Zwischen extrem guten Onlinezahlen und der analogen Realität sind die Dänen SIAMESE auf dem besten Weg, sich einen großen Namen zu erspielen. Wachsende Zahlen verzeichnet die Post-Hardcore-Band in beiden Realitäten, doch die wirklich richtigen Fans zeigen sich meist nur in einer Welt, wie Sänger Mirza Radonjica im Interview erzählt.
Zwei verschiedene Fanszenen
Blickt man auf die Spotify-Zahlen von SIAMESE so könnte man denken, die Band fülle ganze Hallen. Die Realität sieht jedoch noch anders aus, wie Sänger Mirza erzählt. „Es ist schneller möglich, hunderttausend monatliche Hörer:innen zu haben als hunderttausend Fans. Das ganze Konstrukt ist immer noch neu für uns alle und wir sind noch dabei, die Konversionsrate von Spotify ins echte Leben zu verstehen. Aber wenn wir im Streaming nicht erfolgreich wären, käme wohl kaum irgendjemand zu unseren Shows.“
Trotzdem veröffentlichen SIAMESE mit „Home“ ihr nun sechstes Studioalbum und bedienen damit ein Format, auf das Spotify weniger ausgelegt ist. Dass das Album durch Streamingplattformen und Playlists ausstirbt, daran glaubt Mirza nicht. „Ich denke, das Album wird uns alle überleben. Es ist eine Repräsentation und insbesondere in unserem Genre baut es auf Loyalität, Commitment und generiert mit Vinylverkäufen auch einen finanziellen Wert.“ Darüber hinaus mache es sehr viel Spaß, ein Album zu veröffentlichen. „Eine Sammlung an Songs tendiert dazu, fokussierter zu sein, während Singles das Gegenteil sein können.“
Einen einzigen richtigen Weg gebe es allerdings nicht. Stattdessen glaubt der Sänger auch an die zunehmende Bedeutung von Alben für Streamingplattformen. „Ich denke, viele richtige Fans werden künftig in den Nischen zu finden sein. Die Geschmäcker sind extrem breit gestreut, weil wir auf alles Mögliche Zugriff haben. Das ist der Punkt, an dem Alben etwas manifestieren können und dadurch auch die Loyalität der Fans bestärken. Das sind Leute, die vier Stunden fahren, um sich ein fünfzigminütiges Set anzuschauen, und vier Merch-Artikel kaufen, weil sie eine gewisse Verbindung zu einer Band und ihrer Musik fühlen.“
Freiheit
Für das Songwriting zu „Home“ nahm sich Mirza zusammen mit Songwriter und Gitarrist Andreas Krüger jede Menge Zeit und sie mieteten sich in ein Ferienhaus ein, um Demos anzufertigen. „Es waren insgesamt 104 Demos, um genau zu sein. Die Songs daraus auszuwählen, war allerdings ziemlich einfach. Am Ende hatten wir fünfzehn Tracks zusammen und haben uns auf zwölf geeinigt. Das war ein Prozess von eineinhalb Jahren, bis das Album so weit war.“
Neben vielen Songs, die dem Post-Hardcore-Sound von SIAMESE gerecht werden, sticht vor allem „Sloboda“ heraus. „Es ist das einzige Stück, bei dem das Mainriff der Refrain ist. Denn wir hatten das Gefühl, wir sollten mal etwas anderes machen als mit den meisten Songs.“ Er trägt zudem einen serbischen Titel, denn Mirza stammt ursprünglich aus Serbien. „Das bedeutet Freiheit und erzählt von der bittersüßen Erfahrung, in Dänemark aufzuwachsen. Einerseits gab es all diese Möglichkeiten, die ich dadurch hatte, und zugleich war da das Gefühl, anders behandelt zu werden, aufgrund meines Namens und meiner Abstammung.“ Dieser Hintergrund lässt jedoch den Albumtitel „Home“ und den dazugehören Track noch besonderer werden.
Heimat
Das emotionale Stück „Home“ ist eine Hommage, die Mirza während des Lockdowns im Bezug auf seine Heimatstadt geschrieben hat. „Ich bin stolz und dankbar, sagen zu können, dass ich bereits viele Orte auf der Welt gesehen habe. Aber nirgends habe ich das gefunden, was ich in Kopenhagen fand. Barcelona kommt dem zwar nahe, aber wenn du jemals in Kopenhagen bist, sag mir Bescheid und ich zeige dir all die positiven Seiten der Stadt.“
Mit Drew York (STRAY FROM THE PATH) und Rory Rodriguez (DAYSEEKER) haben SIAMESE zwei Gastsänger auf ihrem Album. Die Kontaktaufnahme geschah über Instagram, wie Mirza sich erinnert. „Es war so einfach, mit den beiden zu arbeiten. Eigentlich wollte ich Jason Butler von FEVER 333 zusammen mit Drew auf ‚Home‘ haben, aber er hat mir nicht geantwortet, haha.“ Vielleicht nächstes Mal, witzelt der Sänger, der sich als Fan auch mal ein Feature mit Brandon Boyd von INCUBUS wünschen würde. „Ich bin mit der Stimme dieses Mannes aufgewachsen. Ich habe Tattoos wie er, habe meine Haare wie er wachsen lassen und habe am Anfang meiner Karriere alles getan, um so zu klingen wie er. Er wäre die erste, die letzte und meine ewige Wahl für ein Feature.“
Die Fusion zweier Teile
Die Musik von SIAMESE vereint harte Metalcore-Elemente mit weichen Pop-Refrains und R&B-Einschlägen. Ihre Zielgruppe findet die Band in verschiedenen Kontexten. Sowohl auf Nischenfestivals wie dem Euroblast, aber auch als Support für Bands wie DEAD BY APRIL funktioniert die Musik von SIAMESE. „Wir zelebrieren keine verrückte Gitarrenmagie, sondern haben einfach groovige Songs mit Refrains, die sogar deine Freunde, die keinen Metal hören, mögen werden.“
Für die softe Seite in der Musik der Band nennt Mirza Einflüsse wie Justin Timberlake, THE WEEKND und PVRIS. „Ich liebe die Art, wie sie ihre Melodien strukturieren und wie smooth und perfekt die Worte in ihrer Musik klingen.“ Für die härtere Seite nennt der Sänger ARCHITECTS als aktuelle und BRING ME THE HORIZON als frühere Vorbilder. „Aber auch Bands wie ISSUES, DANCE GAVIN DANCE und SYSTEM OF A DOWN waren essenziell für die Entstehung unserer Songs.“
Diese Songs vereinen all diese Elemente und vermitteln einen Sound, der zur gleichen Zeit unverschämt catchy und dennoch hart klingt und SIAMESE in ihrem Bestreben zu wachsen voranbringen wird. „Wir haben vor, mit diesem Album Clubshows headlinen zu können, auf ein paar Festivals zu spielen und sicherzustellen, dass wir ganz viel Spaß haben werden. Wir wollen so viel wie möglich touren, solange wir das Gefühl haben, als Band relevant zu sein.“ Zudem rät Mirza jedem Menschen, eine Band zu gründen. „Mach es einfach!“
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