ROGER MIRET

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It‘s not about the hair!

Letzten November kam das letzte AGNOSTIC FRONT-Album „Another Voice“ raus, Ende Februar nun das neue Album von ROGER MIRET AND THE DISASTERS. Während ersteres an Hardcore-Klassiker wie „Liberty And Justice For All“ und natürlich an „One Voice“ anknüpft, liefern die DISASTERS mit „1984“ klassischen Streetpunk, der stark an alte englische Bands angelehnt ist, ohne jedoch wie eine billige Kopie zu klingen. Die Tour der einen Band geht da beinahe nahtlos in die der anderen über. Da fragt man sich berechtigterweise, wie macht der Mann das mit mittlerweile immerhin 40 Lenzen auf dem Buckel? Vor dem AGNOSTIC FRONT-Konzert in Essen im Februar hatte ich die Gelegenheit, Roger Miret, der beide Bands in Personalunion vereint, genau diese und noch einige andere Fragen zu stellen.

Roger, woher nimmst du die Zeit und Energie für zwei Vollzeitbands?


„Das frage ich mich auch manchmal, aber irgendwie klappt das. In letzter Zeit hab ich mehr mit den DISASTERS gemacht, jetzt wieder mehr mit AGNOSTIC FRONT. Ich liebe beide Bands, daher versuche ich meine Zeit möglichst gerecht auf beide zu verteilen. Es sind sehr unterschiedliche Bands, daher habe ich auch auf unterschiedliche Art Spaß an ihnen. Die DISASTERS spiegeln lediglich eine viel persönlichere Seite von mir wider. Ich nehme mir eben die Zeit. Das Praktische ist, dass ich in beiden mehr oder weniger das Sagen habe, also sage ich einfach: Jetzt will ich mit der Band touren, jetzt mit der anderen.“

Okay, lass uns zunächst über AGNOSTIC FRONT reden. Euer 2001er Album „Dead Yuppies“ wurde vor dem 11. September aufgenommen, insofern ist „Another Voice“ ja somit das erste Album von euch, in dem ihr die Anschläge und was danach so alles passiert ist, musikalisch verarbeiten konntet. Würdest du sagen, dass „Another Voice“ davon beeinflusst ist, gerade weil ihr aus New York seid?

„Eigentlich nein. ‚Dead Yuppies‘ kam kurz nach dem 11. September heraus, aber war zu dem Zeitpunkt schon fertig. Natürlich bin ich aus New York und ich war da, als es passierte, aber man muss einfach nach vorne schauen. Außerdem geht es bei AGNOSTIC FRONT viel mehr um ‚Hardcore Pride‘ und um soziale Themen. Es gibt ein Lied auf dem aktuellen Album, ‚Peace‘, das könnte man darauf beziehen, aber eigentlich bin ich auf den Text gekommen, als ich in Irland war. Ich war auf dem Weg von Belfast nach Dublin – das war übrigens lange vor dem 11. September –, da sah ich dieses riesige Wandgemälde, auf dem stand ‚Our freedom fighters are their terrorists‘. Das hat mich einfach beeindruckt. Die Freiheitskämpfer und Helden der einen, sind Terroristen für die anderen und umgekehrt. Man kann das auf Terrorismus generell beziehen, und somit natürlich auch auf den 11. September.“

Bei „Peace“ musste ich mich unweigerlich fragen, wie du zu dieser ganzen „War on terrorism“-Sache stehst. Wenn du sagst „Peace is not an option“, gibst du dann das wieder, was du wahrnimmst, dass Frieden heute nicht mehr als Möglichkeit in Betracht gezogen wird, oder willst du damit sagen, er sollte – in gewissen Situationen – keine Option sein?

„Das gibt eher wieder, was ich sehe. Es ist eine Tatsache geworden. Krieg oder Frieden, es ist egal, wofür du dich entscheidest. Es wird immer zu dem kommen, was die Regierung will. Ich bin total gegen Terrorismus, Punkt! Nicht nur, wenn er die USA betrifft, sondern überall auf der Welt. Es ist traurig, wenn so viele Menschen sterben müssen, aber es werden immer Unschuldige mit hineingezogen. In jeden Terroranschlag und in jeden Krieg. Ich unterstütze Terrorismus in keiner Weise, aber ich glaube, dass wir im Irak nichts verloren haben. In Afghanistan sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Ich bin für ‚War on terrorism‘ in dem Sinne, dass ich für eine weltweite Abschaffung des Terrorismus bin. Inwieweit das dann realistisch umsetzbar ist, ist natürlich eine andere Frage. Allerdings muss ich sagen, egal wie unberechtigt diese Kriege auch immer sein mögen, ich unterstützte die Soldaten, die dort kämpfen in jedem Fall, denn das sind junge Menschen, die da ihr Leben aufs Spiel setzen und die nur das machen, was man ihnen sagt.“

Unterstützt du denn die Politik von George W. Bush generell?

„Nein, natürlich nicht!“

Ihr seid ja jetzt bei Nuclear Blast unter Vertrag. Wie kam das denn zustande? Nuclear Blast ist ja doch eher ein Metal-Label.

„Das kam, nachdem wir mit ‚Dead Yuppies‘ fertig waren. Epitaph hat aufgrund des Anschlags auf das World Trade Center sehr wenig Werbung dafür gemacht. Mit dieser Art von Zusammenarbeit konnten wir verständlicherweise nicht zufrieden sein, obwohl ich sagen muss, dass Epitaph hier in Europa wirklich sehr gute Leute hat. Trotzdem haben sich unsere Wege getrennt. Mit AF hatten wir dann einige Jahre gar kein Label, und ‚Another Voice‘ haben wir letztes Jahr im Januar aufgenommen, ohne einen Plattenvertrag zu haben. Auf der Suche nach einem neuen Label sind wir dann auf Nuclear Blast gestoßen. Die sind wirklich das einzige Label, das sich so intensiv um die Bands kümmert, und ich denke, das ist sehr wichtig. Da fühlt man sich einfach gut aufgehoben. Für mich persönlich hat z.B. Familie einen sehr hohen Stellenwert und bei Nuclear Blast ist die Atmosphäre sehr familiär. Es hat auch was mit dem gegenseitigen Respekt vor der Arbeit des anderen zu tun. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit Nuclear Blast.“

Reden wir jetzt mal über deine andere Band, die DISASTERS. Als 2002 euer Debütalbum herauskam, dachte ich, es wäre nur so ein Nebenprojekt von dir. Mittlerweile scheinen die DISASTERS aber eine genauso vollwertige Band zu sein, wie AGNOSTIC FRONT, sehe ich das richtig?

„Ja, das stimmt. Es sollte auch erst nur ein Nebenprojekt sein, aber wir hatten bei den Aufnahmen so viel Spaß und waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Daher entschieden wir uns, die DISASTERS als richtige Band aufzuziehen. Es hat auch eine Weile gedauert, bis die Leute uns als eine Band und nicht nur ein Projekt akzeptiert hatten. Aber ich denke mit dem neuen Album dürfte das endgültig geklärt sein.“

Würdest du sagen, dass „Another Voice“ auch deshalb härter ausgefallen ist als die letzten AF-Alben, weil du mit den DISASTERS jetzt deine punkigen, melodischen Ideen verwirklichen kannst, oder hat es eher mit dem neuen Line-up zu tun?

„Das ist wohl eine Kombination von beidem. Es hat definitiv auch mit dem neuen Line-up zu tun. Wir wollten auch Songs von ‚Cause For Alarm‘, ‚Liberty And Justice‘ und besonders auch von ‚One Voice‘ spielen, was aber nicht ging, weil wir teilweise einfach nicht die richtigen Musiker dafür hatten. Als die neuen Leute dazu kamen, haben wir dann auch wieder mehr alte Sachen gespielt, und es hat einfach gepasst. Daher war es auch ganz natürlich, dass wir mit dieser Besetzung auch wieder eine Platte in diesem Stil gemacht haben. Der andere Punkt, den du angesprochen hast, trifft aber auch zu. Ich bin nun mal ein Punkrocker, da liegen meine Wurzeln. THE CLASH sind meine Lieblingsband. Bei den DISASTERS kann ich diese Seite jetzt voll ausleben. Viele der DISASTERS-Lieder auf dem ersten Album habe ich ursprünglich für AF geschrieben, ‚Run Johnny run‘ zum Beispiel. Die Jungs waren damit aber nicht so ganz einverstanden. Ich wollte deswegen aber nicht gleich sagen: ‚Fuck you! Dann geh ich eben!‘, sondern habe einfach eine zweite Band gegründet – das war eindeutig die bessere Lösung.“

Du hast ja bereits erwähnt, dass die DISASTERS die persönlichere von beiden Bands für dich ist. Ich finde, das drückt sich vor allem durch die Texte aus. Hast du bewusst andere Texte geschrieben, weil auch die Musik sich so stark von AF unterscheidet?

„Nein, das nicht. Es war eher so, dass ich bei den DISASTERS nicht so einen enorm hohen Erwartungsdruck hatte. Ich konnte einfach ausprobieren, worauf ich Lust hatte. AGNOSTIC FRONT standen und stehen viel mehr im Licht der Öffentlichkeit. Ich hatte zeitweise das Gefühl, als ob ich es jedem recht machen müsste. Die DISASTERS waren einfach ein kleineres Ding, wo ich mich mehr verwirklichen konnte. Daher sind die auch persönlicher, haben mehr mit dem Umfeld zu tun, in dem ich aufgewachsen bin und mit der Musik, die mich beeinflusst und geprägt hat. Ich meine Bands wie THE CLASH, SHAM 69, COCK SPARRER, COCKNEY REJECTS, BLITZ oder THE BUSINESS. Wenn es diese Bands nicht gegeben hätte, würde ich jetzt nicht mit dir hier sitzen und über meine Musik reden. Die DISASTERS sind schon so eine Art Collage der Bands, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Das hört man auch heraus.“

Trotzdem hört sich das Album nicht unbedingt wie die x-te Kopie dieser Bands an.

„Ja, die Musik ist zwar bestimmt nicht neu, aber das war auch gar nicht mein Ziel. Es war mir wichtig den Songs, trotz der Anlehnung an meine Lieblingsbands, eine eigene Note zu geben. They’ve got the New York style!“

Der Titel des DISASTERS-Albums ist „1984“. Wieso hast du dich für diesen Titel entschieden?

„Ich wollte einfach einen kurzen, prägnanten Namen. Er steht wie das gleichnamige Lied auf der Platte für meine Zeit in den Straßen von New York und meine Anfangszeit mit AGNOSTIC FRONT. Diese Zeit war sehr wichtig für mich, daher bedeutet mir eben dieser Song auch so viel. ‚1984 ... shorthaired Rock’n’Roll ... 1984 ... Skinhead!‘ Das bringt es einfach auf den Punkt, auch wenn ich keine kurzen Haare mehr habe. Es geht um dieses Lebensgefühl. Ob man Punk oder Skinhead ist, oder ob man Hardcore hört. Es läuft doch alles auf dasselbe hinaus. Ich war schon immer Individualist und habe nicht nach den Regeln gelebt. Nur weil ich Lust hatte, mir die Haare wachsen zu lassen, hat sich das nicht plötzlich geändert. Irgendwie bin ich also immer noch Skinhead, aber eben auch Punk und Hardcore. Das lässt sich meiner Meinung nach nicht klar abgrenzen. Ich bin ‚working class‘, und nur weil ich nicht wie der stereotype Skinhead aussehe, heißt das nicht, dass ich keiner bin.“

Du hast ja eigentlich auch noch eine dritte Band, LADY LUCK, zusammen mit deiner Frau. Gibt es die Band noch?

„Das war eigentlich mehr die Band meiner Frau als meine. Die Arbeit mit LADY LUCK hat aber auch mir sehr viel Spaß gemacht, vor allem fand ich es großartig, mit meiner Frau zusammen Musik zu machen. Momentan habe ich dafür leider keine Zeit, da ich mit zwei Bands echt genug zu tun habe. Außerdem zieht meine Frau demnächst für ein Jahr nach London. Sie ist eine bekannte Joga-Lehrerin und soll dort eine neue Joga-Schule eröffnen. Die haben auch eine Zweigstelle in München, da unterrichtet sie auch manchmal als Gastlehrerin.“

Du hast auch eine Tochter, stimmt’s? Hört die eigentlich auch deine Musik?

„Ja, stimmt, ich habe eine Tochter. Die ist jetzt 18 und geht bald aufs College. Sie liebt die DISASTERS und hasst AGNOSTIC FRONT. Das ist halt Geschmacksache. Die Musik ist ja auch sehr unterschiedlich.“

Bleibt noch die Frage nach deinen Zukunftsplänen. War nicht mal die Rede von einer AF-DVD?

„Ja, die ist derzeit in der Mache und wird wahrscheinlich auch dieses Jahr noch fertig werden. Außerdem schreibe ich schon seit einiger Zeit an einem Buch über mein Leben und natürlich zu einem Großteil über mein Leben mit AGNOSTIC FRONT. Ich spiele mit dem Gedanken, noch ein Kapitel über die DISASTERS einzubauen. Auch das Buch wird noch dieses Jahr fertig werden. Ja, und dann ist da noch eine AF-Doku, wann die rauskommen wird, ist aber noch unklar. Das wird noch etwas dauern. Dann noch ein AF Live-Album und ob du’s glaubst oder nicht, ein neues DISASTERS-Album haben wir auch schon geschrieben ...“