachen mit Sänger Rob Chaos, Drummer Gearbox und dem deutschstämmigen Gitarristen Shawn Smash über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Crusties.
Eure Best-Of-Compilation "17 Years Of Chaos" ist das erste Lebenszeichen von TOTAL CHAOS in Europa seit langer Zeit. Es gab von euch keine Alben zu kaufen, seit ihr Epitaph verlassen habt. Was passierte in der Zwischenzeit?
Rob: Wir waren alles andere als faul, falls ihr das denkt. In den USA haben wir seit dem Ende der Zusammenarbeit mit Epitaph drei Longplayer veröffentlicht, nur gab es leider keinen Vertriebspartner in Europa. Das haben wir mit dem Deal mit People Like You jetzt geändert.
TOTAL CHAOS wurden anfangs als US-Band gehypet, die den Sound der britischen Originale perfekt umsetzte, Massen an jungen Kids begeisterte. Aber es scheint, als hätte sich das sofort geändert, als ihr Epitaph verlassen habt ...
Rob: Schwer zu sagen. Sicher sind wir etwas kleiner geworden und alles war etwas weniger verrückt, als zu der Zeit, als wir auf Epitaph waren, aber die Kids kommen trotzdem weiterhin zu den Shows und kaufen die Platten. Sogar in Europa waren wir in den letzten Jahren einige Male und es war immer großartig.
Sicher ist es für eine Band nicht einfach zu sehen, dass die Dinge sich nicht so entwickeln, wie sie sollten. Habt ihr daran gedacht aufzuhören?
Rob: Nein, denn wir kannten ja den Grund dafür, warum es nicht weiter ging. Wir haben uns bewusst von Epitaph verabschiedet und standen dann mit beschissenen Labels und ohne Vertrieb da. Aber so ging es uns ja auch in den vier Jahren, bevor wir auf Epitaph waren. Wir hatten relativ früh einen immensen Erfolg, danach nahm es wieder normale Dimensionen an. Andere Bands warten 15 Jahren auf ihren großen Moment. Wir waren immer da, wir haben die Kids, die wir verloren hatten, durch viele Touren wieder zurückgeholt und in den USA waren auch unsere späteren Alben gut erhältlich. Mit People Like You haben wir jetzt endlich die Chance, unsere alten Fans in Europa wieder mit neuem Stoff zu versorgen und neue Leute zu erreichen. Ich bin mir sicher, dass die Tausende von Leuten, die sich "Patriotic Shock" gekauft haben oder uns auf den ersten Touren und den Chaostagen in Hannover gesehen haben, auch heute noch Interesse an der Band haben.
Manche von den älteren Fans waren aber schon immer sehr kritisch, was TOTAL CHAOS anging und nannten euch Rockstars, die im Nightliner unterwegs waren, hohe Gagen verlangten und so weiter. Wie kam es zu solchen Gerüchten?
Shawn: Wir haben nie nach viel Geld gefragt, sonst hätten wir sicher nicht in Clubs wie dem AK47 in Düsseldorf gespielt.
Rob: Die Geschichte mit dem Nightliner jedoch stimmt. Epitaph hat uns das Ding einfach zur Verfügung gestellt, weil sie dachten, es wäre praktischer und uns wurde gesagt, dass das alle Bands so machen. Leider war das Ding ein totales Scheißhaus. Die Klimaanlage war im Arsch, die Toiletten waren kaputt, der Fernseher ging nicht, der Fön haute die Sicherungen durch ... Und am Ende wurden die Kosten für den Bus auch noch von unseren Verkäufen abgezogen. Aber grundsätzlich wird dir jede Band bestätigen, dass es einfacher und bequemer und für viele Veranstalter sogar günstiger ist, wenn man im Nightliner unterwegs ist, als wenn man im Van fährt und Hotels braucht.
Erzählt uns etwas über die Szene in L.A. Wie sind die Shows, was für Leute kommen zu den Gigs? Für uns Deutsche ist es manchmal merkwürdig zu sehen, dass ein Typ mit Irokese zum Beispiel ein SKREWDRIVER-Shirt trägt. So was scheint nur in den toleranten USA möglich ...
Shawn: Also, wenn ich so einen Typen sehen würde, würde ich dem sofort was auf die Fresse hauen. Es gibt Idioten-Punks, die einfach nur stören oder dumme Clowns sein wollen.
Rob: Ich hab das eine oder andere Mal solche Typen gesehen, die haben sofort Prügel kassiert.
Und die Szene generell?
Gearbox: Viel besser als zu der Zeit, als wir Kids waren. Damals war alles extrem gewalttätig, heute scheint es einen neuen Unity-Gedanken zu geben. Früher wurden Langhaarigen die Haare ausgerissen, heute gibt es nur dann Ärger, wenn Nazis auftauchen.
Für uns hier scheint es so, als wäre L.A. derzeit hauptsächlich auf Psychobilly, Deathrock und 80er Hair-Metal fixiert. Erinnert euch das ein bisschen an die Zeit, als ihr mit TOTAL CHAOS anfingt?
Rob: Das erscheint nur so, die verschiedenen Szenen existieren friedlich nebeneinander. Punk ist natürlich weiterhin da, aber eben nicht ganz so offensichtlich, man muss etwas mehr suchen. Die Fans kommen weiterhin, dass es andere Szenen gibt, wirkt sich nicht negativ auf die Zuschauerzahlen aus. Unsere letzte Show in L.A. war total ausverkauft. Aber zum Beispiel in Hollywood wirst du keine kleinen Punk-Gigs mehr finden, die sind jetzt eher Downtown. In Hollywood spielen nur die großen Namen wie SOCIAL DISTORTION, G.B.H., MISFITS, BUZZCOCKS. Die richtigen Punks wollen gar nicht mehr auf den Sunset-Strip. Da bezahlst du mehr fürs Parken und den Mindestverzehr, als für den Eintritt. Da ist man schnell bei 25 Dollar für ein Punk-Konzert. In Downtown kostet der Spaß fünf bis zehn Dollar.
Ihr spielt mit vielen bekannten Punk-Helden, wie EXPLOITED oder ADICTS. Was ist euch von diesen Shows am ehesten in Erinnerung? Ich denke da etwa an die Ausschreitungen in Kanada ...
Rob: Ich weiß noch, als vor einem Gig, den wir mit EXPLOITED gespielt haben, plötzlich eine Horde alter Nazis auftauchte und den Drummer der Support-Band angriff. Doch die hatten nicht mit uns gerechnet, wir haben denen so Kontra gegeben, dass die ganz schnell weg waren. Ein anderes Mal allerdings ging das Ganze wirklich zu weit. Wir haben auf dem British Invasion-Festival gespielt und ein paar Nazis hatten sich eingeschlichen und meinten, während unseres Sets den Hitler-Gruß zeigen zu müssen und "Sieg Heil" zu brüllen. Da wir in L.A. viele Schwarze und Hispanics in der Punk-Szene haben, ging es sofort richtig ab. Über tausend Latinos und andere Punks gegen fünf oder sechs Nazis. Sie wären fast gestorben, denn die Kids haben noch nicht einmal aufgehört, sie zu treten, als die Skins längst ohnmächtig waren. Die Cops kamen dann mit Tränengas rein, worauf die Punk-Kids noch durch die Straßen gezogen sind und alles Greifbare zerstört haben. Total unnötig so was. Und am Ende sollten wir schuld gewesen sein, weil wir während unseres Sets den Song "Kill the Nazis" gespielt haben. Immerhin hat uns der Bürgermeister dann mal im Fernsehen genannt.
Auf eurem vierten Album "Anthems From The Alleyway" - die erste LP aus der Prä-Epitaph Zeit ist längst vergriffen - hattet ihr euch einmalig vom harten Punk entfernt und seit auf den damals sehr trendigen Streetpunk-Zug aufgesprungen. Wie beurteilt ihr im Nachhinein diese Entscheidung?
Rob: Zu der Zeit haben wir wirklich fast ausschließlich so einen Sound gehört, Bands wie DEAD BOYS, Johnny Thunders, STIFF LITTLE FINGERS ... Ich habe ein paar Songs in der Art geschrieben und wir waren alle begeistert, also wurden es ein paar mehr und mehr und mehr, bis ein ganzes Album zusammen war. Nach drei echten Hardcore-Scheiben war das für uns aber auch okay, wir wollten uns etwas verändern. Im Nachhinein muss man sagen, dass wir diese neuen Stücke mit ein paar Songs im alten Gewand hätten zusammen packen sollen, damit das Album sich nicht so radikal von den vorherigen unterscheidet. Außerdem hat der sehr 77er-lastige Sound die Leute verwirrt, wir hätten die Gitarren etwas aufdrehen sollen.
Für das Nachfolgewerk "In God We Kill" habt ihr sogar mit einem Rapper gearbeitet, euer neues Label Cleopatra hat daraufhin eine Single veröffentlicht, auf der circa sieben Versionen desselben Songs waren ...
Rob: Mit dieser Single-Veröffentlichung hatten wir wirklich nichts zu tun! Das ist der totale Müll. Wir haben sie auch gezwungen, das Ding vom Markt zu nehmen. Aber dass wir einen Song des Albums zusammen mit einem Rapper gemacht haben, finde ich weiterhin total okay. Wir haben viele Freunde, die ganz andere Musik hören, manche Rap, manche Metal ... Da lag es nahe, einfach mal zusammen zu arbeiten, für uns war das ein großes Ding.
Ihr seid lautstarke Unterstützer der althergebrachten Punkrock-Ideale. Welchen Sinn haben diese in einer Zeit, in der Globalisierung als Fortschritt gewertet wird oder die Bevölkerung in einigen Ländern der Welt immer konservativer wird? Ist Punkrock ein Anachronismus?
Rob: Wir befinden uns derzeit im Krieg, völlig ohne Grund, daher gibt es gar keine bessere Zeit als jetzt, um sich auf solche Werte zu besinnen. George Bush hat einen Diktator angegriffen, der nichts ist, im Vergleich zu manchen Despoten in Afrika. Dort werden Hunderttausende jedes Jahr ermordet, vergewaltigt etc. Nur dass dort kein Öl ist, also ist Amerika nicht dort. Der im Irak ist ein Krieg für eine Diktatur durch die USA. Amerika will die Welt kontrollieren, entweder durch Krieg oder Finanzen. Europa - speziell England - ist ja schon weitgehend US-hörig. Und darüber muss man einfach heute auch noch singen.
Verstehen die Kids das, die auf eure Gigs kommen?
Shawn: Wir hoffen es. Jeder zieht sicher etwas anderes aus unseren Texten, aber wir versuchen ja auch, viele Infos in unsere Alben zu packen. Zu unserem "Freedom Kills"-Album gibt es ein 28-seitiges Booklet mit politischen Informationen. Punk ist mehr als eine Lederjacke und ein Iro.
Welche Entscheidung in eurer Karriere würdet ihr gerne rückgängig machen?
Rob: Oh Mann, vielleicht hätten wir uns nur damals - zur Epitaph-Zeit - mal bewusst machen sollen, was wir alles haben. Wir hatten ein großes Label, eine große Booking-Agentur, wir konnten sogar als Profi-Musiker leben. Stattdessen haben wir alles auf den Kopf gehauen und nur Party gemacht.
Habt ihr derzeit Jobs?
Rob: Ja klar, ich leite mein Label S.O.S. Records, Dee arbeitet als Sozialarbeiterin, Gearbox als Kurierfahrer und Shawn mal das und das.
Und wie reagieren die anderen Jungs und Mädels darauf, dass du der Frontmann bei TOTAL CHAOS bist und die kleinen Punk-Girls so auf dich stehen?
Rob: Haha, das stimmt doch so gar nicht, die anderen sind auch ganz begehrt. Seit Dee in der Band ist, ist sie sogar die Beliebteste, alle Typen stehen auf sie. Aber es stimmt natürlich, es kommen einige Girls, die auch Fotos wollen. Sogar Suicide-Girls sind Fans von uns. Aber es gibt Schlimmeres, oder?
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #69 Dezember 2006/Januar 2007 und Thorsten Wilms
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #172 Februar/März 2024 und Triebi Instabil
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Thorsten Wilms
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #24 III 1996 und Thomas Hähnel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #76 Februar/März 2008 und Ute Borchardt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Sebastian Walkenhorst
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #100 Februar/März 2012 und Sebastian Walkenhorst
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Thorsten Wilms
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #172 Februar/März 2024 und Triebi Instabil
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #20 II 1995 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #50 März/April/Mai 2003 und Stefan Kornberger
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Stefan Kornberger
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #129 Dezember16/Januar17 2016 und Henning v. Bassi