SNAPCASE

Nein, die deutsche Übersetzung von SNAPCASE heißt nicht "Schnapsglas", denn schließlich haben wir es hier mit einer reinen Straight Edge-Band zu tun, die um alle Sorten von Drogen einen weiten Bogen macht. Spätestens mit ihrem ´97er Werk ""Progression Through Unlearning" haben sich die Jungs ein Denkmal gesetzt und eine der innovativsten Hardcore-Scheiben dieses Jahrzehnts geschaffen. Kurz danach folgte dann die Hiobsbotschaft: SNAPCASE hatten sich zwischenzeitlich aufgelöst. Mit der Europa-Tour im September/Oktober meldeten sie sich nun eindrucksvoll zurück. Hinzu kommt noch, daß die Band mittlerweile ein neues Album im Kasten hat, das Ende Januar 2000 das Licht der Welt erblicken wird. Grund genug also, daß wir vom Ox ein paar Fragen stellen. Sänger Daryl Taberski beantwortete im Anschluß an das Konzert in München meine Fragen.

Daryl, wie fühlst du dich nach einem Konzert wie diesem?

"Irgendwie seltsam, vor den Konzerten geht es mir auf dieser Tour immer ziemlich schlecht, aber nach dem Auftritt fühle ich mich meistens großartig, so wie auch jetzt. Ich bin allerdings etwas erkältet, deswegen bin ich über den freien Tag morgen auch sehr froh."

Ich habe gehört, daß ihr heute auf dem Oktoberfest gewesen seid, stimmt das?

"Ja, für eine Fotosession."

Und deine ersten Eindrücke vom Oktoberfest?

"Sehr witzig, in Amerika kennen wir das in dieser Form nicht, obwohl es bei uns natürlich auch Vergnügungsparks und Volksfeste gibt. Ich bin sehr erstaunt, wie viele Leute hier diese traditionelle Kleidung tragen..."

Du meinst Dirndl und Lederhosen...

"Ja, ich finde das sehr cool..."

Hä? Das musst du jetzt etwas genauer erklären, ich finde diese Klamotten nämlich furchtbar.

"Diese Klamotten sind Teil einer anderen Kultur, die wir in den Staaten so nie sehen. Jedesmal wenn wir nach Europa kommen, erinnert uns vieles an Amerika. Alle Städte und Clubs sehen irgendwie gleich aus, an jeder Ecke findest du ein McDonalds-Restaurant, im Fernsehen läuft überall der gleiche Schrott und so, und insofern ist das Oktoberfest eine echt willkommene Abwechslung."

Aber kriegst du als überzeugter Antialkoholiker bei diesem Massenbesäufnis nicht eine totale Krise?

"Nein, ich finde das sehr unterhaltsam, es macht Spaß, diese Leute zu beobachten."

Und morgen geht ihr gleich wieder dort hin?

"Ja, aber viel länger, heute waren wir ja nur eine knappe Stunde dort. Morgen kommen ja auch noch viel mehr Leute von den anderen Bands mit, in einer großen Gruppe wird es bestimmt noch amüsanter."

Bist du mit dem heutigen Konzert zufrieden?

"Ja, es war ein sehr guter Gig, obwohl diese Halle hier viel zu groß ist. Es ist Montagabend und in München scheint es auch keine besonders große Hardcore-Szene zu geben, aber das macht nichts, solange die anwesenden Leute auf ihre Kosten kommen. Ich denke, daß doch einige Leute happy sind, SNAPCASE wieder live auf der Bühne zu sehen. Und wir sind natürlich auch happy."

Ich habe euch heute zum ersten Mal live gesehen und fand euch großartig.

"Danke!"

Kommen wir auf die neue Platte zu sprechen, die den Titel "Designs For Automotion" tragen wird und Ende Januar 2000 über Victory Records auf den Markt kommen soll. Ich habe ja zu meiner großen Freude schon vier Monate vorher ein Promoexemplar bekommen, bei dem allerdings die Namen der Songs fehlen. Deshalb kann ich dich jetzt auch nicht gezielt nach einzelnen Liedern fragen.

"Es werden viele verschiedene Themen auf dem neuen Album angesprochen. Der Titel "Designs For Automotion" bedeutet ungefähr, sich selbst zu motivieren, die persönlichen Ziele und eigenen Träume konsequent zu verfolgen und auch zu erfüllen. Es geht darum, sich seinem Traum zu verschreiben, egal ob es sich dabei zum Beispiel nun um einen speziellen Menschen oder die eigene Karriere handelt. Das kann manchmal verdammt schwierig sein, weil man dabei oft Dinge tun muß, die andere Menschen nicht unbedingt von einem erwarten, die überhaupt der ganzen Erwartungshaltung der Gesellschaft widersprechen, wenn du plötzlich etwas völlig anderes tust, als du bisher getan hast, wenn man sich neuen Herausforderungen stellt, die bisher gesetzten Grenzen überschreitet und neue Dinge beginnt."

Und dein persönlicher Lieblingssong auf dem neuen Album?

"Rein musikalisch gesehen habe ich keinen absoluten Lieblingssong, aber spontan fällt mir Track #8 ein, der den Titel "Ambition Now" trägt. Dieses Stück dreht sich um das eben beschriebene Thema, also sich einer heiligen Sache zu widmen. Speziell über diesen Song bin ich sehr glücklich..."

Musikalisch gesehen seid ihr meiner Meinung nach etwas "melodischer" geworden, findest du nicht auch?

"Korrekt."

Manchmal fühle ich mich aber dennoch etwas an HELMET erinnert. Geht dir dieser HELMET-Vergleich nicht langsam auf den Keks?

"Nein, das nicht, ich finde nur, daß wir auf "Progression Through Unlearning" mehr nach HELMET klangen als wie jetzt. Wir sind aber generell mehr von Bands wie QUICKSAND, FUGAZI oder FAR beeinflusst. Und natürlich auch von THE REFUSED, das letzte Album von denen war echt grandios."

Und was hältst du von Schubladen wie "New School Hardcore", "Old School Hardcore" oder "Emo"?

"Eigentlich überhaupt nichts. Diese Schubladen haben meiner Meinung nach nicht viel zu sagen. Wirklich gute und kreative Bands passen auch gar nicht in diese engen Schubladen, weil sie ihren eigenen Sound entwickeln und sich somit dem Schubladendenken entziehen."

Euch hat man ja auch schon in die verschiedensten Schubladen gesteckt.

"Ja, das ist zum Teil echt amüsant. Gerade die Reaktionen auf unser letztes Album waren sehr unterschiedlich. Viele Metal-Magazine schrieben zum Beispiel, daß "Progression Through Unlearning" nicht hart und aggressiv genug ausgefallen wäre."

Wie bitte? "Progression Through Unlearning" war doch das volle Brett!?!

"Finde ich auch, aber die sahen das irgendwie anders. Andererseits schrieben zum Beispiel viele Alternative-Magazine, daß wir viel zu hart wären. Anscheinend passen wir in keine der gängigen Schubladen, aber das stört mich nicht, im Gegenteil!"

Das beweist ja nur, daß ihr euren eigenen, ganz individuellen Sound bereits gefunden habt. Welche Musik hörst du denn privat? Nur Hardcore? Oder auch ganz andere Sachen?

"Alles mögliche! Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nur Hardcore hören, ich höre auch sehr viel HipHop und Popmusik. Aber in letzter Zeit war ich so beschäftigt, daß ich kaum mehr dazu kam, irgendwelche Musik zu hören."

Warum?

"Bis vor einem halben Jahr hatte ich noch einen Job, den ich dann aber wieder wegen der Band an den Nagel gehängt habe. Das ging wegen der Produktion des neuen Materials nicht anders. Außerdem arbeite ich noch nebenbei in einer Schule, hänge viel mit meiner Freundin rum und habe seit kurzer Zeit auch noch einen sehr jungen Hund, der sehr viel Zeit, Aufmerksamkeit und Fürsorge braucht."

Und was erwartest du dir persönlich von der neuen Platte?

"Bei den Plattenverkäufen habe ich keine großen Erwartungen. Für mich ist in erster Linie wichtig, daß wir ein gutes Werk abgeliefert haben, das uns persönlich befriedigt. Und daß wir uns nicht wiederholen, sondern uns weiterentwickelt haben. Ich finde, daß es unser interessantestes und abwechslungsreichstes Album geworden ist."

Kommt ihr im Jahr 2000 dann noch mal zurück nach Deutschland?

"Ja, das haben wir uns fest vorgenommen."

Leben eigentlich alle von euch nach dem Straight Edge-Prinzip?

"Ja, alle in der Band sind straight, aber die Band SNAPCASE predigt diese Einstellung nicht. Diese Einstellung ist in erster Linie für uns als Individuen wichtig. Die Texte von SNAPCASE sprechen eigentlich für sich selbst, wir wollen die Leute zum unabhängigen Denken anregen, ihnen aber nicht unsere persönliche Philosophie aufdrängen. Wenn sich jemand persönlich verändern möchte, dann wird er die Straight Edge-Philosophie von selbst annehmen und sie auch leben. Ich kenne sehr viele Leute, die durch Straight Edge endgültig von ihrer Drogenabhängigkeit loskamen. Aber nicht weil wir ihnen das eingehämmert haben, sondern weil sie von selbst darauf gekommen sind. Für mich ist Straight Edge ein Weg der Selbstfindung."

Und wie denkst du über Leute, die ein SNAPCASE-T-Shirt anhaben, dabei aber rauchen und Alkohol trinken?

"Finde ich nicht schlimm, wenn ihnen die Musik oder die Show gefällt, warum nicht? Umgekehrt bin ich mir sicher, daß es eine Menge Leute gibt, die keine Drogen konsumieren, aber T-Shirts von Bands tragen, die Drogen verherrlichen."

Ja, da könntest du Recht haben. Gibt es eigentlich irgendeine Band, mit der ihr gerne auf Tour gehen würdet?

"Ja, mit FUGAZI! Sie haben meinen ganzen Respekt verdient - ich bewundere diese Band wirklich. Wir haben bisher aber leider nur ein Konzert mit ihnen gemeinsam gespielt. Bisher war es immer so, daß wir von den Bands, mit denen wir auf Achse waren, irgendwie beeinflusst wurden. Kein Wunder, wenn du jeden Abend ihre Lieder hörst."

Mit wem habt ihr denn schon über einen längeren Zeitraum zusammen gespielt?

"Wir haben echt Glück, daß wir schon mit so vielen phantastischen Leuten wie z.B. TURMOIL, AVAIL, GOOD RIDDANCE, SICK OF IT ALL, EARTH CRISIS oder THE REFUSED spielen durften. Außerdem waren wir in den Staaten schon mehrmals auf der Warped-Tour mit dabei, wo wir u.a. mit PENNYWISE, RANCID, NOFX und ALL spielten. Aber eigentlich ist es gar nicht so wichtig, mit wem du zusammen spielst. Wir haben mit SNAPCASE schon mehr erreicht, als wir je zu träumen wagten. Selbst wenn bald alles vorbei wäre, wäre ich glücklich über SNAPCASE."

Was war eigentlich vor knapp zwei Jahren los, als ihr euch vorübergehend aufgelöst hattet?

"Wir hatten uns damals tatsächlich vorübergehend aufgelöst. In Wirklichkeit brauchten wir aber nur eine kleine Pause. Wir verloren 1997 etwas die Kontrolle über die Band, alles wurde irgendwie zu geschäftlich, wir betrachteten die Band damals mehr und mehr als Job. Und das kann nicht Sinn der Sache sein."

Ein weises Schlußwort. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Jahr, wenn SNAPCASE wieder nach Deutschland kommen. Aber hoffentlich kommen die Jungs nicht auf die Idee, die Bühne im Dirndl und in Lederhosen zu betreten ...

Elmar Salmutter