Sharon Woodward ist eine britische Independent-Regisseurin, die seit vielen Jahren schon an diversen britischen Filmhochschulen und bei der BBC jungen Leuten das unabhängige Filmgeschäft näher bringt, sie in Sachen Dokumentarfilm und Regieführung unterrichtet. Kurz vor der Jahrtausendwende, der kommerziellen Auftragsarbeiten überdrüssig, gründete Sharon ihre eigene Produktionsfirma Mischief Entertainment und drehte diverse Freelancer-Werke über Menschen am Rand der Gesellschaft, wie beispielsweise „Interviewing Vampires From Poole“, eine Doku über eine seltsame Gruppierung, die ihrem Selbstverständnis nach Vampire sind und mit dem sie auch auf den Filmfestspielen in Cannes und Edinburgh auf sich aufmerksam machte. Nachdem sie „This Is England“ gesehen hatte, kam ihr die Idee, ihre eigene Jugend als Skinheadgirl in einer Dokumentation zu verfilmen. „Thank you! Skinhead Girl“ entstand, eine Hommage fernab der üblichen Berichterstattung über Skinheads.
Sharon, wie kamst du zum Filmemachen?
Ich habe bereits 1984/85 erste Erfahrungen beim Film gesammelt, damals habe ich aber hauptsächlich geschauspielert. 1986 habe ich einen einjährigen Lehrgang für Arbeitslose belegt, der zusammen mit der Oxford Filmmakers Cooperation veranstaltet wurde, und habe dabei Videos für Gemeinden, Jugendzentren und Seniorenzentren gedreht. Dann ging ich an die Newport Film School in Wales, heute ist das die Universität von Wales. Dort habe ich Dokumentation und Filmschnitt studiert, habe aber auch einen Kurzfilm namens „Morning After The Night Before“ gemacht, der einen Studentenpreis des Walisischen Filmrats gewonnen hat. Anschließend habe ich beim BBC in Wales als Assistentin und Mitarbeiterin im Schnitt gearbeitet und dann bei Tyne Tees Television als zweite Schnittassistentin an einem Spielfilm. Später ging ich zur National Film and Television School und drehte den Film „The Journey“, der ebenfalls ein paar Preise gewann.
Wie lange machst du jetzt schon Filme?
Ich habe insgesamt sechs Jahre lang das Handwerk gelernt, aber wirklich angefangen habe ich 1992, als ich zum ersten Mal freiberuflich gearbeitet habe. Also mache ich jetzt seit ungefähr 20 Jahren Filme. Ich drehe größtenteils für Gemeinden, obwohl ich manchmal auch das Verlangen habe, einen Film alleine für mich zu machen. Von 2003 bis 2010 habe ich zusammen mit jungen Menschen zwischen 16 und 25 gearbeitet, die körperlich oder geistig behindert sind. Das ist eine großartige Möglichkeit, die Persönlichkeit von Menschen zum Vorschein zu bringen. Wenn jemand zum Beispiel Probleme mit dem Sprechen hatte und nur Zeichensprache benutzte, war das Filmemachen eine tolle Art zu kommunizieren. Diese jungen Leute haben auch Preise für ihre Filme gewonnen.
Was bedeutet es für dich, unabhängig Filme zu drehen?
Für mich bedeutet es, dass man nicht Teil der Mainstream-Industrie ist. Es ist also ein bisschen wie bei Indielabels. Das Gute daran ist, dass du die Freiheit hast, einen Film zu machen, ohne dass dir jemand sagt, wie du ihn schneiden oder welches Zielpublikum du damit ansprechen sollst. Andererseits hat man Geldprobleme. Wenn das, was du tust nicht massenkompatibel ist, bekommst du auch keine Unterstützung der Filmindustrie.
Und wie findest du dann Geldgeber für deine Filme?
Bei meinen eigenen Filmen habe ich mich darum immer selbst gekümmert. Ich habe immer erst Unterstützung bekommen, nachdem ich etwas gedreht und mögliche Geldgebern die Ausschnitte gesehen hatten. Im Vorfeld habe ich nie Geld bekommen, immer nur, nachdem die Leute gesehen haben, was ich gedreht hatte. Von Screen South habe ich jedoch tatsächlich ein Angebot für „Thank You Skinhead Girl“ bekommen. Sie wollten mir ein bisschen Geld geben und waren daran interessiert, daraus einen Spielfilm zu machen. Allerdings wollten sie dafür einen weiteren Redakteur engagieren, einen Blick auf die Produktion werfen, und gegebenenfalls noch etwas drehen. Über dieses Angebot habe ich eine Woche lang nachgedacht, bevor ich mich bei ihnen gemeldet habe. Ich konnte an nichts anderes denken und habe gegrübelt, was ich tun sollte. Letztendlich habe ich abgelehnt. Screen South hat darauf gelassen reagiert und mir ein bisschen Geld für die Musikrechte in Großbritannien gegeben, mehr konnten sie nicht tun, ohne wirklich beteiligt zu sein. Ich denke, ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Sunny Bastards hat mir jetzt geholfen, den Film einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, wofür ich sehr dankbar bin. Der Film ist auf Festivals in Edinburgh, Italien, Indien, Estland, der Türkei und Bulgarien sehr gut angekommen. In Bulgarien hat er den Preis für die beste Dokumentation bekommen. Ich bin also froh, dass ich den Film veröffentlichen konnte, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.
Was war dein allererstes Filmprojekt?
Der erste Film, an dem ich beteiligt war, entstand mit einer Theatergruppe namens „Teenage Zits“, der ich angehörte. Als einige der Mitglieder wechselten, beschlossen wir, einen Film zu machen. Also haben wir Spendenaufrufe gestartet und schafften es, etwas Geld zusammenzubekommen. So um 1984/85 drehten wir dann das Improvisations-Drama „Not A Girl Anymore“. Channel 4, ein neuer Sender in Großbritannien, kaufte es und zeigte es in der Show „Turn It Up“. Es war ein schrecklicher Film, der mit heute sehr peinlich ist, aber durch ihn habe ich angefangen, mich fürs Filmemachen zu interessieren.
Wie wählst du deine Themen aus?
Ich verdiene mein Geld wie schon gesagt größtenteils damit, Filme für andere zu machen, also für Gemeinden, Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Außerdem unterrichte ich Film und Filmwissenschaft und bin zur Zeit in einem „Artists in Residence“-Programm, das den Austausch zwischen Künstlern verschiedener Kulturkreise fördert. Dennoch habe ich von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, einen Film ganz alleine für mich zu machen, dann überkommt mich meine Leidenschaft. Mich interessiert das menschliche Verhalten, warum wir die Dinge tun, die wir tun. Ich richte die Kamera oft auf mich selbst, um ein Thema zu ergründen. Mit dieser Art des Arbeitens bin ich noch nicht fertig.
So hast du auch deine Jugendzeit in „Thank You Skinhead Girl“ erforscht. Wie hat sich dieses Filmprojekt entwickelt?
Im britischen Fernsehen sah ich 2006 einen Trailer zu „This Is England“, ein Film von Shane Meadows. Da wurde „Louie Louie“ von TOOTS AND THE MAYTALS gespielt. Ich dachte mir, dass ich diesen Film sehen muss, wenn er ins Kino kommt. Zur Premiere bin ich extra mit meinem Mann nach London gefahren, der nie ein Skindhead war und für den es sehr spannend war, das zu sehen. Hinterher dachte ich sehr viel über den Film nach, darüber, inwiefern er meine eigenen Erfahrungen widerspiegelte. Ich dachte über das Skinhead Girl nach, das ich einst war und über diese prägenden Teenagerjahre. Kurz darauf machten mein Mann und ich Urlaub, und auch in dieser Zeit musste ich ständig über diese Phase meines Lebens nachdenken. Als ich zurückkam, fand ich im Internet einen Blog des Fotografen Gavin Watson. Er war selbst in seiner Jugend Skinhead gewesen und lebte in High Wycombe, nur einen Bezirk von mir entfernt in Oxford. Seine Posts bekräftigten mich in meinen Überlegungen, und schließlich dachte ich, dass ich einen Film über meine Erfahrungen machen muss, da sie zu wichtig sind, um sie nicht zu dokumentieren. So kam ich also auf die Idee.
Wie haben deine Freunde, Kollegen und Familie darauf reagiert?
Als „Thank You Skinhead Girl“ in Großbritannien erschien, habe ich mit körperlich und geistig behinderten Jugendlichen gearbeitet. Sehr viele Leute wussten nichts über meinen Hintergrund und meine Teenagerzeit. Die meisten Leute, die mich nicht gut kannten, dachten wohl, dass ich nur Filme für Gemeinden mache. Als ihnen bewusst wurde, dass ich mal ein Skinhead war, waren sie sehr überrascht. Viele Jugendarbeiter – außer denen, die mich bereits aus den Achtzigern kannten – folgerten daraus, wie üblich, dass ich Rassistin gewesen sein muss. Glücklicherweise schrecke ich nicht vor Diskussionen zurück. Es hatte den Anschein, als ob viele Leute, die Sozialarbeit studiert hatten, diesem Thema sehr naiv gegenüber standen. Das hat mich überrascht und anfangs richtig genervt, da die Leute immer denken, dass Skinheads Rassisten sind. Jedoch begriff ich dann, dass es eine großartige Möglichkeit für mich war, mit einigen Missverständnisse aufzuräumen, und das tat ich dann auch. Viele dieser Leute hatten noch nie etwas von SYMARIP, Prince Buster, Dandy Livingston oder dem schwarzen Skinhead und Ska-Sänger Laurel Aitken gehört. Einige meiner Freunde kennen mich schon seit frühester Jugend, also musste ich mich denen gegenüber nicht rechtfertigen, aber die Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren überrascht. Ich denke, die meisten, die mich nicht aus meiner Jugend kannten, waren schockiert, dass ich einen ziemlich krassen Arbeiterklasse-Hintergrund habe.
Für dich bedeutete das Skinhead-Dasein eine Flucht aus häuslicher Gewalt in eine Gruppe, die auch als gewalttätig eingestuft wird. Denkst du, dass die Skinhead-Szene ein guter Umgang war?
Ich war im Kinderheim, als ich Skinhead wurde, und für mich war es eine Möglichkeit, frei zu sein. Ja, die Skinhead-Szene ist gewalttätig und wir waren es auch. Aber ich denke das war so, weil wir Teenager waren. Die meisten Jugendlichen sind voller Hormone und Testosteron und wollen sich beweisen. Ich denke, alle jungen Menschen entwickeln ein aggressives Verhalten gegenüber Autoritäten und anderen Gruppen von Jugendlichen. In einem gewissen Maß sind Jugendliche dazu programmiert, aggressiv zu sein und auch so aufzutreten. Ich glaube nicht, dass andere Jugendgruppierungen sich anders ausgedrückt haben. Die Leute assoziieren allerdings Gewalt vor allem mit den Skinheads, da die Presse es so darstellte, und dieses Bild hat sich bis heute gehalten. Skinheads sind genau wie Punks optisch sehr auffällig und sind großartige Motive für Fotojournalisten. In Anbetracht dessen, dass Skinheads ein Produkt der Arbeiterklasse sind, ist es nicht wirklich überraschend, dass dieser Kleidungs- und Lebensstil übernommen wurde.
Deine Lieblingsmusik war Skinhead-Reggae und Ska. Wie sieht es mit Punk und Oi! aus? Du hast Roddy Moreno von THE OPPRESSED interviewt, die zu den absoluten Favoriten des Oi! gehören ...
Klar war ich vor allem von Ska und Reggae begeistert, aber nichtsdestotrotz liebte und liebe ich auch THE OPPRESSED. Ich habe bereits in anderen Interviews erwähnt, dass ich eine Schwäche für sie habe. Ich mochte ein paar Oi!-Bands und -Songs, aber ich würde mir kein komplettes Album anhören wollen. Ein komplettes Ska-Album würde ich mir allerdings schon anhören. Das ist eine persönliche Vorliebe, mehr nicht. „Skinhead times“ ist ein wichtiger Song für mich. Er ist antifaschistisch und ich liebe es, wie Roddy ins Mikrofon schreit und unnachgiebig fordert: „Stand up and defend your roots“. Skinheads entwickelten sich aus der jamaikanischen Kultur und der der weißen Arbeiterklasse, und dieser Song artikuliert das.
Was war damals der Unterschied zwischen Punk und Oi! für dich? Hast du auch Zeit mit Punks verbracht? Heute heißt der Slogan ja oft „Punks & Skins united“ ...
Ich sah Oi!-Musik als Sound der Arbeiterklasse-Kids, die Musik machten. Damit will ich nicht sagen, dass Punk das nicht war, aber da gab es eine größere Mischung von Punks aus der Mittelschicht und Arbeiterklasse. Das fand ich toll, die ersten Mittelschicht-Kids, die ich kennen gelernt habe, waren Punks. Einige Jahre später haben wir versucht, dieses Thema im Film „Not A Girl Anymore“ ausführlicher zu verarbeiten. Ich habe dabei eine Figur gespielt, der mir selbst sehr ähnlich war: ein Ex-Skinhead Girl aus der Arbeiterklasse. Meine Freundin spielte eine Punkerin aus der Mittelschicht. Es geht darum, dass die beiden sich zufällig in einem Pub treffen, als der wütende Gastwirt einen Großteil ihrer Gruppe rauswirft – nur die beiden Mädchen bleiben. Sie hängen zusammen rum, betrinken sich, man erfährt etwas über ihren unterschiedlichen Background, aber auch, was sie als junge Frauen verbindet. Es hat nicht auf allen Ebenen funktioniert, aber so läuft es manchmal. Die Idee entstand aus Erfahrungen, die wir alle schon mal gemacht haben.
Was denkst du, wenn du Mainstream-Filme wie „American History X“ siehst oder die typischen Dokumentationen über Skinheads, die meist nur ein paar bedauernswerte idiotische Rassisten zeigen?
Filmen gegenüber, die dieses Thema behandeln, stehe ich meist ablehnend und gelangweilt gegenüber, sie sind so vorhersehbar und oberflächlich, mal abgesehen von „This Is England“. Bei „American History X“ gab es ja einige Probleme während der Produktion. Der britische Regisseur Tony Kaye hat irgendwann das Handtuch geworfen, weil das involvierte Hollywood-Studio nicht aufgehört hat, sich in die Umsetzung des Drehbuchs einzumischen. Die endgültige Version wurde letztendlich unter der Leitung von Edward Norton fertiggestellt, glaube ich. Ich weiß also nicht, wie der Film geworden wäre, wenn man alles Tony Kaye überlassen hätte. Wenn man in Mainstream-Filmen eine Nebenhandlung und einen rassistischen Charakter einbinden möchte, ist es einfach, dafür einen Skinhead zu nehmen. Das ist sehr bequem und wirklich gute Autoren würden etwas so Vorhersehbares nicht tun, um eine Geschichte zu erzählen.
Wie fühlst du dich dabei, wenn du siehst, was Parteien wie die National Front oder sogenannte „Idole“ wie Ian Stuart oder SKREWDRIVER der Skinhead-Szene angetan haben?
Neulich habe ich eine Vorlesung am SAE Institute in Oxford über Ethik in den Medien gehalten und ich denke, Skinheads sind nur eine von vielen Gruppierungen, die in unserer Gesellschaft missverstanden werden. Ich finde es sehr traurig, dass Menschen, die rassistische und faschistische Ideen propagieren, zu Idolen stilisiert werden. Das sind meistens Menschen, die einfach anderen folgen. Sie schaffen es nicht, sich einer größeren Gruppe der Gesellschaft oder der ganzen Gesellschaft zu stellen. Durch die Verleugnung ihrer eigenen Fähigkeiten und die Unfähigkeit, Verantwortung für ihre eigenen Fehler zu übernehmen, beschränken sie sich darauf, einer kleinen Gruppierung mit begrenztem Horizont anzugehören. Dann verkünden sie stolz, dass diese Gruppe jeden ausgrenzt, der anders ist. Dadurch, dass sie sich selbst Wichtigkeit und Bedeutung zuschreiben, müssen sie sich nicht selbst hinterfragen. Solche Menschen erreichen im Allgemeinen nicht viel, sie würden aus der Masse nicht herausstechen. Der Lauteste in einer kleinen Gruppe zu sein, bedeutet für sie also, dass sie beachtet werden. Wahrscheinlich haben sie Ablehnung durch andere Menschen erfahren, vielleicht im Job oder es gab etwas, das sie wollten und nicht bekommen haben. Würden solche Leute zum Beispiel sagen, dass ein schwarzer Anwalt oder ein asiatischer Arzt intelligenter ist als sie, dass sie etwas zur Gesellschaft beitragen können, obwohl sie einige Bereiche des Lebens nicht so gut gemeistert haben? Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so etwas sagen würden! Aber es ist einfacher für sie, das zu ignorieren, als darüber nachzudenken.
War Rassismus ein Teil der Skinhead-Szene in Oxford? Hast du Veränderungen in deiner Gruppe bemerkt?
In Oxford ging es mehr um die Klasse als um die Rasse. Ich kann mich nur an eine Sache erinnern: als die Neonazi-Partei British Movement mal nach Oxford kam, wurden sie aus der Stadt gejagt. Ich glaube, einige von ihnen wurden verhaftet, keiner davon kam aus Oxford oder war Skinhead. Vor einigen Jahren sprach ich mit Professor Sean Swan von der Gonzago University in Washington, er hat meinen Film in einer seiner Vorlesungen gezeigt. Er erwähnte, dass er ein Gespräch mit dem Sänger Attila The Stockbroker hatte, der sagte, dass der „Oxford Mental Mob“ Faschisten von Veranstaltungen weggejagt hat. Ich weiß es nicht genau, ich war nicht in dieser Gruppe und auch nicht mit ihnen auf Veranstaltungen, aber es würde mich nicht überraschen. Diejenigen, die rechte, rassistische und faschistische Propaganda verbreiteten, waren nur dafür und für nichts anderes bekannt. Die Skinheads, die ich kannte, waren schwarz und weiß, und wir hingen mit vielen Rude Boys rum, die auch gemischtrassig waren. Wie die meisten Menschen verstand ich die Skinhead-Szene damals nicht als politisch. Einige machten allerdings rassistische Bemerkungen und ich verspürte den Drang, darauf etwas zu entgegnen, was ich dann auch tat. Die Menschen können daran glauben, woran sie glauben möchten, das ist mir egal. Aber ich will nichts mit Rassisten zu tun haben, und verstehe auch diejenigen nicht, die das tun. Also triff deine Entscheidung und teile mir mit, für was du dich entschieden hast. Wenn mir das nicht passt, war’s das. Ich bin sehr direkt, wenn es darum geht, zu sagen, wo ich stehe. Wenn dir das nicht passt, sprich ruhig nie wieder mit mir. Sobald die Zeiten etwas härter werden, und das wurden sie damals, gibt es immer Menschen, die die Unzufriedenheit der anderen schüren und Sündenböcke dafür suchen. Glücklicherweise besitzen die Köpfe dieser Gruppierungen weder Charisma noch Charme. Wie ich bereits sagte: wenn sie nicht gegen andere hetzen würden, würde keiner bemerken, dass sie überhaupt existieren. Rassismus und Faschismus wachsen in einer Person, der Keim der Unzufriedenheit fällt auf fruchtbaren Boden, vor allem in einer für viele Länder schweren Zeit wie dieser. Dieser Hass kann sich in einer Person entwickeln, die sich so daran gewöhnt, dass sie nicht mehr weiß, wie sie sich sonst fühlen soll. Das hat aber nichts damit zu tun, ein Skinhead zu sein. Rassisten und Faschisten sind, was sie sind, egal welche Kleidung sie tragen. Die Rechtsradikalen machen immer Werbung für sich, wenn große Arbeitslosigkeit herrscht und es nicht viele Perspektiven gibt, da man in diesen Zeiten besonders gut die Schuld auf andere schieben kann. Das ist in den Siebzigern und Achtzigern in Großbritannien passiert und leider auch der Grund dafür, warum viele Europäer ein Bild von Rassisten und Faschisten mit rasierten Köpfen haben. Sie haben die Skinheads von 1969 nicht gesehen, obwohl viele der 2Tone-Gruppen die Musik und Ideen der ursprünglichen Skinheads vertreten haben. Ein Faschist mit einem rasierten Kopf ist kein Skinhead und es ist schade, dass die Medien diesen Unterschied immer noch nicht erkannt haben.
Wann ist dir klar geworden, dass du kein Skinhead Girl mehr sein wolltest? Viele Leute sagen: egal, ob du deine Klamotten wechselst, einmal Skinhead, immer Skinhead, zumindest im Herzen. Würdest du zustimmen?
Ich habe gespürt, dass das für mich nicht mehr funktionierte. Versteh mich nicht falsch, mir gefiel es, Skinhead zu sein, und es hat mir viele Jahre wirklich geholfen. Es gab mir Stärke und Mut und einen Platz, wo ich hingehörte. Aber die Skinhead Girls, mit denen ich abhing, wandten sich alle von der Szene ab. Ich fühlte mich allein und merkte, dass ich nicht für immer ein Skinhead sein würde. Es war wie ein Schock, ich weiß nicht genau, was passierte, aber ich verstand, dass ich loslassen musste. Ich trage immer noch Doc-Martens-Schuhe und liebe immer noch die Musik, ich werde das immer in meinem Herzen tragen. Es war ein prägender Teil meines Lebens, es half mir durch einige unglaublich schwierige und komplizierte Zeiten und ich bin der Szene dafür sehr dankbar. Insofern stimme ich der Aussage zu, dass man das nie komplett ablegt.
Du arbeitest mit Jugendlichen. Stell dir vor, sie würden dich fragen, wie man ein Skinhead wird – was würdest du antworten? Oder passiert das wirklich manchmal?
Einmal hat eine meiner Schülerinnen meinen Film im Rahmen eines Dokumentarfilm-Seminars gesehen. Hinterher sagte sie zu mir, dass sie den Film mochte und nun ein Bedürfnis habe, sich die Haare abrasieren zu lassen. Ich musste lachen und wusste nicht, ob sie das ernst meinte. Es war mein letztes Seminar mit ihr und ich habe sie nie wieder gesehen. Ich weiß es also nicht, ob sie es getan hat.
Du hast ein altes Foto für das Cover der DVD gewählt. Warum?
Du meinst das Foto von mir als Skinhead Girl in Jeans und Doc Martens? Ich habe das online gestellt und bekam großartige Resonanz von Skinheads, männlichen wie weiblichen. Die Frauen sagten, es wäre ein wirklich cooles Foto und würde die Skinhead Girls gut repräsentieren. Ich mochte Miniröcke oder Netzstrümpfe nie wirklich, ich trug immer Jeans. Insofern fand ich es interessant, dass auch Männer dieses Foto wirklich sexy fanden. Also dachte ich, es repräsentiert die Skinhead Girls als stark und sexy. Aber die Idee, es zu verwenden, kam von den Skinheads aus dem Internet und Chris Adlem, der dieses Foto wirklich liebt.
Übersetzung: Christina Wenig
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #103 August/September 2012 und Christian Fischer