Roger Miret

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United & Strong

Ende August erscheint im Berliner IP Verlag unter dem Titel „United & Strong“ die deutsche Übersetzung der Autobiografie von AGNOSTIC FRONT-Sänger Roger Miret. Im Folgenden präsentieren wir euch Kapitel 8 aus diesem Buch.

Das erste Mal sah ich Vinnie Stigma am 14. Oktober 1981 in der Peppermint Lounge. Dort traten die STIMULATORS und die PROFESSIONALS (mit Ex-SEX PISTOLS-Gitarrist Steve Jones) auf, und Vinnie war ein echter Irrer. Ich hatte ja keine Ahnung, welch wichtige Rolle er die nächsten 35 Jahre in meinem Leben spielen sollte. Vinnie war unten vor der Bühne und führte einen wilden Tanz auf; ich stand oben auf der Tribüne und schaute hinab. Ich war bis oben voll mit Meskalin, deswegen war ich nicht unten in der Meute, wo es richtig abging.

Wenn ich Meskalin nahm, zog ich mich aus der Welt in mein Inneres zurück. Ich verspürte dabei ständig Ängste, als würde gleich etwas Schlimmes passieren. Ich weiß auch nicht, warum ich das Zeug unter diesen Umständen überhaupt nahm, aber ich nahm eine Menge davon. Wenn ich high war und meine Ängste mich überkamen, suchte ich immer nach der bedrohlichsten Sache in meiner näheren Umgebung – vielleicht war das so eine Art Verteidigungsmechanismus. Was immer diese Sache war, ich fand sie dann unendlich faszinierend. In diesem Augenblick war Vinnie das Verrückteste und Abgefahrenste, was ich sah. Er tanzte wie ein Wilder, bewegte sich dabei aber gegen die allgemeine Richtung im Moshpit. Normalerweise lässt man sich von der Strömung mitreißen, aber Vinnie verhielt sich wie ein Lachs, der gegen den Strom anschwimmt. Die anderen bewegten sich in die eine Richtung, er in die andere, er prallte gegen eine Wand aus Menschen und hatte dabei ein wahnsinniges Funkeln in den Augen. Sein Begleiter war Big Paul, ein amerikanischer Skinhead und guter Kerl.

In Großbritannien waren viele Skinheads ziemlich abgefuckte Arschlöcher, hasserfüllt und bösartig, und viele von ihnen vertraten die White-Power-Ideologie. Sie zogen los, um Schwule, Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten zu verprügeln. Ich achtete immer darauf, welche Botschaft in der Musik verbreitet wurde, die mir gefiel. Ich machte mir Gedanken über die Texte der Bands. Rassistische, intolerante Bands mochte ich nie. Ich verabscheute alles, wofür sie und ihre Anhänger standen, und ich wollte damit nichts zu schaffen haben. Manchmal jedoch waren die Dinge nicht so eindeutig. Musik ist schon etwas Komisches; sie kann die Hörer blenden. Ist sie richtig gut oder eingängig, überhört man gerne bestimmte Dinge wie blöde Texte oder eine fragwürdige Message. Vor allem dann, wenn man ein junger, dummer Punk ist.

Die Freude am Schockeffekt kann auch das logische Denken beeinträchtigen. Ich habe sogar afroamerikanische Punks mit Hakenkreuz-Ansteckern gesehen, auch wenn das ziemlich grotesk ist. Allerdings muss ich sagen, sobald White Power ein erkennbares Genre für sich mit Hasstexten wurde, boykottierten die meisten von uns die Musik und die dazugehörige Einstellung sofort. Ein paar Typen unterstützten die Botschaften dieses Genres weiterhin insgeheim oder ganz offen, weil sie entweder Fans der Musik waren oder dieser kranken Ideologie tatsächlich anhingen.

In der Anfangszeit galt: Solange man den anderen respektierte und sich um seinen eigenen Kram kümmerte, ließ man eine Menge durchgehen. Aber das hörte schließlich auf. Unsere Szene entwickelte sich und war zu multikulturell, um Engstirnigkeit tolerieren oder gar akzeptieren zu können. Die White-Power-Sympathisanten verhielten sich diskreter, und der Rest erhob lautstark die Stimme dagegen – zu Recht. Dieser neue Ansatz inspirierte mich dazu, Songs für unser erstes Album „Victim In Pain“ zu schreiben. In Stücken wie „United and strong“, „Fascist attitudes“ und „Your mistake“ ging es im Wesentlichen darum, die Kids zusammenzubringen. Man lese einfach mal die Texte!

So viel Mühe ich mir auch gab, unserer Szene den Gedanken der Einheit statt des Hasses näherzubringen, andere hatten sich schon eine Meinung über uns gebildet, und die basierte vor allem auf Hörensagen. Dabei hätten sie sich nur mal „Victim In Pain“ anhören müssen! Sie nahmen auch gar nicht zur Kenntnis, dass ich kubanischer Einwanderer bin und in multikulturellen Vierteln in New Jersey und New York aufwuchs. Ich hatte immer Freunde unterschiedlicher Herkunft, und das ist heute noch so.

Ende der Achtziger, als Skinheads im Licht der Medien standen und durch die Bank als White-Power-Skins diffamiert wurden, wurde der Drang nach Abgrenzung von den echten Naziskins stärker. Man zog die Grenzen noch deutlicher. Es ist eine Schande, dass die Medien niemals die multiethnische Dimension der Szene zeigten. Aber mit Eintracht verkauft man nun mal weniger Zeitungen als mit Hass.

Meine Vorstellung von Skinheads wurde vor allem von amerikanischen Bands wie IRON CROSS und THE EFFIGIES geprägt. Natürlich waren auch nicht alle britischen Skinhead-Bands Arschlöcher. Ohne SHAM 69, COCKNEY REJECTS, THE BUSINESS oder THE LAST RESORT hätte ich wohl nie so großartige Musik aus der Arbeiterklasse entdeckt, und durch sie stieß ich überhaupt erst auf die amerikanischen Skin-Bands.

Elio war meines Wissens der Erste, der den europäischen Skinhead-Look in die Szene von New Jersey brachte. Er war Brite, rasierte sich die Haare immer auf einen Millimeter und trug Poloshirts von Ben Sherman, gebügelte Hosen mit Hosenträgern und ochsenblutrote Doc Martens mit Stahlkappen. Wir anderen trugen meistens amerikanische Armeestiefel, selbstgemachte T-Shirts mit Motiven unserer Lieblingsbands, zerfetzte Jeans und Nietenarmbänder. Wir hatten unseren eigenen Look. Es sollte noch ein Weilchen dauern, bis ich mir Gedanken darüber machen musste, dass Faschos zu unseren Konzerten kamen.

Wir kamen wie gesagt aus New York und New Jersey. Wir wuchsen mit den verschiedensten Rassen, Religionen und Hautfarben auf, und das machte auch die Szene ziemlich vielfältig. Wir akzeptierten alle, solange sie auf die Musik standen. Wir hatten natürlich kein Problem damit, Leuten vor den Kopf zu stoßen; wir hatten sogar einen Mordsspaß daran. Es war toll, Leute zu beleidigen und unausstehlich zu sein, aber wir machten nie jemanden wegen seiner Rasse fertig und wir duldeten keinen Rassismus.

Die PSYCHOS waren viel zu unbekannt, um ein bestimmtes Publikum anzuziehen. Chessie kam zu all unseren Auftritten. Sie war eines der wenigen Mädchen neben Billys Freundin Kitty Hawk, die selbst in der Band KILLER INSTINCT spielte, und der Freundin meines Cousins Tito, Laurie. Es kamen auch ein paar Hardcore-Typen, vielleicht ein New Yorker Skin und ein, zwei Punks. Es gab damals noch eine starke Trennung zwischen der Punk- und der Hardcore-Szene. Ich stand immer auf beides, aber die Punk-Szene war eher künstlerisch, selbstzerstörerisch und selbstmörderisch. Viele der Musiker und Fans waren drogenabhängig, und diejenigen, die nicht an der Nadel hingen, waren ständig deprimiert. Das war alles andere als positiv. Hardcore hingegen war aggressiv, aber auf eine gute Art und Weise – ein dekadentes Abfeiern von Zerstörung und Chaos.

Ich hatte damals keinen blassen Schimmer von Heroin. Am 30. Oktober 1981 ging ich mit einem Mädchen namens Zoe, das ich gerade erst kennengelernt hatte, auf ein Konzert der MISFITS und bekam aus erster Hand Anschauungsunterricht über die Gefahren des Stoffs. Die Band spielte mit den NECROS in der Ukraine Hall, und ich flippte bei der Show aus, sprang die ganze Zeit über auf und ab und trug Zoe dabei auf den Schultern. Ich ging davon aus, dass sie das Konzert genauso fantastisch fand wie ich. Noch ehe der Auftritt vorbei war, ging sie auf Toilette. Ich dachte mir, sie müsse einfach nur pinkeln; wir hatten eine Menge Bier getrunken. Ich musste selbst, wollte aber nichts verpassen. Als es vorbei war, ging ich meine volle Blase erleichtern. Ich war aufgekratzt und bester Laune.

Wir gingen zu Zoes Auto, und ich merkte, dass sie ziemlich weggetreten wirkte. Ich dachte mir, dass sie vom Herumspringen beim Konzert erschöpft sei. Vielleicht lag es aber auch an dem ganzen Bier; bei manchen Leuten braucht Alkohol länger, um seine Wirkung zu entfalten. Ich weiß nicht, wieso ich es für richtig hielt, sie ans Steuer zu lassen, aber sie setzte sich hinters Lenkrad. Noch ehe sie den Schlüssel umgedreht hatte, kippte sie um.

Mir war nicht klar, dass sie eine Überdosis genommen hatte. Da ich keine Erfahrung mit harten Drogen hatte, wusste ich nicht, wie Leute im Rauschzustand aussahen. Ich hatte nicht mitbekommen, wie sie sich eine Spritze gesetzt hatte. Das musste auf der Toilette passiert sein. Als ich sie anstieß, regte sie sich nicht und gab keinen Laut von sich. Aus dem Mundwinkel lief schaumiger Speichel, und ich konnte nicht feststellen, ob sie noch atmete. Wir standen in der Nähe von St. Mark’s Place, und da das Konzert gerade erst vorbei war, befanden sich ein paar Leute und auch eine Polizeistreife auf der Straße. Ich sah mich verzweifelt um und rannte zu einem Polizisten. „Hey, da gibt es ein Problem! Da ist dieses Mädchen in ihrem Auto. Erst dachte ich, sie würde schlafen, aber sie bewegt sich nicht.“

Ich tat so, als sei ich ein unbeteiligter Beobachter, weil ich selbst nicht nüchtern war und nicht verhaftet werden wollte. Der Bulle warf einen Blick auf Zoe, dann rief er etwas in sein Walkie-Talkie. Ehe ich ihn fragen konnte, was überhaupt los war, stand da schon ein Krankenwagen. Sanitäter sammelten Zoe ein und brachten sie weg.

Ich hatte keine Ahnung, wohin man sie brachte, und ich hörte auch nichts mehr von ihr. Ich wusste nicht, ob sie einen Schlaganfall, einen Herzstillstand oder eine Gehirnblutung hatte. Ich sprach eine ihrer Freundinnen an, und sie sagte mir, Zoe hätte eine Überdosis genommen. Sie war die Erste, die ich kannte, aber bei weitem nicht die Letzte. Dieser Abend hatte so großartig angefangen und so beschissen geendet. Offenbar gelang es den Ärzten im Krankenhaus, sie wiederzubeleben; sie überstand den Goldenen Schuss. Aber danach ging sie auf Distanz zur Punk-Szene, oder aber ihre Eltern brachten sie dazu, sich von ihren alten Freunden fernzuhalten. Jedenfalls sah ich sie nie wieder.

Ich bekam wegen dieser Geschichte kaum mit, was in der Halloween-Nacht 1981 passierte, als FEAR bei „Saturday Night Live“ auftraten. John Belushi war ein großer Fan der Szene und überredete den Produzenten der TV-Show, Lorne Michaels, die Band in der Sendung spielen zu lassen. MINOR THREAT-Sänger Ian MacKaye und ein Haufen Kids aus D.C. und Boston kamen zum Rockefeller Center, und wir warteten gemeinsam in der Schlange. FEAR spielten sechs Songs, von denen zwei für die Sendung gefilmt wurden. Die Veranstalter ließen uns herein, sobald die Band zu spielen anfing, aber sie brachten uns in irgendein Hinterzimmer statt vor die Bühne. Wir waren ziemlich angepisst und schlugen das Zimmer kurz und klein.

Wir rissen die Saiten aus einem Klavier heraus und zerschmetterten die Waschbecken, weil wir frustriert waren und die Band sehen wollten. Irgendwann ließen sie uns zum letzten Song ins Studio, und wir legten los. Noch ehe die Band spielte, tanzten wir Pogo und sprangen in der Menge herum. Alle waren aggressiv und teilten Schläge aus. Die Kids aus D.C. und Boston waren in unserer Stadt und markierten den starken Mann, also gaben wir ihnen Saures – eine riesige Schlägerei war die Folge. Die Security versuchte, die Streithähne zu trennen, während die Band spielte. Die Kulissen waren mit Kürbissen geschmückt, und wir fingen an, damit auf uns und auf die Security zu werfen. Irgendwann kam die Polizei mit Schlagstöcken und fing an, auf die Fans einzudreschen, also flohen wir in verschiedene Richtungen. Die Bullen jagten uns durch die Gänge, aber es gelang uns, aus dem Studio zu rennen und über die Straße zu entkommen.

Das war der reinste Wahnsinn – erst das MISFITS-Konzert und die Überdosis, dann FEAR, eine Schlägerei und die Flucht vor den Bullen. Für uns Punks war das Leben ein Drahtseilakt, und das Seil bestand aus Stacheldraht. Es war so gefährlich wie aufregend, Halloween hin oder her. Viele der Leute in der NYHC-Szene gingen nicht davon aus, dass sie alt wurden, aber sie verschwendeten auch keine Gedanken an den Tod. Sie lebten für den Augenblick und machten sich keinen Kopf darüber, was im nächsten geschehen würde. Wir waren immer so lange wie möglich unterwegs, als würde das das Anbrechen eines neuen Tages hinauszögern.

In einer typischen Nacht gingen wir in den Mudd Club, weil die im Untergeschoss Punk und im Obergeschoss Reggae spielten. Wenn dort Schluss war, ging es im A7 weiter; das öffnete überhaupt erst um zwei Uhr morgens, und dort lief ebenfalls Reggae. Natürlich konnte es bei jedem Punk-Konzert zu Gewaltausbrüchen kommen, aber manchmal hielten Konzerte uns auch aus Schwierigkeiten heraus. Wenn gerade nichts los war und wir uns zu Tode langweilten, dann benahmen wir uns wie die letzten Menschen, vor allem wenn wir betrunken oder auf Speed oder Angel Dust waren.

Einmal stand ich neben einem geparkten Auto vor dem Mudd Club, wo FEAR und THE YOUNG & THE USELESS auftraten, und Big Paul und Jimmy Gestapo von MURPHY’S LAW kamen vor die Tür und suchten Streit. Sie brachen von einem Auto die Antenne ab und fingen an, damit auf einen Typen einzudreschen. Ich hatte keine Ahnung, wer das war oder warum sie ihn verprügelten, aber sie setzten ihm heftig zu. Sein Shirt wurde mit jedem Hieb weiter zerfetzt. Das Ganze sah aus wie eine Szene aus einer Hardcore-Version von „Clockwork Orange“ in Zeitlupe. Die Antenne sauste herab und machte dabei ein Übelkeit erregendes Geräusch. Dann kam das Blut; es breitete sich von einem Winkel des Shirts bis zum anderen Ende aus und färbte die Fetzen scharlachrot, wie durch Zauberhand. So wirkte es zumindest, wenn man gerade Halluzinogene eingeworfen hatte. Ich sah fasziniert zu, verspürte aber auch Ekel, weil mich das an meinen Stiefvater und seine Strafen erinnerte, wenn er schlecht gelaunt war – manchmal –, aber auch wenn er gut gelaunt war und einfach nur seine Macht ausleben wollte.

Als ich mich umdrehte, sah ich eine Gruppe von Typen, die auf der Straße geradewegs auf mich zukamen. Ich dachte mir: „Scheiß drauf, das war’s jetzt!“, zog meinen Nietengürtel aus und machte mich zum Kampf bereit, aber alle rannten bloß an mir vorbei und fingen an, auf Billy Psycho einzuprügeln. Billy hatte mir mal wieder den Tag gerettet.

Billy war immer die Zielscheibe, aber er mochte das. Er stürzte sich in den Moshpit und schlug dort um sich. Jemand trat ihm in die Rippen, ein anderer gegen den Kopf. Nach jedem Konzert war er mit blauen Flecken übersät und humpelte. Manchmal hatte er die Nase gebrochen, eine geschwollene Lippe oder ein blaues Auge. Je mehr er einstecken musste, desto mehr Spaß hatte er.

Als ich bei den PSYCHOS war, hing ich oft mit Billy und Stu ab, aber ich passte nicht so recht zum Rest der New Yorker Szene. Da ich einen Iro trug (mehr Punk als Hardcore) und aus Jersey kam, legten die meisten nicht allzu viel Wert darauf, sich mit mir anzufreunden. Sie redeten nicht mit mir, und ich redete nicht mit ihnen. Sie hatten Respekt vor meiner Band, was cool war, aber wenn ich nicht gerade auf der Bühne stand, fühlte ich mich irgendwie fehl am Platz, obwohl ich mit diesen Leuten doch eine Menge gemeinsam hatte.

Als die PSYCHOS im A7 auftreten konnten, war das eine große Sache, zumindest für mich. Es waren nur an die zehn Leute da – gar nicht schlecht für uns – und Vinnie Stigma war einer davon. Nach dem Konzert unterhielten wir uns und fanden dabei heraus, dass wir größtenteils dieselben Bands mochten, auch abseits von Punk. Vinnie war einer der Hauptgründe, warum ich zu AF ging. Er hat immer auf mich aufgepasst und mich wie einen Bruder behandelt. Alex Kinon von CAUSE FOR ALARM und Jimmy Gestapo von MURPHY’S LAW mochten die PSYCHOS ebenfalls und slammten bei unseren Shows. Wir spielten zusammen mit MURPHY’S LAW, THE MOB, ABUSED, MAJOR CONFLICT, URBAN WASTE, CAUSE FOR ALARM, KRAUT, RAPID DEPLOYMENT und KILLER INSTINCT, und wir versuchten, noch irrer und energischer als sie alle zusammen zu sein, damit die Leute uns Beachtung schenkten. Anfangs wurden wir von der Hardcore-Szene nicht akzeptiert. Wir spielten zwar Hardcore, sahen aber punkiger aus als die meisten anderen Bands, die gerade den neuen Hardcore-Look übernahmen. Alle hatten kurze Haare, Jeans und Kampfstiefel, und ich lief immer noch mit Iro und Lederjacke mit Nieten herum. Aber wir traten so oft auf, dass es nicht lange dauerte, bis die Leute uns mochten, und unser Look entwickelte sich auch.

Punk und Hardcore breiteten sich weiter aus, und neue Veranstaltungsorte buchten Bands, von denen manche eher ungewöhnlich waren. Es gab einen Club namens 171A, wo Filme gezeigt wurden und Konzerte stattfanden. 1982 sah ich dort „Shellshock Rock“, einen Dokumentarfilm über die Entstehung der nordirischen Punk-Szene in Belfast von 1979. Danach zeigten sie den Konzertfilm „Self Conscious Over You“ von den OUTCASTS, und zwischen den beiden Streifen traten die STIMULATORS live auf. An diesem Abend verstand ich mich prächtig mit ihrem Drummer Harley Flanagan, den ich schon zuvor auf einem Konzert kennengelernt hatte. Er spielte Schlagzeug für die STIMULATORS, obwohl er damals erst 14 war und wie 12 aussah. Ich war gerade 16. Ich sprach ihn nach dem Auftritt an. Ich war erstaunt, wie zugänglich er und der Rest der STIMULATORS sich gaben. Damals wurde mir bewusst, wie ehrlich und bodenständig die NYHC-Szene war. Bald darauf ging Harley für ein Jahr nach Kanada, weshalb ich ihn eine Weile nicht wiedersah. Ein Jahr kommt einem wie ein ganzes Leben vor, wenn man noch keine zwanzig ist.

Eine Art Gründungsereignis der aufstrebenden New Yorker Hardcore-Szene war der 16. Juli 1982, als die DEAD KENNEDYS mit D.O.A., SS DECONTROL und KRAUT im Paramount Theater in Staten Island auftraten. Das Festival fand in einem alten Art-Déco-Kino statt, das in eine Konzerthalle umgewandelt worden war. Die ganze New Yorker Szene fuhr mit der Staten Island Ferry zum Konzert. Die Einheimischen dort waren vielleicht an Konzerte gewöhnt, aber sie hatten noch nie einen solchen Trupp von Freaks auf ihrer Seite der Bucht gesehen. Die lokalen Arbeitertypen mochten unsere äußere Erscheinung nicht, und sie wollten uns eine Lektion erteilen, damit wir künftig blieben, wo wir hingehörten. Sie unterschätzten, mit wem sie es zu tun hatten. Wir waren Konflikte und Gewalt gewöhnt. Wir waren draufgängerisch und immer auf der Suche nach einem Vorwand, um ein paar Köpfe einzuschlagen. Die Lautstärke und die Intensität der Auftritte taten ein Übriges dazu.

Ein paar Einheimische versuchten uns schon bei der Show zu bedrohen und einzuschüchtern, aber wir ließen uns nicht darauf ein. Die DEAD KENNEDYS hatten ihr Set noch nicht beendet, da flogen schon die Fäuste. Diese Typen aus Staten Island hätten doch nur das Ende des Festivals abwarten müssen, dann wären wir wieder auf die Fähre gegangen und zurück in die City verschwunden. Entweder hatten sie keine Geduld oder aber sie waren nicht gerade die Hellsten. Sie hielten uns für Kriminelle und wollten uns raushaben. Sie wollten, dass wir die Schwänze einziehen und die Flucht ergreifen. Da hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht! Ich war zwar noch nicht richtig aus meinem Schneckenhaus herausgekommen, aber ich hatte gelernt, meinen Mann zu stehen. Sobald die Show zu Ende war, fingen die Itaker an, auf uns einzuprügeln, und wir wehrten uns.

Der erste Bassist von AGNOSTIC FRONT, Diego, nahm seinen Nietengürtel ab und schlug die Typen damit windelweich. Die waren eindeutig nicht darauf vorbereitet, dass sie es an diesem Abend mit derart irren und aufgeputschten Gegnern zu tun bekamen. Eine Tussi aus Staten Island machte unserem Szenefotografen Ran-D schöne Augen, weshalb ihr Freund ihn wegstieß und ihr eine Ohrfeige verpasste. Daraufhin haute Ran-D den Typen um. Das machte die Kerle nur noch wütender. Wir kämpften uns den Weg zurück zur Fähre frei. Lazar sah am Boden einen Haufen Ziegelsteine und warf die so fest sie konnte auf alle in ihrer Reichweite. Sie traf einen der Idioten am Kopf, und er brach zusammen. Mit Hilfe von Diegos Gürtel, mit dem er bestimmt ein halbes Dutzend Leute umnietete, Lazars Ziegelsteinen und den anderen Punks mit ihrem Nietenschmuck wischten wir mit diesen Typen den Boden auf, dann gingen wir an Bord der Fähre. Wir feierten den ganzen Weg nach New York, riefen und sangen Texte unserer liebsten Punk-Songs. An den meisten Sommerabenden war es auf der Fähre heiß und schwül und die Luft roch abgestanden wie alte Socken. In dieser Nacht jedoch lag ein Hauch von Triumphgefühl in der Luft.