Als TOCOTRONIC 1997 zum ersten Mal mit einem Album in die Charts einstiegen, sollten sie vom Musiksender VIVA eine Auszeichnung in der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ erhalten. Die Band lehnte ab mit der Begründung: „Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein. Und wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein.“ Ein klareres Statement kann man wohl in einer solchen Situation nicht setzen. Das hat mir damals imponiert und es imponiert mir noch 23 Jahre später, wenn man betrachtet, mit welcher Konsequenz die Band diese Linie weiter verfolgte.
Wer nicht stolz darauf ist, jung zu sein, der muss sich auch nicht schämen, älter zu werden. Rein musikalisch wäre vielleicht bereits in den späten Neunzigern die Luft raus gewesen, als auch andere von der so bezeichneten „Hamburger Schule“ hochgespülte Bands Schluss machten oder von den 2.000er-Hallen wieder in die 100er-Clubs geschrumpft sind – was ja durchaus nicht ehrenrührig ist. Aber das Bandgefüge bei TOCOTRONIC blieb stabil und wurde Anfang der Nuller Jahre noch durch Rick McPhail musikalisch verstärkt. Das war ein ähnlicher Glücksgriff wie Rodrigo González für DIE ÄRZTE. Rick brachte die Band in der Live-Performance noch mal ein gutes Stück nach vorne und erweiterte die musikalischen Möglichkeiten erheblich – zumindest von außen betrachtet. Inhaltlich und politisch zeigten TOCOTRONIC stets Haltung, etwa bei Themen wie Nationalismus, Globalisierung, Asyl bis hin zur Unterstützung des Erhalts von linken Zentren. Auch bezog man klar Stellung in Diskussionen, die ihnen vielleicht anderenfalls zum eigenen Vorteil gereicht hätten, wie die öffentliche Positionierung gegen eine Quote für deutscher Rockmusik im Radio. Natürlich ist der gesellschaftliche Einfluss von Diskurs-Pop beschränkt und wird keinen Blödmann zum Menschenfreund umerziehen. Aber den Soundtrack für die „Guten“ zu liefern, Gedanken einigermaßen geistreich und gleichzeitig gefühlvoll zu bündeln und zu formulieren, Bezüge von Individuum und Gesellschaft herzustellen, ist eine hohe Kunst, die ausstrahlt. Nun sind TOCOTRONIC keine Punkband und betrachten sich auch nicht als solche. Das erklärt vielleicht, dass dieses das erste Interview mit ihnen im Ox ist. Aber in der Genetik von TOCOTRONIC ist der Punk mit angelegt. Darüber und über den Weg der Band im Laufe der letzten Jahrzehnte spreche ich im virtuellen Corona-Schutzraum mit meinen beiden Lieblings-Tocos: Jan Müller (bs) und Rick McPhail (gt).
In dem Text von „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“ besingt ihr bereits 1997 eine Situation, in der ihr nicht mehr aus dem Bann der Band herauskommt. Das ist nun 23 Jahre her. Würdet ihr mit dem Abstand sagen, dass ihr Gefangene von TOCOTRONIC seid?
Jan: In gewisser Weise schon. Aber das ist eine sehr schöne, selbst gewählte Gefangenschaft. Wir haben ja alle nichts anderes gelernt, keiner hat irgendeinen Abschluss oder so etwas. Aber wir haben uns das, was wir tun, selber beigebracht. Und mir macht das bis heute sehr viel Spaß. Also fühle ich mich eigentlich doch nicht gefangen, sondern ich empfinde das als ein tolles Schicksal.
Rick: Ich finde es auch super und das ist sicherlich der schönste Job, den ich jemals gemacht habe. Aber manchmal sehne ich mich auch wieder nach Hause in die USA, auch wenn es gerade teilweise sehr scheiße dort ist. Aber für den tollen Job bleibe ich natürlich hier. Das würde ich niemals freiwillig aufgeben. Wir haben ja auch manchmal Pausen, in denen ich dort hin kann.
In dem Text meine ich auch herauszuhören, dass es dort um eine Erwartungshaltung geht, die an einen herangetragen wird, wenn man in einer bekannten Band spielt. Ihr kommt ja auch in anderen Lebensbereichen sicher nicht aus der Nummer raus, Mitglied von TOCOTRONIC zu sein, oder?
Jan: Ich finde das ganz toll. Wir haben uns das selber ausgedacht und dabei viele Haken geschlagen. Wir machen ja heute nicht mehr das, was wir vor 25 Jahren gemacht haben. Wir spielen zwar noch einige unserer alten Songs, aber wir klingen ja mittlerweile ganz anders. Auch wenn das noch die gleichen Instrumente sind, die wir bedienen. Die Zeit, in der ich dachte, dass ich in meinem Leben noch mal etwas ganz anderes machen muss, ist vorbei. Ich werde nächstes Jahr fünfzig und finde es eigentlich ganz cool, dass wir das so lange betrieben haben und immer noch machen. Dazu kommt noch, dass wir jetzt auch nicht auf so einem Level sind, wo wir ständig auf der Straße erkannt werden. Das wäre glaube ich recht lästig. Wir sind in so einer Zwischenwelt. Vielleicht sind wir in gewisser Weise einflussreich als Band, aber keine deutschen Popstars. Wir haben unser Publikum und das sind alles auch noch nette Leute, von daher habe ich da nicht so ein Problem. Das Stück, das du ansprichst, „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“, entstand zu einer Zeit, wo wir das vielleicht als etwas problematischer ansahen, weil damals auch noch nicht ganz klar war, wo wir als Band hingehen werden. Aber wir haben dann auch Entscheidungen gefällt, die in eine bestimmte Richtung führten. Und die anderen Leute haben dann eben andere Musik gehört.
Welche Entscheidungen waren das?
Jan: Wir haben mit Dirk einen wirklich begnadeten Singer/Songwriter in der Band und die ersten Alben kamen ja sehr schnell hintereinander. Wir glaubten vielleicht, dass wir so das Geheimrezept gefunden hatten, wie man einen guten Popsong in unserer Art machen kann. Die Entscheidung war, dass wir uns irgendwann nicht mehr wiederholen wollten, weil uns das langweilig erschien. Klar, das sagt wahrscheinlich fast jede Band. Aber wir haben dann tatsächlich, beginnend mit „K.O.O.K.“ 1999, einige Alben gemacht, bei denen wir bewusst Erwartungshaltungen nicht erfüllt haben. Vielleicht hätten wir mit anderen Veröffentlichungen mehr Tonträger verkauft, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es uns dann jetzt nicht mehr geben würde.
Anfang der 2000er kam Rick hinzu und ich habe den Eindruck, dass das nicht lediglich eine Gitarre mehr war, sondern dass euch das musikalisch insgesamt facettenreicher gemacht hat.
Jan: Für mich ist es auf jeden Fall so, dass das Live-Spielen erst richtig Musik ist, seit Rick dabei ist. Vorher war das ja auch eine ganz lustige Sache, aber Freude bereitete mir das erst mit ihm.
Rick: Danke!
Er wusste ja zumindest, worauf er sich einlässt. Als ihr drei angefangen habt, wusstet ihr ja noch gar nicht, wo das hinführt. Und Rick war bewusst, wo er da einsteigt.
Jan: Selber schuld, stimmt!
Aber wie ist das heute für dich? Du bist nun auch schon ewig dabei. Merkst du dennoch einen Unterschied, dass du kein Gründungsmitglied bist, oder spielt das mittlerweile gar keine Rolle mehr?
Rick: Jetzt nicht mehr. Am Anfang war das tatsächlich etwas schwer. Aber die meiste Kritik hatte nichts mit Musik zu tun. Klar gibt es Leute, die die frühen Sachen besser finden, nach dem Motto: „Die ersten drei Platten sind die besten.“ Ich selber bin ja bei manchen Bands genauso. Aber am Anfang kamen so Sprüche wie: „Der hat ja nicht die gleiche Frisur“ oder ähnlich bescheuerte Kritik. Doch da das nichts mit der Musik zu tun hatte, fand ich das nicht so schlimm. Das war total oberflächlich.
Fühlst du dich jetzt total dazugehörig?
Rick: Na ja, die drei kennen sich schon viel länger und immerhin bin ich ja auch Ausländer, haha. Ich werde wohl immer der „Ami“ bleiben.
Jan: Und immer der „Neue“. Das ist schon so.
Rick: Es ist aber tatsächlich so, dass man eine andere Weltsicht hat, wenn man woanders sozialisiert wurde. In der amerikanischen Indie-Musik ist alles vielleicht ein bisschen lockerer als in der deutschen Musik. Aber ich habe mich daran gewöhnt.
Jan: Es lernen ja beide Seiten dadurch. Ich finde das sehr wertvoll. Man merkt schon, dass Rick auf einem anderen Kontinent aufgewachsen ist, zur gleichen Zeit, aber ganz woanders. Es ist total spannend zu sehen, wo die Gemeinsamkeiten sind und was total anders lief. Auch die Art, über Musik zu denken, ist anders. Wir werden ja in der Kritik und bei den Hörern immer sehr über die Texte definiert und Rick hat da noch mal einen anderen Zugang. Auch wenn wir uns intern schon mal an einer Textdiskussion festbeißen, bringt er die musikalische Ebene noch mal mehr in den Vordergrund. Und das hat uns als Band schon sehr verändert und in mancherlei Hinsicht auch lockerer gemacht.
Eure Bandentwicklung ist ja recht kontinuierlich. Es gab im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern der so genannten „Hamburger Schule“ der Neunziger Jahre wie etwa BLUMFELD bei euch keine Auflösungen, Reunions, extreme Hochs, Tiefs oder Line-up-Wechsel. Woran liegt das?
Jan: Ich empfinde es als großes Glück, dass wir drei und dann vier uns getroffen und es geschafft haben, unsere Freundschaft zu erhalten. Das ist schon schwierig, da es immerhin ein berufliches und künstlerisches Projekt ist. Wir leben ja auch davon. Und sich trotzdem weiter zu mögen mit den Stärken und Schwächen, die man ja kennen lernt, das ist eine Leistung, auf die ich sehr stolz bin. Es hat ja einen Grund, dass Bands sich oft auflösen. Dass das bei uns so funktioniert hat, das ist sicher eine Mischung aus Glück und harter Arbeit.
Rick: Ich glaube auch, dass die musikalische Offenheit wichtig war. Von Anfang an waren das ja drei verschiedene Richtungen, die bei TOCOTRONIC zusammenliefen: Zum einen Punkrock, dann Grunge und so diese Neil Young-Richtung. Und dann wurde Platte für Platte der musikalische Horizont erweitert. Oft merkt man bei Bands, dass sie so festgefahren in ihrem Sound sind, dass sie irgendwann keinen Bock mehr haben. Und ich glaube, dass es gut ist, die Tür immer ein bisschen weiter auf zu machen. Das ist befreiend. Man muss sich ja nicht komplett neu erfinden, nach dem Motto: Jetzt machen wir mal eine elektronische Platte. Man kann ja nach und nach Dinge einfließen lassen, peu à peu, und dabei trotzdem den eigenen Sound beibehalten. Als BLUMFELD erst diese noisigen Sachen gemacht haben und plötzlich klang das alles wie George Michael, das war ein zu krasser Bruch, glaube ich. Ich finde schleichende Veränderungen nachhaltiger.
Ich muss sagen, dass ich es bemerkenswert finde, dass ihr bei aller Breitenwirksamkeit, die ihr doch habt, nicht in einen beliebigen, anbiedernden Deutschrock abdriftet, wie es meiner Meinung nach beispielsweise bei Thees Uhlmann passiert. Ist es anstrengend, dem zu entgehen? Habt ihr manchmal Angst, dort zu landen, wo ihr niemals landen wolltet?
Jan: Bisher war es für uns nicht anstrengend, dem zu entgehen. Ich glaube, das muss man schon wollen. Rockmusik birgt dabei allerdings eine Schwierigkeit. Wenn man zum Beispiel bildender Künstler ist, wird das Werk von außen betrachtet „reifer“ mit dem Alter. Bei einer Rockband dagegen ist das etwas schwieriger, da immer impliziert wird, dass die Jugend ein Teil dessen ist, was sie attraktiv macht. Natürlich hat man da Sorge, wenn man jetzt mit um die fünfzig auf der Bühne steht, ob das noch bissig genug ist. Aber meine Sorgen gehen da noch viel weiter, weil die Musik, die heute von jungen Menschen gehört wird, gar keine Gitarrenmusik mehr ist. Insofern sind wir gar nicht in dem Bereich Popmusik, welcher die ganz große Breitenwirksamkeit hat. Wir sind zwar jetzt auch nicht die Nische. Aber vom Arrangement her mit Gitarre, Bass und Schlagzeug sind wir sicher auch nicht der „Heiße Scheiß“ des dritten Jahrtausends. Vielleicht gibt es die Gefahr, dass die Musik mit zunehmenden Alter gefälliger wird. Aber uns ist es wichtig, dass das, was wir machen, nach wie vor Relevanz hat, für uns und die Menschen, die das hören.
Ich habe mal im Ox-Archiv recherchiert. Bisher gab’s hier kein Interview mit euch. Bei den Reviews wurdet ihr in den Neunzigern ignoriert und in den Nullern hieß es dann sinngemäß: Früher waren die ja noch gut, aber mittlerweile total schlecht. Wie ist allgemein der Kontakt oder Bezug zur Punk/Hardcore- Szene?
Jan: Es kann sein, dass wir in dieser Szene allgemein nicht so wohl gelitten sind, weil denen das zu indirekt ist, so von den Messages her. Vielleicht sind wir auch zu wortreich. Ich selber liebe ja Punk, ich komme ja selbst daher. Das war die Musik, die mich nach dem Hardrock richtig gepackt hat, dass ich die Idee hatte: Das könnte ich ja auch machen. Mit Arne haben wir da auch unsere ersten Bands gegründet [Anm.: 1989 HUNDE TOT MACHEN, 1992 PUNKARSCH]. Aber dass ich mich selber mit dem, was ich tue, in Verbindung mit Punk gesehen habe, das war dann eigentlich in dem Moment, als wir TOCOTRONIC gegründet haben, vorbei. Und das war für uns alle drei damals so, dass das, was wir da machen, nicht den direkten Bezug dazu hat.
Rick, wie bist du musikalisch sozialisiert worden?
Rick: Ich war zunächst so ein New-Wave-Popper. Am Anfang war ich DURAN DURAN-Fan. Ich war einfach zu jung für Punk. So Indie-Sachen interessierten mich: THE SMITHS oder THE CURE. Irgendwie habe ich gedacht, dass THE CURE eine Punkband seien. Waren sie am Anfang vielleicht auch. Ich habe später auch Bands wie CIRCLE JERKS, BLACK FLAG oder FEAR gehört. Das lief bei mir aber immer eher so nebenher. Eigentlich fand ich so schrägere Sachen wie BUTTHOLE SURFERS oder PIXIES gut. Diese alten amerikanischen Hardcore-Sachen höre ich immer noch gerne. Aber Punk wurde irgendwann recht spießig, vom Sound und auch der Einstellung her. Ich finde, das ist nicht wirklich eine freie Musik. Auch wenn ich modernere Hardcore oder Emocore-Sachen höre, finde ich das oft total glatt produziert, so auf dicke Eier und dicke Gitarren. Das höre ich nicht so gerne. Und da denke ich manchmal echt, dass einzelne Stücke, sogar von den neueren Toco-Sachen, punkiger sind als das.
Jan: Ich finde es aber schon ganz interessant, dass diese Punkmusik, obwohl das nur drei Akkorde sind, es schafft, sich irgendwie zu verjüngen und auch immer wieder Bands mit Relevanz hervorzubringen. Neulich habe ich DEUTSCHE LAICHEN gehört, die fand ich total gut, auch die Art und Weise, wie die das Queer-Thema mit in die Sache reinbringen.
Es ist gerade ein neuer Release von euch raus, die Compilation „Sag alles ab!“. War das schon vor Corona geplant oder ist das dem geschuldet?
Jan: Das war davor geplant. Lange ging das hin und her. Es gab da verschiedene Entwürfe für so ein Best-Of. Ich finde das ja ganz toll. Solange noch physische Tonträger verkauft werden, solange sollte man das auch machen. Und unser Label Universal hat eine umfangreiche Katalog-Abteilung und die haben das angeregt. Wir hätten jetzt eigentlich im August und September zwei schöne Konzerte gehabt, in Hamburg und Potsdam, wo wir unser Gesamtwerk so ein bisschen beleuchten wollten. Zu diesen Konzerten sollte das eigentlich rauskommen. Parallel dazu waren wir im Studio für unser neues Album, das jetzt auch fertig ist. Das wird aber erst irgendwann im nächsten Jahr erscheinen. Keine Ahnung genau wann. Das ist eine totale Kacke mit diesem Virus.
Der Titel „Sag alles ab!“ ist aber schon ein Corona-Titel, oder?
Jan: Ja, genau. Der Titel entstand dann natürlich im Zusammenhang mit Corona.
Ist so ein Best-Of-Release nicht auch so eine etwas abgeschmackte Sache, den Marktmechanismen folgend? Ist ein Best-Of von einer Band, die es noch gibt, nicht etwas überflüssig?
Jan: Ja, das hat natürlich etwas Wohlfeiles. Aber wie das Plattenveröffentlichen überhaupt. Da kann man sich jetzt den Kopf drüber zerbrechen, ich mache das aber nicht. Ich kaufe selber auch nicht mehr so viele Platten, weil ich keinen Platz mehr habe. Aber schön aufgemachte Anthologien mag ich schon selber sehr gerne. Ich sehe das auch ein bisschen als Herausforderung. Ich finde so lieblose Dinger, wo man merkt, dass die Band selbst gar nichts damit zu tun hat, auch langweilig. Ich glaube schon, dass wir uns etwas mehr Mühe gegeben haben. Ich finde das jetzt echt hübsch.
Aber das ist schon eine Sache, die von der Plattenfirma an euch herangetragen wurde, oder?
Jan: Ja, das war deren Idee.
Rick: Ich kaufe ja gerne Best-Ofs, da ich ja selber auflege und nicht so viele Platten mit mir herumschleppen will. Da ist das ganz praktisch, wenn irgendetwas gewünscht wird. „Decade“ von Neil Young war die erste Platte, die ich mir überhaupt gekauft habe. Das war eine Best-Of.
Jan: Bei mir war’s „Double Platinum“ von KISS.
Rick: „Standing On The Beach“ war meine erste THE CURE-Platte. Ich kaufe echt gerne Best-Ofs. Dann kann man erst mal ein bisschen das Werk checken und anschließend sehen, ob man etwas detaillierter einsteigen und sich die einzelnen Alben kaufen will.
Noch mal zum anstehenden neuen Album: Wie ist da der Stand? Wart ihr wieder im Studio bei Moses Schneider, bekannt durch BEATSTEAKS, KREATOR und TURBOSTAAT?
Jan: Ja, waren wir. Zu dem haben wir wirklich eine innige Bindung und er schafft es immer wieder, uns mit neuen Konzepten zu überraschen. Er hat bei uns wirklich mittlerweile einen großen Stellenwert eingenommen. Dieses Mal waren wir im Hansa-Studio, was wirklich schön war. Wir lernen ja auch immer neue Leute kennen. In diesem Fall Tim Tautorat als Engineer, der schon mit Herbert Grönemeyer, THE KOOKS und ANNENMAYKANTEREIT gearbeitet hat. Die Studioarbeit ist ja immer der kleinste Teil. Die Vorbereitungen nehmen einen großen Teil ein. Gar nicht mal nur im Proberaum, sondern auch theoretische Vorbereitungen und die Arbeit an den Songs. Die Platte ist aufgenommen, aber noch nicht abgemischt und wir fühlen uns mit dem Material gerade sehr wohl. Es ist nur total schade, dass noch offen ist, wann wir das mal präsentieren können.
Was heißt „theoretische Vorbereitung“? Was macht ihr da konkret?
Jan: Reden! Wir reden über Texte und Musik und irgendwann ergibt sich so ein roter Faden. Wir besprechen die Bezüge zwischen den einzelnen Liedern, tatsächlich auch schon früh über Reihenfolgen, Arrangements, so etwas in der Art.
Wie geht ihr vor? Geht ihr mit zehn, zwölf fertigen Stücken ins Studio oder entstehen die Sachen dort erst?
Jan: Die Stücke entstehen erst mal bei Dirk zu Hause. Der nimmt die mit dem Smartphone auf. Dann besprechen wir das. Dirk ist dann auch schnell bei Moses und nimmt dort Skizzen auf. Daran wird weitergearbeitet. Die Songs nehmen wir zum Teil Spur für Spur auf, zum Teil live. Letzteres waren jetzt vier Stücke.
Wovon hängt der Erscheinungstermin ab?
Jan: Von der Konzertsituation. Für uns ergibt es wenig Sinn, eine neue Platte rauszubringen, ohne live spielen zu können. Tour, Festivals, das geht alles gerade nicht. Die Festivals fürs nächste Jahr sind bereits voll, weil da die Bands spielen, die in diesem Jahr aufgetreten wären. Aber dieses Klagelied singen wir nicht alleine. Das geht ja allen so.
Aber ihr seid doch nicht in der Situation, dass ihr am Hungertuch nagt, oder?
Jan: Wir können schon ein Jahr überbrücken, das geht. Aber keiner weiß, wie lange sich das noch hinzieht. Es ist ja total bizarr. Alle planen ja gerade fürs nächste Jahr, als wäre am 01.01.2021 die ganze Sache vorbei. Aber das weiß natürlich niemand. Ich hätte jetzt auch gar nicht so große Lust, einer von denen zu sein, der das ausprobiert, solange das noch nicht klar ist, ob es wirklich so gut ist, ein Konzert zu spielen. Ich habe keine Lust, einer von diesen Asozialen zu sein, die sich nicht danach richten. Dazu habe ich zu viele Kontakte zu Leuten, für die diese Krankheit zum Problem werden könnte.
Das hört sich alles danach an, auch abgesehen von Corona, dass ein Ende von TOCOTRONIC nicht abzusehen ist?
Jan: Von meiner Seite aus nicht. Ich weiß ja nicht, wie Rick das sieht.
Rick: Ich kann noch!
Jan: Man kann das natürlich nie sagen. Ich hoffe, man merkt es, wenn man nicht mehr gut ist. Es gibt ja viele Beispiele von Bands oder Künstlern, die es nicht gemerkt haben. Ich bin aber auch nicht der Typ, der immer sagt: Die erste Platte von Band XY war die beste. Ich finde, dass die meisten guten Bands mit der Zeit nicht schlechter werden. Sie werden anders, aber nicht schlechter. Nehmen wir mal eine Lieblingsband von mir, DINOSAUR JR., da sind meine Lieblingsplatten nicht die frühen, sondern die aus den Neunzigern.
Na ja, vielleicht merkst du, dass du schlechter wirst, aber du kannst nicht anders als weitermachen, weil dir sonst etwas fehlt.
Jan: Ich finde, es muss noch eine Entwicklung geben. Wenn sich Gruppen wiederholen, außer es sind vielleicht die RAMONES, dann ist es langweilig.
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Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
Ich bin viel zu lange / Mit euch mitgegangen / Und ich glaub nicht daran / Dass ich jetzt noch mal umkehren kann / Ihr habt mir viel zu oft / Auf die Schulter geklopft / Und ich glaub nicht daran / Dass ich ohne das Klopfen noch kann
Diskografie
„Digital ist besser“ (CD, L’Age D’Or, 1995) • „Nach der verlorenen Zeit“ (CD, L’Age D’Or, 1995) • „Wir kommen um uns zu beschweren“ (CD, L’Age D’Or, 1996) • „Es ist egal, aber“ (CD, L’Age D’Or, 1997) • „K.O.O.K.“ (CD, L’Age D’Or, 1999) • „s/t“ (CD, L’Age D’Or, 2002) • „Pure Vernunft darf niemals siegen“ (CD, L’Age D’Or, 2005) • „Kapitulation“ (CD, Vertigo, 2007) • „Schall & Wahn“ (CD, Vertigo, 2010) • „Wie wir leben wollen“ (CD, Vertigo, 2013) • „s/t (Rotes Album)“ (CD, Vertigo, 2015) • „Die Unendlichkeit“ (LP/CD, Vertigo, 2018)
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