Als Mitte 2018 bekanntgegeben wurde, dass THE GOOD THE BAD AND THE ZUGLY-Sänger Ivar Nikolaisen den vakanten Sängerposten bei KVELERTAK übernehmen sollte, dachten nicht wenige, dass dies zugleich das Ende einer der besten norwegischen Hardcore-Bands der letzten Jahre bedeuten würde, die mit „Misanthropical House“ gerade erst eines der besten Alben des Jahres veröffentlicht hatte. Daher war die Ankündigung eines weiteren Albums mit Ivar am Mikro nicht nur eine freudige Überraschung, sondern zugleich Anlass genug, der Band ein paar Fragen zu stellen, die Gitarrist und Gründungsmitglied Eirik Melstrøm beantwortete.
Kannst du kurz die Geschichte von THE GOOD THE BAD AND THE ZUGLY umreißen?
Bis 2010 spielten Kim und ich bei ASHBURY HEIGHTS, Magne und Zugly bei THE WONDERFOOLS. Zuvor gab es andere Bands. Zu der Zeit passierte bei diesen Bands aber quasi nichts, wir widmeten uns dem Drogenmissbrauch, daher beschlossen wir, eine gemeinsame Band zu starten. Dass es nun fast zehn Jahre geworden sind, überrascht uns selber. Wir veröffentlichten unsere erste Single, „Sitter Fast I Hælvete“, und dachten eigentlich, dass dies alles war. Unsere Kumpels mochten die Single aber, daher veröffentlichten wir noch welche, bis 2013 unser erstes Album „Anti World Music“ fertig war, und ab da ging es richtig los. Leider verließ uns unser Sänger 2014 während einer Tour mit KVELERTAK, was ziemlich beschissen war und wir wollten die Band eigentlich auf Eis legen. Ivar hatte uns zuvor aber schon einmal ausgeholfen, daher fragten wir ihn, ob er Lust hätte. Die hatte er und rückblickend war es das Beste, was uns passieren konnte, denn ab da an lief alles sehr geschmeidig für uns, was vor allem an Ivars großartiger Stimme lag. Die folgenden Alben, „Hadeland Hardcore“ von 2015 und „Misanthropical House“ 2018, für das wir sogar einen norwegischen Grammy bekommen haben, wurden veröffentlicht. Wir touren mehr, spielen in cooleren Clubs, trinken mehr Bier und auch wenn die Zukunft nicht rosig aussieht, scheint sie doch lustig zu werden.
Ich habe zugegebenermaßen kein neues Album von euch erwartet, nachdem Ivar sein neues „Nebenprojekt“ gestartet hat. Habt ihr?
Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei Gründe. Außer Ivar sind wir anderen alle arbeitslos und an einem neuen Album zu arbeiten, hilft uns dabei, nicht einen totalen geistigen Kollaps zu erleiden und völlig dem Alkoholismus zu erliegen. Der andere Grund ist der, dass wir einfach totalen Schiss davor haben, dass Ivar sich langweilt und seine ganze Energie auf KVELERTAK konzentriert. Daher schreiben wir ständig neue Songs, um ihn zu beschäftigen. Man kann schon sagen, dass Musik zu machen eine Art Überlebensmodus für uns ist, angetrieben von Existenzangst. Nicht wegen des Klimawandels oder so, sondern weil Ivar die Band verlassen könnte. Wenn wir KVELERTAK als sein Nebenprojekt bezeichnen, dann ist dies nur ein hilfloser Versuch, auf rhetorischer Ebene den Eindruck zu erwecken, dass es da eine Art Balance zwischen uns gibt. In Wirklichkeit übervorteilen sie uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Seht ihr euch selber als Rock- oder als Punkband?
Wir sind selbsternannte Scandirocker, ein Genre, dass irgendwo zwischen jeder Menge Bier und Punk und Rock existiert. Dazu kommen noch Geldbörsenketten, ein paar Flammentattoos, etwas Eyeliner und eine chronische Depression wegen der langen Winter und – zack! – hast du Scandirock.
Und wer wird eurer Meinung nach den Scandirock retten, wie ihr es in eurem Song „Who will save Scandirock?“ fragt? TURBONEGRO, GLUECIFER oder THE HELLACOPTERS?
Scandirock ist sowohl eine Lebenseinstellung als auch eine Subgenre von Punkrock, eine Gemeinschaft, die bestimmte Bands mag. Es ist ein Phänomen, das eine Zeit im Winterschlaf lag, und es sah so aus, als sei die Flamme, vorzugsweise auf einen Unterarm tätowiert, für immer erloschen. Meiner Meinung nach ist Scandirock wieder da. Mit aller Macht. Egal, was die Kritiker sagen. Wir schätzen die von dir genannten Bands sehr und es scheint, dass immer mehr Leute dies auch wieder so sehen.
Euer Bandfoto ist immer dasselbe – nur mit neuen Gesichtern eingeklebt?!
Als wir die Band gründeten, schworen wir uns, jemals nur ein Bandfoto zu machen. Als es uns dann aber länger gab, als wir ursprünglich dachten, mussten wir auf copy and paste zurückgreifen, eben auch als Ivar zur Band stieß. Der Plattenfirma gefiel das weniger, haha. Für das neue Album haben wir aber ein neues gemacht, das wir aber für die kommenden vier Alben nutzen werden.
Steven Van Zandt, früher Gitarrist bei Bruce Springsteens E STREET BAND und bekannt aus „The Sopranos“, soll einmal zufällig eins eurer Konzerte besucht und geäußert haben, dass ihr die schlechteste Band seid, die er je gesehen hat ...
Soweit wir wissen, ist es genauso passiert. Keine Ahnung, warum er überhaupt da war. Vielleicht ist er einfach auf das falsche Konzert gegangen. Jedenfalls war er nicht so beeindruckt von uns.
Wie bekommt ihr es hin, auf nahezu allen Aufnahmen so spontan zu klingen? Harte Arbeit oder Zufall?
Danke dafür, dass du es so siehst, aber ich denke, dass hinter dieser Spontaneität eigentlich ein tiefes Angstgefühl steckt. Angst vor der Welt, vor uns selbst, vor dem Finanzamt, vor großen Hunden, Alkoholismus, dem nicht so tollen Draußen, dem Kinderkriegen, der Autobahnmaut, der GEZ und vor allem der Angst davor, dass jemand merkt, dass wir so toll gar nicht sind. In der heutigen Gesellschaft wird Angst ernsthaft als treibende Kraft beschönigt, als etwas, das man überwinden und zu Tode verarbeiten muss. Anstatt sich den eigenen Ängsten zu stellen, ermutigen THE GOOD THE BAD AND THE ZUGLY die Hörer dazu, das, was sie am meisten fürchten, zu verinnerlichen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass sich der Scandirock, den wir spielen, nicht nur einfach wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt, sondern eher so, als ob man dir mit einem Knüppel auf den Hinterkopf schlägt. Es liegt also doch eine Menge Energie in der Angst. Harte Arbeit hat nichts damit zu tun.
Viele eurer Songs haben eine „Fuck you“-Attitüde. „International asshole“ zum Beispiel.
Es gibt jede Menge Leute, die es verdient haben, den Mittelfinger gezeigt zu bekommen, findest du nicht? Irgendjemand muss nur aufstehen und darauf hinweisen, und wenn wir es sein müssen, sind wir bereit. Rucksacktouristen sind, aus offensichtlichen Gründen, nur eine dieser Gruppen, die diese negative Aufmerksamkeit verdienen. Zudem, und das sagen wir auch in dem Lied, die Schande des ständig Reisenden ist etwas, was wir durchaus auch bei uns selbst sehen. Wir sind nicht besser als der Rest. Wir sind schließlich Norweger, die selbstgefälligste und egozentrischste Nation Europas. Wir fördern im Lauf der Woche Öl, fliegen übers Wochenende nach Peking, um uns in unseren kulturimperialistischen Bemühungen zu suhlen, nur um dies am nächsten Wochenende in New York zu tun. So sind wir eben.
Und wer ist der „Grünerløkka streetfighter“? Ich weiß, dass Grünerløkka ein alternativer Stadtteil Oslos ist, vielleicht vergleichbar mit Berlin-Kreuzberg oder Södermalm in Stockholm.
Das Lied ist eine Hommage an einen unserer Freunde, der in Grünerløkka in einer eisigen Winternacht Amok gelaufen ist und es mit nacktem Oberkörper und voller Hochmut mit mehreren Leute gleichzeitig aufgenommen hat. Solche Geschichten fließen immer wieder in unsere Musik und Texte ein.
Den Songtitel „Oslo Jonestown“ habt ihr mindestens zweimal verwendet. Warum?
Das war eine Geschichte, die sich durch mehrere Lieder zog, in der wir die Parallelen zwischen dem Jonestown-Massaker und unseren Erfahrungen mit dem Leben in Oslo nachzeichnen wollten. Wir haben spätere Songs anders betitelt, aber die Story findest du auf allen unseren Alben.
Eure Platten habt ihr alle auf Fysisk Format veröffentlicht. Was ist das Besondere an diesem Label?
Wir glauben, dass sie den richtigen Zugang zur norwegischen Untergrundszene haben, mit der wir uns immer identifiziert haben und immer noch identifizieren. Sie veröffentlichen immer nur Qualitätsalben, arbeiten hart und sind tatsächlich an dem interessiert, was sie veröffentlichen. Wir hoffen sehr, dass sie diesen Weg beibehalten, denn sie leisten der Untergrundgemeinde wirklich einen wichtigen Dienst.
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