SKINNY LISTER

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Eine gute Geschichte

Sie kommen aus London und haben sich in den ersten zehn Jahren ihrer Bandexistenz international bereits als eine der aufregendsten Folkpunk-Bands etablieren können. Überdies sind die Engländer aber auch hervorragende Geschichtenerzähler – was sie auf ihrem neuen Album „The Story Is ...“ musikalisch verdammt abwechslungsreich beweisen. Frontfrau Lorna Thomas erklärt uns, wie Erlebnisse zu Songs werden und was sie über die erste Dekade SKINNY LISTER denkt.

Lorna, ihr geht nun in das zehnte Bandjahr. Wenn du nun zurückblickst: War es eine gute Zeit – oder hätte es manchmal besser laufen können für SKINNY LISTER?


Ich würde sagen, es war ein tolles Jahrzehnt! Wenn du mich damals, nach dem ersten Jahr, gefragt hättest, ob ich zehn Jahre später immer noch Musik aufnehmen und mit meinem Bruder und meinen Freunden um die Welt reisen würde, dann hätte ich auch entsprechend laut gelacht, ein Glas Rum runtergestürzt und gesagt: „Alles klar! Lass es uns ausprobieren und loslegen!“ Diese zehn Jahre waren unglaublich. Sie brachten uns an weit entfernte Orte, führten uns überall mit faszinierenden und liebenswerten Menschen zusammen und bescherten uns wunderbare Dinge, die der Durchschnittsmensch wohl niemals erlebt. Sicher, manchmal ist das Bandleben schon hart. Aber niemand in der Musikbranche wird dir sagen, dass all das ein Kinderspiel ist. Wir bringen unser Herz und unsere Seelen ein, um am Ende geliebt oder kritisiert zu werden. Ich habe in Sachen SKINNY LISTER schon reichlich Tränen vergossen. Aber die guten Zeiten überwiegen. Und überhaupt, wenn so ein Leben mit der Band keine so gegensätzlichen Emotionen weckt, was ist dann der Sinn von all dem?

Euer neues Album heißt „The Story Is ...“. Was denkst du, wie könnte dieser begonnene Satz nach weiteren zehn Jahren beendet werden?

Ich denke, er wird wie bisher fortgesetzt werden mit: „Die Geschichte ist ... eine gute“. Klar, die Geschichte könnte zwar theoretisch auch zwischendurch enden. Wir nehmen das, was wir mit SKINNY LISTER erleben, auch niemals als selbstverständlich hin und wissen all das, all die Unterstützung, die wir erhalten, zu schätzen. Aber letztlich sind wir eine Gruppe von Freunden, die zusammen Musik machen. Das ist das Wichtigste. Und ich bezweifle, dass sich das je ändern wird, egal, ob da Fans sind oder nicht. Unsere Geschichte wird in irgendeiner Form weitergehen, ganz sicher!

Kann man „The Story Is ...“ als Konzeptalbum über eure Karriere betrachten?

Sagen wir es so: Da sich SKINNY LISTER als Band ja stetig weiterentwickeln, haben wir es immer schon genossen, Geschichten zu erzählen, die zeigen, wo wir als Band standen zum jeweiligen Zeitpunkt, wenn wir einen Song geschrieben haben. Das wird mit jedem Album immer deutlicher. Und als die Idee zum Titelsong der neuen Platte aufkam, da waren wir uns schnell einig, dass genau dies auch der Titel des Albums werden muss. Und dann ging es nur noch darum, die entsprechenden Geschichten zu sammeln. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob es sich wirklich um ein Konzeptalbum zu unserer gesamten Karriere handelt. Denn es sind einzelne Geschichten, die wir erzählen.

Gab es einen besonderen Moment, in dem der bemerkenswerte Song „My life, my architecture“ entstanden ist, ein Lied über den unbedingten Willen, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten?

Dan ist ja unser Songwriter. Und ich bat ihn um ein Lied, das ich singen und auf mich beziehen konnte, und das mein Leben widerspiegelt. Er hat schon häufig über seine eigenen Prüfungen und all die Trübsal gesungen, die ihm das Leben bislang bescherte. Jetzt wollte ich etwas Persönliches von ihm für mich.

Bist du zufrieden mit dem Ergebnis?

„My life, my architecture“ ist zwar nicht unbedingt das, was ich im Vorfeld erwartet hatte. Aber als es bei mir, wenn man so will, angekommen war, da fühlte ich mich von diesem Stück befeuert und angetrieben. Es fängt mein Leben perfekt ein! Und ich hoffe wirklich, dass das Publikum einen Einblick in das bekommt, was ich fühle – sowohl auf, als auch abseits der Bühne.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass ich durch SKINNY LISTER Freunde gefunden, aber auch verloren und Trennungen erlebt habe. Und dass ich trotz allem weitermachen werde. Denn die Band und die Musik sind das, wofür ich lebe. Sie treiben mich an.

Aber drehen wir den Spieß mal um: Was sind deine schlimmsten Zukunftsängste?

Ach, wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Ich war noch nie jemand, der sich darüber allzu viele Sorgen gemacht hat. Ich habe keine Angst vor Veränderungen. Ich konzentriere mich nur auf das Hier und Jetzt und, wie ich jedem sage, der mich nach meiner Karriere bei SKINNY LISTER fragt: Ich halte den Kopf unten und mache weiter, und ab und zu schaue ich auf und genieße die Party, die um mich herum stattfindet.

Gibt es dieses in einem weiteren Lied besungene „Diesel vehicle“ eigentlich wirklich?

Aber ganz sicher, haha! Das gesamte Material für das Album war geschrieben, alle Entscheidungen getroffen und wir zur Hälfte durch mit den Aufnahmen, als wir eines Tages auf dem Weg zur nächsten Probe am Straßenrand Halt gemacht hatten, um etwas zu Mittag zu essen. Als wir fertig waren, sprangen wir wieder in den Van, drehten den Schlüssel um – und der Motor sprang nicht an. Wir zerbrachen uns alle den Kopf darüber, woran das liegen könnte. Und es dauerte nicht lange, bis Dan nach Luft schnappte und ihm klar wurde, dass er bleifreies Benzin in den Dieselbus getankt hatte. Er hatte das Ding eine Weile eben nicht mehr gefahren ... Das war ein verdammt teurer Fehler. Wir dachten eigentlich, dass wir nie wieder über diesen Vorfall sprechen würden. Bis Dan bei der nächsten Session mit dem Song ankam. Wir alle mochten diesen seltsamen und verrückten Text sofort und beschlossen, das Stück mit aufs Album zu nehmen.

In „Artists arsonist“ geht es um einen Künstler als Brandstifter. Das hört sich nach einer interessanten Metapher an. Müssen Künstler seelische Brandstifter sein?

Haha, diese Sache mit dem Künstler als Brandstifter ist gar nicht metaphorisch gemeint. Das ist eine weitere Geschichte, die tatsächlich passiert ist. So wie alle anderen in den Songs übrigens auch. Es war so: Der ehemalige Bewohner der Wohnung im Erdgeschoss unter uns war ein Künstler. Von unten war ständig zu vollkommen unberechenbaren Zeiten lautes Lachen zu hören, dann legte er Riverdance-Musik auf und begann, seine Kunst in einer Plastikwanne zu verbrennen. Und dabei setzte er irgendwann eben fast das ganze Haus in Brand. Die Konsequenz: Er wurde verhaftet, stellte sich aber stur und sagte nur: „Jetzt ist mir ohnehin alles vollkommen egal!“ Ein echter Nervenzusammenbruch. Wir setzten uns hinterher mit ihm in Verbindung und erfuhren, dass er sich erholt hatte und umgezogen war, wo er nun in einem neuen Job arbeitet. Letztendlich, um zu deiner Frage zurückzukommen, ist es wohl so: Das Stereotyp des Künstlers ist das eines selbstzerstörerischen Menschen. Ich schätze, das klingt einfach spannender. Denn niemand will über einen Künstler lesen, der nicht gekämpft oder der eine großartige Karriere einfach so hingelegt hat. Aber ich denke nicht, dass das auch wirklich so sein muss.

Euer neues Album umfasst viele musikalische Stile. Ich höre Funk und Soul in „The shining“, ein wenig OUTKAST-HipHop in „My life, my architecture“, natürlich Folk und Irish Folkrock. Wer ist bei SKINNY LISTER für welchen Stil verantwortlich? Gibt es so etwas wie Experten für verschiedene Genres innerhalb der Band?

Wir sind sechs Leute in der Band – und entsprechend bringen wir alle unsere unterschiedlichen Geschmäcker und Referenzen mit ein. Aber fast immer läuft es so: Dan kommt im Vorfeld einer Probe mit einem Demo an. Jeder hört es sich daheim an, spielt vielleicht ein wenig damit herum. Und dann treffen wir uns und schlagen unsere gesammelten Ideen für ein Arrangement vor. Manchmal kommen wir dabei sehr schnell zusammen. Manchmal ist es etwas schwieriger. Beide Songs, die du erwähnt hast, waren übrigens ziemlich schwer zu knacken.