Die Schweden Johan und Magnus sind das, was man unter tiefenentspannten Dudes versteht. Gitarrist und Sänger Johan arbeitet als Musiklehrer und Magnus in einem Museum, beides steht auch sinnbildlich für zwei Eckpfeiler ihrer Band STATUES, die noch durch den Bassisten Calle ergänzt wird. Purer Post-Punk, der an HÜSKER DÜ, HOT SNAKES und WIPERS erinnert und nur von Typen mit Erfahrung gespielt werden kann. Von Typen, die genau wissen, wie das Business funktioniert und gerade deshalb kein Teil davon sein wollen.
STATUES stammen aus Umeå in Nordschweden und haben im November über das Berliner Label Crazysane Records ihr Debüt veröffentlicht. Ein Album, das absolut nicht nach einem Debüt klingt. Keine ersten Gehversuche, sondern Musiker mit Erfahrung sind zu hören: „Ja, da würde ich mal nicht widersprechen“, nimmt Magnus das Kompliment gerne an. Er und sein Freund Johan machen schon seit ihrer Schulzeit zusammen Musik, mittlerweile sind sie beide über vierzig und haben „einen Haufen Kinder“. Mit den Bands STARMARKET und KVLAR haben sie schon mehrere Alben veröffentlicht und viele Konzerte gespielt.
Vor 15 Jahren war dann plötzlich Schluss. Schluss mit der Band und auch mit dem aktiven Musikmachen. Die beiden widmeten sich ihren Familien und Berufen, aber beim Feierabendbier oder am Wochenende kam doch immer wieder die Sprache auf das eine Thema: „Wenn wir zusammen abhingen, haben wir immer darüber geredet, dass es doch Spaß machen würde, wieder zusammen was zu machen, wenn wir mal Zeit haben. Also versuchten wir, immer wieder zu spielen, hatten dann wieder keine Zeit und irgendwann hatten wir mal zwanzig Songideen. Wir fingen an auszusortieren und haben uns darauf geeinigt, eine Handvoll Songs auszuarbeiten und realistisch zu bleiben, was unsere Zeit angeht. Wir haben dann also geschafft, diese fünf Songs fertig zu machen“, erinnert sich Magnus. Dann ging alles ganz schnell. Calle, ebenfalls ein alter Freund aus Schulzeiten, stieß mit seinem Bass dazu und irgendwann waren dann acht Songs fertig.
Wie genau STATUES klingen sollten, stand von Anfang an fest: „Lass uns einfach das machen, was wir können“, lacht Magnus „Und das ist eben genau diese Art von Musik.“ Die Band spielt Musik, mit der sie selbst aufgewachsen ist. Laut muss es sein, schnell und melodisch. Der Aufnahmeprozess ging deshalb auch rasch vonstatten: „Wir hatten keine Lust auf Experimente. Wir wollten genau das spielen, was wir können, und letztendlich konnten wir dann auch das Album in sechs Stunden aufnehmen“, sagt Magnus. Aufgenommen und gemischt wurde bei Fredrik Lyxzén, dem jüngeren Bruder von Dennis Lyxzén, in dessen Studio mitten im Wald. Er nimmt dort meisten Punkbands auf, ist aber auch als Live-Mischer für die Band INVSN und andere große schwedische Acts tätig: „Er ist genial und hat tolle Gitarreneffekte“, ist Johan voll des Lobes, auch dessen ausgeglichene Art kam dem Trio entgegen.
Das erste Konzert lief für STATUES dann allerdings weniger entspannt ab. Magnus verzieht noch heute sein Gesicht, wenn er daran zurückdenkt: „Es war ein richtiger Schock für unsere Körper. Es hat total Spaß gemacht, aber nach der Show dachten wir uns echt: Heilige Scheiße, was war das denn jetzt bitte? Einfach der pure Horror.“ Die Band machte ihrem Namen also erst mal alle Ehre und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen: „Wir waren echt wie Statuen“, grinst Johan. „Für mich symbolisiert der Bandname den Zustand, den wir hatten, als wir mit der Band anfingen. Wir waren total eingerostet, alt und eingefroren. Starr wie alte Statuen, wir haben schon Staub angezogen.“
Dass die Songs auf dem Album „Adult Lobotomy“ pur und kaum poliert klingen, liegt an der guten Chemie zwischen den Dreien und der klaren Vorstellung davon, wie STATUES klingen wollen, ist aber auch auf gewisse Alterserscheinungen zurückzuführen, Magnus dazu: „Es war rein physisch echt anstrengend, so dass wir an manchen Stellen gemeinsam entschieden, es einfach so zu lassen, weil niemand die Kraft hatte, es nochmals zu versuchen.“ Das Albumcover zeigt eine Statue mit einem Kopfschuss, die Metapher einer toten Gesellschaft: „Es ist ein ganz schön heftiges Bild, aber es beinhaltet auch, dass etwas Neues starten kann“, findet Johann „Es ist inspiriert von unserem Song ‚The bastards‘, in dem es um eine Person geht, die sich freiwillig einer Lobotomie unterziehen würde. Einfach um aufzuhören, sich schlecht zu fühlen, und um nicht mitzukriegen, in welche Richtung sich die Welt bewegt.“
Johan ist verantwortlich für alle Texte bei STATUES, in diesem speziellen Stück spielte er mit Versatzstücken aus „Teenage lobotomy“ von THE RAMONES und „London calling“ von THE CLASH. Er bezeichnet sich selbst als schnellen Texteschreiber, weil er nicht die Geduld hat, länger daran zu arbeiten. Jeder Songtext beanspruchte ihn nicht mehr als dreißig Minuten: „Unsere Texte sind schon manchmal so düster, dass es fast wieder Comedy ist. Joel Dunkert, der Typ, der das Cover gemacht hat, lachte, als ich mit ihm über die Texte gesprochen habe. Natürlich stehe ich hinter meinen Lyrics, aber letztendlich spiele ich da nur mit Wörtern rum. In diesen dunklen Zeiten ist es eine gute Therapie, solche Texte schreiben zu können, aber die sind schon sehr überzogen.“
Was genau mit diesen dunklen Zeiten gemeint ist, liegt auf der Hand: „Aktuell ist die drittstärkste Partei in Schweden eine rechte. Das sind echt kranke Leute“, so Magnus, und Sänger Johann ergänzt: „Es scheint keine Rolle zu spielen, was die genau tun. Was immer sie sagen, es bringt sie sogar noch weiter nach vorne. Mitte der Neunziger hat die Politikerin Mona Sahlin über ihre Regierungskreditkarte eine Tafel Schokolade gekauft und damit eine große Untersuchung ins Rollen gebracht, ihr Ruf war erst mal ruiniert. Heutzutage kann jeder alles sagen und es bleibt ungeahndet.“ Magnus berichtet von einer sinkenden Hemmschwelle auch in Schweden: „Wenn vor zehn Jahren jemand vom Parlament gesagt hätte, dass Juden keine Schweden sind ... der wäre dafür an den öffentlichen Pranger gestellt worden, überrannt von einem wütenden Mob. Und heutzutage sagen viele Leute: ‚Cool, lasst uns die Typen wählen, die scheinen ganz nett zu sein.‘ Ohne mit der Wimper zu zucken, legen sie fest, wer in ihren Augen schwedisch ist und wer nicht. Und sie kommen damit durch, mit allem.“
Beide berichten von Politikverdrossenheit, die letztendlich den Falschen nutzt. Und beide sehen die Opposition in der Pflicht, noch stärker Position zu beziehen: „Die haben solche Angst davor, ihre letzten paar Prozentpunkte zu verlieren, dass sie lieber ruhig bleiben und ihre Überzeugungen für sich behalten. Die Kernthemen werden nicht mehr angesprochen, sie sagen nichts und das ist wirklich sehr beängstigend.“ Selbst wenn die rechten Parteien keine Lösungen bieten und substanzlos sind, es sind in erster Linie starke Meinungen, die sie vertreten, und starke Meinungen sind das, was die Menschen leider hören möchten. Musik und Texte von STATUES spiegeln eindeutig die Einstellungen der beiden wider, als Band mit erhobenem Zeigefinger verstehen sie sich allerdings nicht, und sie haben auch nicht vor, bei Konzerten ausschweifende Erklärungen abzugeben. „Jeder soll für sich selbst denken“, findet zumindest Magnus. „Aber es fühlt sich auch gut an, bestimmte Dinge bei Konzerten laut auszusprechen. Lyrics müssen ja einer bestimmten Melodie folgen und das macht es manchmal nicht so einfach, alles genauso auszudrücken, wie man es sagen möchte. Mit gesprochenen Worten ist das schon pointierter möglich und es tut einfach mal gut, deutlich zu sagen, wo man steht“, wägt Johan ab.
Dass die Band als Trio spielt, ist kein Zufall. Ihrer Meinung nach bleibt so am meisten Energie hängen und so können sie auch die Bandtermine am besten mit ihren Familienpflichten vereinbaren. Magnus hat jahrelang in der Musikbranche gearbeitet, viele Erfolge gesehen, aber auch Bands beim Scheitern beobachtet. „Wir haben viel Energie, aber die fiese Seite des Business ist, dass man alles geben kann und einfach gar nichts zurückbekommt, niemals. Es dreht sich so viel um Glück und Timing, meistens sind es die beiden Faktoren“, gibt er desillusioniert zu Protokoll „Wir wollen mit STATUES nicht den nächsten Streamingrekord brechen oder das komplette Business umkrempeln. Das ist nichts für uns, wir wollen Spaß haben und live gut spielen, das ist uns wichtiger.“ Johann lacht: „Wir spielen laut und schnell, da kann live ja auch nichts schiefgehen.“
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