Mit seinen flott erzählten und mit cartoonigem, aber realistischem Strich zu Papier gebrachten Comics hat sich Tobi Dahmen in den vergangenen Jahren einen Namen in der Comicszene gemacht. Zunächst in der von ihm mitbetreuten Anthologie „Herrensahne“, spätestens dann mit dem 2007 erschienenen Sammelband „Sperrbezirk“ offenbarte sich sein Talent, bewegende Geschichten zu erzählen, einer breiteren Öffentlichkeit. Vollkommen zu Recht wurde er 2008 für „Sperrbezirk“ mit dem ICOM/Independent-Comic-Preis in der Kategorie „Bester Kurzcomic (realistisch)“ ausgezeichnet. In „Sperrbezirk“ hatte er seine bisher erschienenen, autobiografischen Geschichten erstmals gesammelt, bestimmender Teil dabei war seine Liebe zur Musik und zur Mod-Kultur. Tobi Dahmen lebt derzeit als Designer und Illustrator in Utrecht und konzentriert sich auf die Arbeit an der „Fahrradmod“ betitelten Aufarbeitung seiner Subkulturerfahrungen in der Provinz, von der regelmäßig neue Seiten auf dem dazugehörigen Blog veröffentlicht werden.
Das erste Mal habe ich Comics von dir in „Herrensahne“ gelesen. Das waren sicher nicht deine ersten veröffentlichten Comics, oder? Und wie bist du zum Comiczeichnen gekommen?
Ich hab auf der Schule mit dem Comiczeichnen begonnen, das waren dann auch gewissermaßen meine ersten Veröffentlichungen: Ein A5-Ringbuchordner, der dann die Runde machte in meiner Jahrgangsstufe. Die Thematik war damals schon autobiografisch, eben Geschichten aus meinem direkten Umfeld, die dann aber meistens nach ein, zwei Panels ziemlich abdrehten. Man probierte ja, witzig zu sein. Ich hab auch während meines Studiums weiter Comics gezeichnet, die ersten richtigen Veröffentlichungen waren aber meine Comics für die „Motoretta“, eine Rollerfahrerzeitschrift, die später gesammelt als Album erschienen, und meine Strips „Rick Replay“ für ein Videospielemagazin. Plus ein ein paar Werbecomics im Auftrag.
Was sind deine Einflüsse und was für Comics liest du gerne?
Ursprünglich komm ich aus der franko-belgischen Ecke, die klassischen Alben waren mir eigentlich das Liebste, bis ich irgendwann „U-Comix“ entdeckte. Ich lese eigentlich sehr viel, vom klassischen Album bis zum Independent-Comic und manchmal auch einen Superheldencomic. In der letzten Zeit sind es aber vor allem die persönlichen Werke, teils ebenfalls autobiografisch, die mich am meisten interessieren. Es gibt so viel fantastisches Zeug und ich verstehe die Leute aus der Comicszene nicht, die sagen, dass sie selbst kaum noch Comics lesen. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, um mich dem noch mehr zu widmen.
Also stand beim Comicmachen für dich schon immer ein autobiografisches Element im Vordergrund.
Ich denke, ich kann nicht so gut wild drauflos fabulieren, sondern brauche immer das Gerüst meiner eigenen Erfahrungen. Ich möchte meine Geschichten glaubhaft und echt halten und keine Abziehbildchen produzieren. Wenn ich im Auftrag arbeite, merke ich diesen Abstand, und glaube, dass man das dem Ergebnis auch ansieht. Allerdings habe ich auch schon Comics mit einem Alter Ego, Herr Wenigmann, gezeichnet, die dann zwar auf meinen Erfahrungen basierten, trotzdem aber vollkommen ausgedacht waren.
Mit „Sperrbezirk“ bist du dann ganz nah ran an die eigenen Erfahrungen. Das Album sammelt deine autobiografischen Comics 1999-2007, wobei es manchmal schon schmerzhaft intime Einblicke in dein Leben gibt. Was ist die Motivation dahinter, sich so einer Öffentlichkeit zu präsentieren?
Das frage ich mich auch manchmal. Bei autobiografischen Comics heißt es eben: ganz oder gar nicht. Ich will meine Geschichten so echt und ehrlich wie möglich halten, auch wenn es manchmal intim wird. Alles andere wäre für mich nur inkonsequent. Es gibt natürlich immer noch eine Grenze, aber was ich für erzählenswert halte, kommt rein. Allerdings hat das natürlich seine Schattenseiten. Da kommen dann Leute auf Messen zu einem, und weil sie ein bisschen was von meinem Innenleben kennen, behandeln sie einen, als ob sie einen schon Jahre kennen. Oder man probiert in der furchtbar „kumpelhaften“ Werbewelt einen Auftrag so professionell distanziert wie möglich abzuwickeln, und dann fragt dich der Art Direktor so nebenbei nach Details aus deiner Biografie, weil er dein Buch gelesen hat. Aber das gehört wohl dazu.
Was du mit „Sperrbezirk“ angefangen hast, setzt du mit „Fahrradmod“ quasi fort. Kannst du kurz erzählen, worum es dabei geht?
„Fahrradmod“ erzählt von meiner Jugend in den Achtzigern in einer Kleinstadt als Mod. Ebenfalls autobiografisch, allerdings viel größer und umfassender. Ich versuche, nicht nur meine Geschichte zu erzählen, sondern gleichzeitig die Szene selbst zu beschreiben, die Hierarchien und Unsicherheiten, die damit einhergehen, die Abenteuer, die man auf Konzerten und Partys erlebt. Letztens Endes glaube ich, dass alle Subkulturen sich irgendwo gleichen: Man möchte anders sein als die ganz normalen Leute. Wie anders entscheiden dann nur die Codes der jeweiligen Szene, die, mit denen man sich am meisten identifiziert. Das Buch ist also ausdrücklich nicht nur für – ehemalige – Mods gedacht.
Was war das Faszinierende an der Mod-Szene damals für dich? Bist du heute noch aktiv?
Wir wollten eben auf jeden Fall anders sein, unsere Kleinstadt war stinklangweilig, unsere Mitschüler auch, und wir wollten da um jeden Preis rausstechen. So hat man sich einen US-Parka oder eine Bomberjacke übergeworfen und schon war man ein Individuum. Zumindest dachten wir damals so. Wirklich begriffen, worum es beim Modesein eigentlich geht, haben wir damals nicht wirklich. Trotzdem haben wir natürlich so getan, als ob. Ich liebe die Musik und Teile davon immer noch, weiß inzwischen viel mehr darüber, was meine Liebe dazu auf der einen Seite festigt. Auf der anderen Seite bin ich auch keine sechzehn mehr und nehme nicht mehr alles so bierernst – zum Glück.
Dass eine Subkultur einen Ausweg aus dem tristen Alltag bietet, war für viele Jugendliche früher der Fall, siehe „Dorfpunks“ etc. Hätte aus dir auch ein Dorfpunk werden können, war es Zufall, dass du Mod geworden bist?
Ich hab „Dorfpunks“ erst kürzlich gelesen und dabei amüsiert festgestellt, wie viele Parallelen es da gibt. Allerdings glaube ich nicht, dass ich genauso ein Punk hätte werden können. Ein bisschen entscheidet sich so was ja auch über das Umfeld. Meine Freunde und die Leute, die mich interessierten, waren eben Mods. Ich kannte überhaupt keine Punks in unserer Stadt, in meiner Erinnerung gab es auch nicht viele. Wohl ein paar Waver, aber deren Musik hat mich nicht interessiert. Und ich hing ja auch viel mit Psychobillys rum, konnte auch ein wenig mit deren Musik anfangen, trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, mir den Schädel so zu rasieren. Es war der Stil, das smarte Image der Mods, aber noch mehr die Musik, die mich anzog.
Du veröffentlichst einzelne Seiten aus „Fahrradmod“ zuerst im Internet – auf dem Blog zum Buch kann man die Entstehung fast täglich verfolgen. Warum machst du das in dieser Form?
In erster Linie mache ich das für mich selbst. Wenn man so ein umfassendes Projekt vor sich hat, braucht man kleine Stationen, auf die man hinarbeitet. Für mich ist so eine Station, eine Seite fertig zu stellen und dann ins Netz zu stellen. Kleine Abgabetermine. Das treibt mich dann an. Wenn ich hier in Utrecht viele Leute kennen würde, denen ich das Prozedere regelmäßig zeigen könnte, würde ich es vielleicht eher so machen. Andererseits kommt man über das Internet auch einfacher an Mods und Ehemalige heran. Irgendwann will ich ja mal ein Buch verkaufen, und so kommt man schon mal an die Zielgruppe. Ich nenne meine Blogeinträge nach szenetypischen Liedern, die zur jeweiligen Comicseite passen. Wenn es noch ein entsprechendes YouTube-Video gibt, verlinke ich auch das. So finden Leute, die nach diesen Liedern suchen, unter Umständen auch meinen Blog und ich erreiche auch Leute, die sich normalerweise nicht in erster Linie für Comics interessieren.
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das Buch auf über 300 Seiten angelegt. Das ist ganz schön ambitioniert. Erzählst du so raumgreifend oder gibt es einfach so viel zu erzählen?
Das wird wahrscheinlich noch mehr. Ich möchte schon ein genaues Porträt liefern, und was ich für wichtig dafür halte, kommt rein. Andernfalls könnte ich nur ein kurzes Schlaglicht setzen oder würde mich in Klischees ergehen. Aber gerade das möchte ich nicht. Die Geschichte des Buches umfasst ja circa zwanzig Jahre, da kommt was zusammen. Ich lasse schon eine Menge weg. Gleichzeitig nehme ich mir auch den Raum, die einzelnen Spektren der Szene – Mod, Skinhead, Rollerfahrer – einleitend zu beschreiben. Manchen Lesern muss man ja erst mal grob erklären, was es damit auf sich hat.
Nun wohnst du in Utrecht und bist in einem Land gelandet, in dem Comics einen ganz anderen Stellenwert haben als hierzulande. Merkst du da Unterschiede? Bist du vor Ort auch aktiv wie in Düsseldorf mit „Herrensahne“?
Ja, die „Stripkultuur“, wie sie das hier nennen, ist schon anders. Der Comic ist in der Bevölkerung viel mehr akzeptiert, trotzdem habe ich aus Gesprächen mit anderen Zeichnern erfahren, dass die Probleme relativ ähnlich sind wie bei uns: unprofessionelle Verlage, schlechter Verdienst, etc. Die Comicszene ist natürlich auch klein, es ist ja auch ein kleines Land. Immerhin gibt es seit kurzem einen staatlichen Comic-Intendanten, der dafür arbeitet, dass mehr Comics im Land gelesen werden sollen. Und es gibt ein Stipendium für Zeichner über satte 25.000 Euro. Davon kann man ja in Deutschland zur Zeit zumindest nur träumen. Ich habe mich auch ein bisschen auf Messen herumgetrieben, muss hier aber natürlich bei Null anfangen. Ich habe mich auch bei ein paar Fanzines und Comcic-Anthologien vorgestellt, da ist aber noch nicht viel bei rumgekommen. Ich habe aber auch mit Familie, meinen Auftragsarbeiten und dem „Fahrradmod“ genug um die Ohren. Dadurch bleibt nicht viel Zeit für anderes, so gern ich auch hier in der Szene Fuß fassen würde. Als Nächstes werde ich wohl mit dem übersetzten „Fahrradmod“ Klinken putzen gehen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Christian Maiwald