Das von vielen gefeierte Comeback der Band aus Los Angeles findet in einem nüchternen Schwarzweiß statt. Auch die Bilder, welche sie von sich dazu liefern, sind Grau in Grau gehalten. Ähnlich verhält es sich beim Interview mit Kyle Soto. Der Sänger und Gitarrist gibt Antworten, die zwischen kurz und kryptisch schwanken, nur zwischenzeitlich taut er mal auf. All das lässt sich allerdings leicht verschmerzen, spricht die Musik von SEAHAVEN doch – mehr als jemals zuvor – für sich selbst.
Dass SEAHAVEN in den vergangenen Jahren nur beinahe vor ihrer Auflösung standen, wäre keine passende Beschreibung für den damaligen Status der Band. Vielmehr hatten sie es selbst wohl nicht ganz wahrhaben wollen, dass zwischendurch definitiv die Lichter aus waren. „Es gab tatsächlich ein paar Jahre, als ‚das Leben‘ auf eine gewisse Art und Weise die Kontrolle übernommen hatte und die Prioritäten andere waren. Wir haben davor zurückgeschreckt, es auszusprechen, aber es schien nicht so, als wäre da noch irgendwas am Horizont – im Nachhinein ein wirklich düsterer Abschnitt, in dem wir die Arbeiten am neuen Album zwischenzeitlich auf Eis legen mussten. Letztendlich brauchten wir einfach Zeit, um uns neu zu kalibrieren“, resümiert Soto. Aber auch wenn SEAHAVEN nur noch existierten, weil niemand offiziell den Stecker gezogen hatte, hielt man sich auch weiterhin alle Hintertüren offen. „Wir hatten im wahrsten Sinne des Wortes irgendwelche Jobs. Meistens etwas im Servicebereich, um weiter flexibel sein zu können.“
Aber woher rührten diese Kraftlosigkeit, der fehlende Antrieb, das Projekt SEAHAVEN, das ständig weiter Fahrt aufzunehmen schien, weiter voranzutreiben? An mangelnder Zufriedenheit mit dem früheren Output lag auf jeden Fall nicht, folgt man Sotos Resümee über die vergangenen Werke: „Wenn ich ‚Winter Forever‘, unser Debüt von 2011, heute höre, meine ich, die Jugend darin wiederzuerkennen. Es erinnert mich alles an die aufregende Zeit, als wir unseren Weg begonnen haben. Auf den 2014 erschienenen Nachfolger ‚Reverie Lagoon: Music For Escapism Only‘ bin ich immer noch sehr stolz. Es ist definitiv das Album geworden, das ich damals im Sinn hatte.“ Stattdessen war es die Gegenwart, die SEAHAVEN etwa 2016 einen Strich durch die Rechnung machte: Man stolperte plötzlich über die Erwartungshaltungen und Wunschvorstellungen potenzieller Partner, die SEAHAVEN das Gefühl gaben, nicht mehr die Herren über ihr Schaffen zu sein, würde man einen der angebotenen Deals eingehen. „Als wir bereits damit beschäftigt waren, neue Demos aufzunehmen, schickten wir diese auch direkt an Labels und es fühlte sich irgendwie sehr unnatürlich an. Das gesamte Feedback hinterließ einen äußerst bitteren Nachgeschmack bei uns. Beim zweiten Anlauf, ein paar Jahre später, war die Erfahrung glücklicherweise eine ganz andere.“ Damit spielt Soto auf das Signing bei Pure Noise Records an, das über einen Kontakt mit dem Gründer des Labels, Jake Round, zustande kam und den Knoten schließlich löste. „Er gab uns die komplette Freiheit zu tun, was wir wollen“, freut sich Soto. „Das war alles, was wir brauchten. Wir konnten wieder mit einem klaren und freien Kopf an das Songwriting herangehen und zu dem Moment zurückkehren, als niemand Erwartungen an uns richtete.“
Aber was macht einen SEAHAVEN-Song 2020 aus? Schon beim ersten Hören von „Halo Of Hurt“ fällt auf, dass es wohl nicht die Suche nach dem nächsten großen Refrain war, womit sich die Band im Studio aufgehalten hat. „Nein, das sehe ich auch so. Ich denke, es ist stark abhängig davon, in welcher Stimmung ein Song entsteht. Die, deren Schreibprozesse mir gerade am deutlichsten im Gedächtnis sind, sind diejenigen, die eine Emotion auf die bestmögliche Weise eingefangen haben – eben das macht manchmal den Unterschied.“ Prägnanter werden die Beschreibungen des gelungenen, breiten und intensiven Sounds von SEAHAVEN nicht. Soto spricht von „losen Enden“, die auf dem neuen Werk miteinander verknüpft werden mussten, sowie von „hörbaren Höhen und Tiefen“ auf „Halo Of Hurt“. Was das genau bedeutet, muss der Hörer aber wohl selbst erkunden. Schließlich findet Soto aber doch noch eine Umschreibung dafür, mit welchen Vorstellungen und Erwartungen die Band ins Studio gegangen ist. „Ich hatte die Absicht etwas Präzises und in sich Geschlossenes zu kreieren. Etwas, das ältere unveröffentlichte Texte und Inhalte aufgreift und mit dem Hier und Jetzt verbindet. Was den Klang betrifft, sollte alles einfach nur auf elf gedreht werden.“
Würde aktuell alles normal laufen, stünden für SEAHAVEN als Nächstes wahrscheinlich ausgedehnte Touren an, bis es wieder Zeit für das nächste Album ist. Nun kann man momentan aber nur ein Album veröffentlichen und darauf warten, dass Reisen irgendwann wieder möglich sind. Kann man dieser Situation irgendetwas Positives abgewinnen oder ist das alles einfach nur ein großer Abfuck? „Zu Beginn empfand ich die Situation vielleicht wirklich noch die Möglichkeit, einmal tief durchzuatmen und langsam zu machen. Mittlerweile kann ich aber tatsächlich nichts Gutes mehr daran finden“, bestätigt Soto. Wird der sichere Weg zum Rockstartum also vorerst noch ein paar Schlenker machen? Plötzlich blitzt bei Soto doch noch ein wenig Amüsement über das Gespräch auf, auch wenn dieses eher sarkastischer Natur ist: „Haha, ich denke wirklich nicht, dass unsere Art von Musik dafür geschaffen ist, uns tierisch berühmt zu machen. Ich denke eher, je einzigartiger man ist, umso ‚erfolgreicher‘ wird man. Wir werden sehen, was das für uns bedeutet, denn ich habe auch keine Ahnung, wie man etwas darstellt, das man nicht ist. Aber vielleicht geht unsere Subkultur ja auch noch komplett durch die Decke, haha.“
So wie es aussieht, werden Ruhm und Reichtum, aber auch Konzerte und der direkte Kontakt zu den Fans noch eine Weile auf sich warten lassen. Kann „Halo Of Hurt“ wenigstens ein wenig Hoffnung vermitteln? Soto verneint: „Dieses Mal wahrscheinlich nicht, nein.“
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