Was macht ein Ire, wenn er nach Schweden auswandert? Er bekommt irgendwann Heimweh und gründet eine Band, mit der er der Musik seiner Heimat frönt. Wenn er obendrein auch noch dem Punkrock zugetan ist, wird’s eine Folkpunk-Band. Und wenn es sich bei dem Typen um Brendan Sheehy handelt, heißt die Band SIR REG. So kann man kurz und knapp die Geschichte dieser schwedischen Combo umreißen, die jetzt mit „Kings Of Sweet Feck All“ ihr sechstes Album veröffentlicht. Auf dem geht es, wie auf vielen aktuell erschienenen Platten, vornehmlich um die Pandemie und was diese mit den Menschen gemacht hat. Wobei Brendan hier und da textlich schon unerwartet offensiv vorgeht. Missverständnisse möglich? Ja, absolut. Und genau deshalb ist ein Interview wie dieses auch so wichtig. Lest selbst.
Brendan, „Kings Of Sweet Feck All“ – was bedeutet dieser Albumtitel?
Er ist nach einem der Songs auf dem Album benannt. Und der Titel bedeutet im Grunde, dass wir zwar alle gleich erschaffen und geboren wurden – aber einigen wird eben leider beigebracht, andere zu hassen. Sie sind überzeugt, etwas Besseres zu sein. Wenn sie dann irgendwann hoffentlich einmal nachdenken, haben sie die Chance zu erkennen, dass sie eben nicht besser sind als andere. Und dass ihre bisherige Ideale und Ansichten alle lediglich Schwachsinn sind. Diese Menschen sind nur ein Produkt der Umgebung, in der sie aufwuchsen.
Ganz offensichtlich handeln viele Songs von der Pandemie. Was haben die letzten zwei Jahre für dich und SIR REG bedeutet?
Da hast du recht. Der größte Teil des Albums hat tatsächlich dieses Thema. Es geht darum, wie wir die Pandemie hier bei uns in Skandinavien durchlebt haben und wie wir als, ich sage mal, normale Menschen in dieser Zeit gehandelt haben und wie die verschiedenen Regierungen und wie die Behörden. Abgesehen von dieser Tragödie und all dem Leid, das das Virus mit sich brachte, bedeutete Corona für uns als Band natürlich, dass wir nicht mehr zusammenkommen, nicht mehr proben oder auftreten konnten. Alles kam zum Stillstand. Ich selbst saß zu dieser Zeit in Dänemark fest und konnte monatelang nicht nach Schweden zurückkehren. Meinen Sohn und den Rest der Band nicht sehen zu können, das war der Hammer. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt. Niemand von uns.
Nun ist es so, dass einige eurer Texte eine hörbare Note von genau den Parolen haben, die all die vermeintlichen Freiheitskämpfer:innen und die Corona-Leugner:innen während des Lockdowns benutzt haben, um gegen die Pandemie-Regeln zu protestieren. Da stellt sich die kritische Frage: Was bezweckst und meinst du mit diesen Texten?
Die Zeile „Goodbye to all your freedom“ bezieht sich lediglich auf die Schließung der Öresundbrücke zwischen Schweden und Dänemark. Du musst wissen, die Bevölkerung rund um diese Brücke ist auf beiden Seiten sehr eng miteinander verbunden. Viele haben Familie hüben wie drüben und reisen regelmäßig hin und her. Und die Tatsache, dass Schweden und Dänemark unterschiedliche Corona-Strategien verfolgten, führte dazu, dass zum ersten Mal seit einer Ewigkeit die Grenze zwischen den beiden Ländern dichtgemacht wurde. „Thank you for your lies“ verleiht wiederum meiner Enttäuschung über die Behörden Ausdruck, denen wir eigentlich vertrauen sollten. Die sich mit ihren Vorhersagen aber immer wieder irren, während sie verzweifelt versuchen, irgendwie ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Diese Zeilen sind wie ein verbales Polaroidfoto davon, wie ich mich in manchen Momenten gefühlt habe. Ich habe während der Pandemie beobachtet, wie Schweden zu Beginn einen anderen, lockereren und auf Selbstverantwortung setzenden Ansatz verfolgte als das übrige Skandinavien – und die Dinge liefen aus dem Ruder. Die Regierung und die Behörden schoben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, von der höchsten runter bis zur lokalen Ebene. Ich hatte den Eindruck, dass zu viele Köche den Brei verderben, anstatt dass die Spitze dieser Kette von Entscheidungsträgern die Verantwortung übernimmt und das Problem sofort löst. Es hat eine Weile gedauert, bis die ganz oben sich zusammengerissen haben. Und dabei zuzusehen, wie sich die Dinge derart entwickeln, war frustrierend und wie ein schlechter Hollywood-Film. So etwas möchte ich nie wieder erleben! Zum Glück wendete sich das Blatt am Ende ja – wie überall sonst auch. Und der gesunde Menschenverstand half dann doch, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen. Und was all die von dir erwähnten Leugner und Protestierenden gegen die Corona-Beschränkungen angeht: Ich denke, das war einfach die natürliche Reaktion einiger Menschen. Leider. Nicht jeder hat eben in dieser Sache die gleichen Ansichten. Aber jeder sollte die Meinungen anderer zu diesem Thema respektieren – genauso wie es bei verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen der Fall ist. Es ist doch so, je mehr man versucht, jemanden zu zwingen, seine Ansichten zu ändern, desto stärker werden diese Überzeugungen meiner Meinung nach.
Dennoch wandelst du mit solchen Aussagen zumindest auf einem schmalen Grat. Siehst du nicht die Gefahr, dass man sie möglicherweise falsch, genau genommen als Schwurblergerede interpretieren kann?
Wie die Hörerinnen und Hörer die Texte interpretieren, bleibt letztlich ihnen überlassen. Das ist eben so. Und genau das ist meines Erachtens nach sogar die Stärke von solchen Texten. Man kann sie so interpretieren, wie man sie für sich braucht. Natürlich, oft werden Texte falsch verstanden. Aber dann sind es auch Interviews wie dieses, das wir gerade führen, durch die diese Dinge aufgeklärt werden können – zumindest wenn der Künstler offenlegen möchte, worum es genau geht.
Realität ist, „Kings Of Sweet Feck All“ ist euer sechstes Album. Inwiefern ist es für euch besonders? Vielleicht weil es in der widrigen Zeit der Pandemie entstanden ist?
Es ist etwas Besonderes, weil es so etwas wie ein Tagebuch dessen ist, wie ich mich gefühlt habe: Paranoia, Unsicherheit und Trauer, gemischt mit einer großen Portion Hoffnung. Es ist ein bisschen persönlicher als die vorherigen Alben, denn ich habe die Songs geschrieben, als die Pandemie in vollem Gange war. Sie zeichnen ein Bild davon, wie es im Kopf eines Einzelnen zu dieser Zeit aussah. Das Album ist wie eine Zeitkapsel, die persönliche Gedanken und Erfahrungen enthält.
Du bist Ire und bist aus deiner Heimat nach Schweden übergesiedelt, um eine Celtic-Folkpunk-Band zu gründen. Das ist schon merkwürdig. Ich meine, schließlich warst du doch an der Quelle! Warum hast du nicht in Irland eine Band gegründet, die irische Musik spielt?
Na ja, meine schwedische Freundin hatte einen großen Einfluss darauf, dass ich dahin zog, haha. Ich hatte allerdings zum damaligen Zeitpunkt noch keinen Celtic Punk im Sinn und war mit dem Genre auch gar nicht vertraut. Ich stand mehr auf Britpop und Rock. Es war irgendwann das dann doch einsetzende Heimweh, das mich dazu brachte, mich wieder mit meiner ursprünglichen Kultur, wenn du so willst, zu beschäftigen. Also lieh ich mir gefühlt jedes irische Musikalbum und Buch über Irland aus, das die örtliche Bibliothek im Bestand hatte, und begann, Songs zu schreiben. Es fühlte sich irgendwie realer an, meine Gedanken auf einem Blatt Papier festzuhalten, wenn dazu Musik aus Irland im Hintergrund lief.
In Deutschland ist das Genre Celtic Folk respektive Folkpunk extrem populär. Bands wie die DROPKICK MURPHYS oder FLOGGING MOLLY sowie früher die POGUES haben eine riesige Fangemeinde und spielen in den großen Hallen. Wie ist das in Schweden?
Das Lustige ist ja zunächst mal, dass keine dieser erfolgreichen Bands aus Irland stammt. Die werden meistens von Leuten gegründet, die ihre Heimat oder ihre Familien verlassen haben, und die dann versuchen, in Worte und Musik zu fassen, wie sehr sie ihre Heimat vermissen und wie sehr sie sich wünschen, dort zu sein, es aber aus irgendeinem Grund nicht können. So wie ich, haha. Diese Abwesenheit lässt das Herz für die Sache wachsen! Und das ist auch in Schweden so, um deine Frage zu beantworten.
Eure früheren Alben hießen „21st Century Loser“, „Modern Day Disgrace“, „The Underdogs“ und spiegelten die Probleme der heutigen Welt wider. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und anderer aktuellen Tragödien scheint es, als hätte sich seither nichts geändert, oder?
Es wird sich nie etwas ändern, es sei denn, es geschieht ein Wunder, so ist die Menschheit nun mal. Ein Haufen gieriger Bastarde lebt da draußen! Es gab schon immer eine Menge gefährlicher Führer mit egoistischen Ideen. Und die wird es auch weiterhin geben, wenn wir nicht endlich mal alle gemeinsam „Nein!“ sagen.
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