STATUES ON FIRE

Foto© by Fabio Ponce

Mein Leben nach Bolsonaro

Die Brasilianer STATUES ON FIRE haben mit ihrem vierten Album, schlicht „IV“ betitelt, eine Punkrock-Platte vorgelegt, die eine Abrechnung mit ihrem Land ist. Wir haben mit Andre, Sänger und Gitarrist der Band, über Brasilien gesprochen.

Ihr kommt aus Brasilien, einem Land, das hier in Europa in letzter Zeit für Schlagzeilen gesorgt hat, vor allem während der Regierungszeit von Bolsonaro. Wie sind die letzten Jahre für euch verlaufen?

Die letzten Jahre waren angespannt, sehr angespannt. Denn wir flirteten jeden Tag mit dem Faschismus, Bolsonaro ist ultra-rechts, er ist korrupt, extrem rassistisch und ein Milizionär. Er verweigerte den Kauf des Covid-Impfstoffs, jeden Tag sagte er in der Presse, dass das Tragen von Masken Unsinn sei, dass wir uns nicht isolieren sollten. Das Ergebnis war, dass 700.000 Menschen starben, und das sind nur die offiziellen Zahlen, denn wir glauben, es gab viel mehr Tote. Er hat auch alle Merkmale eines Diktators, der seine eigenen Milizen bewaffnet, er hat die Polizei und die Armee zu seinen Gunsten manipuliert und eine massive Kampagne durchgeführt, um Waffen in die Hände der einfachen Leute zu geben, wir waren sehr nahe an einem Bürgerkrieg. Unser Glück war, dass sie zu dumm waren und es nicht funktioniert hat.

Ich habe das Gefühl, dass man hier in Europa Brasilien gerne als den Zerstörer des Regenwaldes sieht und sich darauf ausruht, dass man „sowieso nichts machen kann“. Was hältst du von dieser Sichtweise? Inwieweit siehst du Brasilien in der Verantwortung?
Ich denke, die Sichtweise, die andere Länder auf uns haben, ist richtig, auch wenn sie manchmal etwas übertrieben ist. Sie lässt die Staaten aufpassen und den Mist, den wir Brasilianer machen, überwachen. Viele der Leute, die für die Zerstörung des Waldes verantwortlich sind, sitzen in unserem Kongress, viele sind Unternehmer in der Agrarindustrie, viele verkaufen illegales Holz in die ganze Welt.

Euer Song „I hate your god“ spricht eine deutliche Sprache. Welchen Einfluss hat die Religion auf Politik und Alltag in Brasilien?
Wir sind eine Art USA geworden mit diesen fundamentalistischen Predigern, die die ganze Zeit Scheiße reden, alles ist Gott, alles ist Familie. Alles ist Sünde, diese Geistlichen sind Millionäre, die sich nicht um die armen Leute kümmern, die in ihre Kirchen gehen, Gott existiert für diese Leute nicht. Tag für Tag gibt es mehr Nachrichten über diese Leute, die da draußen Scheiße machen, Geld stehlen, die Medien kontrollieren. uUnd natürlich sitzen sie auch in unserem Kongress, sie haben sich auf die Seite von Bolsonaro gestellt, der die klare Absicht hat, die indigenen Völker im Amazonasgebiet auszulöschen. Von Gott zu reden ist da eine unglaubliche Heuchelei.

Bolsonaro ist nicht mehr Präsident von Brasilien – hat sich die Situation eurer Meinung nach verbessert? Oder ist der angerichtete Schaden nicht so leicht zu beheben?
Sie hat sich insofern verbessert, als wir keine eindeutig militärische und faschistische Regierung mehr haben, aber Bolsonaro hat eine gefährliche Bewegung geschaffen, die nur sehr schwer auszulöschen sein wird, den Bolsonarismo, und seine Anhänger sind hundertmal gefährlicher als er selbst.

Euer Album ist von der Zeit unter Bolsonaro geprägt und entsprechend pessimistisch. Was gibt dir Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft in Brasilien und der Welt?
Natürlich hat uns die Regierung Lula Hoffnung gegeben, aber ich habe nicht die geringste Erwartung, dass es hier besser wird, das ist es nie und wird es nie. Länder der Dritten Welt wie das unsere erfüllen eine Agenda, eine Agenda derjenigen, die das Sagen haben, nämlich die reichen Länder, und so ist die Welt von Anfang an gewesen.