Als ich mit Sänger und Gitarrist Brent Vanneste über das neue Album seiner Band STAKE spreche, sitzt er entspannt in einem Park. Der Belgier ist immer offen und nett, was man nicht unbedingt voraussetzt, wenn man die wuchtige Musik auf dem wieder eher dunklen Album „Love, Death And Decay“ hört. Wir sprechen über die Kernelemente der Platte und seine Ansichten dazu.
Mit welcher Idee seid ihr an das neue Album rangegangen?
Wir fangen immer einfach an und lassen uns treiben. Cis hat mich am Anfang gefragt, welchen Sound wir ungefähr machen könnten, ob es nicht spaßeshalber ein fröhliches Partyalbum sein soll. Das hört man ja aktuell an jeder Ecke, dass es im Leben angeblich nur darum geht, eine möglichst gute Zeit zu haben, haha. Na ja, und dann wurde es doch wieder so ein eher melancholisches Album, haha.
Könntet ihr ein fröhliches Album machen?
Ich denke, irgendwann wird es mal eines geben, ein gut gelauntes Folk-Album von STAKE, haha. Es wird mir tatsächlich immer wichtiger, eine gute Zeit zu haben, weil mir bewusst wurde, dass wir eben doch nicht so viel Lebenszeit haben. Auch wenn unsere Platten eher düster sind, muss immer irgendwann der Punkt kommen, an dem man das in etwas Positives umwandeln kann. Ich bin schon auf der Suche nach Glück, eigentlich immer, wobei das nicht bedeuten muss, dass ich dann fröhliche Musik mache. Vielleicht wird es eher noch aggressiver, trauriger oder progressiver.
Das Album heißt „Love, Death And Decay“, welchen Zusammenhang siehst du da?
Für uns war es total schwierig, einen passenden Albumtitel zu finden. Wir hatten unterschiedliche Ideen und Auffassungen davon, aber dann gab es den Song mit diesem Namen und wir dachten, dass es das gut trifft. Es geht in allen Songs um diese drei Dinge. Liebe erscheint auf den ersten Blick der positive Begriff in der Reihe zu sein und Tod natürlich der negative. Aber das kommt immer auf den Blickwinkel und die Situation an. Wenn etwas stirbt, ein Blatt zum Beispiel vom Baum auf den Boden fällt, dann kann es sein, dass es dort von Pilzen oder was auch immer zu etwas Positivem verwertet werden kann oder Tiere bauen damit ein Nest. Der Tod ist auf jeden Fall immer erst etwas Trauriges. Das fühlt sich nie gut an. Aber selbst wenn nahestehende Personen diese Welt verlassen, dann verändert es etwas in denen, die zurückbleiben. Es verändert vielleicht deren Weg zu etwas Besserem und beeinflusst deren Bewusstsein. Ich würde mir zum Beispiel sofort meinen Bruder zurückwünschen, klar. Aber ich bin mir total sicher, dass ich niemals Berufsmusiker geworden wäre, wenn er noch leben würde. Ich kann dir gar nicht so genau sagen warum und es ist auch doof, darüber zu lange nachzudenken. Und genauso ist Liebe nicht immer positiv, kann dunkel und zerstörerisch sein.
Vor was fürchtest du dich am meisten, Liebe, Tod oder Verfall?
Auf jeden Fall Liebe. Wenn man stirbt, dann passiert es und fertig. Ich denke, es gibt keinen Grund, davor Angst zu haben. Auch wenn man natürlich nicht sterben will und aufpasst, dass man nicht vor ein Auto rennt. Als die Tante von meiner Freundin gestorben ist, haben wir an dem Abend eine Doku über Pilze geschaut. Es war total interessant zu sehen, wie viele in der Natur von Verfall profitieren, und das ist ja kein spiritueller Scheiß, sondern wahr. Also für mich auf jeden Fall Liebe, die ist wunderschön, aber auch oft angsteinflößend.
Wie habt ihr aufgenommen?
Live in unserem Proberaum. Es war uns wichtig, die Spontanität einzufangen. Man schreibt normalerweise so zehn oder zwölf Songs, übt die dann alle und geht damit ins Studio zur Aufnahme. Das können wir auch, aber es klingt besser, wenn wir nur zwei Songs vorbereiten und die sofort aufnehmen.
Schreibt ihr die Songs alleine daheim oder als Band zusammen?
Es ist eine Kombination aus beidem. Jeder widmet sich zu Hause intensiv seinem Instrument, dann schließen wir uns zusammen ein und probieren verrückte Dinge aus. Dann schauen wir, was dabei herausgekommen ist, und machen Songs daraus, in dieser Phase sprechen wir sehr viel. Es ist aber auf jeden Fall Teamwork.
Seht ihr euch noch täglich?
Nicht mehr, aber ich würde trotzdem sagen, dass wir enger zusammengewachsen sind. Wir sind älter geworden, es ist nicht einfacher geworden. Wir haben Jobs und Familie, deshalb sollte man sich noch mehr umeinander kümmern. Für unsere Musik und den Vibe auf der Bühne ist es sehr wichtig, dass wir eng verbunden sind. Ich bin sehr froh über meine Bandkollegen, wir spielen seit über zwanzig Jahren zusammen und waren am Anfang elf Jahre alt, das ist doch total verrückt, haha, oder?
Das ist für mich der große Unterschied zum letzten Album, es klingt noch mehr nach der Band STAKE und nicht nach vier Musikern.
Wir sind auch total froh über den Mix, dass man eben nicht jede einzelne Gitarre heraushört und es stattdessen sehr organisch klingt. Tom Lodewyckx hat ihn gemacht, es war eine lustige Geschichte. Wir haben den Song „Deadlock eyes“ zuerst aufgenommen und an acht unterschiedliche Mixer geschickt. Das Management hat uns dann die Ergebnisse ohne Namen zurückgeschickt. Unter anderem ging es an den Mixer von THE DILLINGER ESCAPE PLAN und einen anderen teuren Typ. Tom Lodewyckx ist Mitglied in einer bekannten Chanson-Band aus Belgien, da spielt er Gitarre und was er macht, hat mit unserem Zeug gar nichts zu tun, haha. Aber er ist eigentlich ein Metalhead und sein Mix war mit Abstand der beste.
Im Video zu „Fuck my anxiety“ läuft ein Mittelfinger rum, wem zeigst du ihn? Den Ängsten oder der damit überforderten Gesellschaft?
Es geht eher darum, „fuck off“ zum Zustand der Angst zu sagen. Ich kann nur aus meiner Sicht als Mann sprechen, aber ich habe das Gefühl, immer präsent sein zu müssen, und kann nicht weinen, will nicht immer so viele Emotionen zeigen. Das sind meine Ängste, die ich vor mir hertrage, und abgesehen davon ist es total unangenehm für mich, mit meinem Gesicht in einem Video zu sehen zu sein. Also kam mir die Idee, eine Maske zu tragen. Bis mir bewusst wurde, dass das auch irgendwie dumm ist, in einem Video für einen Song über Angst, Angst davor zu haben, mein Gesicht zu zeigen. Irgendwie ist es ja auch wieder ein ehrliches Konzept, haha. Wir arbeiten doch alle daran, genau dieser Mittelfinger zu sein, aber eigentlich kann ich über dieses Thema nicht halb so gut reden, wie ich gerne würde. Irgendwie ist es gut, sich seiner Ängste bewusst zu sein, um sie zu isolieren und zu ihnen „fuck you, goodbye“ sagen zu können. Auch wenn sie nächste Woche wiederkommen.
„Fuck you“ fühlt sich aktiv an?
Ja, genau. Für mich der beste Weg, um damit klarzukommen. Dann werde ich sauer auf mich selbst und die Ängste, für mich funktioniert das.
In „Deliverance dance“ sprichst du vom Paradies, wie stellst du es dir vor?
Für mich ist das Paradies sicher etwas anderes als für dich. Ein Ort vor meiner Geburt oder nach dem Tod. Ein Ort, den man noch nie gesehen hat, aber wenn man dort ist, dann fühlt man sich daheim. Ein anderes Wort für Himmel vielleicht, auch wenn ich nicht an so was glaube. Ich habe aber das Gefühl, obwohl ich sehr rational denke, dass da noch mehr ist.
Denkst du, es ist wichtig, alles zu wissen? In „Zone out“ heißt es: „Try to figure out, what it’s all about“.
Ich mache Musik, reiße mir echt den Arsch auf und frage mich doch oft, ob das wirklich alles sein soll. Dann schaue ich ein paar Jahre nach vorne und frage mich, was kommt da noch, worum geht’s genau? Ich habe echt keine Ahnung, aber wahrscheinlich geht es darum, eine möglichst gute Zeit zu haben und auch zu akzeptieren, dass man nicht immer glücklich sein kann. Oder es geht darum, jemanden zu lieben, oder auch einfach das Leben zu überstehen oder Bier zu trinken und Drogen zu nehmen, haha.
Am besten alles machen. Wie ist der gesellschaftliche Umgang mit Themen wie Tod und Angst in Belgien?
Die feministische Bewegung hat auch für uns Männer sehr viel Positives gebracht. Auch für unser Seelenheil, ich merke, dass ich weniger Angst davor habe, Gefühle zu zeigen, und es vielen Leuten um mich herum ähnlich geht. Wenn ich im Vergleich dazu meine Eltern ansehe, da war es noch anders. Die jüngere Generation ist so offen, wenn es um Liebe und Tod und Sexualität geht, das ist sehr inspirierend für mich. Ich bin froh, jetzt zu leben, selbst wenn noch nicht alle mitmachen, dann wird ihnen vermittelt, dass sie nicht mehr mit der Zeit gehen und ihre Ansichten veraltet sind. Es wird besser und sie werden die Minderheit sein.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #146 Oktober/November 2019 und Nadine Schmidt
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