15 Minuten sind normalerweise nichts für ein Interview mit einer Band. Wenn man mit Mike Muir redet, bedeutet das allerdings, dass man danach zwei Seiten in diesem Heft füllen könnte. Mike Muir redet schnell, sehr schnell. Er ist freundlich und gut gelaunt – und schweift ab, sehr oft. Und bleibt abstrakt. Bemerkenswert, wie er fast schon Gollum-artig im Plural spricht, um bloß den Eindruck zu vermeiden, bei SUICIDAL TENDENCIES könne es sich mittlerweile nur noch um sein Soloprojekt handeln. Für alle Zweifler folgt das aktuelle Line-Up: Mike Muir (Voc.), Mike Clark (Git.), Dean Pleasants (Git.), Steve Brunner (Bass), Ron Brunner Jr. (Drums). Zu Beginn der Resistance-Tour hatte sich Mike Muir allerdings am Rücken verletzt und musste sich Ende des letzten Jahres zweimal am Rücken operieren lassen. Mittlerweile befindet er sich in der Reha und ist auf dem Weg der Besserung. Allerdings bestehen Zweifel, ob die im Interview angesprochenen Projekte noch Bestand haben.
Mike, nach der Veröffentlichung von „Free Your Soul“ ist es sehr still um SUICIDAL TENDENCIES geworden. Was ist in den letzten drei Jahren passiert?
„Die meisten Leute glauben, dass Musikmachen wie ein ganz normaler Job funktioniert: Man bringt ein Album heraus, geht auf Tour, tut dies und das, bis es wieder Zeit ist, ein Album aufzunehmen und herauszubringen, und zu beten, dass es sich verkauft. Wir wollten verhindern, dass dieser Eindruck auch von SUICIDAL TENDENCIES entsteht. Wir haben nämlich eine ganz andere Vorstellung von dem, was man tun, und was man nicht tun sollte. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt auf der Resistance-Tour spielen. Als wir die Einladung bekamen, haben wir nicht lange überlegt, sondern dachten uns: ‚Hey, das ist eine großartige Möglichkeit in Europa aufzutreten, bevor unsere neue Platte rauskommt.‘ Jedenfalls sollte man nur Dinge tun, die man für richtig hält, anstatt Dinge zu tun, die von einem erwartet werden.“
Stichwort „neues Album“, wie weit ist die Arbeit daran schon fortgeschritten?
„Momentan arbeiten wir an zwei verschiedenen Alben ...“
Ein SUICIDAL TENDENCIES-Doppelalbum?!
„Nein, kein Doppelalbum, dafür sind sie zu unterschiedlich. Sie werden beide nächstes Jahr einzeln veröffentlicht. Sobald wir von der Tour zurückkehren, werden wir entscheiden, welche Songs wir verwenden werden. Im Moment bin ich außerdem noch mit INFECTIOUS GROOVES im Studio. Über mangelnde Arbeit kann ich also nicht klagen.“
Werden die Alben eher in die „Freedumb“- oder eher in die „Free Your Soul“-Richtung gehen?
„Wie schon gesagt, sie werden total unterschiedlich sein. Das erste Album – es kommt natürlich auch darauf an, in welcher Reihenfolge wir sie veröffentlichen – wird wahrscheinlich alle Kopf- und Mattenschüttler glücklich machen. Zumindest sollte es das. Zum zweiten Album kann ich nur sagen, dass es anders sein wird, aber das mit Bestimmtheit.“
Im Moment seid ihr auch dabei, euer Studio zu renovieren und neu einzurichten. Wann wird es einsatzbereit sein?
„Das ist es schon. Das INFECTIOUS GROOVES-Album nehmen wir ja gerade im Studio auf. Gleichzeitig arbeiten wir sowohl innen an der Einrichtung, als auch außen an der Fassade. Im Moment suchen wir einen Künstler, der eine der Außenwände im Asia-Stil bemalt, also Pagoden und Tempel und solche Sachen. Wir suchen auch noch technisches Equipment. Das ist allerdings sehr teuer, da sind wir wohl auf Spenden angewiesen. Wer also ein Mikrophon zur Verfügung stellen möchte ...“
Im Rahmen der INFECTIOUS GROOVES-Aufnahmen bietet ihr einen Workshop oder eine Art Ausbildung im Bereich „Music Engineering“ an. Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass so ein Angebot von einer Band, bzw. Musikern ausgeht. Was war der Hintergedanke bei dieser Aktion?
„Als wir einen Studiotechniker suchten, kamen wir mit einigen Freunden ins Gespräch, die alle schon mal im Bereich ‚Music Engineering‘ zu tun hatten. Einige hatten sogar eine Ausbildung dafür absolviert, aber die ist ihnen definitiv nicht gut bekommen. Wir haben dann auf mehreren Websites inseriert und bekamen hunderte von E-Mails zurück von Leuten, die den Job machen wollten. Etwa 75 hatten eine Ausbildung hinter sich und saßen nun auf der Straße. Die Leute sind demotiviert, weil sie 15.000 bis 25.000 Dollar an irgendeine Firma gezahlt haben, um dort eine Ausbildung als Tontechniker zu machen, stattdessen aber als Praktikanten enden, die nachts Telefonanrufe ans Studio entgegennehmen. Neben der schlechten Ausbildung kommt noch hinzu, dass ein Studio nach dem anderen dicht macht, die Leute also keine Chance mehr haben, in ihrem Beruf weiterzuarbeiten. Mit unserem Angebot wollen wir also jemanden erreichen, der mit Herzblut bei der Sache ist, nicht nur ein schlechtes Praktikum absolvieren will, wie all die anderen, und dann denkt: ‚Oh Gott, den Mist soll ich jetzt mein ganzes Leben lang machen.‘ Wir suchen jemanden, der es ernst meint, denn wir meinen es auch ernst. Wir nehmen uns die Zeit, um uns um ihn zu kümmern, er wird bezahlt, er wird unmittelbar an der Produktion zum neuen INFECTIOUS GROOVES-Album beteiligt sein und seine Credits im Booklet erhalten. Und wenn er uns eines Tages verlässt, dann soll die betreffende Person in der Lage sein, erfolgreich als Music Engineer weiterzuarbeiten.“
Es gibt auch einen Tattoo-Shop, der unter dem ST-Logo firmiert. Worin besteht die Verbindung zur Band?
„Ursprünglich wurde der Laden von uns aufgemacht. Wir wollten einen Kontrast zu den üblichen Tattoo-Shops in Venice bilden, in die die Touristen am Strand gehen. Mittlerweile haben wir den Laden an einen Freund von uns abgegeben. Jason hat früher schon unser SUICIDAL-Artwork entworfen und betreibt den Laden jetzt mit ein paar anderen Leuten. Aber er ist immer noch ein guter Ort, um uns mit unseren Freunden zu treffen. Jason wird uns übrigens auf unserer Europatour begleiten.“
Bekomme ich in dem Laden nur ST-Tattoos?
„Natürlich kommen viele Leute, um sich ein Original-ST-Logo stechen zu lassen, aber der Laden bietet auch ganz gewöhnliche Motive an. Okay, wir ziehen nicht gerade die Klientel an, die ohne vernünftigen Grund in ein Tattoo-Studio spaziert und einen Schmetterling auf dem Knöchel haben möchte. Der Shop ist eher was für Leute, die etwas mehr verlangen. Aber es werden auch japanische Motive angeboten oder Tribals, solche Sachen halt.“
Mike, du lebst in Kalifornien. Was sagst du eigentlich zu deinem neuen Gouverneur, Arnold Schwarzenegger?
„Oh, er ist großartig, er ist fabelhaft ... Nein, im Ernst. Ich könnte jetzt fünf Stunden mit dir darüber diskutieren, aber soviel Zeit haben wir nicht. Das lustige ist doch, dass Außenstehende gar nicht begreifen können, dass Kalifornien die fünftstärkste Wirtschaftsmacht der Welt ist. Hier passieren so viele positive Dinge, die man nur mitbekommt, wenn man in Kalifornien lebt. Dann passiert so etwas Verrücktes wie die Wahl von Schwarzenegger, und alles Positive wird diesem Ereignis untergeordnet, und alle Welt redet nur noch von Schwarzenegger. Dann heißt es wieder: ‚Oh je, diese Kalifornier!‘ Aber unsere Wirtschaft wird wegen solcher Ereignisse nicht untergehen. Das eigentliche Problem ist doch, dass die meisten Leute nicht wissen, wie Politik hier funktioniert – nicht mal Amerikaner. Es zeugt von einer gewissen Arroganz, auf uns zu schimpfen, und nicht einmal selbst Ahnung von Politik zu haben. Und selbst, wenn jemand genau wissen sollte, wie die Dinge funktionieren, ist das noch keine Garantie dafür, dass sie es dann besser machen. Und was Schwarzenegger angeht: Der Gouverneur hat gar nicht soviel Macht, wie die Leute immer glauben. Der muss mehr im Fernsehen auftreten, als dass er irgendwas zu sagen hätte. Ich ziehe deswegen jedenfalls nicht aus Kalifornien weg.“
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