SEDLMEIR

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Rock’n’Roll statt Rollator

Im Oktober ist mit „Schallplatte“ das achte Album von Sedlmeir erschienen. Es startet mit dem Hit „Die neuen Alten“ und den Worten „Scheiße, ich bin fünfzig, Baby!“ Aber keine Angst. Sedlmeir präsentiert sich weiter in Höchstform, ohne Abnutzungserscheinungen, ohne Altersmilde. Er ist und bleibt der König des Hard-Schlagers, die Ein-Mann-Band mit Schweinegitarre und billiger Retro-Elektronik, mit Stil und Attitüde. Mit Rock’n’Roll als vertonter Lebensberatung ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Besserwissertum und ohne übertriebenes Sendungsbewusstsein. Ein grandioser Beobachter, der immer noch die Richtigen an den Pranger stellt. Und der uns im Interview bereitwillig Auskunft gibt, wie man in Würde alt werden kann.

Du sagst: „Scheiße, ich bin fünfzig, Baby!“ Aber entscheidend ist ja nicht, wie alt man auf dem Papier ist, sondern wie alt man sich fühlt. Wie alt fühlst du dich gerade?

Ich fühle mich gut. Wie alt das dann sein soll, weiß ich auch nicht. Entscheidend ist aber der gewisse Flutsch, wenn du „Baby“ singst.

Der Altersbegriff hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Du singst selbst von den „neuen Alten“. Rockbands mit einem Durchschnittsalter über siebzig Jahre sind heute keine Sensation mehr. Was macht die neuen Alten aus?
Wir neuen Alten halten uns für die beste Generation ever, so wie wir das auch früher schon getan haben, als wir noch jung waren. Doof sind immer nur die anderen. Nur dass wir heute wissen, dass das so nicht stimmen kann. Aber viel unserer sozialen Identifikation beziehen wir aus dem Sound, den wir als Teenager gehört haben. Hardrock, New Wave, Punkrock, HipHop sind halt sehr identifikationsstiftend.

Fühlst du dich als Sprachrohr der Generation 50+?
Nein.

Gibt es auch Dinge, die im Alter besser werden? Sieht man mit zunehmendem Alter gewisse Sachen lockerer?
Mensch, das ist ja ein richtiges Senioren-Interview! Ja und ja. Ich fand früher die Leute immer anstrengend, die mich daran erinnert haben, wie wichtig Altersvorsorge sei. Ich hatte in der Sache nichts unternommen. Heute bin ich zu alt für Altersvorsorge. Das beruhigt mich. Außerdem wird mir immer klarer, wie unwichtig ich bin im irdischen und kosmischen großen Ganzen. Auch das hilft mir beim Lockerwerden.

Wie kann man sicherstellen, dass man in Würde alt wird? Und was wäre für dich ein Grund, nicht mehr auf die Bühne zu gehen, keine Tonträger mehr rauszubringen und dich aufs Altenteil zurückzuziehen?
Zur Sicherstellung des Würdenerhalts empfehle ich die Spiegelkontrolle. Guckst du in den Spiegel und kannst dich selber noch leiden, ist es okay. Aber ohne Gewähr. Manche können sich selber voll gut leiden, sind aber trotzdem doof. Gründe aufzuhören gibt es viele. Keine Lust mehr, das blöde Musikgeschäft, eine plötzlich auftretende Taubenzucht-Obsession. Ich bleibe erst mal dran.

Du bist auch für manch zynischen Text bekannt. Wann setzt bei dir endlich die Altersmilde ein?
Gerade jetzt spüre ich, wie sie angeflogen kommt! Oh, doch nicht. Hoffentlich nicht so bald, du weißt ja: Wut ist ein guter Songschreiber.

Sind deine Kinder schon in einem Alter, dass sie das, was du machst, peinlich finden?
Nein. Meinst du, das kommt auf jeden Fall? Ich habe meinen elfjährigen Sohn stets gezwungen zu sagen: Papa ist ein wunderbarer Mann. Neulich meinte er: Jetzt bist du aber unwunderbar!

Wie bezeichnest du aktuell deinen Stil? In der Vergangenheit gab es schon die Begriffe „Hard-Schlager“, „Kraut-Jive“ und „Gossen-Chansons“.
Ich will meinen Stil am liebsten gar nicht bezeichnen. Aber bevor es irgendwelche genrefremden Schlaumeier:innen tun, gebe ich lieber selber was vor. Zum Beispiel etwas ganz Kompliziertes wie „Post-Jive-Pre-Space-Kraut-Chansons“. Da kommen die ins Grübeln. Neulich hat jemand „Rock and Roll-Experimental-Hits“ geschrieben. Fand ich auch schön.

Lebst du immer noch von der Musik? Dies ist eigentlich nur durch sehr regelmäßige Konzertaktivitäten zu gewährleisten. Wie hast du die Pandemiezeiten ohne Auftrittsmöglichkeiten überstanden?
Die Corona-Überbrückungshilfen und ein Stipendium der Kulturförderung haben mir sehr geholfen. Anderthalb Jahre fast ohne Auftritte waren trotzdem ganz schön öde. Ich habe mich gefühlt wie ein Langzeitarbeitsloser.

Du hast ja früher auch schon mal gemodelt, oder? Wie würdest du reagieren, wenn dich die Firma Walbusch für ihre zeitlose Kollektion für den Herrn 50+ als neues Gesicht der Kampagne engagieren wollte?
Ich habe immer nur für meine eigenen Cover und Projekte gemodelt. Model muss nach meiner Vorstellung ein ganz schön langweiliger Beruf sein. Für irgendwelche Werbezwecke die Visage hinzuhalten, hat ein Geschmäckle. Aber wahrscheinlich würde ich, je höher das Honorar ausfällt, immer korrupter werden. So wie die anderen Schweine.

Bei deinem neuen Video ist am Ende das Logo „Neustart Kultur“ zu sehen. Wie bist du gefördert worden und wie ist das gelaufen?
Die GVL, also die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, hat mir im Rahmen der Initiative „Neustart Kultur“ Förderung zugesagt. Bestandteil des Vertrags ist es, die jeweiligen Logos gut sichtbar einzublenden. Da hast du es wieder!

Wie sieht im Moment die Situation bei Konzerten aus? Startest du wieder durch und hast die Möglichkeit, die neuen Songs live zu präsentieren?
Es scheint so langsam wieder loszugehen. Die ersten Gigs sind schon gespielt, zum Teil unter merkwürdigsten Bedingungen. 3G-Veranstaltungen, beim Sitzen Maske ab, beim Aufstehen Maske auf. Regeln, die teilweise schwer nachvollziehbar sind. Aber wer weiß schon, wie all die unterschiedlichen Gegebenheiten in ein Regelwerk zu fassen sind? Jetzt sind weitere Auftritte bestätigt, fast alle mit 2G-Regelung. Ich freue mich auf jeden Fall, endlich wieder live zu spielen!

In Pandemiezeiten haben sich viele Städter überlegt, aufs Land zu ziehen. Wie sieht es bei dir aus, bleibst du Berlin treu?
Ja. Umziehen ist mir zu anstrengend.

Was überwiegt auf deinem neuen Album, Optimismus oder Pessimismus?
Gibt es auch noch andere Dinger? Bei mir überwiegt der Nichtswissizismus. Aber ich bin Zweckoptimist, wie Gregor Gysi.

Für das neue Album hast du das Label gewechselt. Wie kam es dazu?
Mein vorheriges Label Weltgast hatte ein paar zeitliche Engpässe. Auch wenn die Zusammenarbeit schön war, wollte ich doch bald wieder etwas veröffentlichen. Da hat mir mein Verleger Johnny Hanke von Off Label Records vorgestellt. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und die Platte zusammen gemacht.

Im neuen Song „Raumkrümmer“ singst du die schöne Sentenz: „Wer den Dreck nie lutschen war, wird kein Spezialist“. Wie viel Spezialist steckt in Sedlmeir?
Gar keiner. Ich sehe mich eher als Generalist. So eine Art Generalspezialist ohne Ahnung. Aber ja, Dreck habe ich auch schon gelutscht. Übrigens gar nicht so lecker, das Zeug.

Auf dem neuen Album prangerst du auch diese ganzen substanzfreien Windmacher und Blasebalge mit ihren ganzen Angeberstanzen an, die sich beim „Brainstorming ohne Brain“ in ihrem Business mit ihren ganzen Tools upscalen und sich selbst und jedes noch so popelige Ereignis als Event abfeiern. Wann hast du dich das letzte Mal über diese Wichtigtuer aufregen müssen?
Ich treffe zum Glück nicht viele solcher Leute. Aber manchmal verstecken sie sich auch hinter einer Punkrock- oder Hippie-Maske. Be aware!

Auf dem Vorgängeralbum gab es die schöne Hymne „Senioren gegen Faschismus“. Wie waren die Reaktionen auf diesen Song?
Na ja, du weißt ja, in den eigenen Kreisen rennt man damit offene Türen ein. Ich wollte es aber trotzdem einmal klarstellen. Gerade in Zeiten, wo es laut Aussage einiger Schwurbler kein links und rechts mehr gibt. „Querdenker“ war mal ein schönes Wort. Jetzt ist es total versaut.

Wie sollte man mit den Braunen umgehen? Wie im Song vorgeschlagen, „den Arsch versohlen“? Oder doch eher versuchen, ins Gespräch zu gehen?
Diskussionen mit Rechten haben, so viel ich weiß, noch nie etwas gebracht. Ich finde, jede:r sollte im Rahmen seiner oder ihrer Möglichkeiten etwas gegen das Braune tun. Auch Rechte sollten etwas gegen sich selbst unternehmen. Da fällt mir die schöne Grafik von Gerhard Seyfried ein: „Nazis gegen rechts!“

Wie lange hast du noch vor durchzuhalten? Bis zum Rock’n’Rollator?
Ich arbeite gerade an einem Album, das post mortem erscheinen soll. Der Arbeitstitel ist „Nehmt dies, ihr dreckigen Ratten!“ Aber wenn ich keine Lust mehr habe, höre ich einfach auf.