STRASSENJUNGS

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Immer weiter gehn!

Wer hat hierzulande eigentlich das Bedürfnis nach partykompatibler, dosenbiertauglicher Rockmusik vor den TOTEN HOSEN befriedigt? Und wer hat euch erzählt, die TOTEN HOSEN hätten diese Mischung aus Stadionrock, Punk und Texten, die vom Punkrocker bis zum Stammtischproll funktionieren, erfunden? Lange vor den Hosen nämlich waren da die STRASSENJUNGS, mit Arbeitsamts- statt Anarchie-A, die 1977 via CBS ihren Klassiker „Dauerlutscher“ veröffentlichten und damit eine der ersten deutschen Bands waren, die irgendwie in die Punk-Kerbe schlugen. Dabei waren die STRASSENJUNGS eigentlich gar nie so „richtig“ Punk, hatten eher lange Haare, Frontmann Nils sogar einen Schnauzbart, machten eher den Eindruck von Mofarockern aus der Provinz als den gefährlicher urbaner Rebellen und wurden doch zur Kultband. Erstmal allerdings war mit dem Majordeal nach einer Platte Schluss, Sänger Nils formierte eine völlig neue Band und macht mit dem eigenen Label Tritt Records weiter, wo seit „Wir ham ne Party“ von 1979 alle Platten der Frankfurter erschienen sind. Unzählige Punker haben ihren ersten Kontakt mit entsprechender Musik über die Platten und Konzerte der Hessen gehabt, waren ihre Scheiben doch in den Plattenkisten so vieler älterer Brüder, Cousins und Freunde zu finden, neben denen von TON STEINE SCHERBEN, die damals ebenfalls essenzieller Stoff für jeden anpolitisierten Gymnasiasten und Zivi waren, aber auch der Schlosserlehrling von nebenan hatte Spaß mit den immer direkten, auch mal prolligen und doch im Zweifelsfall politisch linken Texten. Ich mailte Nils Selzer alias Mario Nett meine Fragen, und der beantwortete sie sehr offen und direkt.

An erster Stelle muss natürlich die Frage nach der Bandgeschichte stehen. Also, wie, wann, wo, warum und mit wem ging das damals los?

1976 in Frankfurt/Main wollten zwei Typen songmäßig mal so richtig die Sau rauslassen. Klopprogge (Musik) und Ziedrich (Text) schrieben ein paar Lieder und suchten Leute, die mitmachen wollten. Sie fanden Karl Kraftlos, Willi Anstand, Alex Adrett und mich, Mario Nett. Ziedrich konnte kein Instrument spielen, Klopprogge wollte lieber managen, also machten wir die STRASSENJUNGS zu viert und Klopprogge klapperte die Labels ab, um einen Vertrag zu kriegen. CBS griff dann zu und wir brachten 1977 dort das erste Album „Dauerlutscher“ raus.

Wie „punk“ waren denn die STRASSENJUNGS damals?

Wie war noch mal die amtliche Definition von „Punk“? Und wer hat die gemacht? Malcom McLaren? Bravo? Bild? Der Musik-Journalisten-Verband? Hänschen Klein? Ich meine, jeder hat so seine eigene Vorstellung davon. Meine lautet ungefähr so: Inhalt ist wichtiger als Verpackung. Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, statt Fremdbestimmung und Abhängigkeit von irgendwelchen Gesellschafts- und Mode-Normen. Befriedigung mit Sex, statt Ersatzbefriedigung durch dumpfen Waren-Konsumismus. Gegen Unterdrückung, Militarismus, Faschos. Für kritisches Bewusstsein.

Ich habe das Gefühl, dass Punk bei euch nur ein Einfluss unter vielen war, dass da viele Einflüsse aus der Prä-Punk-Phase zu hören sind, also auch dieser britische Pub-Rock à la EDDIE & THE HOTRODS, MOTT THE HOOPLE und so weiter, aber auch ganz klassischer Rock’n’Roll. Also, mit was für Musik seid ihr aufgewachsen, wo liegen die Einflüsse?


MOTT THE HOOPLE? Oh, nee! Ich hoffe, andere Leute haben da andere Assoziationen, am besten gar keine, sondern einfach hören, wie es ist und drauf abfahren. Aber mehrere Einflüsse ist richtig. Als Kleinkind fand ich Rock’n’Roll geil, später Kinks, Stones, VELVET UNDERGROUND, Zappa und vieles Gutes mehr.

Ihr habt auch immer gerne gecovert. Nenn mal ein paar für dich wichtige Cover-Songs, und warum die wichtig waren.


Immer gerne gecovert?! Es waren fünf oder sechs Songs von über 120. „Let’s have a Party“, „Do you wanna dance“ oder „Then she kissed me“ sind Rock’n’Roll-Klassiker, die mir immer wieder gut in die Tanz-Beine gefahren sind und zu denen mir irgendwann ein deutscher Text einfiel.

Wer waren damals eure Fans? Wie ich in meiner Besprechung der alten Platten geschrieben habe, nahm ich euch Anfang der Achtziger als Band anpolitisierter Gymnasiasten wahr, die auch TON STEINE SCHERBEN im Schrank stehen hatten, während die „harten“, „echten“ Punks euch eher suspekt fanden, weil ihr optisch eben nicht unbedingt den Punk-Klischees entsprochen habt.

Da kannst du mal sehen, wie verzerrt die Wahrnehmung sein kann. Aber danke auch für die Besprechung. Kleine Anmerkung dazu: du schreibst, wir hätten „den Ruch der kommerziellen Klamauktruppe“. Woher hast du denn das? Wer das meint, hat entweder unsere Songs nicht gehört, oder ist ein schwachsinniges Arschloch. Zu den sogenannten „echten“ Punks: Leute, die so abhängig sind von Optik-Klischees, sind weder hart noch echt, sondern fremdbestimmte, bewusstlose Trottel. Genauso bescheuert wie der Krawatten-Zwang bei Spießern. Es ist dieselbe beschissene psychische Struktur. Solche Typen mochten uns nicht, das siehst du richtig, und wir mochten die nicht. Das ist das Gegenteil von dem, was ich unter „Punk“-Bewusstsein verstehe, siehe oben. Unser Publikum war eine Mischung aus „undogmatischen“ Punks, Bikern, fraktionsunabhängige Rock-Fans, Schüler und Studenten.

Und wer sind heute eure Fans?

Ungefähr dieselbe Mischung.

Textlich sind speziell eure frühen Platten eine interessante Mischung aus albernem Fun-Rock mit teils ganz schön pubertären Texten einerseits und andererseits auch sehr sozialkritischen Statements, gegen Bundeswehr, Spießer, die damals aggressiv geführte Diskussion um Immobilienspekulation in Frankfurt, das langweilige Malocher-Leben. Das unterscheidet euch doch von allen anderen Bands dieser Zeit, denn die „normalen“ Punkbands waren krass staatsfeindlich drauf oder eben nur auf Fun aus.


Welche Songs findest du albern? Sind es vielleicht die, die andere als humorvoll und satirisch empfinden? Einige Texte auf „Dauerlutscher“ finde ich auch pubertär. Die sind nicht von mir, sondern von Ziedrich. Ja, da hast du Recht, „normale“ Punkbands waren oft wie die „normale“ Masse einseitig, einfältig, eindimensional und dogmatisch. Wir nicht.

Warum deutsche Texte? Eine bewusste Entscheidung oder eher aus dem Bauch heraus?

Eine bewusste Entscheidung.

Szene Frankfurt: In was für einem Umfeld habt ihr euch damals bewegt, was waren andere Bands aus eurem Umfeld, in was für Läden habt ihr euch bewegt und mit was für Leuten hattet ihr zu tun?


Wir waren häufig mit den Leuten zusammen, die das Rock-gegen-Rechts-Festival 1979 organisierten. Und dann die beliebte Kneipen-Szene in Bornheim und Nordend, wo auch einige „Titanic“-Schreiber gerne waren. Siehe Eckhard Henscheids Roman „Die Vollidioten“.

Wart ihr denn in die Frankfurter Polit-Szene involviert, Stichpunkte „Startbahn West“ und „Straßenkämpfer Joschka Fischer“?

Wir haben einige Demo-Gigs gespielt gegen die Startbahn und viele Rock-gegen-Rechts-Gigs. Und ich hab mal mit Cohn-Bendit zusammen an ’ne Mauer gepinkelt, die danach sofort zusammenbrach.

Wo standet ihr damals politisch, wo siehst du dich heute?

Wir sind vier, kein gleichgeschaltetes Band-Gehirn. Meine politische Sympathie-Richtung war und ist kurz gesagt „links“. Aber dazu müsste man sehr viel Genaueres sagen, wozu ich jetzt hier keine Lust habe.

Frankfurt ist heute ziemlich tot, es spielt anders als in den Siebzigern und Achtzigern keine Rolle mehr in der deutschen Rockmusik-Szene. Eine Erklärung?

Eigentlich nicht. Vielleicht zu wenig Clubs? Zu wenig Rock-Publikum?

Jahre nach eurer Gründung gab es aus Frankfurt eine Band, die mit Underdog-Texten ganz groß wurde – und die sich 2005 zum Glück endlich aufgelöst hat. Gab es zu jener Band mal irgendwelche Berührungspunkte?

Du meinst die BÖSEN ONKELZ ... Wieso sprichst du es nicht aus? So wie ein Katholik nicht den Teufel ausspricht, sondern zum Beispiel sagt: der „Gott-sei-bei-uns“? Nein, Berührungspunkte gab es keine.

Eine weitere Band, die eigentlich ganz gehörig bei euch geklaut hat, kommt aus Düsseldorf. Wie war, wie ist da das Verhältnis? Kennt man sich, gab’s mal einen anerkennenden Klaps auf die Schulter?

Lass mich raten, du meinst die TOTEN HOSEN? Willst es auch nicht aussprechen? Sehr seltsam. Ja, ziemlich viel Nachahmung, finde ich auch. Kein Verhältnis. Ich habe mal einen Kontakt versucht, aber da kam nichts zurück.

Euer Debüt „Dauerlutscher“, auf CBS erschienen, wurde damals indiziert. Warum, und wann wurde das dann aufgehoben?

Indiziert wurde sie erst 1980 wegen der Songs „Nachts auf Tour“ mit der Begründung „Aufruf zum Diebstahl“. Und „Ich brauch mein’ Suff“ mit der Begründung „Verführung zum übermäßigen Alkohol-Konsum“. Aufgehoben ist das nicht. So was ist lebenslänglich!

Nach dem CBS-Deal hast du mit Tritt Records dein eigenes Label gestartet. Independent aus Überzeugung?

Ja.

Anfang der Achtziger kam dann NDW und ihr wurdet plötzlich in diesem Kontext wahrgenommen. Ist das so passiert, habt ihr das forciert, wie wohl oder unwohl habt ihr euch in diesem Hype gefühlt?

Einige Musik-Redakteure haben uns in den Kontext gebracht. Die Schublade war ja auch sehr groß. Und wer Schubladen braucht, meinetwegen. Hype gab es deshalb nicht für uns.

Wieso hast du damals eigentlich diesen grandiosen Schnauzbart getragen? Ich meine, ohne dir persönlich zu nahe treten zu wollen, Schnäuzer hatten und haben ja immer so was prolliges, der „normale“ Punker war eher glattrasiert. Wie wurde das damals aufgenommen, war das überhaupt ein Thema?

Oh, je, noch ’ne Optik-Frage. Mir hat er gefallen. Schnauzbart hatte zum Beispiel auch Zappa, also wohl kaum nur Prolls. Ich glaube, das war kein Thema, hab jedenfalls nie was dazu gehört.

Was machst du heute in Sachen Lebensunterhalt?

Unsere Alben verkaufen sich weiterhin gut, und ich mache noch Software-Entwicklung.

Und was machen die STRASSENJUNGS als Band bzw. gibt es derzeit überhaupt eine Band?

Ja, uns gibt’s weiterhin. Die Junx spielen zum Teil Studio-Jobs und auch in anderen Bands.

Hast du noch Kontakt zu deinen alten Mitstreitern oder besser nicht?

Zu den Leuten der ersten Besetzung nicht.

Wie verhindert man, sich auf die alten Tage nicht zum Deppen zu machen? Ich meine, für EXTRABREIT oder SPIDER MURPHY GANG kann man ja ehrlich gesagt nur Mitleid empfinden, wenn die sich auf Ü30- oder Ü40-Partys quälen.


Wieso denkst du, dass sie sich quälen? Wieso meinen viele Redakteure, dass sie einer Band vorschreiben sollten, wann sie aufhören müssen? Was soll der Scheiß? Jeder sollte doch die Freiheit haben, wenn er will, so lange zu spielen, bis er tot umfällt!

Sind eigentlich mal überarbeitete Neuauflagen der Platten in Planung? Ich will ja nicht meckern, aber von der Grafik her sind die aktuell erhältlichen doch eher der Stand von 1993 oder so ... Und schöne Anmerkungen im Booklet sowie Bonustracks kämen auch nicht schlecht ...


Noch mal Optik ... Okay, wir machen das 77er Cover neu! Statt Irokese jetzt Baseball-Kappe und Skater-Schlapper-Hosen reinretuschiert! Oder die Jeans mit von Karl Lagerfeld handgerissenen Rissen. Oder auf dem „Sex“-Albumcover mal in Slips von Bruno Banani. Alle paar Jahre ’ne neue Verpackung, sich der Mode-Diktatur unterwerfen? Nee. Aber du hast wahrscheinlich Recht, dass es einige Leute gibt, für die die Optik total wichtig ist. „Das Auge hört mit!“ Auf Wunsch unseres neuen Vertriebs haben wir immerhin das Cover vom Album „Das Beste“ neu machen lassen, und Bonustracks dazu gepackt. Und schon haben sie tierisch viel davon verkauft.

Sonst noch was?

Ich hab ja gedacht, man redet mal mehr über Inhalte, zum Beispiel der Song-Texte, welchen Einfluss etwa Robert Gernhardt oder Ernst Jandl haben. Aber Inhalt interessiert scheinbar eher in Form von Flaschen-Inhalt. Na, denn Prost! Und danke für die Aufmerksamkeit.