Labels kommen, Labels gehen - und manche bleiben, auch in Erinnerung. Eines dieser guten Labels, die konsequent feine Platten releasen, etwa von HAYMARKET RIOT oder ARRIVALS, aber nach der Maxime „weniger ist mehr“ handeln, ist Thick Records aus Chicago bzw. neuerdings aus L.A. Ich mailte Labelboss Zac ein paar Fragen, und hier sind die Antworten.
Seit wann interessierst du dich für Punkrock und warum? Welche Bands waren damals wichtig für dich?
„Eins vorweg: Für mich war Punkrock immer mehr eine Einstellung als ein Image. Gegen den Strom schwimmen. Das System umgehen. Umsturz. Ich denke, in diesem Zusammenhang bin ich schon immer Punkrock gewesen. Ich hatte schon immer ein Problem mit ‚Autoritäten‘ und habe immer nach meinen eigenen Regeln gelebt. Ich wuchs in Detroit auf und wurde schon früh mit der Musik von MC5, Patti Smith, und Iggy Pop konfrontiert. So richtig zum Punkrock gekommen bin ich in der Highschool. Ich hörte THE CLASH und RAMONES, aber auch Sachen wie THE CURE, THE SMITHS, R.E.M., JANE‘S ADDICTION. Durch das Collegeradio lernte ich Bands wie NAKED RAYGUN, DESCENDENTS, MINOR THREAT, BIG BLACK, HÜSKER DÜ, XTC, THE REPLACEMENTS etc. kennen und schätzen.“
Wann und warum hast du das Label gegründet?
„Im September 1994, direkt nach dem Studium an der Michigan State University. Und das heißt, wir feiern tatsächlich schon unser zehnjähriges Jubiläum. Die Frage nach dem Warum ist eine gute Frage. Während der Unizeit habe ich für verschiedene Major-Labels gearbeitet, und offen gesagt, war das zum Kotzen. Anscheinend geht es bei denen nur um Chartplatzierungen und kaum etwas anderes – die Künstler und deren Förderung waren zweitrangig. Also zog ich nach Chicago, lieh mir ein bisschen Geld, holte alles aus meinen Kreditkarten raus und sprang kopfüber ins kalte Wasser.“
Welche Label, Personen oder Ideen haben dich bei der Labelgründung inspiriert?
„Eine große Inspiration waren Touch&Go und Sub Pop. Ich mochte diese Labels und habe fast jede Platte gekauft, die sie in den frühen 90ern veröffentlicht haben. Ich wusste, das alles, was sie rausbrachten, gut ist. Das ist Glaubwürdigkeit. Und diese Glaubwürdigkeit versuche ich auch mit Thick zu erreichen. Ich veröffentliche nur Platten, die ich liebe und an die ich glaube.“
Wie kommst du an die Bands, die du veröffentlichst?
„Meistens durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Eine Band von uns ist auf Tour, die erzählen mir von anderen Bands, die sie gesehen haben, und die wir anchecken sollten. Daneben besucht man auch eine Menge Shows – die Bandszene in Chicago ist recht inzestuös.“
Wer sind die Leute hinter dem Label?
„Mit ‚den Leuten‘ sprichst du gerade! Natürlich bekomme auch ich sehr viel Unterstützung von anderen Leuten, die großen Anteil am Erfolg des Labels haben. Der frühere Sänger der BLUE MEANIES, Billy Spunke, hat sehr lange beim Label mitgearbeitet. Er ist jetzt nach Hot Springs, Arkansas, gezogen, aber arbeitet weiter in unserer unabhängigen PR-Firma Negative Publicity. Und die netten Menschen von Southern Records, die Thick weltweit vermarkten und vertreiben, sind ebenfalls ein wichtiges Rad im Getriebe.“
Gibt es eine Geschichte hinter dem Labelnamen?
„Benutz deine Phantasie. Ich bin mir sicher, dass du dabei an was Gutes denkst.“
Ist das Label ein Hobby oder kannst du davon leben?
„Thick ist mein Full-Time-Job. Meistens reicht es für die Miete. Damit bin ich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, an 666 Tagen im Jahr beschäftigt.“
Hast du eine bestimmte Label-Politik?
„Wir machen, was wir wollen. Meistens möchte ich mit außergewöhnlichen Bands zusammenarbeiten, mit außergewöhnlichen Menschen, die außergewöhnliche Musik machen. Ich möchte wirklich relevante Musik veröffentlichen, und nicht nur das, was diesen Monat gerade angesagt ist. Ich möchte, dass dieses Label für die Künstler und mit ihnen arbeitet, dass es fair und anständig läuft. Wir teilen die Profite mit den Künstlern nach dem 50/50-Prinzip. Dafür erwarte ich von den Bands, dass sie genauso hart arbeiten wie wir – und wir reißen uns den Arsch auf.“
Wie sieht es im Moment mit der Szene in Chicago aus?
„Ich denke, sie gedeiht ganz gut. In Sachen Musik ist Chicago die beste Stadt der Welt. Wir haben eine phänomenale, alle Altersschichten umfassende Untergrundszene rund um die Fireside Bowl und die Metro. Labels wie Touch&Go und Thrill Jockey bringen immer noch wunderbare und neue Musik raus. Es gibt wirklich interessante Bands wie RISE AGAINST, NEW BLACK und COUGARS. Ich bin allerdings gerade nach Los Angeles gezogen, um dort ein Büro an der Westküste zu eröffnen, und ich vermisse Chicago schon jetzt sehr.“
Was bedeutet es für dich, ein „Indie-Label“ zu sein? Wie stehst du zu Major-Labels? Hast du positiven oder negativen Erfahrungen gemacht? Ich weiß, dass die BLUE MEANIES da ein paar Probleme mit ihrem letzten Album hatten ...
„Absolut! Wie ich schon eingangs sagte, ist Punkrock für mich mehr eine Einstellung, eine D.I.Y.-Mentalität, als ein vordefinierter Look oder Sound. Thick wurde mit dieser Idee und Einstellung gegründet. Wir sind zu 100 Prozent unabhängig, genau wie unser Vertrieb Southern. Ich bin stolz darauf, dass wir ein absolut unabhängiges, facettenreiches Label sind, das aus verschiedenen Quellen schöpfen kann. Fuck the majors – alle vier. Major-Label gehören riesigen Konzern-Zusammenschlüssen und werden von ihnen beherrscht. Die schauen nur auf die Gewinnspannen – und die BLUE MEANIES durften das hautnah erfahren. Und wo wir schon dabei sind: Scheiß auch auf Clear Channel.“
Bleiben wir bei den BLUE MEANIES: Gibt es die noch, oder ist die Band tot?
„Sie haben einige Jahre pausiert, aber jetzt sind eine Reihe von Shows in Chicago anlässlich des zehnjährigen Thick-Jubiläums geplant. ‚Full Throttle‘ ist, nebenbei bemerkt, wahrscheinlich meine Lieblingsplatte von allen Alben, die wir in den letzten zehn Jahren veröffentlicht haben.“
Vinyl? CD? Was bevorzugst du?
„Wir haben schon eine Menge Picture-Vinyl herausgebracht, beispielsweise von AT THE DRIVE-IN, ALL, COWS, BLUE MEANIES, ALKALINE TRIO, CITIZEN FISH, TOSSERS, etc. Ich liebe es, aber Vinyl ist teuer in der Herstellung. Es gibt dafür nur einen begrenzten Markt. Die letzte 7“, die wir gemacht haben, war eine limitierte, goldene Vinyl-Version einer Band namens JUST A FIRE, mit Fred Erskine von JUNE OF 44. CDs sind einfacher zu pressen und sind um einiges kostengünstiger. Außerdem hat jeder einen CD-Player. Ich selbst nehme, was ich kriegen kann, am liebsten aber Special Editions.“
Auf welche Weise wird der Trend zum Musik-Download deine Arbeit als Label beeinflussen?
„Ich denke, im Bereich des digitalen Vertriebs gibt es ein großes Potential. Solange die Künstler und Label für ihre Arbeit bezahlt werden, unterstütze ich das total. Ich betrachte es einfach als ein weiteres Teil im großen Puzzle. Es vergrößert auch ein wenig den Spielraum für die unabhängigen Künstler. Zur Zeit ist unser Backkatalog über die Bezahlforen iTunes und Emusic erhältlich. Außerdem sind Seiten wie Purevolume und Epitonic tolle Promotion für uns.“
Was würdest du niemals machen?
„Ich würde niemals ‚Hassmusik‘ veröffentlichen, andererseits bin ich eigentlich offen für alles. Wenn ich‘s gut finde, lass es uns rausbringen. Thick ist in dieser Hinsicht ein außergewöhnliches Label, und wir haben für jeden etwas dabei. Wenn du dir unsere letzten Releases anschaust, ist das schon ziemlich gemischt: NEW BLACK mit New Wave-Einflüssen, HAYMARKET RIOT spielen kantigen Postpunk, das neue Album von HANALEI mixt akustische Gitarren mit Laptop-Elektronik, CALLIOPE ist quirliger Space-Pop und COUGARS sind ein einziger Angriff aus Rock.“
Dein größter Erfolg, deine größte Enttäuschung?
„Wirklich schwer zu sagen – ich mag wirklich jede Platte, die wir gemacht haben. Ich glaube, die BLUE MEANIES haben uns bisher am meisten Aufmerksamkeit eingebracht, und ich denke, ihr Album ‚Full Throttle‘ ist wegweisend. Ein paar Mal ist es schon passiert, dass sich Bands kurz nach ihrer Veröffentlichung aufgelöst haben. Das war jedes Mal eine große Enttäuschung, aber die meisten Sachen laufen gut.“
Deine Lieblingsband, die du nicht auf dem Label hast?
„Ich nenne dir stattdessen lieber meine fünf Lieblingsalben: THE CLASH, ‚London Calling‘. JANE‘S ADDICTION, ‚Nothing Shocking‘. BEASTIE BOYS, ‚Paul‘s Boutique‘. FUGAZI, ‚13 Songs‘. REM, ‚Eponymous‘.“
Was sind deine nächsten Releases?
„Im August kam HANALEI mit ‚We‘re All Natural Disasters‘, das ist das Solo-Projekt von Brian Moss von THE GHOST. THE METHADONES haben ein wunderbares neues Album fertig mit dem Namen ‚Not Economically Viable‘, das am 1. November kommt. Das ist die beste Pop-Punk-Scheibe, die ich seit Jahren gehört habe. Außerdem veröffentlichen wir noch eine 5-Song-EP von einer neuen Band aus Chicago namens GASOLINE FIGHT. Da spielen Ex-Mitglieder von SMALL BROWN BIKE, SWEEP THE LEG JOHNNY und THE TRAITORS mit.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Joachim Hiller