Es muss irgendwann im Sommer 2003 gewesen sein, als Chris Conley mit SAVES THE DAY in Deutschland unterwegs war und eine Möglichkeit fand, seinem nerdigen Look einen letzten, aber entscheidenden Schliff zu verpassen. Sein Ansatz war dabei von einer so schlichten Genialität, dass auch noch in den letzten Reihen erkannt wurde, dass man "Nerd" nicht einfach mit "Idiot" übersetzen darf: Der Sänger band die Bügel seiner Brille mit einem Gummiband hinter dem Kopf zusammen. Das gab nicht nur seiner Frisur eine überraschende Wendung, sondern verhinderte auch, dass sein Nasenfahrrad auf der Bühne verloren ging. Doch so dick er seine Gläser auch gewählt hatte, den steinigen Weg, der vor SAVES THE DAY lag, konnte er damit nicht vorhersehen. Wahrscheinlich hätte die Band, die sich mit jedem Album ein Stück weit neu erfindet, einfach auf den Titel ihres zwei Jahre zuvor veröffentlichten Emo-Punk-Meilensteins "Stay What You Are" hören sollen. Denn nur kurz nachdem sie sich mit "In Reverie" den Traum vom Majordebüt erfüllten, übersprang der Sommer 2003 den Herbst und ging direkt in den Winter über. Das aktuelle Album "Sound The Alarm" erzählt von diesem schmerzhaften Erwachen.
And it's not fair / Why do I have to be so? / I feel everything much more / Much more than you ever will" ("Deciding", 1998)
Warum machst du eigentlich Musik?
Weil ich mir nichts vorstellen kann, was ich lieber täte. Ich kann mich dabei so konzentrieren, dass alles um mich herum, jedes Problem, einfach verschwindet. Es ist, als ob ich in Musik eingewickelt wäre. Das war schon immer ein Gefühl, das mich sehr beruhigt hat.
War es das auch in den Anfangstagen von SAVES THE DAY? Ich weiß, dass die ersten Shows sehr hart für dich waren, weil es Leute gab, die einige sehr verletzende Dinge über dich und deine Musik gesagt haben.
Wäre es das nicht gewesen, dann hätten wir bestimmt nicht weitergemacht. Die Anfangszeit hat uns auf eine harte Probe gestellt. Diese Band hat viele Mitglieder kommen und gehen sehen, weil sie das nicht durchgestanden haben.
Warum glaubst du, haben sich die Leute euch gegenüber so verhalten?
Gerade am Anfang waren wir oft mit Hardcore-Bands unterwegs, die ihre Macho-Texte brüllten. Wir hingegen haben diese nach innen gekehrten, gefühlsbetonten Sachen gesungen. Außerdem waren wir noch sehr jung damals. Wir haben mit 17 unser erstes Album aufgenommen und sind mit 18 zum ersten Mal durch die USA getourt.
Würdest du sagen, dass dies eine wichtige Lektion im Hinblick auf eure Karriere war?
Es war außerordentlich wichtig, zu Beginn auf Widerstand zu stoßen, und es zu schaffen, diesen zu durchbrechen. Das hat uns stärker gemacht. Hätten wir nicht an uns und unsere Musik geglaubt, dann hätten wir das nicht geschafft. Doch mit zunehmendem Alter wird man dickhäutiger.
Ist dieses Abstumpfen der Gefühle, das mit dem Erwachsenwerden einhergeht, nicht auch etwas Furchtbares, weil man dadurch auch die schönen Dinge nicht mehr so intensiv empfindet?
Würdest du denn etwas Schönes überhaupt erkennen, wenn du keine schlechten Erfahrungen gemacht hättest? Für mich ist beides gleich wichtig.
Deinen Texten merkt man das aber nicht unbedingt an.
Die handeln nur deshalb von den unschönen Seiten des Lebens, weil ich - wenn ich glücklich bin - nicht dazu gezwungen werde, mir etwas von der Seele zu schreiben. Aber ich denke nicht, dass die schlechten Dinge die guten abschwächen können. Die schlechten Dinge des Lebens zu akzeptieren und zu durchleben, ermöglicht es mir doch erst, die guten schätzen zu lernen.
"We sang a song of sorrow / Solely to remember / What went wrong" ("What went wrong", 2003)
Du bist der letzte, der von der Originalbesetzung übrig geblieben ist. Fühlt sich die Band heute immer noch wie SAVES THE DAY an?
Sie hat sich immer so angefühlt, mit der Ausnahme, dass es heute mehr Spaß macht und jeder mit der gleichen Leidenschaft dabei ist. Das war nicht immer so.
Würdest du sagen, dass SAVES THE DAY deine Band ist?
Niemals. Die Lieder, die ich schreibe, klingen überhaupt nicht nach SAVES THE DAY, bis die anderen ihren Teil dazu beitragen. Erst dann beginnen sie zu leben.
Ich frage deshalb, weil ich gelesen habe, dass du es gewesen sein sollst, der euren alten Bassisten Eben D'Amico aus der Band geworfen hat.
Ich mache eben die Telefonanrufe, wenn wir uns von Bandmitgliedern trennen, aber es ist immer eine gemeinschaftliche Entscheidung. In diesem Fall hieß es: Entweder kein SAVES THE DAY mehr oder kein Eben. Das war einfach.
Was genau ist denn vorgefallen?
Wir lagen nicht mehr auf einer Wellenlänge, als wir anfingen, unser neues Album zu schreiben. Das war sehr schmerzhaft, also mussten wir uns trennen.
Das muss hart gewesen sein, immerhin war Eben sehr lange in der Band.
Nein. Es war eine Befreiung.
"If you've got a quarter / You can stick it in my neck / I'll sing whatever song you want / For whatever mood you're in" ("Jukebox breakdown", 2001)
In vielen Interviews hast du dich sehr verbittert über die Musikindustrie im Allgemeinen und die Majorlabels im Speziellen geäußert.
Diese Industrie ist nichts weiter als eine Farce. Sie hat gewiss nichts mit Musik zu tun. Diese Leute könnten genauso gut Kaugummi oder Schuhe verkaufen.
Nun gut, das ist ja nicht gerade eine neue Erkenntnis. Wieso habt ihr denn bei Dreamworks unterschrieben?
Das war ein großes, unabhängiges Label, weil es von einer Hand voll Millionären gegründet wurde. Im Gegensatz zu einem Major gab es dort also keine Aktionäre, die sich in geschäftliche Entscheidungen einmischten. Wir dachten deshalb, dass sie sich mehr von künstlerischen Erwägungen leiten ließen. Aber dann stellte sich heraus, dass sie die geschäftliche Seite nicht im Griff hatten, weswegen sie ihre Musiksparte verkaufen mussten. Das war natürlich eine bedauerliche Wendung der Ereignisse.
Wieso war es denn ein Problem, dass ihr von da an bei Interscope und damit bei Universal wart?
"In Reverie" wurde ziemlich genau einen Monat vor dem Verkauf des Labels veröffentlicht, und die Leute bei Interscope verhielten sich einfach so, als würde es das Album nicht geben. Sie haben nicht einmal unsere Anrufe entgegengenommen. Das hat uns die Augen geöffnet. Ab da haben wir endlich verstanden, wie der Hase läuft.
Euer neues Album erscheint nun wieder bei Vagrant, die zu 49% Interscope gehören. Hast du dabei nicht ein ungutes Gefühl?
Überhaupt nicht. Die meisten Indies sind heutzutage von einem Major finanziert. Eigentlich ist das sogar ein Tritt in den Hintern von Interscope, weil sie uns eine saftige Abfindung gezahlt haben, damit wir ihr Label verlassen. Und jetzt müssen sie wieder mit uns arbeiten, weil sie bei Vagrant keine inhaltlichen Entscheidungen treffen dürfen. In meinen Augen ist das urkomisch.
Was habt ihr denn mit dem Geld von Interscope gemacht?
Wir haben uns ein eigenes Studio gebaut und ein Album zu unseren Bedingungen aufgenommen - während die Industrie draußen bleiben musste. Das war eine großartige Erfahrung. Und die Leute bei Interscope haben, ohne es zu wissen, dafür bezahlt.
War das die Schlussfolgerung, die ihr gezogen habt? Dass man ganz alleine verantwortlich für sich ist?
Nach diesem ganzen Debakel wurde mir klar, dass es einzig und alleine um die Musik geht. Es gibt keinen magischen Feenstaub, mit dem ein Majorlabel dich bestreut und der dich Millionen Alben verkaufen lässt. Als wir das erkannt haben, waren wir wieder im Spiel. Zurückblickend bin ich froh, dass wir diese Lektion gelernt haben, so schmerzhaft sie auch gewesen sein mag.
"I'm a danger to myself / Always blaming someone else / Got a grenade in my mouth / And my finger on the pin ready to rip it out" ("The end", 2006)
Du betonst oft, dass ihr eure Lieder ohne eine bestimmte Absicht schreibt, dass ihr euch niemals zusammensetzt und besprecht, was ihr machen wollt. Bezüglich eures neuen Albums ist das schwer zu glauben, immerhin seid ihr für ein ganzes Jahr von der Bildfläche verschwunden, bevor ihr die Arbeiten an "Sound The Alarm" begonnen habt. In dieser Zeit müsst ihr euch doch Gedanken über eure musikalische Ausrichtung gemacht haben, vor allem angesichts der Tatsache, dass "In Reverie" nicht der große Erfolg war, den alle erwartet haben.
Ich würde sagen, dass dieses Album sogar ein ungeheuerlicher Erfolg war, wenn man sich vor Augen hält, dass wir ohne die Unterstützung eines Labels und ohne Video- oder Radio-Airplay immerhin 150.000 Stück verkauft haben. Und wenn es dir schwer fällt zu glauben, dass hinter der musikalischen Richtung, die "Sound The Alarm" einschlägt, keine Absicht steckt, dann ist das dein Problem. Das war alles eine ganz natürliche Entwicklung. Im letzten Jahr hat sich eine Menge Wut in uns angestaut, deshalb klingt das Album eben so, wie es jetzt klingt. Ich muss uns ganz bestimmt nicht verteidigen deswegen.
Jetzt mal langsam. Ich wollte dich ganz sicher nicht angreifen mit meiner Frage.
Wenn jemand behauptet, dass hinter unseren Alben eine bestimmte Absicht steckt, dann nervt mich das eben, denn genau das ist das Problem, was ich mit den meisten Bands der Gegenwart habe. Songs nur zu schreiben, damit sie im Radio gespielt werden, ist das genaue Gegenteil von SAVES THE DAY. Das ekelt mich an. Dank Bands wie YELLOWCARD oder FALL OUT BOY glauben die Leute, in Stadien spielen zu müssen. Sie sind sich des Geldes bewusst, das hinter all dem steckt, und richten ihre Musik darauf aus.
Eure Entscheidung, bei "Sound The Alarm" wieder mit Steve Evetts zu arbeiten, der ja schon eure ersten beiden Alben produziert hat, ist aber durchaus als eine Rückbesinnung interpretierbar.
Auch das war keine bewusste Entscheidung. Eigentlich wollten wir wieder mit Rob Schnapf aufnehmen, der auch für "Stay What You Are" und "In Reverie" verantwortlich war, aber das hat terminlich nicht geklappt. Und da die Band zu diesem Zeitpunkt sehr zerbrechlich war, wollten wir unbedingt mit jemandem arbeiten, der uns kannte und mit dem wir uns wohl fühlen, also haben wir bei Steve angerufen. Das war aber nicht Teil eines Plans, zu unserem ursprünglichen Sound zurückzukehren.
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