Sedlmeir ist ein Phänomen. Eine Ein-Mann-Band mit satter E-Gitarre und billiger Retro-Elektronik. Ein einfacher Mann aus gutem Hause. Live eine Rampensau mit Punk’n’Roll-Attitüde, Gespür für große Melodien und Sinn für Schlager und Chansons. Ein grandioser Alleinunterhalter mit Verve, Esprit, Witz und Geschmack. Ein charmanter Freak, dem es gelingt, scheinbare Gegensätze miteinander zu verbinden. Im Anzug unterwegs auf dem schmalen Grat zwischen wahnwitziger Coolness und fast schon spießiger Bodenständigkeit. Ende 2015 ist sein fünftes Album „Melodien sind sein Leben“ erschienen. Vor einem Konzert in Dresden stellte er sich unseren Fragen.
Du spielst heute ein Konzert in der PEGIDA-Hochburg Dresden. Inwieweit beschäftigt dich das?
Irgendwie beschäftigt das doch jeden. Die Frage ist nur, was man selbst tun kann. Man kann keinen Einzigen von den Idioten bekehren. Ich selbst kann nur versuchen, meine Kinder so zu bilden, dass sie niemals so eine Scheiße von sich geben.
Auf der Bühne sieht man dich mit Anzug und Krawatte. Rockmusik und Anzug, wie gut passt das?
Ich ziehe gerne Sachen an, die ich persönlich schön finde und die auch etwas Besonderes sind. Ich möchte mich auf der Bühne auch besonders fühlen, anders als abends vor der Glotze. Auszusehen wie ein Versicherungsvertreter und dann plötzlich auf der Bühne was ganz Hartes zu machen, das hat so einen Touch von Wahnsinn, den ich sehr mag.
Sedlmeir als Stilikone. Gab es schon Angebote für Modelverträge?
Das leider noch nicht. Als ich in Köln gewohnt habe, habe ich mich mal bei einer Modelagentur vorgestellt, weil ich Geld brauchte und eigentlich schon immer möglichst auf einfache Art Geld verdienen wollte. Das war die totale Abzocke, die wollten erst mal für Probeaufnahmen 300 DM von mir haben. Die Agentur habe ich sofort fluchtartig verlassen.
Nicht nur im Auftreten gibt es einen gewissen Bruch. Auch dein Musikstil „Hard Schlager“, also eine Kombination aus Schlager und hartem Rock’n’Roll, ist alles andere als schlüssig.
Das hat für mich schon ein sehr spannendes Potenzial, diese Gegensätze zusammenzubringen. Viele denken, dass es eigentlich nicht geht, Schlager oder Chansons mit Punkrock zu kombinieren. Ich habe diese Stile immer gemocht und dann doch bewiesen, dass sie gut miteinander funktionieren.
In dem Song „Schande“ greifst du die heutige Jugend an. „Abitur 2010 und noch nie die ROLLING STONES gesehen“. Was läuft bei der Jugend schief?
Eigentlich gar nichts. Ich wollte nur ein bisschen ablästern, mal pauschal das Nudelholz rausholen und auf amüsante Weise um mich schlagen. Das kommt aus so einem Rudelverhalten heraus. Die eigene Generation ist ja immer die beste und die anderen sind dann automatisch die Doofen. Ich bin jetzt alt, also sind automatisch die Jugendlichen doof.
Und wie wird sich jetzt Kuba entwickeln, wenn die jetzt sogar noch die ROLLING STONES vorgesetzt bekommen?
Das hilft Kuba auch nicht. Die ROLLING STONES sind auch nicht unbedingt vergleichbar mit TON STEINE SCHERBEN in ihrer unkommerziellen Phase. Das Ende ist in Sicht, Kuba wird immer weiter kommerzialisiert. Ich bin mir sicher, dass Kuba jetzt zum Mallorca der Karibik wird.
Was hat es mit Konrad Weiß auf sich, dem du einen ganzen Song gewidmet hast?
Konrad Weiß war ein Schriftsteller, den ich zufällig entdeckt habe. Er hat Gedichte geschrieben, und seine Schriftstellerkollegen fanden ihn alle genial, aber er hat nie den Durchbruch geschafft. Das verbindet mich irgendwie mit ihm. Aber das ist auch ganz gut so, dass er den Durchbruch nicht geschafft hat, denn er stand dem politischen Katholizismus nahe und war auch gegenüber rechtem Gedankengut aufgeschlossen.
Was sind die größten Vor- und Nachteile einer One-Man-Band?
Früher fand ich es immer sehr nachteilig, alles alleine regeln zu müssen. Mit Gleichgesinnten zusammen auf Tour zu sein, bringt schon eine ganze Menge Spaß. Die Vorteile liegen natürlich auf der Hand: die Gage kassiere ich alleine. Das Einzige, was ich vermisse, ist ein Gedankenaustausch und diese Dynamik auf der Bühne, die man eigentlich nur gemeinsam als Band hinkriegen kann.
Warum braucht die Menschheit Rock’n’Roll?
Die Menschen brauchen eigentlich keinen Rock’n’Roll. Sie brauchen aber einen Impuls, um sich irgendwie lebendig zu fühlen. Dafür steht der Rock’n’Roll. Mein Song dazu ist auch ein bisschen böse gemeint, Rock’n’Roll hat heute schon auch so eine „Brot und Spiele“-Funktion. Die ganze Woche über öde im Büro schuften und dann am Wochenende auf dem DIE TOTEN HOSEN-Konzert die Sau rauslassen.
Und warum braucht die Menschheit Schlager?
Kein Mensch braucht Schlager. Was mich am Schlager aber immer so fasziniert hat, ist diese glamouröse Melancholie, dieser Glanz und dieses Schwelgen in Gefühlen, wie in einem Film von Truffaut, und sich dann total reinfallen lassen in dieses Gefühl, unglücklich verliebt zu sein.
Kannst du von der Musik leben?
Tatsächlich kann ich nur davon leben, wenn ich durchschnittlich sechs bis acht Gigs im Monat habe. Über die Saison klappt das ganz gut, aber es gibt natürlich immer wieder einige Löcher. Es gibt übrigens keinen Plan B. Ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen und darüber bin ich auch froh. Irgendwie beruhigt mich das auch auf eine ganz merkwürdige Art, weil ich einfach keine Lust habe auf diese normale Arbeit.
Im Song „Arschloch Tricks“ bekennst du, dass du niemals was beim Arschloch kaufst. Wann hast du das letzte Mal gegen diesen Vorsatz verstoßen?
Heute. Ich habe mir ein Bahnticket nach Dresden gekauft. Die Deutsche Bahn ist ein Arschloch, ich glaube, das kann man einfach mal sagen. Auch wenn man es sich fest vornimmt, man kommt leider nicht drumherum, immer mal wieder was bei einem Arschloch zu kaufen. Es sei denn, man steigt komplett aus.
In einigen Songs behandelst du das Phänomen „Elvis Presley“. Gibt es etwas, das Elvis noch von Sedlmeir hätte lernen können?
Einiges, insbesondere mit 42 Jahren noch nicht dick zu sein. Wenn man sich Elvis so anschaut, abgesehen von seiner glanzvollen Karriere, wer hätte da schon mit ihm tauschen wollen? Der ist elendig verreckt. Er war zwar ein Superstar, aber total fett und unglücklich. Da wäre ich doch viel lieber Teilzeit-Sozialarbeiter.
Ich entdecke an dir überhaupt kein Tattoo. Ein Rock’n’Roller ohne Tattoo ist heute auch eher selten, oder?
Stimmt, kommt nicht häufig vor. Ich konnte mich damals, als es noch irgendwie originell gewesen wäre, sich stechen zu lassen, nicht mit mir selbst auf ein Tattoo einigen. Heute hat fast jeder Arsch mit Ohren ein Tattoo und jetzt bin ich eigentlich ganz froh, dass ich keins habe.
Welche Einflüsse würdest du selbst für deine Musik nennen?
Punkrock spielt eine große Rolle, aber Soul, Schlager und französische Chansons mag ich auch total gerne. Aber der erste Impact, der bei mir totale Begeisterung ausgelöst hat, als ich sechs oder sieben Jahre alt war, war die ZDF-Hitparade. Und das lässt einen auch nicht mehr so ganz los.
Du bist viel live unterwegs. Gab es schon mal Auftritte, wo du dir die Sinnfrage gestellt hast, was du da gerade eigentlich machst?
Völlig in die Hose gegangene Auftritte kommen immer mal vor. Es gab mal einen Abend in Karlsruhe, da wurde ich wirklich von Beginn an von 250 Zuschauern ausgebuht. Dann bin ich frech geworden und habe dem Publikum gesagt, dass sie mich mal gepflegt am Arsch lecken können und dass solch ein Verhalten nur allein dazu führen würde, dass ich noch länger spielen würde. Das ist total eskaliert, ich konnte das Konzert dann aber doch irgendwie noch zu Ende bringen.
Was ist, wenn deine Kinder irgendwann mal zu dir kommen und dich fragen, ob du nicht in Würde alt werden kannst?
Das würde mich nicht wirklich treffen, außer wenn es natürlich einen wahren Kern hätte. Wenn das, was ich mache, wirklich würdelos oder nur ein billiger Abklatsch wäre. Aber solange ich mich dabei noch so lebendig fühle wie derzeit, ist das in Ordnung. Außerdem läuft es gerade richtig gut. Das neue Album verkauft sich prima, und ich hatte in Serie einige ausverkaufte Konzerte, wobei das Publikum stets bunt gemischt ist. Das ist auch gut, denn ich will kein Szene-Heini sein, der nur eine ganz bestimmte Zielgruppe bedient. Es kommen Punks, eher so die Alt-Punks, aber auch die jungen Leute Anfang zwanzig. Bei einem Konzert kamen sogar zwei ältere Damen Mitte sechzig, die dann nach dem Konzert auch Platten gekauft haben und zu mir meinten „Sie haben ja super Musik gemacht“.
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