Ein Ausflug an die australischen Strände, Platten hören, die in den Albert Studios aufgenommen wurden – AC/DC, ANGEL, ROSE TATTOO – und australische Filme wie „Stone“, „Mad Max“ und „Walkabout“ schauen, und natürlich Bier trinkend in Flip-Flops den Rasen mähen. So ungefähr muss man sich laut Band die magische SHANDY-Formel vorstellen. Die SHANDY-Mania hat inzwischen um sich gegriffen, Dank Siebenzöller und Bootboys’ Cove, die sich der revolutionären Kraft des SHANDY-Debüts „Dance All Night“ angenommen haben und die Jungs durch deutsche Untergrundspelunken jagten. Über Crocodile Dundee und vieles mehr sprach ich mit Sänger JJ und Bassist Viktor.
Was mich seit Kindheitstagen beschäftigt: Gibt es wirklich Typen wie Crocodile Dundee, und in welchen Regionen Australiens sind derart beinharte Urviecher beheimatet?
Viktor: Es gibt sie tatsächlich und du wirst ihnen begegnen, sobald du die großen Städte verlässt und dich in Richtung Outback begibst, wo sie sich mit den ganzen giftigen Schlangen und Spinnen, den Krokodilen, Wildschweinen oder Wasserbüffeln herumschlagen müssen. Das Überleben dort ist hart und dementsprechend sind diese alten Ledernacken Australiens auch nur da zu finden. Aber wenn du eine Wagenladung Bier vertragen kannst und AC/DC kennst, wirst du gut mit ihnen zurechtkommen.
JJ: In Shark Bay, im Westen Australiens, bin ich mal so einem Typen begegnet, der dort ein Gästehaus betreibt. Wir teilten uns die Zimmer mit ein paar englischen Mädels, die irgendwann beschlossen abzureisen, um weiter Richtung Norden zu fahren. Kurz nachdem sie weg waren – wir entspannten uns gerade ein wenig –, kam plötzlich der Besitzer herein und rastete völlig aus, als er das dreckige Geschirr sah. Er brüllte herum, das seien bestimmt diese faulen Weiber gewesen, die keinen Bock gehabt hätten abzuwaschen. Wir versuchten, ihn zu beruhigen, versicherten ihm, dass es kein Problem sei und wir das schon erledigen würden, doch er wurde immer wütender. Schließlich sprang er nur mit einer kurzen Hose bekleidet, die seine kolossale Bierwampe nicht verbergen konnte, auf sein Motorrad und jagte mit einem Jagdmesser zwischen den Zähnen davon. Etwas derartig Wahnsinniges und aufgrund seiner körperlichen Merkmale unfreiwillig Komisches hatten wir bis dahin noch nicht erlebt.
Davon mal abgesehen, was sind euer Meinung nach die typischen Merkmale eines Australiers?
JJ: Ich denke, zu den wichtigsten Aspekten des Lebens hier zählt, dass ein Handschlag tatsächlich noch etwas bedeutet, dass man fair miteinander umgeht und zu seinen Freunden steht – eine spezielle australische Art von Mut, Gleichheit und sozialem Zusammenhalt. Auch wenn leider einige dieser grundlegenden Werte durch den vom Neoliberalismus propagierten Egoismus zunehmend aufgeweicht werden.
Inwiefern macht es einen Unterschied, ob man in Brisbane, immerhin die drittgrößten Stadt Australiens, oder in Sydney beziehungsweise Melbourne lebt, auch in subkultureller Hinsicht?
JJ: Brisbane kann man sich in etwa wie Austin, Texas vorstellen. Ein internationales Kuhdorf, in dem sich in den letzten Jahren einiges verändert hat. In den Vergangenheit hatten wir hier einen äußerst konservativen Stadtrat und eine Polizei, die alles andere als zimperlich war. Da wurde 1983 beispielsweise, als die DEAD KENNEDYS in Australien auf Tour waren, ihr Schlagzeuger D.H. Peligro nur deswegen in den Knast gesteckt, weil er auf dem Gehweg „herumgelungert“ hätte. Man hielt uns im Allgemeinen für ein Provinznest voller größtenteils zurückgebliebener Bauerntölpel. Das mag bis zu einem gewissen Grad sicherlich zutreffen, aber es kommen doch auch einige kreative Menschen von hier. Und als Hauptstadt des Bundesstaates Queensland wächst die Stadt von Jahr zu Jahr, nicht nur was die Einwohnerzahl, sondern auch was die bauliche Seite angeht. Was die Subkultur betrifft, so gibt es zwar sicherlich ein Netzwerk, das allerdings immer nur so gut funktioniert, wie bei den Menschen ein Interesse an Livemusik vorhanden ist, und das kann sehr schwanken, aber in anderen Ländern ist das vermutlich auch nicht anders. Das Ganze ist einfach von vielen Faktoren abhängig, nicht nur vom Interesse des Publikums, sondern beispielsweise auch vom Lebensstandard, der lokalen Infrastruktur oder den Einflüssen des Internets.
Die riesigen Entfernungen in Australien machen das Touren für eine kleine Band sicher auch nicht wirklich leichter.
Viktor: Sydney ist gut 1.000 und Melbourne ungefähr 2.500 Kilometer entfernt. Mit den verschiedenen Bands, die wir schon hatten, sind wir trotzdem schon etliche Male nach Sydney gefahren, um Gigs zu spielen. Aber heutzutage nutzen viele Bands auch die Möglichkeit zu fliegen. Wir kennen viele Leute in Melbourne und Sydney und die Bands unterstützen sich auch alle gegenseitig, wenn sie auf Reisen sind, was in Europa ja bestimmt genauso ist.
JJ: Es wird dich vielleicht überraschen, aber tatsächlich fahren viele Bands, wir eingeschlossen, regelmäßig zwischen den Städten hin und her, und zwar mit dem Auto, selbst wenn Flüge günstiger wären. Es mag nicht jedermanns Sache sein, derartige Entfernungen auf der Interstate hinter sich zu bringen, aber für SHANDY ist es immer wieder großartig! Ich liebe es, weil ich für eine gewisse Zeit mal aus allem aussteigen kann. Und weil es schon eine besondere Leistung ist, kann man hinterher toll damit angeben.
Sind diese ganzen Gegebenheiten mit ein Grund dafür, dass sich in der Musikgeschichte Australiens immer wieder Bands finden, die ein wenig anders sind, die so wie ROSE TATTOO, AC/DC, MIDNIGHT OIL oder auch RADIO BIRDMAN, NEW CHRISTS, COLOURED BALLS einen eigenen Stil kreiert haben?
Viktor: Dass sich hier so etwas wie ein eigener Galapagos-Insel-Stil von Punkrock entwickelt hat, liegt sicherlich vor allem an der großen Entfernung zu Europa und den USA, an unserer Abgeschiedenheit. Während in New York die RAMONES das erste Mal auf die Bühne kletterten, hat unsere Heimatstadt die SAINTS hervorgebracht, deren Klassiker „I’m stranded“ im Grund die perfekte Antwort auf deine Frage ist.
Ich frage mich ja gelegentlich, was aus den ganzen One-Single-Wonder-Bands wie FUN THINGS, BABEEZ oder RAZAR geworden ist.
Viktor: Rod von den YOUNG IDENTITIES sehe ich noch regelmäßig auf Konzerten, Fred von PUBLIC EXECUTION spielt immer noch in Bands und steht in einem der Läden, in denen wir öfter auftreten, hinter der Theke. JJ und ich haben vor einiger Zeit auch mal Pete von THE ROCKS besucht, der jetzt auch wieder häufiger auf Gigs vorbeischaut. Aber der Rest der Killed By Death-Crew wird inzwischen wohl Koalas striegeln, damit sie für deutsche Rucksacktouristen auch niedlich genug aussehen.
Nachdem die Namen ROSE TATTOO und COLOURED BALLS schon gefallen sind, ist es an der Zeit, über die Sharpies zu sprechen, eine Jugendkultur, die in dieser speziellen Form nur in Australien von etwa 1972 bis 1975 existierte, weshalb wohl die wenigsten je davon gehört haben dürften.
Viktor: Die Sharpies sind ein exklusiv australisches Phänomen, das seinen Höhepunkt Anfang der Siebziger erreichte und sich aus den Jugendgangs der Vorstädte entwickelt hatte. Weil einige von ihnen britische Migranten waren, sind auch Elemente der Skinhead-Kultur dabei. Ihre Musik und Kleidung waren dabei dennoch absolut markant und unverwechselbar. Einzigartig waren besonders die Strickjacken, die für jede Gang oder sogar einen Einzelnen individuell gestaltet und angefertigt wurden. Die Haare waren zwar kurz, wurden aber im Nacken länger getragen – wie sehr gut auf dem Cover ROSE TATTOO-LP „Scarred For Life“ zu sehen. Melbourne war sozusagen das Epizentrum der Bewegung, aber sie hat sich in Teilen auch bis nach Sydney und Perth ausgebreitet, in Canberra oder Brisbane hingegen hat es, soweit ich weiß, früher niemals Sharpies gegeben.
JJ: Für mich ist diese Subkultur gerade deshalb etwas Besonderes, weil sie nur für einige Jahre existiert hat, absolut gebunden an eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort, einfach großartig. Die Sharpies haben sich selber über ein sehr grundlegendes und einfaches Wertesystem definiert. Die Schlichtheit der Arbeit und Musik, eine eigene Art des Rock’n’Roll, der perfekt harmoniert mit dem Stil. Man hatte zwar die Möglichkeit, in die Szene aufgenommen zu werden, aber man musste sich beweisen, sich seine Sporen verdienen, Blender hatte keine Chance und hielten nicht lange durch.
Wo genau liegen die Unterschiede zur Skinhead-Subkultur, mit der die Sharpies öfter irrtümlich in einen Topf geworfen werden?
Viktor: Die Musik der Skinheads zu dieser Zeit war üblicherweise Reggae, später dann Oi!. Die Sharpies hingegen hörten Hardrock, Glam und Aussie Rock’n’Roll. Skinheads trugen ihre geliebten Doc Martens, Sharpies hingegen standen auf hochhackige Schuhe mit einem Blockabsatz.
JJ: Skinheads haben traditionell ihre eigene Identität und Kultur. Sharpies waren etwas völlig anderes, typisch australische Working Class mit all den schon genannten stilistischen Merkmalen. In den Augen des australischen Mainstreams waren sie sicherlich nur „Bogans“ oder „Yobbos“, also Prolls. Ich sehe das völlig anders, denn Sharpies hatten wesentlich mehr Style, Klasse und Eier als irgendein stumpfer Prolet.
Welche Bands waren für die Sharpies prägend oder stammen sogar selbst aus dieser Subkultur?
Viktor: Ich denke, dass die meisten australischen Rockbands der Siebziger für die Sharpies zwar interessant waren, man aber nur wenige als Sharpie-Bands bezeichnen kann, etwa COLOURED BALLS, BUSTER BROWN, ROSE TATTOO, THE ANGELS, AC/DC und auch LA FEMME.
JJ: Die genannten Bands haben meiner Meinung nach ihre eigenen Regeln definiert, wussten zwar um ihr Sharpie-Publikum, haben aber auch andere mit offenen Armen aufgenommen. Dass beispielsweise die COLOURED BALLS bei den Sharpies beliebter waren als die SKYHOOKS, lag einfach nur daran, dass letztere kommerziell erfolgreicher waren.
Betrachtet man mit Glamrock einen Teil der musikalischen Wurzeln dieser Bands, der ja auch für SHANDY prägend ist, liegt natürlich ebenso der Vergleich mit GIUDA nahe. Waren GIUDA ein Einfluss für euch oder sind die Ähnlichkeiten reiner Zufall ?
JJ: Ich selbst bin schon seit gut 15 Jahren von diesem Sound begeistert, habe aber erst in den letzten fünf Jahren ernsthafter daran gearbeitet, auch selbst etwas in Art zu spielen, was vor einem Jahr durch Viktor noch einmal einen ordentlichen Schub bekommen hat. GIUDA habe ich erst 2012 für mich entdeckt, als sie mir von Lee Dorian von CATHEDRAL und NAPALM DEATH beim Soundwave Melbourne Festival backstage während eines Gespräches über Glam und Skinheads empfohlen wurden. Ich würde sagen, dass GIUDA uns den nötigen Tritt in den Arsch verpasst haben, um endlich anzufangen, unsere Ideen und musikalischen Vorstellungen ernster zu nehmen und auf eigene Faust zu verwirklichen. Danke dafür GIUDA!
Viktor: Wir haben, glaube ich, alle einfach aus der selben Quelle getrunken. JJ und ich tauschen schon seit Jahren gegenseitig selbst gemachte Mix-CDs, auf denen eigentlich alle Rohzutaten von SHANDY zu finden sind: Glam, 77er-Punk, Sugar Oi!, Seventies Sharpie Rock, Powerpop, Rock’n’Roll. Als wir GIUDA das erste Mal hörten, waren uns die Gemeinsamkeiten sofort bewusst. Wenn du dir „Feeling alright“ des australischen Glam-Stars William Shakespeare von 1974 anhörst und dann „No. 10“ von GIUDA, wirst du umgekehrt wieder eine ihrer Inspirationsquellen erkennen. Wir sind große GIUDA-Fans, versuchen aber nicht, sie nachzuäffen oder so wie sie zu sein. Die Einflüsse mögen ähnlich sein, aber wir setzen sie auf unsere eigene Weise um.
Ein Rezept, das bei Bootboys’ Cove Records auf fruchtbaren Boden gefallen ist, wo jüngst eure Debüt-7“ erschienen ist. Wie kam der Kontakt zustande und wie sieht es mit den Plänen für eine LP aus?
Viktor: Wir sind durch einen alten Bekannten mit Bootboys’ Cove in Kontakt gekommen und sie haben auch direkt Interesse daran gezeigt, unsere Debüt-7“ zu veröffentlichen. Wir sind sehr dankbar für ihre Ermutigung und Unterstützung. Ich würde ja am liebsten immer nur 7“-Singles machen, aber wir haben auf jeden Fall schon reichlich Material für ein Album, denn jedes Mal, wenn ich zur Bandprobe komme, hat JJ schon wieder zehn neue Songs geschrieben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Dirk Klotzbach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #117 Dezember 2014/Januar 2015 und Dirk Klotzbach