Unsere Reihe zu Initiativen und Vereinen, die sich sozial engagieren und einen Bezug zur Punk- und Hardcore-Szene haben, geht weiter. Teil 4 führt uns zu einer kleinen Non-Profit-Gruppe, die sich um Menschen mit psychischen Problemen kümmert. Denn Ängste, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen sind Riesenprobleme, die auch in der Szene immer häufiger thematisiert werden. Lange wurde über solche Dinge geschwiegen, auch weil sie nicht sichtbar sind. Die Initiative „Rocken hilft“ hat sich zum Ziel gesetzt, auf die Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufmerksam zu machen, für Verständnis zu werben und Angst und Vorurteile abzubauen. Mitgründer Ulf Weinstock berichtet im Interview, wie die Initiative entstanden ist und wie die Arbeit der Aktivisten funktioniert.
Bitte erzähl uns, wie, wo, wann und warum es zur Gründung eurer Organisation kam.
Wir hatten gemeinsam mit dem Verein „Helfen bewegt e.V.“ bereits im Jahr 2019 erfolgreich ein Metalcore- und Post-Hardcore-Festival in Essen unter dem Slogan „Rocken hilft“ veranstaltet, um auf das Thema „Mental Health“ bei jungen Menschen aufmerksam zu machen. Die Resonanz war damals riesig. Daher hatten wir die Idee, aus „Rocken hilft“ mehr zu machen als nur einen Slogan für eine Veranstaltung. Wir wollten dauerhaft Gutes tun für psychisch kranke junge Menschen und uns mit der Initiative mehr Gehör verschaffen.
Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“? Wer ist es heute?
Jenny, Liv, Elli und Ulf sind die die Ideengeber:innen beziehungsweise Initiatoren von „Rocken hilft“ – sie bilden auch heute noch das Kernteam.
Was ist die Geschichte zu eurem Namen?
Ursprünglich war „Rocken hilft“ nur der Slogan unseres Festivals. Doch wir steckten unsere Köpfe zusammen und haben überlegt, wie wir uns als karitativer Verein insgesamt noch stärker für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Leiden einsetzen können. Der Name „Rocken hilft“ erschien uns dafür sehr passend. Daher haben wir „Rocken hilft“ zuerst als Initiative gegründet und kamen dann auf die Idee, auch das Festival so zu nennen, mit dem wir einmal im Jahr so richtig laut werden. Zusätzlich arbeiten wir das ganze Jahr über mit Statements von regionalen und überregionalen Bands, Musikern, Psychologen und anderen. Auf diese Weise bekamen wir insbesondere auf den Social-Media-Plattformen viel Aufmerksamkeit. Dieses Jahr konnten wir am 23. September nach Corona endlich wieder mit dem „Rocken hilft“-Festival mit den Bands ANNISOKAY, GHOSTKID, OUR MIRAGE, THE NARRATOR, OCEANS und AVALANCHE EFFECT durchstarten. Das fand in der Weststadthalle in Essen statt.
Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Was wollt ihr erreichen?
Unser Ziel ist es, auf die Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufmerksam zu machen, aufzuklären, Ängste und Vorurteile abzubauen und dem Thema „Mental Health“ speziell bei jungen Menschen mehr Gehör zu verschaffen. Jeder Mensch ist gleich, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Wir möchten laut werden, und das tun wir zum einen durch das jährliche „Rocken hilft“-Festival, aber auch dadurch, dass wir uns auf verschiedenen Festivals und Konzerten zeigen, für unser Anliegen werben und informieren. Einfach vertreten sind. Dieses Jahr waren wir zum Beispiel beim Impericon Festival in Oberhausen oder beim Vainstream in Münster.
Welche wichtigen Aktionen und Erfolge gab es in der jüngeren Vergangenheit?
Ganz frisch hat der Verband engagierte Zivilgesellschaft in NRW e.V./VEZ NRW das „Rocken hilft“-Festival auf den ersten Platz in der Kategorie Kultur gewählt. Das ist ein riesiger Erfolg, der zeigt, dass „Rocken hilft“ sich immer mehr etabliert und in der Öffentlichkeit ankommt. Daneben bekommen wir immer häufiger die Möglichkeit, auf größeren Veranstaltungen oder Festivals Präsenz zu zeigen. Inzwischen unterstützen uns auch andere Organisationen mit Aktionen oder sammeln Spenden, wie zum Beispiel die SAE Uni Köln [privates Institut für Ausbildungen, Studiengänge und Weiterbildungen in den Bereichen Games, Film, Musik, Marketing und Programmierung, Anm d. Red.] mit einem Charity Konzert, die Motorradinteressengemeinschaft „Knights of Light“ mit einem Blutspendemarathon, der RWE-Fußballer Thomas Eisfeld mit einer Trikot-Versteigerung, das „Metal Health Festival“ der Band GODSLAVE und viele mehr. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle.
Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden? Seid ihr Anfeindungen ausgesetzt, werdet ihr kriminalisiert?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir bekommen sehr viel positives Feedback für unsere ehrenamtlichen Aktionen rund um das Thema „Mental Health“. Viele junge Menschen sind dankbar, dass wir helfen und ihnen Tipps geben können, wo sie professionelle Hilfe und Beratung bekommen. Dazu sind viele junge Menschen dankbar für ein bezahlbares kleines Festival mit Musik, die sie gerne hören.
Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Unsere Arbeit ist zu 100% ehrenamtlich. Wir haben ein festes Kernteam von sieben ehrenamtlichen Mitarbeitern. Supporter haben wir aber inzwischen weltweit: Nathan Grey von BOYSETSFIRE, aber auch die ukrainische Metalband JINJER. Mille von KREATOR ist sogar musikalischer Schirmherr vom „Rocken hilft“-Festival und Chris von HEAVEN SHALL BURN, die dieses Jahr Headliner beim Wacken Open Air waren, unterstützt ebenfalls unsere Arbeit. Darüber hinaus unterstützen uns Experten von der Prof. Dr. Eggers-Stiftung oder Kriminalpsychologin Lydia Benecke mit Videos.
Wo ist der Sitz beziehungsweise die Zentrale eurer Organisation?
Der Sitz und Ursprung unserer Initiative liegt mitten im Ruhrpott, im Essener Stadtteil Rüttenscheid.
Wie viele Mitglieder oder Unterstützer:innen habt ihr? Beschreibt doch mal die „typischen“ Unterstützer:innen.
Typisch gibt es bei uns nicht. Wir sind eine bunt gemischte Gruppe, Menschen mit unterschiedlichen Charakteren und Berufen. Doch eines haben wir alle gemeinsam, wir sind mit Herzblut dabei und Feuer und Flamme für „Rocken hilft“.
Was könnt ihr leisten, was eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Wir sind nicht an Dienstzeiten gebunden und können so flexibler und schneller sein.
Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Also was genau macht ihr? Und mit wem arbeitet ihr dabei zusammen? In welchen Ländern oder Regionen seid ihr aktiv?
Wir klären speziell junge Menschen zum Thema „Mental Health“ auf. Das tun wir vor allem auf unseren Social-Media-Plattformen. Über sogenannte Attention Posts, die verschiedene Themen ansprechen und mit Statements und Interviews, die Vorurteile und Ängste abbauen und Aufmerksamkeit erzeugen sollen. Die kommen von Personen des öffentlichen Lebens, unter anderem Bands, wie SCHANDMAUL, SALTATIO MORTIS, DRITTE WAHL, DEINE COUSINE, und auch von Experten aus dem Bereich „Mental Health“. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in Nordrhein-Westfalen.
Wofür verwendet ihr das Geld, das euch gespendet wird? Und habt ihr so was wie ein Spendensiegel, wie wird gewährleistet, dass mit den Spenden satzungsgemäß umgegangen wird?
Wir sind an den Verein „Helfen bewegt e.V.“ angeschlossen und führen so satzungsmäßig die Spenden ab. Mit den Spenden werden Arbeiten und weitere zukünftige Projekte von „Rocken hilft“ finanziert, wie zum Beispiel die Umsetzung und Gestaltung von Informationsbroschüren, Merchprodukte, die dann wieder für den guten Zweck verkauft werden, Arbeiten auf Veranstaltungen durch Infostände auf Festivals, Konzerten und Messen und das Charity-Festival „Rocken hilft“.
Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Natürlich freuen wir uns, wenn es mehr Menschen gibt, die uns aktiv ehrenamtlich unterstützen wollen. Jeder, der mitmachen und sich aktiv beteiligen möchte, kann sich gerne über unsere Homepage melden.
Habt ihr prominente Fürsprecher:innen aus dem Musik- und Kulturbereich? Wer ist das, und warum passen die zu euch?
Zu unseren prominenten Fürsprecher:innen gehören neben den bereits genannten Musikern auch Jason Cameron von BURY TOMORROW, Rob von BORN FROM PAIN, Jean Borgmann von RAGE, Alea von SALTATIO MORTIS, BROILERS, MONO INC, DIE HAPPY, DEINE COUSINE, RESOLVE, FROM FALL TO SPRING und viele mehr. Jede:r davon passt gut zu uns, weil sie sehr gut junge Menschen erreichen können. Wenn wir es gemeinsam mit ihnen schaffen, dass sich psychisch erkrankte junge Menschen verstanden fühlen und sich trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, haben wir schon viel gewonnen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Wolfram Hanke