RUSS RANKIN

Foto© by Lindsey Lutts McGuire

Ein hartes Jahr für alle

Russ Rankin gilt als Vordenker der amerikanischen Punk-Szene. Mit seinen Bands GOOD RIDDANCE und ONLY CRIME hat der Kalifornier schon einige hochpolitische Alben abgeliefert. Rankin ist überzeugter Veganer, Tierrechtler, Parteimitglied der amerikanischen Grünen und lebt seit Jahren straight edge. 2012 wagte er mit „Farewell Catalonia“ zum ersten Mal einen Alleingang, neun Jahre später hat Russ Rankin nun sein zweites Soloalbum aufgenommen. „Come Together, Fall Apart“ heißt es. Großen Anteil daran hatte ein Österreicher, wie der 53-Jährige uns verrät.

Warum sind seit deinem ersten Soloalbum so viele Jahre vergangen?

Damals habe ich diese Platte aufgenommen und nicht wirklich gewusst, was ich damit anfangen soll. Ich war einfach nur glücklich darüber, etwas Neues auszuprobieren. Damals habe ich mir auch nicht mit Nachdruck einen Booking-Agenten gesucht und nur sehr wenige Shows gespielt. Außerdem beendeten GOOD RIDDANCE im gleichen Jahr ihre fünfjährige Pause. Ich hatte also viel mit der Band zu tun und konnte nicht genug Konzerte als Solokünstler spielen, um einschätzen zu können, ob meine Songs beim Publikum gut ankommen. Ich habe eine Handvoll Shows vor einer respektablen Menschenmenge gespielt. Das war wirklich toll. Ich habe aber auch in Kneipen gespielt, wo sich die Leute an der Bar nicht einmal zu mir umgedreht haben. Ich konnte also nie wirklich abschätzen, ob es überhaupt eine Nachfrage für meine Songs gibt. Vielleicht braucht die Welt nicht noch einen weiteren Punkrocker mit Akustikgitarre?

Nach neun Jahren hast du dich entschlossen, doch noch ein weiteres Soloalbum aufzunehmen. Was hat den Ausschlag gegeben?
Dafür ist Stefan Beham von Sbäm Records verantwortlich. Er hat mich angeschrieben und mir erzählt, dass er ein großer Fan meines Debütalbums ist. Er mag GOOD RIDDANCE und steht auf meinen Gesang und mein Songwriting. Diese Nachricht hat mich mitten in der Pandemie erreicht, als ich gerade anfangen wollte, neue Songs für GOOD RIDDANCE zu schreiben. Er hat mich darum gebeten, ein Soloalbum für sein Label zu machen und er war echt hartnäckig. Er war richtig aufgeregt und das hat sich irgendwann auf mich übertragen. Also habe ich mich entschlossen, an die Arbeit zu gehen.

Gibt es einen Unterschied, ob du Songs für GOOD RIDDANCE oder für ein Soloalbum schreibst?
Natürlich. Songs, die ich für GOOD RIDDANCE schreibe, sind schnelle Punk-Nummern. Die schreibe ich alle mit Hilfe einer elektrischen Gitarre mit viel Lautstärke. Deshalb sind die Songs auch sehr dynamisch und aggressiv. Bei den Solo-Songs geht es viel ruhiger und entspannter zu. Die Griffe sind viel einfacher, weil ich vor allem gute Melodien suche und dann den einfachsten Weg finden will, diese Songs auf der Akustikgitarre zu spielen. Ich bin kein besonders guter Gitarrist, das spielt zum Glück bei der Akustikgitarre keine große Rolle. So lange ich Texte schreibe, auf die ich stolz bin, und eine gute Melodie finde, reicht mir das. Deshalb verwende ich immer nur die grundlegenden Akkorde, die den Song transportieren. Was die Texte betrifft, ist es kein großer Unterschied zu GOOD RIDDANCE. Ich schreibe über politische oder soziale Themen und ich setze mich mit persönlichen Beziehungen auseinander. Oder mit Problemen, die ich hatte oder die enge Freunde von mir durchlebt haben.

Auf deinem neuen Album gibt es einen Song namens „Last conversation“. Der wirkt sehr persönlich. Worum geht es?
2020 war ein hartes Jahr für uns alle. Ich habe in diesem Jahr beide Eltern verloren. Sie lebten schon lange getrennt und sind beide innerhalb von wenigen Monaten verstorben. Es ist schon hart, ein Elternteil zu verlieren, das kann dein Leben nachhaltig verändern. Und ich habe gleich beide verloren. Kurz vor ihrem Tod hatte ich noch die Gelegenheit, die beiden getrennt voneinander zu besuchen. Ich habe mich mit ihnen hingesetzt und wir haben uns zwei oder drei Stunden lang unterhalten. Das war natürlich sehr traurig, aber auf der anderen Seite auch versöhnlich. Denn es gab zwischen uns nichts Unausgesprochenes mehr. Nichts, was wir noch bereinigen oder aus der Welt schaffen mussten. Am Ende gab es nur noch Liebe. Davon erzähle ich in diesem Song.

„Farewell Catalonia“ klang noch wie ein typisches Singer/Songwriter-Album. „Come Together, Fall Apart“ trägt Elemente von Americana oder Indie-Folk in sich. Wie kommt das?
Mein erstes Soloalbum habe ich mit meinem Freund Paul Miner, dem früheren Bassisten von DEATH BY STEREO, aufgenommen. Damals war er ähnlich unerfahren wie ich mit Akustik-Songs. Deshalb haben wir beide einfach herumprobiert. Dafür klingt das Album ziemlich gut, finde ich. Allerdings waren sich diese Songs alle ziemlich ähnlich. Wenn ich mir das heute anhöre, macht mich das verrückt. Deshalb wollte ich es jetzt anders machen. Die Songs sollten variantenreicher sein und die Akustikgitarre sollte bei allen Songs im Vordergrund stehen. Denn auf der Bühne werde ich in den meisten Fällen alleine mit der Gitarre stehen. Wenn ich bei den Aufnahmen also zu viele Instrumente verwendet hätte, würde es sich live nicht richtig anfühlen. In einem Studio gibt es immer sehr viele Instrumente und Musiker, da muss man höllisch aufpassen, dass es nicht irgendwann zu einem Band-Album wird. Deshalb war ich bei der Instrumentierung sehr vorsichtig. Ein paar Keyboards, ein bisschen Klavier, Percussion und Schlagzeug natürlich. Aber alles ziemlich reduziert. Es gibt nur ein oder zwei Songs, in denen über die volle Länge ein Schlagzeug zu hören ist.

Aufgenommen hast du das im Blasting Room in Fort Collins, wie auch die Alben von GOOD RIDDANCE. Welchen Anteil hatten Andrew Berlin und Bill Stevenson an der Platte?
Die meiste Zeit habe ich mit Andrew verbracht, um mit der Gitarre zu arbeiten. Bill kam immer abends vorbei und hat sich um den Gesang gekümmert. Mit Bill arbeite ich schon seit über zwanzig Jahren zusammen, wir haben einen exzellenten Workflow. Diesmal habe ich viel von Andrew gelernt, weil ich nicht wirklich gut Gitarre spielen kann. Beim Songwriting für GOOD RIDDANCE spiele ich immer nur Johnny Ramone-Chords, mit der Akustikgitarre musste ich erst lernen, Open Chords zu spielen, bei denen jede einzelne Saite klingt. Andrew hat viel Erfahrung mit Folk- und Country-Musik, deshalb konnte er mir sehr wertvolle Tipps geben. Nicht in Bezug auf die Struktur der Songs, sondern was die Performance betrifft. Da sind Dinge dabei, auf die ich nie gekommen wäre. Bill hat mich schon bei den Demos zum Album beraten und mit mir gemeinsam an der Struktur gearbeitet, so dass die Songs schon eine sehr gute Form hatten, als ich in den Blasting Room gekommen bin. Und er hat mir auch beim Aussortieren geholfen. Ich hatte insgesamt 19 Songs für das Album geschrieben, aufs Album haben es elf geschafft. Dabei haben mir sein Urteilsvermögen und seine Ehrlichkeit sehr geholfen.

Inzwischen haben viele Musiker:innen aus der Punk-Szene akustische Soloalben aufgenommen. Haben dich die Arbeiten von anderen inspiriert?
Auf die Idee mit den Akustik-Songs hat mich Billy Bragg gebracht. Er hat einige der coolsten Songs geschrieben, die ich je gehört habe. Den entscheidenden Impuls hat aber Tony Sly von NO USE FOR A NAME gegeben. Er hat gesagt: Mann, du bist ein guter Songwriter. Du solltest das unbedingt ausprobieren. Ohne Tony wäre ich das nie ernsthaft angegangen. Er konnte da sehr hartnäckig sein, deshalb habe ich mit ihm zusammen auch meine ersten Solokonzerte gespielt. Ich bin aber auch ein Fan von Joey Cape von LAGWAGON. Ich mag einfach seine Stimme und wie er seine Solosachen schreibt. Das klingt einzigartig, finde ich. Außerdem habe ich mir das neue Album von Jim Lindberg von PENNYWISE angehört und finde es toll, dass er es gewagt hat. Ich mag auch die Platten von Frank Turner sehr.

Dein Soloalbum kommt über drei verschiedene Labels in Österreich, Kanada und den USA heraus. Wie kam es dazu? Hatte Fat Wreck kein Interesse?
Als ich an „Farewell Catalonia“ gearbeitet habe, hatte ich die Songs auch an Fat Wreck geschickt, sie waren aber nie richtig begeistert. Das war für mich sehr enttäuschend und irgendwann habe ich aufgehört zu fragen. Bei diesem Album war Stefan von Sbäm Records der wichtigste Motor. Wenn ich hartnäckig gewesen wäre, hätte es Fat Wreck vielleicht veröffentlicht, um mir einen Gefallen zu tun. Ich fand es aber einfach besser, das Album jemandem zu geben, der mit Leidenschaft dahintersteht. Außerdem ist es mir immer wichtig, Dinge voneinander zu trennen. GOOD RIDDANCE und ONLY CRIME bleiben ja bei Fat Wreck. Deshalb passt mir das gut in den Kram, wie es ist.