Die schottische Punkband THE SKIDS – zunächst aktiv von 1977 bis 1981 – dürfte hierzulande am ehesten durch das GREEN DAY/U2-Cover ihres Songs „The saints are coming“ aus dem Jahr 2006 bekannt sein. In Großbritannien kann die Band drei Top-30-Alben und drei Top-20-Singles vorweisen. Nach langjähriger Abstinenz trat sie ab 2007 wieder live auf, in den letzten Jahren folgten sogar neue Veröffentlichungen.
Alles begann in Dunfermline, einer an der schottischen Ostküste nördlich von Edinburgh gelegenen Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Menschen dort vielfach in der Textilindustrie und dem Kohlebergbau beschäftigt, ab den Fünfzigern wurden diese Arbeitsplätze zunehmend abgebaut. Häfen und Fischerei blieben erhalten, genau wie die stetige Nachfrage nach neuen Soldaten. Die Arbeitslosigkeit war hoch und es gab kaum Aussichten für junge Menschen. Als ab 1976 in London die Punk-Szene explodierte, war Dunfermline nicht nur räumlich weit entfernt. Solch ein Geist des Aufbruchs war in der ländlichen Gegend des Regierungsbezirks Fife nicht zu erwarten. Die bekannteste Band aus Dunfermline waren und sind NAZARETH.
Trotzdem gab es junge Menschen, die Instrumente spielten, wie Stuart Adamson, Jahrgang 1958, der jede Woche von seiner Mutter ins Nachbardorf geschickt wurde, um im dortigen Musikgeschäft eine Single zu kaufen. Musik umgab ihn von klein auf und mit elf bekam der schüchterne, schmale Stuart eine Gitarre. Er übte stundenlang und hielt statt zu Gleichaltrigen Kontakt zu einer alten Frau aus der Nachbarschaft, die ihm Literatur empfahl. Anfang 1976 spielten BE BOP DELUXE in Dunfermline, und schon damals nahm er sich vor, mit der Gitarre Sachen zu machen, die sonst niemand machte. Als THE DAMNED in Edinburgh gastierten, erlebte er sein erstes Punk-Konzert. Bisher war er mit seiner Band TATTOO häufig live aufgetreten, hatte aber ausschließlich Coverversionen von Bowie, den ROLLING STONES oder STATUS QUO gespielt. Doch jetzt schrieb er eigene Songs und suchte Mitstreiter für eine Punkband. Adamson sagte später: „Punk war das Beste überhaupt. Das waren junge Leute, die sich ausdrücken konnten, ohne das Diktat der Mode.“ Nach seiner Schätzung gab es damals acht Punks in Dunfermline und die wurden immer wieder angefeindet.
Zuerst war William (alias „Bill“, alias Willie“) Simpson (geb. 1957) am Bass mit dabei. Simpson war ein Schulkumpel von Adamson und Fan von THE CLASH. Er hatte anfangs noch lange Haare, aber Adamson überzeugte ihn, diese abzuschneiden. Seine eigene Stimme hielt der junge Gitarrist für zu weich für Punk und suchte einen Sänger. Bei einem REZILLOS-Gig lernte er Richard Jobson kennen. Jobson (später „Jobbo“ genannt) war erst 16, doch er sah älter aus. Er legte ein selbstbewusstes, gar arrogantes Auftreten an den Tag, fiel in Dunfermline mit seinem schwarzen Trenchcoat und den schwarzweißgefärbten Haaren auf. Er bezeichnete sich als Einzelgänger, obwohl er zuvor einer „Gang“ angehört hatte.
Jobson litt nach einem Unfall als Vorschüler unter einer speziellen Form von Epilepsie. In seiner Kindheit war er häufig alleine, las Bücher und sah Kinofilme. Jobson liebte es, in der Natur zu sitzen, während seine Eltern ihre Wochenenden damit verbrachten, durch die Pubs zu ziehen und zu trinken. Neben Schreierei kam es zu Hause auch zu körperlicher Gewalt. Über John Peels Radioshow kam er in Kontakt mit Punk und identifizierte sich damit. „Als Kind war ich ein Skinhead. Dabei ging es um Musik, Kleidung und Fußball“, sagte er später. Adamson lud Jobson zum Vorsingen ein und der überzeugte mit einer Version von „Raw power“ (THE STOOGES). Schnell entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihm und Adamson. Sie sprachen über ihre Familien, besuchten Fußballspiele und Konzerte und Jobson zeigte Adamson seine Gedichte. Mit 14 hatte er angefangen, diese in ein Notizbuch zu schreiben, und bei den SKIDS sollte er nach kurzer Zeit der alleinige Textschreiber werden.
Einer fehlte noch: Thomas „Tom“ Kellichan wurde ihr Schlagzeuger. Kellichan hatte auf die Annonce „Drummer required – no hippies“ geantwortet. Er war vier Jahre älter als Adamson, arbeitete als Kraftfahrer und sein Onkel hatte einen Transporter, den er gerne verlieh – auch ein Einstellungsgrund. Im Mai 1977 fanden die ersten Proben statt und am 19.08. spielten sie in Dunfermline ihren ersten Gig. Die Bar platzte aus allen Nähten und Jobson war ängstlich, dass er die Texte vergessen würde. Er hatte deswegen die Worte zu den Songs auf kleine Zettel geschrieben. Doch die gingen in der wilden Meute, die sich beim ersten Song entwickelte, verloren. Ihr erster Techniker sagte später: „Sie waren ‚unsere‘ Pistols, ‚unsere‘ CLASH.“
Der zweite Gig war eine von der örtlichen Kommunistischen Partei organisierte Soli-Veranstaltung für Chile. Nach wenigen Songs verkündete Adamson dem Publikum, dass man in einem kommunistischen Land die SKIDS nicht hören dürfte, und sofort wurde ihnen der Strom abgestellt. Eine Massenschlägerei war die Folge. Beim vierten Gig waren sie vorher gewarnt worden, sich keinesfalls auszuziehen, und entkleideten sich prompt bis auf die Unterhosen. Eine Zeitung schrieb über Jobson, der auch mal ins Publikum sprang: „Gegen ihn ist Attila der Hunne schüchtern.“ Damals dachte Jobson selbst, dass er vermutlich nicht sehr alt werden würde.
Sandy Muir, Plattenladenbesitzer in Dunfermline, brachte im Februar 1978 die erste SKIDS-Single raus, „Charles“. Sie verkaufte sich 10.000 Mal. Die B-Seite „Test tube babies“ hatten sie bereits im Oktober 1977 aufgenommen und im Juni 1978 wurde dann das weltweit erste Retortenbaby geboren. Das Stück hingegen verschwand schnell wieder aus dem Repertoire. Im ersten Jahr ihrer Existenz schrieben die SKIDS Unmengen an Songs, von denen viele nie professionell aufgenommen wurden. Die Presse lobte die Songtexte der Single. „Charles“ handelt davon, direkt nach der Schule in einer Fabrik anzufangen und zu einer menschlichen Maschine zu werden. John Peel spielte die Single mehrfach in seiner Sendung.
Ihre ersten Konzerte in London zwei Monate später waren auch die ersten Auftritte außerhalb Schottlands. Auch John Peel war auf einem dieser Gigs, nahm dann im Mai eine erste Peel Session auf und sagte, Adamson sei der neue Hendrix. SKIDS unterzeichneten nun einen Vertrag mit Virgin – für acht Alben! In jenen Wochen stellte Jobson Adamson eine Arbeitskollegin vor, Sandra, in die jener sich sofort verguckte. Bald waren die beiden zusammen und Adamson verbrachte seine Freizeit nicht mehr mit Jobson. Die Freundschaft der beiden fiel langsam auseinander. Schon auf der Rückfahrt nach der Vertragsunterzeichnung machte Adamson sich Gedanken über seine private Zukunft: Eine Familie und ein Eigenheim standen hoch auf seiner Agenda. Anders als bei Jobson, der sich gar keine Gedanken über die Zukunft machte.
Die Band konnte nicht so viele Shows spielen, wie sie wollte, weil nur selten Konzerte im Norden stattfanden. Als an einem Wochenende nichts los war, „überfielen“ sie den Gig der REZILLOS in Manchester und setzen sich selbst als Vorband ein. Irgendwann verlor Jobson auf der Bühne seinen Zahnersatz, denn offenbar fehlte ihm eine Reihe in der Kauleiste. Der Roadie sammelte diesen wieder ein und steckte ihn während der Show zurück in Jobsons Mund. „Sweet Suburbia“, die erste Single für Virgin, erschien im September 1978. Sie reisten erneut nach London, um ihre erste „Top of the Pops“-Session aufzunehmen – rein präventiv, falls der Song sich hoch genug platzieren sollte. Das passierte nicht (Platz 70) und die Aufnahme wurde nie gesendet. Kurz darauf kam dann „The saints are coming“ (von der „Wide Open EP“) und erreichte Platz 48. In dem Song hatten sie sogar ein Klavier eingesetzt. Beim dazugehörigen „Top of the Pops“-Auftritt betätigte sich Jobson als zweiter Gitarrist. Gerade zuvor hatte Adamson ihm die ersten Gitarrengriffe beigebracht und Jobson spielte ab sofort mit mehr Selbstvertrauen als Können.
Bei den Aufnahmen zur ersten LP im Winter 1978 versuchte Produzent David Batchelor den Songs eine etwas größere Kommerzialität zu geben, indem er die Melodien und die hymnischen Refrains verstärkte. Adamson war damit nicht immer einverstanden und stritt sich öfter mit ihm. Schließlich verließ er die Aufnahmen ohne ein Wort, nachdem Batchelor Overdubs, die live nicht reproduzierbar waren, verlangt hatte. Adamson wollte die Band ganz verlassen, vor allem weil er von der Musikindustrie desillusioniert war. Ende Januar schrieb er dem Record Mirror eine Begründung für seinen Abschied. Jobson kam anschließend die Aufgabe zu, ihn davon abzubringen, was auch gelang.
Im Februar 1979 erschien die Single „Into The Valley“ und dann auch das Album „Scared To Dance“. Die Single erreichte Platz 10 der Charts im UK. Der Songtitel und -text beruht auf dem Gedicht „The Charge of the Light Brigade“, in dem es um eine Niederlage britischer Truppen im Rahmen des Krimkrieges (1854) geht. Jobson bezeichnete den Song als Antikriegslied. Noch heute läuft der Dunfermline Athletic Fußballclub zu diesem Song auf, zu dem sogar ein Video gedreht wurde. Dort sieht man Jobson mit Schlips und neuem Ohrring wild tanzen. Bei Adamson lassen sich sogar Pickel im Gesicht erkennen, denn Make-up lehnte die Band rigoros ab. Mit „Into the valley“ waren sie dann gleich zweimal bei „Top of the Pops“. Am Tag nach der ersten Sendung standen auf einmal Fans vor ihrem Übungsraum und die SKIDS wurden plötzlich im Radio gespielt, sogar Interviewanfragen häuften sich. Von der Single wurden rund 240.000 Stück verkauft.
Das Album hatte sich verzögert, weil die Band mit dem geplanten blauen Vinyl nicht einverstanden war. Die erste Pressung wurde eingestampft und diese Scheibe ist heute die mit Abstand wertvollste SKIDS-Veröffentlichung. Zu den Texten sagte Jobson: „‚The saints are coming‘ und ‚Melancholy soldiers‘ handelten von seltsamen Dingen, die in unserer Gemeinde, die mit vielen Bergarbeitern und Hafenarbeitern sehr ‚working class‘ war, vorgingen. Du hattest die Auswahl, entweder das zu tun oder in die britischen Armee einzutreten. Also dienten viele meiner Freunde letztlich in Nordirland.“ Dass sich junge Menschen mit Kunst und Musik ausdrückten, wurde Jobson zufolge als „Obszönität“ angesehen. Neben den kommerzielleren Songs waren auch ein paar seltsame, experimentellere Stücke auf dem Album wie etwa „Scale“ und „Six times“. Im NME wurde es prompt niedergemacht, erreichte aber im UK Platz 19 der Charts und tauchte in einigen Jahresbestenlisten auf.
Während der Aufnahmen zur nächsten Single „Masquerade“ zog Jobson nach London, was auf Unverständnis von Adamson stieß. Die Single produzierte Adamsons Gitarrenidol Bill Nelson (ex-BE-BOP DELUXE). Sie kam im Mai heraus, erreichte Platz 14 in UK und war ungewöhnlich keyboardlastig. Den Ruf „Masquerade! Masquerade!“ missverstanden manche Radiohörer als „Masturbate! Masturbate!“. Laut Jobson war der Songtext von Picassos Bild „Guernica“, einem riesigen Antikriegsgemälde, beeinflusst. Sogar im deutschen Fernsehen wurde „Masquerade“ präsentiert und man konnte die Band wieder einmal in seltsamer Kleidung bewundern. Jobson zeigte sich jetzt oft im Poloclub-Outfit und Adamson war mit weißem Hemd und Weste zu sehen. Bei einem anderen Fernsehauftritt erschien Jobson mit fehlendem Zahn und demoliertem Gesicht. Er sagte später, dass Konzerte für ihn immer mehr zu einem alkoholisierten Kampf mit dem Publikum wurden. Ein Arzt riet dem erst 19-Jährigen dringend, weniger zu trinken. Nach der Single stieg Schlagzeuger Kellichan aus, unter anderem weil er nie Songwriter-Credits erhalten hatte. Bei Proben für das neue Album konnte Bill Nelson Adamsons und Jobsons Interesse an Synthesizern wecken. Zum Thema des Albums sagte Jobson damals: „Es geht um die Idee des Supermenschen, der losgeht und Leute tötet um des Ruhmes willen.“
Rusty Egan (geb. 1957) übernahm jetzt das Schlagzeug, verließ die Band aber schon nach der Tour zum Album wieder. Jobson erzählte später, dass Egan ein sehr guter Drummer gewesen sei, aber mit Redeschwällen genervt hätte. Mit Alistair Moore hatten sie nun live einen Keyboarder dabei, der die im Studio von Nelson gespielten Parts übernahm. Als erste Single erschien „Charade“ und erreichte Platz 31. Im Oktober kam das Album „Days In Europa“, doch es gab Ärger, weil das Cover einen Olympioniken von 1936 zeigt und eine Frakturschrift verwendet worden war. Jobson erläuterte später, dass es ihm nur um die Kunst und den Zusammenhang zu seinen Songtexten gegangen sei. Er las damals viele Bücher über die Weimarer Republik und wies einen Fetisch für Nazisymbolik weit von sich, obwohl die Band von Anfang an ihr Logo „SKIDS“ mit einem deutlichen SS geschrieben hatte. Es stellt sich die Frage, ob Jobson nicht einfach nur provozieren wollte. Der Longplayer kam auf Platz 32 in Großbritannien und in Portugal in die Top 5.
Die nächste Single „Working For The Yankee Dollar“ – ein Statement gegen amerikanische Interventionen und den amerikanischen Imperialismus – wurde von Mick Glossop neu gemixt. Sie erreichte Platz 20. Virgin war schon vor der Veröffentlichung nicht mit Nelsons Mix der LP einverstanden gewesen. Nun sah man sich durch den Erfolg der neu gemixten Single bestätigt. Adamson und Jobson gaben dem Ansinnen, einen zweiten Mix von Bruce Fairbairn herauszubringen, schließlich nach. Er erschien im Februar 1980, als Begründung wurde angegeben, dass das erste Covermotiv verboten worden wäre. Als weitere Auskopplung erschien „Animation“. Jobsons Lyrics handeln von Kontrollverlust in einer fremden Umgebung.
In der ersten Jahreshälfte 1980 spielten die SKIDS nur drei Gigs in Portugal, ihre ersten Festlandkonzerte überhaupt. Mit Mike Baillie, einem Hafenarbeiter, hatte die Band schnell einen neuen Drummer gefunden. Kurz zuvor enthoben Jobson und Adamson Keyboarder Moore seines Jobs. Bassist Simpson war nicht gefragt worden, auch nicht betreffend des Remixes der Platte. Verärgert warf er wenig später das Handtuch. Danach spielte er nie wieder in einer Band und verdiente sein Geld bei Versicherungen und als Makler. Jobson arbeitete in London mit der Sängerin Virginia Astley zusammen, nahm dann seine ersten Gedichtrezitationen auf. Dabei lernte er Russell Webb kennen, der Bassist bei den ZONES (aus Glasgow) gewesen war. Im April gab es Sessions für die nächste Platte der SKIDS und Webb stieg ein. Er war ein erfahrener Bassspieler und brachte eigene Ideen mit. Allerdings verstand er sich nach Jobsons Aussage nicht gut mit Mike Baillie und hackte auf diesem herum. Die Aufnahmen wurden von Mick Glossop betreut. Er sollte wieder mehr die Gitarre in den Mittelpunkt stellen. Das Thema des Album ist laut Jobson „Verlust“, insbesondere der Verlust der Unschuld.
Beim Aufnehmen der Songs waren sie sehr konzentriert. Doch Adamsons Gedanken galten seiner Frau zu Hause: immer wieder verschwand er unangekündigt für einige Tage nach Schottland. Er kam jedesmal zurück, aber es machte die anderen nervös.
Eine längere Tour sollte nach dem Album folgen, für die sie sich frühzeitig zu Proben trafen. Diese liefen so gut, dass nebenbei noch über zwanzig Minuten experimentelle Musik entstanden, die als Bonus-LP zu den ersten 20.000 Exemplaren des Albums herauskamen. Den Titel „Strength Through Joy“ („Kraft durch Freude“, ein Slogan aus dem Dritten Reich) verteidigte Jobson als „Ironie“ und verwies auf die anitfaschistischen und antitotalitären Texte.
„Circus Games“ erschien im Juli 1980 als Vorab-Single. Der Song hat Mitsingqualitäten und wurde sogar mit einem Kinderchor (bestehend aus dem Nachwuchs der Studiomitarbeiter) angereichert. Erneut trat die Band bei „Top of the Pops“ auf, Jobson trug diesmal Anzug. Später sagte er: „Ich bin angezogen wie ein Idiot und benehme mich wie ein Idiot.“ Danach spielten sie ihre fünfte und letzte Peel Session, allerdings – Vorbote für das, was kommen sollte – ohne Adamson. John McGeoch vertrat ihn.
Im September erschien das Album „The Absolute Game“ weltweit. Im Gegensatz zu den vorherigen Covermotiven, die eine bestimmte Kunstepoche imitierten, gab es diesmal die Köpfe aller vier Bandmitglieder im Stil römischer Statuen zu sehen. Damit erhielten erstmals auch der Bassist und der Drummer eine öffentliche Würdigung und bekamen sogar Songwriter-Credits. Das Album versucht, den Sound der vorherigen zwei Platten zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen: Synthies sind vorhanden, aber mehr im Hintergrund, die Gitarre gewinnt an Boden, klingt jedoch nicht mehr so harsch wie anfangs. Das Album erreichte in Großbritannien Platz 9. Aus dem Album wurden weitere Singles ausgekoppelt: zuerst „Goodbye Civilian“, dann „Woman In Winter“. Jobsons Text handelt von Flüchtlingen am Ende des 2. Weltkriegs, insbesondere Vertreibungen aus dem Osten. Die Single erreichte Platz 49 und wurde 2007 vom Q Magazine zum viertbesten Gitarrensong aller Zeiten gewählt. Jobson benannte später einen seiner Filme danach.
Bei der Tour ab Ende September 1980 hieß die Vorgruppe ON THE AIR, eine Mod-Band von Simon Townshend. Über den Gig im Hammersmith Odeon am 21.10. erzählt Jobson in seinem Buch, dass sie das Gefühl hatten, es wäre der größte Gig ihrer Karriere, und dann erschien Adamson nicht zum Soundcheck. Nur zehn Minuten vor dem Konzert tauchte er auf und tat, als sei nichts gewesen. Das Management wollte die SKIDS nach Amerika bringen, auch wenn dort weder die aktuelle Platte noch die Singles erschienen waren. Ende 1980 spielten sie ihre ersten Konzerte in den USA, ohne große Resonanz.
Jobson war inzwischen immer seltener in Schottland, hatte stattdessen Auftritte in London, bei denen er Gedichte vorlas. Dort erreichte ihn Anfang 1981 ein Anruf des Managements, dass Adamson ihn gefeuert hätte. Jobson kam nach Dunfermline, um das zu besprechen, erfuhr dann, dass Adamson ihn treffen und neue Songs schreiben wollte. Er verstand es nicht. Bei den Proben brachte Webb den Song „Iona“ ein und bis heute sagt Jobson, dass er den Song hasst. Im April 1981 stieg Baillie aus, der schon anfangs von Adamsons Gitarrenarbeit eingeschüchtert gewesen war. Außerdem hatte Webb ihn häufiger runtergemacht. Kenny Hyslop (ex-ZONES) ersetzte ihn auf Webbs Vorschlag hin.
Anschließend verließ Adamson– während der ersten Aufnahmen zum Album – die SKIDS. Damals begründete er dies damit, dass ihre individuellen Ideen zu verschieden seien und sie nicht mehr an einem Strang zögen. Später sagte er: „Rückblickend war das mit den SKIDS nur Spaß. Wir haben das zu keiner Zeit hundertprozentig ernst genommen. Ich finde, wir haben gute Musik gemacht. Es war halt ein guter Spaß.“ Er gründete bald darauf BIG COUNTRY (siehe Kasten). Jobson hatte zu dieser Zeit eine Freundin in Berlin, die Suizid beging. Das beschäftigte ihn sehr und daher war ihm Adamsons Ausstieg zunächst egal.
Jobson und Webb machten mit Gastmusikern weiter. Ihre neuen Songs setzten weniger auf die Gitarre als zuvor und der abwechslungsreiche Bass war im Sound zentraler. Folk schlich sich außerdem in mehrere Stücke ein. Im Vorfeld zur LP erschienen mit „Fields“ und „Iona“ zwei Singles, die beide nicht in die Hitlisten kamen. Das Album „Joy“ verkaufte sich angeblich nur 3.000 Mal. Die Kritiker waren verwirrt, der Melody Maker sprach gar von „enthusiastischem Dilettantismus“. Jobson sagte: „‚Joy‘ ist wie jede andere Platte nicht unfehlbar, aber sie hat mehr Charakter und Seele als alles, was wir in der Vergangenheit probiert haben.“ Inzwischen bezeichnet er die Scheibe als „kein echtes SKIDS-Album“. Sucht man heute den Albumsong „Blood and soil“ bei YouTube, landet man leider schnell bei rechtsradikaler Scheiße. Es gab keine Konzerte zur Veröffentlichung, so als hätten Management und Band schon aufgegeben. Folgerichtig löste Jobson die SKIDS im Januar 1982 auf. Anschließend meinte er, dass sie für ihren Mut und den Versuch, neue Sachen zu machen, nicht genügend gewürdigt worden waren.
Jobson und Webb gründeten dann THE ARMOURY SHOW (siehe Kasten). Nach dem Ende dieser Band arbeitete Jobson als Fernsehmoderator, Model, Autor und noch später als Regisseur. 2003 gab er seinen Einstand mit dem Skinhead-Drama „16 Years Of Alcohol“. Webb war Anfang der Neunziger bei PUBLIC IMAGE LTD. und komponierte später Musik für Fernsehen und Radio. Stuart Adamson beging am 16.12.2001 im Alter von 43 Jahren Selbstmord. Einige Wochen lang hatte er als vermisst gegolten und zum Zeitpunkt seines Todes war er stark angetrunken. Für 2002 hätte ihm ein Gerichtsverfahren in Nashville (wo er inzwischen wohnte) wegen Trunkenheit am Steuer gedroht. Zeit seines Lebens hatte sich in Adamson der Romantiker gegen den professionellen Musiker durchgesetzt. Sein Misstrauen gegenüber dem Musikbusiness hatte er nie abgelegt. Und auch wenn ihm lange Touren nicht gefielen, so blühte er doch bei jedem Live-Auftritt auf, wirkte nahbar und sorgenfrei und genoss die Begeisterung des Publikums. Im Januar 2002 gab es eine Gedenkveranstaltung in Dunfermline, auf der auch Richard Jobson sprach. Beim Stuart Adamson Tribute in Glasgow spielten die SKIDS erstmals wieder – in einer Besetzung mit Jobson, Simpson, Baillie und Egan sowie Adamsons BIG COUNTRY-Partner Watson.
Ende 2006 machten U2 und GREEN DAY „The saints are coming“ zu einem weltweiten Hit. Alle Einnahmen wurden den Opfern des Hurricanes Katrina gespendet. The Edge sagte dazu, dass die SKIDS ein großer Einfluss für U2 gewesen seien. 2007 meinte Jobson zum Thema Reunion noch: „Ich bin 46. Damals war ich ein kleiner Punk. Nun bin ich das Gegenteil, ein Vater. Außerdem mag ich Bands, die sich nach zwanzig Jahren reformieren, nicht.“ Dennoch spielten sie drei Gigs in der Besetzung Jobson, Simpson, Baillie, Bruce Watson (Gitarre, BIG COUNTRY) und Jamie Watson (Sohn von Bruce). Jamie übernahm die zweite Gitarre, die früher Jobson gespielt hatte. Die Auftritte wurden vom Publikum enthusiastisch angenommen. Passend dazu erschien ein Live-Album mit altem Material. Jobson gab nun in Interviews zu, dass er die SKIDS viele Jahre ignoriert, wenn nicht sogar herabgewürdigt hatte. Doch dann sei ihm klargeworden, wie wichtig die Band für viele Menschen war.
Die Tour zum vierzigsten Geburtstag 2017 resultierte in einer anhaltenden Reunion und über hundert bisher gespielten Konzerten. Seitdem wird auch mit Veröffentlichungen nicht gegeizt: Schnell erschien ein aktuelles Live-Album, bei dem Jobson sich sehr erzähl- und die Band spielfreudig zeigt. Sogar bei der Leadgitarre sind gegenüber früher nur wenig Abstriche zu verzeichnen. Im Jahr darauf gab es mit „Burning Cities“ ein neues Studioalbum. Es sollte laut Jobson klarstellen, dass sie nicht zu „diesen Nostalgiebands“ gehörten. Für das Songwriting holte er sich Unterstützung bei Youth (KILLING JOKE) und Martin Metcalfe (ex-GOODBYE MR. MACKENZIE). Das Ergebnis klingt wie ein Querschnitt aus allen vorherigen SKIDS-Alben, ohne aber die jugendliche Unbekümmertheit der ersten Songs auszustrahlen. Zuletzt kam ein Akustikalbum, „Peaceful Times“, das ohne Schlagzeuger Baillie aufgenommen wurde. Jobson präsentierte es, begleitet von den beiden Watsons, mit einer Akustiktour und erzählte dazu Storys aus seiner Autobiografie „Into The Valley“. Schaut man sich Jobsons Website an, die vor krasser Werbung und Selbstmarketing nur so strotzt, kann man seine alte Aussage, dass er keinesfalls etwas aus finanziellen Überlegungen heraus tun würde, kaum mehr glauben.
THE ARMOURY SHOW
Nachdem SKIDS 1982 ihr Leben aushauchten, gab es zunächst eine Pause im Kontakt zwischen Richard Jobson (Gesang, Texte) und Russell Webb (Bass, Songwriter). Als die beiden sich dann wiedertrafen und Webb seine Songideen präsentierte, begann eine neue Zusammenarbeit, und ab 1983 traten sie unter dem Namen ARMOURY SHOW live auf. Mitstreiter waren Gitarrist John McGeoch (SIOUXSIE AND THE BANSHEES, MAGAZINE) und Drummer John Doyle (MAGAZINE). Bis zu ersten Aufnahmen dauerte es, schließlich kam 1984 die Single „Castles In Spain“ und ein Jahr später das Album „Waiting For The Floods“. ARMOURY SHOW präsentierten dort einen sorgfältig arrangierten und produzierten abwechslungsreichen New Wave. Keyboards kommen nur wenig vor, der Bass wummert hart und die Gitarre hat eher die Funktion eines atmosphärischen Beiwerks. Jobson sagte dazu: „Das wollte ich so: etwas kühler, etwas derber.“ Trotzdem ist in den hymnischen, pathetischen Songs eine Verwandtschaft zum letzten SKIDS-Album „Joy“ zu erkennen. Nachdem LP und Singles keinen Erfolg hatten, stiegen McGeoch und Doyle aus und nach zwei weiteren Singles war 1987 Schluss. Jobson gelang es 1988 noch, das geplante zweite Album „Badman“ unter seinem eigenen Namen herauszubringen. In seinem Buch schrieb er später, dass er sich schon zu Zeiten der SKIDS nicht besonders gut mit Webb verstanden hatte. 2019 trat Jobson erstmals wieder – mit ganz neuen Musikern – als ARMOURY SHOW auf. Der angekündigte zweite Teil seiner Autobiografie soll sich seiner Zeit mit dieser Band widmen.
BIG COUNTRY
Als Stuart Adamson die SKIDS verließ, hatte Bruce Watson aus Dunfermline schon vor Monaten seinen Job in den Docks gekündigt, neue Gitarren gekauft und sich auf das Musikmachen konzentriert. Die beiden setzten sich zusammen und innerhalb weniger Wochen hatten sie mehrere Demosongs aufgenommen. Diese hatten einen für die Zeit unpopulären Sound mit hymnischen Gitarren und solidem Rock-Fundament. 1982 wurde das Ende von SKIDS öffentlich und der Bassist Tony Butler (ex-ON THE AIR) rief Adamson an und empfahl sich und seinen Schlagzeuger Mark Brzezicki für eine eventuelle neue Band. Schnell war klar, dass die vier wie ein Uhrwerk harmonierten. Ihr Debütalbum „The Crossing“ 1983 knüpfte an „The Absolute Game“ von SKIDS an, mit weniger Synthies und mehr Gewicht auf der präzisen Rhythmusfraktion. Die LP erreichte in Großbritannien Platin- und in den USA Goldstatus. Auskopplungen waren „Fields of fire“, „In a big country“ und „Chance“. Im weiteren Verlauf ihrer Karriere ließen sich die Musiker dann manches Mal von Erwartungen oder Produzenten verbiegen und lieferten zum Beispiel sehr poporientiertes („The Seer“, 1986) oder ein AOR-Album („Peace In Our Time“, 1988). Die in Deutschland erfolgreichste Single war „Look Away“ 1986. Nach einer gelungenen härter rockenden Rückkehr 1993 („The Buffalo Skinners“) ging der Band ein wenig die Luft aus. Im Anschluss an die Tour zu „Driving To Damascus“ (1999) war unklar, ob es das für BIG COUNTRY gewesen war. Nach Adamsons Suizid war die Band erst 2011 mit neuem Sänger wieder aktiv und veröffentlichte 2013 mit „The Journey“ ein neues Album. Zu Lebzeiten von Adamson verkauften BIG COUNTRY über 10 Millionen Platten.
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