Beim letzten Gespräch mit SEEYOUSPACECOWBOY im Herbst 2021 waren die Auswirkungen der Pandemie noch allgegenwärtig und ausschweifende Touren rund um den Erdball allenfalls Erinnerungen an bessere Tage. Das sollte sich für die Band aus Kalifornien nach dem Release von „Romance Of Affliction“ aber schnell ändern. Gefühlt haben Connie Sgarbossa und ihre Mitstreiter die letzten zwei Jahre ausschließlich auf der Straße oder in Luft verbracht. Aber nur beinahe, denn mit „Coup De Grâce“ ist ebenfalls ein fulminantes, neues Album entstanden und ganz nebenbei hat Connie auch noch ihr Leben in die richtigen Bahnen gelenkt.
Wie ist es dir seit unserem letzten Gespräch ergangen?
Viel persönliches Wachstum, würde ich sagen. Ich bin clean geworden, das war ziemlich intensiv. Eine Zeit lang war ich im Grunde ein Junkie gewesen, also musste ich viele Dinge lernen und wiedererlernen sowie versuchen, mein Leben neu zusammenzusetzen. Gleichzeitig habe ich versucht, neue kreative Wege und Ausdrucksformen zu finden. Es ging darum, anders als nur düster und trübselig zu sein, beziehungsweise darum, nicht immer nur im Überlebensmodus zu existieren, so wie ich es viele Jahre getan hatte.
Hängt das Umkrempeln deines Lebens unmittelbar mit der Band und Erlebnissen auf Tour zusammen?
Clean zu werden war eine persönliche Reise. Es ist etwas, das ich zu Hause tun musste, aber es macht das Leben mit der Band und das Touren viel besser. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen, clean zu werden, bevor ich auf Tour gehe. Wenn ich zurückkomme, muss ich mich nicht als Erstes darum kümmern, einen Dealer zu finden. Heute kann ich einfach ins Flugzeug steigen oder in den Van springen und tun, was immer ich möchte. Ich muss mir nicht mehr über all die Dinge Sorgen machen, die ich früher immer im Kopf hatte. Es ist ein viel reibungsloserer Prozess. In jeder Hinsicht ist mein Leben jetzt viel angenehmer und erfüllender als früher.
Ihr wart seit der Veröffentlichung eures letzten Albums fast pausenlos auf Tour. Wie oft hast du dich da als Rockstar gefühlt?
Ich habe mich nie wirklich so gefühlt. Die lustige Sache an mir ist, und ich denke, das ist etwas, was meine Band nicht an mir mag, dass ich das Auftreten vor Tausenden von Menschen genauso behandele wie das Spielen kleiner Floorshows in unseren DIY-Tagen. Es heißt immer wieder: „Hey Connie, du musst mit dem Publikum sprechen. Das hier ist ein riesiges Venue und hier sind viele Leute.“ Okay, dann mache ich das. In meinem Kopf spiele ich aber immer noch kleine Shows, weil das die Orte sind, an denen ich mich am wohlsten fühle. So cool es auch ist, in immer größeren Locations aufzutreten, mein Herz gehört immer noch dem DIY-Hardcore.
Ich kann mir vorstellen, dass viele Fans mit dir sprechen wollen, eben weil du dich nicht wie ein Rockstar benimmst.
Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich jeden Abend zum Merchtisch gegangen bin, aber es begann, ein wenig überfordernd zu werden. Leute warteten immer noch darauf, mich zu treffen, wenn die Veranstaltung schon längst zu Ende war. Ich bin ziemlich zurückhaltend und nicht so extrovertiert, wie es auf der Bühne vielleicht scheint, also fällt es mir schwer, da ein Gleichgewicht zu finden. Ich möchte Leute treffen und mit jeder Person sprechen, die mit mir sprechen möchte, aber gleichzeitig wird es mir zu viel. Es ist das, mit dem ich als Frontfrau am meisten zu kämpfen habe. Ich weiß nicht, wie ich diese Eins-zu-eins-Verbindung, die viele Fans suchen, eingehen soll, ohne mich selbst auszulaugen.
Stellen die Leute dir Fragen, auf die du keine Antworten hast?
Ja, ich bekomme viele Fragen. Sehr persönliche Fragen über das Leben der Menschen. Insbesondere in Bezug darauf, wie sie sich vor ihren Familien und Freunden outen sollen, und ich denke mir: Ich würde dir gerne eine Antwort geben, aber das ist eine persönliche Sache und jede Situation ist so einzigartig, dass ich dir guten Gewissens keinen Rat geben kann, ohne dein ganzes Leben und die ganze Dynamik zu kennen. Das ist also immer eine heikle Angelegenheit, weil ich dieser Vorbildmensch sein und helfen möchte, es aber gleichzeitig zu kompliziert ist.
Wie ist dein Verhältnis zum neuen Album? Bist du zufrieden mit dem Ergebnis?
Wir haben einfach das SEEYOUSPACECOWBOY-Ding gemacht, alles Mögliche zusammengeworfen und irgendwie zum Laufen gebracht. Viel tanzbarer, viel melodischer Kram. Ein bisschen weniger Metalcore, mehr Post-Hardcore. Alles in allem experimenteller in seiner Natur. Viele Dinge, die man vielleicht nicht unbedingt bei einer Band vermutet, die Breakdowns hat, aber die für unsere eigene Zufriedenheit einfach dazugehören. Ich denke, dass „Coup De Grâce“ großartig ist, aber es gibt definitiv auch noch Fragen: Haben wir etwas zu Seltsames geschaffen? Haben wir vielleicht zu sehr an uns selbst gedacht?
Aber wart ihr in der Vergangenheit nicht unvorhersehbar genug, als dass nun jemand bestimmte Erwartungen an euch richten würde?
Ich glaube, wir haben definitiv ein paar Leute schockiert, als wir zuletzt „Rhythm and rapture“ mit NOTHING,NOWHERE veröffentlicht haben. Das ist durch und durch ein Indierock-Track. Es hat Spaß gemacht, auch weil wir früher Bands wie BLOC PARTY, FOALS und TWO DOOR CINEMA CLUB gehört haben. Warum sollten wir das also nicht tun? Aber du hast recht, ich denke, dass wir uns etwas mehr Spielraum als andere erkämpft haben. Genau das ist ja der Spaß daran, in einer Band zu sein. Bei SEEYOUSPACECOWBOY ist nichts heilig.
„Coup De Grâce“ soll ein visuelles Konzept zugrunde liegen. Kannst du es beschreiben?
Es sieht aus wie bei „Moulin Rouge“ von Baz Luhrmann. Ich dachte an Filme, die ich liebe, und ich bin ein riesiger Fan von Luhrmann. Wir hätten es auch wie bei „Romeo + Julia“ machen können, dessen visuellen Stil ich sehr mag, aber in meinem Kopf tauchte immer „Moulin Rouge“ auf und eins führte zum anderem. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, umso mehr kamen noch die Graphic Novels von Frank Miller dazu, wie „Sin City“. Es geht um Liebe, Leid und Ausschweifung inmitten einer Stadt, die komplett in Flammen steht.
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