RUTS

Foto

Der Soundtrack ihres Lebens

Vor vierzig Jahren haben THE RUTS ihr bahnbrechendes Debüt „The Crack“ veröffentlicht. Pünktlich zum Jubiläum bringen sie einige Tracks ihres Meilensteins nun erstmals nach dem Tod des RUTS-Leadsängers Malcom Owen 1980 wieder auf die Bühne. „The Crack“ live, von Anfang bis Ende. Drummer Dave Ruffy erläutert die Umstände.

Das „The Crack“-Jubiläum hat ja gerade für ziemlichen Trubel um euch gesorgt.


Ja, das ist wahr. Es war zwar kein Album, das sich millionenfach verkauft hat, aber für die Leute, die es sich gekauft haben, ist es im Laufe der Zeit zu einer Art Soundtrack ihres Lebens geworden.

Mal abgesehen davon, dass die Musik nach wie vor frisch und unverbraucht klingt, sind auch die Themen, die ihr damals angesprochen habt, gerade wieder topaktuell.

Bedeutsamer als je zuvor, könnte man sagen. Ich wünschte, das könnte ich auch von der Musik behaupten, haha. Nein, du hast schon recht, wie wir alle wissen, leben wir gerade in einer sehr seltsamen Zeit, das fühlt sich irgendwie vertraut an. Und die darin enthaltene Botschaft sollte immer und immer wieder wiederholt werden. Ich habe kürzlich mit Segs, dem RUTS-Bassisten und -Sänger, darüber gesprochen. Er ist ein bisschen jünger als ich und sagte: „Wir haben damals Rock Against Racism gemacht, dann kam 2Tone und wir dachten, die Sache sei damit erledigt.“ Haha. Aber die Sache ist niemals erledigt. Auch, wenn wir damals eigentlich nur darüber berichtet haben, was um uns herum passiert ist.

Wird Babylon dieses Mal niederbrennen?

Es sieht tatsächlich danach aus. Das ist schon sehr seltsam, weil wir damals nie gedacht hätten, überhaupt das Alter von dreißig erreichen zu können. Und siehe da, schon bin ich über sechzig, im besten Rentenalter. In vielen Dingen sind wir schon sehr privilegiert, wir leben im Westen, man kann sich zwar über manches aufregen, ich habe trotzdem das Gefühl, dass es mir eigentlich ziemlich gut geht. Bei genauerer Betrachtung befindet sich die Welt aber in einem weit schlechteren Zustand als damals. Auch wenn ich nicht den ganzen Tag darüber nachdenke und Trübsinn deswegen blase. Nicht nur „The Crack“ beschäftigt sich damit, auch heute schreiben wir eher über die Realität als über irgendwelche abgehobenen Schrulligkeiten, das muss schon alles eine gewisse Bodenhaftung haben.

Soziale Ungerechtigkeit und der unterschwellige apokalyptische Grundton sind die beiden Themen auf „The Crack“, die ich konkret als besonders aktuell empfinde. Derzeit scheint „1984“ ja Schritt für Schritt Realität zu werden.

So ist es. Wir dachten zwar damals, es würde schon um die Ecke warten, aber es war noch ein wenig weiter entfernt als angenommen. Gegenwärtig ist Großbritannien so gespalten, ich bin kein Politiker, aber ich habe Angst vor der Zukunft. Was auch immer nach diesem März passieren wird. Diese blödsinnige Brexit-Idee ... Ich habe mich mit Freunden darauf geeinigt, bei gemeinsamen Essen nicht mehr darüber zu sprechen. Es endet immer in Streitigkeiten, nicht physischer Art, eher erbitterte Meinungsverschiedenheiten und das ist einfach furchtbar. Was die soziale Ungerechtigkeit angeht, weiß ich nicht, inwiefern man Deutschland und England da vergleichen kann. Ich halte die Spaltung zwischen den Schichten hier für größer als bei euch. Ich bin als Kind der Arbeiterklasse aufgewachsen, mit dem Gefühl, dass ich selbst niemals etwas anderes als Arbeiter werden kann. Und trotzdem hatte ich später Erfolg im Leben, ich bin ein okayer Musiker, ich kann das in meinem Leben machen, was ich gerne tue. Ich hatte Glück. Ich will daraus jetzt kein politisches Interview machen, aber wir haben in England noch immer Kinder, die in Armut leben. In einem vermeintlichen Erstwelt-Land ist das schon eine echte Misere. Und dann dieses bevorstehende Brexit-Desaster, was haben die Leute sich dabei gedacht? Haben sie überhaupt gedacht, hehe ...? Aber ich bleibe optimistisch, schließlich konnte ich schon einmal aus einer vermeintlich geschlossenen Kiste klettern und habe den Beruf ergreifen können, den ich mag. Und in beruflicher Hinsicht läuft es im Moment tatsächlich sehr gut, wir starten gerade die größte UK-Tour, die wir jemals gemacht haben.

Ihr werdet „The Crack“ komplett von Anfang bis Ende spielen. Das klingt ziemlich anstrengend.

Ist es auch, das kann ich dir sagen, haha. Wir nehmen diese Tour sicher nicht auf die leichte Schulter. „The Crack“ ist das Album, für das wir bekannt sind. Wir sind sehr stolz darauf und auch auf das, was es bewirkt hat, aber als Segs und ich RUTS DC 2011 wiederbelebt haben, wollten wir nie nur eine Art nostalgische Tribute-Band sein. Also haben wir ein paar Alben als RUTS DC gemacht, „Rhythm Collision 2“ und ein Rock-Album namens „Music Must Destroy“, die beide sehr gut angekommen sind. Manche machen im Prinzip ein Album immer und immer wieder, das haben wir nie getan. Jetzt sind wir aber an einem Punkt angelangt, an dem wir uns wieder gerne mit „The Crack“ beschäftigen. Hätten wir das direkt nach der Reunion getan, hätte nur jeder gemeckert, dass wir nie wieder so gut sein werden wie früher. Erst jetzt können wir dem Album wirklich gerecht werden. Als wir zusagten, diese Tour zu machen, ist Segs und mir erst richtig bewusst geworden, wie schwierig das sein wird. Wir proben schon seit dem letzten September zweimal in der Woche und arbeiten das Set durch. Und es hört sich wirklich gut an. Es gibt da viele Hürden, vor allen Dingen für Segs. Manche Songs haben wir nach Malcoms Tod 1980 nie wieder gespielt. Segs singt normalerweise Songs, hinter denen er in textlicher Hinsicht voll steht. Und bei diesen Tracks findet er manche Texte nicht gerade berauschend, besonders bei einigen punkigeren Songs wie „Out of order“, „Criminal mind“ oder auch „Savage circle“. Er hat inzwischen gelernt, sie zu lieben, sogar „Human punk“, er spielt sie jetzt wirklich gerne. Das ganze Album live aufzuführen, ist schon ein hartes Stück Arbeit. Ich war bei seinem Erscheinen Anfang zwanzig, habe ja aber zum Glück nie aufgehört, Schlagzeug zu spielen, also war ich der Sache schon noch gewachsen. Es ist schwieriger als damals, aber es klappt alles sehr ordentlich, die Leute werden überrascht sein. Wir spielen auf den Konzerten nicht nur „The Crack“ komplett am Stück, sondern nach einer kleinen Unterbrechung auch ein paar andere alte RUTS-Songs und einige von RUTS DC. Das wird richtig gut. Hoffentlich können wir das später auch in Deutschland in ein paar größeren Städten zeigen.

Wie sieht das mit Bläsern aus, werden die auf der Bühne dabei sein?

Damit haben wir natürlich auch geliebäugelt, aber das ist für eine doch recht kleine Band wie uns einfach zu teuer. Ich bin in punkto Technik ganz fit, also werden wir hier ein bisschen tricksen. Du wirst die Bläser hören, aber nicht sehen, haha, ich steuere das alles von meinem Drumkit aus. Besonders in „Jah war“ ist es wichtig, Bläser und Orgel mit dabei zu haben, das ist schon eine Herausforderung für uns als Trio. Aber niemand wird enttäuscht sein, wir haben eine sehr gute Crew und einen ausgezeichneten Tontechniker. Wir sind sehr zuversichtlich, aber auch ein bisschen nervös.

Dein Drumming hat sich ja im Laufe der Zeit auch verändert. Wie wirkt sich das auf die „The Crack“-Performance aus?

Mein Freund und begeisterter RUTS-Fan Henry Rollins hat mal zu mir gesagt: „Ruffy, du bist inzwischen ein besserer und groovigerer Drummer, das war damals anders.“ Ich habe neben und nach den RUTS in vielen anderen Projekten mitgespielt, das ist schließlich mein Job, Drumming und ein bisschen Schreiben. Jetzt musste ich manche Dinge sozusagen wieder verlernen. Eigentlich spiele ich heute ein kleineres Drumkit als früher, also habe ich mit einigen RUTS-Experten gesprochen und die waren einhellig der Meinung, dass ich für den authentischen „The Crack“-Sound wieder mein altes großes Drumkit spielen müsste. Schließlich habe ich mein verliehenes und schon verloren geglaubtes Kit von damals auftreiben können und wieder auf Vordermann bringen lassen. Toms, Becken, alles ist wieder so wie damals, das war ganz schön tricky. Außerdem hat die japanische Firma Roland mir ein paar Sachen zusammengestellt, um bestimmte Sounds erzeugen zu können. Aber ich bin nicht ausschließlich an den Computer gebunden, nur bei „Jah war“ werde ich zu Synchronitätszwecken einen Click verwenden. Ich bin daran gewöhnt, mit Clicks zu spielen, das habe ich bei vielen Acts gemacht, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Ein paar Effekte werde ich auch benutzen, bei „It was cold“ und „Babylon’s burning“ beispielsweise. In spielerischer Hinsicht brüste ich mich ja gerne damit, groovy zu sein. Aber ich habe nicht so viele Chops drauf, ich bin kein großer Techniker. Ich kann die Leute mit meinem Drumming zum Tanzen bringen und das ist mein Ziel. Manche Lieder auf „The Crack“ haben 240 beats per minute, das ist schon verdammt schnell. Zum ersten Mal überhaupt muss ich mich vor einer Show warmspielen, weil das Album ja direkt mit „Babylon’s burning“ loslegt. Das ist schon heftig. Und die Drums müssen stimmen, sonst läuft gar nichts. Aber um das mal klarzustellen, ich habe das noch nie so gesagt, Segs übernimmt den Leadgesang und spielt gleichzeitig Bass, und er macht einen wirklich großartigen Job. Unser Gitarrist Leigh Heggarty, der bei unserem letzten Gig mit unserem Original-Gitarristen Paul Fox 2007 zu uns gestoßen ist, setzt das auch ausgezeichnet um. Paul war ein Monster von einem Gitarristen, unser Topmusiker, als wir anfingen. Es ist sehr wichtig für uns drei, das jetzt alles auch richtig rüberzubringen.

Wo war dein altes Drumkit abgeblieben?

Das hatte ich vor etwa zwanzig Jahre an Laurence Fox, den Sohn von Paul Fox, verliehen. Ich dachte mir damals, dieses Kind würde ich wirklich gerne damit spielen sehen. Weil er es hatte, seit er ein kleiner Junge war, hätte ich mich ein bisschen mies dabei gefühlt, es wieder zurückzuverlangen. Aber eines Tages rief er an und sagte: „Hey, ich habe ein neues Kit, ein richtig gutes Teil.“ Und ich: „Ja, das ist großartig. Es wäre super, wenn ich mein altes zurückhaben könnte, falls das okay für dich ist?“ Und er sagte: „Ja, klar.“ Und damit hatte ich es wieder. Es ist umlackiert in ein sehr glitzerndes Rot, passt besser zur Band, sieht gut aus und klingt auch gut.

Zurück zu den Wurzeln. Wo würdest du die bei den RUTS musikalisch ansetzen?

Wir machen Roots and Rebel Music. Ich würde einige der besten Musikstile als Roots and Rebel Music bezeichnen. Sei es nun Reggae oder Rockabilly oder sogar Country. Das ist alles Musik, deren Essenz es ist, dass Leute über ihre eigene Situation berichten. Wenn man noch weiter zu den Anfängen zurückgeht, trifft das auch auf Folk zu. Das ist meiner Meinung nach die einzig wahre Musik. Ich wollte mir nie Songs anhören, in denen nur „lalala, baby“ und ähnlicher Kram vorkommt. Musik muss dir etwas bedeuten. Ich selbst hatte als Zwölfjähriger einen besten Freund, wir waren in unserer Schule beide ein wenig die Außenseiter, er spielte Gitarre und ich habe angefangen, Schlagzeug zu spielen, und zusammen haben wir viel Blues und Soul gehört. Er hatte Cousins, die eine Band hatten. Als sie einen neuen Gitarristen und einen Drummer brauchten, bekamen wir den Job. Die Band hieß die STAR-KEYS [Ringo Starr heißt eigentlich Richard Starkey, benannt wurde die Band aber nach Vorbildern wie den BAR-KAYS und MAR-KEYS] und wir spielten Soul und Rocksteady. Und auch das war Roots Music, Musik aus dem Volk und aus dem Herzen. Meine Liebe zu Reggae stammt wohl aus dieser Zeit. Es gab viele Partys in ärmeren Gegenden und da kam ich her. Die Plattenfirmen haben damals diese billigen Sampler veröffentlicht. Es gab da einen Sampler namens „This Is Soul“ von Atlantic Records oder die „Tighten Up“-Serie von Trojan, einem Island-Tochterlabel, das waren die Reggae/Ska/Rocksteady-Sachen dieser Zeit, Ende der Sechziger. Und auf jeder Party, in jedem Haus liefen diese Platten. Als ich ein Teenager war, war diese Musik also einfach allgegenwärtig. Vor den RUTS waren Paul Fox und ich außerdem noch in einer Band namens HIT AND RUN, einer zehnköpfigen Soul-Band mit einer Bläserfraktion. Diese hat auch „Jah war“ mit eingespielt. J.D. Nicholas, einer der drei HIT AND RUN-Sänger, ist später Mitglied der COMMODORES geworden. Für Segs waren die RUTS die erste Band. Er war ein sehr cooler Typ, aber nicht wirklich punkig. Er hat damals Baggy Pants getragen und eine große Kappe. Er hat Mitte der Siebziger Tanzwettbewerbe in Discotheken gewonnen und hatte außerdem viele schwarze DJ-Freunde, war also musikalisch gesehen auch nicht ganz jungfräulich. Er und Malcolm hatten einen sehr eklektischen Geschmack. Malcolm hat auch viel als DJ gearbeitet. Wir sind damals auch voll auf KRAFTWERK, NEU! und CAPTAIN BEEFHEART abgefahren. Für uns gibt es nur zwei Sorten Musik: gute und schlechte.

Hast du dich später als etablierter Musiker noch für neue Musik interessiert? Oder gräbst du lieber in alten Sachen?

Ich beschäftige mich nach wie vor noch mit neuen Sachen. Ich genieße dieses Gefühl, eine neue Entdeckung gemacht zu haben. FAT WHITE FAMILY mag ich beispielsweise sehr. In den späten Achtzigern haben Segs und ich alleine und zusammen ziemlich viel House und Dub gemacht. Zugegeben, Popmusik liegt mir nicht so sehr. Gerade hat mich die Washington D.C.-Band THE MESSTHETICS, ein Trio aus zwei FUGAZI-Mitgliedern an Bass und Drums und einem Gitarristen, alles komplett instrumental, ziemlich umgehauen. Ich höre aber auch viele alte Sachen und ertappe mich dabei, immer weiter zurückzugehen. In den Sechzigern habe ich britische Blues-Bands gehört, inzwischen liebe ich HOWLIN’ WOLF, B.B. King, Albert King, Robert Johnson. Oder den zugänglicheren Miles Davis. Das NEIL COWLEY TRIO, ein englisches Jazztrio, fantastisch. Die sind wirklich gut, aber noch recht neu. Ich liebe es, Musik zu hören. Ich war früher regelrecht besessen davon und als ich in den Achtzigern als DJ gearbeitet habe, habe ich wie ein Wahnsinniger sämtliche Plattenläden abgeklappert, um neue Entdeckungen machen zu können. Das hat sich mit dem Internet natürlich erledigt. Da kannst du quasi alles finden, was du willst. Als ich älter wurde, habe ich diesen Drang verloren. Auch wenn ich mich wie mein Vater oder Großvater anhöre, vieles an der Musik heutzutage mag ich überhaupt nicht. Sie setzt sich aus immer denselben Computersounds und Presets, denselben Vocaltunes zusammen, das berührt mich einfach nicht. Wenn es mich bewegt und neu ist, fantastisch.

Heutzutage kann ja theoretisch jeder mit einem iPhone einen eigenen Song zusammenbasteln.

Ja, und das ist ja auch nicht schlecht. Aber mir ist aufgefallen, dass diese totale Verfügbarkeit auch ein Hindernis sein kann. Ich habe im Laufe der Jahre Musik produziert und ab und an Vorlesungen über Produktion an Musikhochschulen gehalten, etwa an der Academy of Contemporary Music. Dort wurde ich darum gebeten, ein paar Arbeiten der Studenten zu bewerten, und – ich muss ja ehrlich sein – ich habe gesagt, ihr benutzt nur, was schon in der Box ist. Es geht nicht darum, was du benutzt, sondern dass du damit etwas genuin Neues schaffst. Das war ganz anders, als ich aufwuchs. Wenn du heutzutage anfängst, Schlagzeug zu spielen, kannst du alles nachschauen, in mindestens zehn Versionen. Manchmal musst du vielleicht ein bisschen suchen, um den korrekten Weg zu finden, das war es aber schon. Früher war das wirklich eine Art Mysterium, du musstest in die Clubs gehen und dir ansehen, was die Leute machen. Und wenn du einen Drummer gesehen hast, den du mochtest, vielleicht nach dem Gig zu ihm gehen und ein Gespräch anfangen. Manche von ihnen waren total unfreundlich, richtige Rockstars, aber manche waren echt nett. Es war ein Geheimnis, das es zu ergründen galt, du musstest dich schon richtig reinhängen, um etwas dazuzulernen. Ich bin zwar immer mit der Technologie der Zeit gegangen, habe auch Drum-Machines verwendet. Aber davor musstest du, wenn du zu Bass spielen wolltest, wirklich mit einem Bassisten in einen Raum gehen, alles einstöpseln und loslegen. Und dadurch, mit Leuten zu spielen, lernst du eine ganze Menge, auf einer eher unterschwelligen Ebene. Wir schreiben häufig Musik während Jams, das ist alles sehr spontan, weniger ein Denkprozess. Während du spielst, musst du deinen Denkapparat runterfahren und wenn du Glück hast, laufen die Dinge einfach zusammen und du erschaffst etwas aus dem Nichts heraus. Ich erledige zwar vieles am Computer, das kann schon auch ganz gut sein, aber es kommt nicht an die Intimität und diese bahnbrechenden Momente während des gemeinsamen Spielens mit echten Menschen heran. Ich schätze beide Dinge, wenn du es echter magst, solltest du aber auf Jams zurückgreifen. Für manches ist moderne Technologie durchaus gewinnbringend. Unser letztes Album hat Lee Groves, ein Freund in Memphis, gemixt, und ich habe ihm unsere Sachen einfach über das Internet schicken können. Oder wenn ich für einen Song einen bestimmten Keyboardsound möchte, kann ich dem Keyboarder meine Fassung mailen und er mailt mir seine zurück.

Eine dynamische Angelegenheit.

Ja, wie die RUTS. Eine dynamische Band. Wir spielen live nicht außergewöhnlich laut, aber wir haben viel Power. Früher war ich viel auf Konzerten und – das ist jetzt vielleicht nicht die punkigste Sache der Welt, das zu sagen – die dynamischste Band, die ich je gesehen habe, waren LED ZEPPELIN 1968 im Marquee Club. Ich habe sie danach noch ein paarmal gesehen, aber so gut waren sie nie wieder. Das Besondere war, dass sie fast auf null runtergehen und so deine Aufmerksamkeit binden konnten. Und dann wieder voll aufdrehen. Wenn es durchgehend einfach nur laut ist, machst du irgendwann zu. Deswegen passen wir auch auf, keine Supportbands zu bekommen, die ausnahmslos nur draufhauen. Dann machen viele die Ohren innerlich zu. Versteh mich nicht falsch, ich mag laute Musik, aber du weißt das Laute nur zu schätzen, wenn es auch etwas Leises gibt. Alles andere ist der Mann mit dem Hammer. In den letzten Jahren scheint es eine Art Wettbewerb gegeben zu haben, wer die lauteste Platte machen kann. Eine Menge der Popmusik ist dadurch einfach nur ermüdend, weil alles prall bis zum Anschlag hochgefahren ist. Dieser ganze Radiokram geht so oft voll auf die Zwölf, ich höre da noch ab und an rein. Und nach 15 bis 20 Minuten merke ich, wie mein Hirn sich abschaltet und ich nach meinem Smartphone greife, wie ein Teenager, haha.

Also zurück in die Zukunft?

Wir ziehen auf jeden Fall weiter. Wir haben seit 2016 kein Album mehr veröffentlicht. Wir haben jede Menge Dinge in der Pipeline, aber in den letzten paar Monaten haben wir uns voll darauf konzentriert, dieses „The Crack“-Ding durchzuziehen. Wir freuen uns auf das nächste Album, ein paar Songs dafür sind schon fertig. Wir haben uns dafür entschieden, einfach die Musik zu machen, die wir mögen und die uns etwas bedeutet. Auf dem letzten Album gab es ein paar punkigere Songs wie „Kill the pain“ und „Psychic attack“, aber auch ein paar dezentere poppige Sachen wie „Golden boy“, mit jangligeren Tunes und ungewöhnlichen Timings. Die Leute, die uns mögen, mögen uns in der Regel sehr und sind auch bereit, uns zu folgen. Manchen Fans schicke ich auch ab und an mal einen Demotrack und frage sie, was sie davon halten, und normalerweise finden sie es okay. Nicht immer, aber meistens. Nach vorne zu gehen ist der einzige Weg. Ich bin jetzt über sechzig, aber ich denke noch lange nicht daran, aufzuhören. Solange meine Körper mitmacht, mache ich weiter.

Schon jetzt habt ihr verdammt große Spuren hinterlassen. Wie geht ihr damit um?

Nach Malcoms Tod hatten wir ein richtig schweres Erbe anzutreten. Das wird uns gerade bei den Vorbereitungen zur „The Crack“-Tour noch mal richtig bewusst. Die beiden, die nicht mehr da sind, sind immer noch mit uns auf der Bühne. Sie sind bei jeder Probe dabei. Aber es ist auch ein gutes Erbe, es war herzzerreißend, dass wir damals so abrupt aufhören mussten. Ich bin stolz auf unser Vermächtnis und ich glaube nicht, dass eine Band wie wir damals heutzutage groß Gehör finden würde. Vielleicht ist das ja auch gut so. Um dem gerecht werden zu können, musste viel Zeit vergehen. Deswegen haben wir auch vier Agenten verschlissen, bevor wir soweit waren und diesem Projekt zusagen konnten und wollten. Und wir können diese Geschichte hoffentlich noch lange fortschreiben, indem wir weiterhin gute Musik machen.

 


Dave Ruffy – DIE BIOGRAFIE

- Anfang der Fünfziger wird Dave Ruffy in York geboren.

- 1957 zieht Dave nach dem Tod seiner Mutter ins Londoner East End.

- 1967 wird Ruffy Schlagzeuger der Soul- und Rocksteady-Band THE STAR-KEYS.

- 1970+ In den frühen Siebzigern lebt Dave mit Frau und Tochter im East End. Um sich über Wasser zu halten, arbeitet er in Fabriken und als Bote in der Stadt. Durch seine regelmäßigen Besuche in Plattenläden findet er einen Job in einer kleinen Plattenladenkette namens James Asman’s.

- 1976 spielt Dave als Drummer zusammen mit Paul Fox in der Funk-Band HIT AND RUN.

- 1977 wird Dave Bassist bei RUTS.

- 1978 übernimmt John „Segs“ Jennings den Bass und Dave Ruffy kehrt zurück ans Schlagzeug.

- 1980 macht Dave nach Malcolm Owens Tod mit den verbliebenen RUTS-Mitgliedern als RUTS DC weiter.

- 1982 vermittelt Rough Trade-Gründer Geoff Travis Dave den Posten als Schlagzeuger bei AZTEC CAMERA, wo er bis 1988 bleibt.

- Ab 1983 arbeitet Dave als (Session-)Drummer u.a. für PREFAB SPROUT (1983), THE WATERBOYS (1985/86) und Sinead O’Connor (1990-92).

- Ab Ende der Achtziger legt Dave auch als DJ House- und Dub-Platten auf.

- 1999 produziert Ruffy das letzte Album der Singer/Songwriterin Kirsty MacColl.

- 2007 reformieren sich RUTS anlässlich der Krebserkrankung von Gitarrist Paul Fox einmalig mit Henry Rollins als Leadsänger.

- Ca. 2008 startet Dave Ruffy ein Projekt mit Marc Almond.

- 2011 reformieren Segs und Dave RUTS DC dauerhaft.