„Offen, ehrlich, emotional“ – drei Worte, die die Musik der Schotten treffend beschreiben. „Recovery“ ist nun der nächste bemerkenswerte Beleg dafür. Frontmann Mark Tindal erklärt uns, warum Ehrlichkeit für ihn und seine Kollegen so wichtig ist – und warum seine Band auch therapeutische Zwecke erfüllt.
Recovery“ klingt sehr auf den Punkt, sehr fokussiert, sehr reif. Inwieweit habt ihr die Visionen und Ziele erreicht, die ihr hattet, als ihr mit dem Schreiben begonnen habt?
Es ist tatsächlich ziemlich schwierig zu sagen, ob wir erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Da die Scheibe ja nicht draußen ist. Der Plan für dieses Album war auf jeden Fall, das zu verbessern, was wir verbessern können, vielleicht auch unsere Meinungen zu Dingen zu hinterfragen. Aber bis die Leute da draußen die Platte hören, werden wir nicht wissen, ob sie in diesen Dingen mit uns übereinstimmen, haha. Aber wir haben das Gefühl, dass das Album genau das ist, was wir wollten: ein ehrlicher Blick von innen und außen, darauf, wie sich das Leben im Moment anfühlt. Wir beschreiben Probleme, die wir selbst haben. Und Dinge an und in uns, die wir gerne ändern würden.
Habt ihr auch etwas im Kreativprozess verändert?
Nicht wirklich, wir haben schon immer auf eine ähnliche Art und Weise Songs geschrieben. In neunzig Prozent der Fälle schreibt jemand einen Part, und wir entscheiden dann, welches Gefühl dieses Stück Musik bei uns auslöst und worüber wir schreiben wollen, der Rest des Songs wird dann mit diesem Thema im Hinterkopf erarbeitet. So läuft es bei uns in der Regel, also gibt es da keine großen Veränderungen.
Die Texte sind abermals sehr schonungslos und ehrlich. Was waren die wichtigsten Ereignisse, Gefühle und Gedanken, die ihr verarbeiten und reflektieren wolltet?
Ich habe mit vielen Dingen zu kämpfen, seien es innere Dämonen oder auch damit, wie Menschen andere Menschen behandeln. Jeder Song hält mir einen Spiegel vor, zeigt mir eine unangenehme Seite von mir, die ich nicht allzu oft erforsche. Jeden Abend diese Lieder zu singen, wird mich dazu zwingen, diese Seite von mir genauer zu betrachten, mich damit zu konfrontieren, sie zu verändern und vielleicht über einige Sachen hinwegzukommen. Ich hoffe, ein besserer Mensch zu werden, indem ich jedem die Dinge erzähle, die ich selbst im Dunkeln verstecke.
Die Platte wird sicherlich auch viele Hörerinnen und Hörer da draußen berühren. Wie emotional und bewegend ist es für euch selbst, in diesen Tagen das Album zu hören?
Es ist immer wieder sehr bewegend zu wissen, dass unsere Platten die Menschen emotional berühren, und das ist ein großes Privileg für uns. Es ist nicht leicht, den Leuten die Wahrheit zu sagen, vor allem, wenn die Wahrheit einem selbst manchmal Angst macht. Aber wir haben für uns einfach realisiert, dass wir die Pflicht haben, ehrlich zu den Menschen zu sein und alles zu erzählen, weil es helfen könnte. Es hilft uns, wenn wir wissen, dass es anderen genauso geht.
Was schätzt du persönlich am meisten an der Platte? Und wie soll sie von den Menschen verstanden werden?
Für uns ist der Leitgedanke, dass Zeit und harte Arbeit auf lange Sicht Wunden heilen werden. Es ist in Ordnung, sich gerade schlecht zu fühlen, es ist nur nicht in Ordnung, für immer in diesem Zustand zu verweilen. Das Ziel ist es, Dinge zu verbessern, und wir glauben, dass diese Platte das erklärt. Die Zeiten sind hart, aber wir werden alle darüber hinwegkommen. Man muss nur akzeptieren, dass man das auch wollen muss.
Die Pandemie hat vor allem Künstler und Musiker schwer getroffen. Viele haben immer noch mit den Folgen und Konsequenzen zu kämpfen. Was hat euch die Motivation gegeben weiterzumachen? Und welche Herausforderungen musstet ihr bewältigen?
Ehrlich gesagt war das für uns als Band schon verdammt schwierig. Wir haben unsere letzte Platte quasi zu Beginn der Pandemie veröffentlicht. Wir konnten nicht touren und hatten damals keinerlei Hoffnung, dass sich die Dinge in absehbarer Zeit zum Guten wenden. Es fiel uns in dieser Zeit natürlich schwer, in irgendeiner Art und Weise als Band zusammenzukommen und an Sachen zu arbeiten. Ich denke, die Motivation weiterzumachen rührte vor allem von der Tatsache her, dass die Band für uns eben auch eine Art Therapie ist. Ich glaube, ohne sie würde es uns allen nicht so gut gehen.
Haben sich eure Hörgewohnheiten möglicherweise im Zuge dessen verändert? Wie und wie oft „hört“ ihr heute Musik?
Wir alle konsumieren schon immer quasi dauerhaft und ständig Musik, sei es bei der Arbeit, beim Autofahren oder einfach nur, um zu chillen. Ich glaube, wir alle konsumieren täglich unfassbar viel, vielleicht sogar so viel, dass es nicht mehr normal ist, haha.
Hat sich eure persönliche Wahrnehmung des Lebens und der Kunst angesichts der Umstände verändert?
Das könnte man vermuten, aber um ehrlich zu sein: nicht wirklich. Während der Pandemie fühlten sich die Menschen innerlich gefangen und allein. Aber Menschen haben so etwas auch schon vor der Pandemie gefühlt. Das ist etwas, das jeder, der unter psychischen Problemen leidet, bestätigen kann. Die Kunst war immer ein Ausweg aus dieser Situation, die Idee der Gemeinschaft und Teil von etwas Größerem zu sein, Gefühle und Erfahrungen mit anderen zu teilen. Im Moment fühlt sich das Leben immer noch ab und zu ziemlich einsam an, aber auch hier sind es die Kunst und die Musik, die uns das Gefühl geben, mit anderen verbunden und nicht allein zu sein.
Wenn ihr euch an die Anfänge der Band erinnert, wie fühlt es sich an, dort zu stehen, wo ihr jetzt seid? Gibt es etwas, worauf ihr besonders stolz seid? Und etwas, das ihr wirklich bereut?
Wir hätten nie gedacht, dass wir mal drei Platten veröffentlicht haben werden, bei einem abgefahrenen Plattenlabel sind, die Möglichkeit haben, die Welt zu bereisen und Leute zu treffen, die wir sonst nie getroffen hätten. Es ist verrückt, dass das Wirklichkeit geworden ist. Ich denke, wir können ehrlich sagen, dass wir jeden Schritt auf diesem Weg zu schätzen wissen und stolz darauf sind. Es gibt nicht viel zu bereuen, wir sind ein ziemlich glücklicher Haufen.
© by Fuze - Ausgabe #86 Februar/März 2021 und Christina Kiermayer
© by Fuze - Ausgabe #101 August/September 2023 und Anton Kostudis
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