Zehn Jahre im Hardcore-Zirkus, keinschlechtes Lied veröffentlicht, ständige Weiterentwicklung, Flaggschiff eines der größten Hardcore-Labels, niemals die Wurzeln vergessen, niemals peinlich gewesen und mit „Faith“ auch 2012 auf Deathwish ein Highlight abgeliefert. Das klingt auf dem Papier alles top und wäre Grund genug für die Belgier, den dicken Max zu machen. Doch Sänger Bjorn vermittelt nicht nur in Interviews das genaue Gegenteil.
Bjorn, wie ist „Faith“ entstanden? Habt ihr lediglich gejammt und aus Ideen Songs gemacht, oder lag von Anfang an der Fokus auf bestimmten Sounds oder Texten gelegt oder gab es sogar ein Konzept?
„Faith“ entstand sehr organisch. Im Herbst 2010 haben wir angefangen, neue Songs zu schreiben. Zu der Zeit tourten wir ausgiebig mit unserem „neuen“ Drummer Wim, der seit etwa einem Jahr in der Band war. Als wir anfingen zu jammen, war das meiste Material sehr aggressiv, schnell und brutal, wobei wir dann auch blieben. „Deceiver“ war einer der ersten fertigen Songs und wir waren von der Richtung, in die wir uns bewegten, so begeistert, dass wir den Song schon bald live spielten. Von Januar bis April 2011 waren wir fast nur im Proberaum, um an „Faith“ zu arbeiten, und was sich zu Beginn abzeichnete, hat sich gefestigt. Der Fokus lag auf aggressiven Songs, jedoch in Verbindung mit vielschichtigem, noisigem und langsamerem Material. Es ging uns darum, die Erfahrungen der vorangegangenen Releases mit einzubinden, und diese in RISE AND FALL 2011 zu packen. Als der Großteil des Albums geschrieben war, fragten wir uns, was noch fehlen würde, und es war klar, dass wir zum Beispiel einen Opener brauchten. Auch wollten wir noch etwas epischer und tiefgründigere Songs schreiben. Ein Album muss ein Gesamtwerk sein. Seite A und Seite B müssen gleich stark, gleich interessant sein und so haben wir wirklich hart daran gearbeitet, da ich denke, dass wir dies auf „Into Oblivion“ und „Our Circle Is Vicious“ hätten besser machen können. Textlich arbeitete ich im gleichen Tempo, wie die Songs im Allgemeinen entstanden. Ich hatte eine Menge Material zur Verfügung, stückelte Texte oft auch zusammen und probierte stimmliche Variationen aus, während wir an einem Song arbeiteten. Ich hatte diese Art des Texteschreibens lange nicht mehr gemacht, aber es fühlte sich richtig an. Alles in allem gab es ein paar immer wiederkehrende Themen, Stichworte, welche das Ganze zusammenhalten. Eines davon war „Faith“, weshalb wir das Album dann auch so nannten.
Wie viel Einfluss hattet ihr auf das Artwork von „Faith“? Hat Jacob Bannon, Betreiber von Deathwish und bekanntlich Mitglied von CONVERGE, alles gemacht und ihr musstet oder durftet es nur noch abnicken, oder konntet ihr euch auch einbringen?
Wir waren in den kompletten Entstehungsprozess involviert und ich war mit noch keinem Album von uns so zufrieden wie mit „Faith“. Ich liebe das gesamte Layout und wie tiefgehend es ist. Jacob hat unglaubliche Arbeit geleistet. Er berücksichtigte einige unserer konkreteren Ideen – wie die Spiegelscherben, die Gatefold-Verpackung, das Bandfoto – und fügte sie so ein, dass es im Rahmen des Konzepts funktioniert. Es besteht ein inhaltlicher Zusammenhang zu den Themen der Texte und das Artwork reflektiert ebenfalls die Atmosphäre unserer Musik. Jacob brauchte aber nicht nur unsere Ideen und unseren Input, sondern auch unser Vertrauen in seine Fähigkeiten als Künstler und Grafiker; und ganz ehrlich: Ich denke, er hat mit diesem Artwork den Nagel auf den Kopf getroffen.
Hat es euch unter Druck gesetzt, weil ihr auf Deathwish seid?
Nicht wirklich. Der größte Druck ist jener, den wir uns selbst auferlegen, um ein Album zu machen, das hoffentlich unsere bisherigen Alben wegbläst. Mit Deathwish zu arbeiten ist sehr angenehm. Die Interessen der Bands stehen immer an erster Stelle, dann gibt es klare Absprachen in gegenseitigem Respekt.
Das Cover von „Faith“ zeigt das „Hands of God“-Symbol. Die LP kommt in vier verschiedenen Versionen, angelehnt an die vier Elemente. Was gibt es dazu zu sagen?
Die vier Elemente repräsentieren die Welt, in der wir leben, unser natürliches Umfeld und die Umwelt. Die Menschheit hat im Laufe von tausenden von Jahren Zivilisationen aufgebaut und dabei diese Elemente nicht nur benutzt, sondern auch missbraucht. Alles, was wir haben, was uns zur Verfügung steht, können wir immer für etwas Gutes oder etwas Schlechtes verwenden. Dies ist aber nicht auf die vier Elemente per se beschränkt. Man kann dies auch über unsere Talente und Fähigkeiten als Menschen sagen. Diese Dualität unter vielen anderen wie Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung, ist eines der Hauptthemen meiner Texte, welches Jacob wirklich gut eingefangen hat. Das Symbol steht für Macht und Glauben und wurde in vorchristlicher Zeit verwendet. Ich finde, dass es in der heutigen Zeit immer noch ein wirklich starkes Symbol ist. Er unterstreicht die Bedeutung unseres kontinuierlichen, täglichen Kampfes, der Mensch zu sein, der wir sein wollen.
Viele jüngere Bands kokettieren stark mit der dunklen/bösen Seite des Hardcore, gerade in Bezug auf Merchandise und Image. Wie beurteilst du dieses ganze „Dark-antichrist-cursed-style-symbols-etc.“-Getue und auf welche Art spielt ihr mit dieser Düster-Symbolik, wie umgedrehte Kreuze, das „Hands of God“-Cover von „Faith“, die „Damien“- und „Omen“-Shirts und so weiter?
Ehrlich gesagt, denke ich, dass das fast alles ausgelutscht und langweilig ist. Wir haben definitiv religiöse Bilder etc. bei unseren Layouts und Shirts, aber ich wollte niemals wie eine Band rüberkommen, deren Hauptinhalt anti-religiös oder anti-christlich ist. Ich glaube, Hardcore und Punk sind ein Bereich, wo Ideen ausgetauscht werden, und ich denke nicht, dass Religion davon ausgeschlossen werden sollte. Das Wichtige dabei ist, dass sich sowohl RISE AND FALL als auch jüngere Bands und allgemein die Szene immer eine kritische Haltung gegenüber der oben genannten Dinge bewahrt haben und sich Herausforderungen stellen, damit wir etwas dazulernen und unsere Perspektiven erweitern können. Es sollte nicht nur nach außen gut und cool aussehen, sondern mehr dahinter stecken.
Auf „Faith“ gibt es Gastauftritte von Kurt/CONVERGE, Stephen/CAVE IN, Justin/MIND ERASER und Kevin/HOPE CONSPIRACY. Basiert dies auf einer Fanebene, Freundschaftsdienst oder ist es strictly business?
Einige dieser Auftritte waren schon vor Beginn der Aufnahmen geplant, andere ergaben sich einfach. Dahinter steht aber kein großer Plan, außer dass wir coole Leute wollten, die bei bestimmten Songs das gewisse Etwas beisteuern sollten. Justin und Kevin wollten wir bereits auf „Our Circle Is Vicious“ haben, was aber damals nicht geklappt hat. Mit beiden sind wir auch seit Jahren befreundet. Wir haben sie gerne um uns, da sie unsere Attitüde und Leidenschaft teilen. Kurt ist Kurt. Er war einfach da und wenn er manchmal eine Idee hat, dann ist es besser, ihn diese vortragen zu lassen und damit weiterzumachen. So kam sein Part zustande. Ich bin froh, dass wir ihn dazu brachten zu singen, denn ich liebe seine Stimme.
Welchen Part bei RISE AND FALL genießt du am meisten? Das Schreiben eines Albums, die Zeit im Studio, Touren, Promo oder vielleicht sogar einfach nur die Momente der Ruhe nach all den Jahren?
Alles davon hat seinen Charme. Ich liebe es, im Studio zu sehen, wie langsam alles zusammenkommt und aus der Vision ein ganzes Album wird. Auf der anderen Seite kann Studioarbeit aber auch sehr stressig sein. Touren kann cool sein – es ist immer eine bereichernde Erfahrung. Doch auch da gibt es eine Menge Hochs und Tiefs. Promo kann auch cool sein, wenn du das Gefühl hast, dass die Leute, mit denen du arbeitest, Interesse an der Band haben und verstehen, was die Band ausmacht. Ich denke, dass mein Lieblingspart darin besteht, Zeit mit einigen meiner besten Freunde verbringen zu können, kreativ zu sein und schließlich unsere Energien fließen zu lassen.
Ist die Band ein Vollzeitjob für euch?
Wir haben natürlich alle noch normale Jobs, aber abgesehen davon: ja. Wir stecken den Großteil unserer freien Zeit, Liebe und Energie in diese Band.
Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?
Normalerweise stehe ich um acht Uhr auf, gehe so um neun aus dem Haus. Ich leite einen Levi’s-Laden im Stadtzentrum von Ghent. Nach der Arbeit versuche ich, mit meiner Freundin und/oder ein paar Freunden essen zu gehen. An einigen Abenden proben wir, an anderen Abenden spiele ich Hallenfußball oder gehe zu einer Show. Was eben gerade so anliegt.
Nach all den Jahren in RISE AND FALL: Wie viel ist da Business und wie steht es mit Spaß und Freundschaft?
Der geschäftliche Teil muss einfach getan werden. Es macht nicht gerade Spaß und du musst höllisch aufpassen und clever sein, denn dann machst du dir einige Dinge leichter. Wir haben immer gerne etwas Geld auf der hohen Kante für neue Anschaffungen, Flüge, Touren, Merch und so weiter. Dies ist auch der Grund, warum wir nur Shows spielen, bei denen die Gage stimmt oder wir ein gutes Gefühl haben. Vince kümmert sich um den geschäftlichen Teil und macht einen großartigen Job. Cedric kümmert sich um die Kontenverwaltung, da Vince und ich alles für Essen ausgeben würden. Freundschaft und Spaß gehen Hand in Hand. Wir kennen uns nun so viele Jahre, und seit Wim am Schlagzeug dabei ist, haben wir eine noch viel besseren Stimmung innerhalb der Band. Wir genießen unsere gemeinsame Zeit, geben uns aber auch gegenseitig genug Freiraum.
Hast du jemals darüber nachgedacht, auszusteigen oder dich mehr auf ein Seitenprojekt zu konzentrieren?
Definitiv. Ich bin der Einzige in der Band, der nie ein Seitenprojekt oder eine andere Band hatte. Was Sinn macht, da ich nicht wirklich ein Musiker bin. Vince hat noch BLIND TO FAITH. Sie machen nicht viel, aber was sie machen, ist sehr geil. Cedric war bei RHYTHM TO THE MADNESS und jammt von Zeit zu Zeit mit ein paar Leuten. Wim spielt bei THE ROTT CHILDS und MOROCCAN.
Welches ist die beste Show, die du bisher gespielt hast?
Schwere Frage. Wir haben so viele Shows in über zehn Jahren gespielt. Ein paar Shows jedoch stechen aus verschiedenen Gründen besonders hervor. Eine davon war die Release-Show von „Faith“ im März 2012. Wir haben uns darauf extrem vorbereitet, weil wir länger spielen wollten als sonst und das Set in seiner Länge immer noch Eindruck hinterlassen sollte. Wir waren etwas gestresst, da wir nicht wussten, was am Ende dabei herauskommt. Schließlich waren etwa 600 Leute da. Einige unserer besten Freunde spielten auch bei der Show, alles ging gut und die Reaktionen waren großartig. Wenn man so lange in einer Band ist und das vierte Album rausbringt, gehört man eigentlich nicht mehr zum „heißen Scheiß“, was völlig okay ist, aber genau aus dem Grund bedeuten uns die vielen Leute, die da waren, und das positive Feedback eine Menge.
Was denkst du, worin liegt aktuell der Unterschied zwischen der belgischen und der deutschen Hardcore-Szene?
Beide Länder hatten schon immer einen völlig unterschiedlichen Vibe. Deutschland hatte bei uns das Image einer sehr ernsten Szene mit wenig Humor und ein paar Leuten, die ihre Zeit dafür verschwendeten, übermäßig politisch korrekt zu sein. Ich hatte über die Jahre eine Menge Begegnungen, die dies bestätigten. Zum Glück hatte ich aber auch das Glück, eine Menge wirklich toller Leute in Deutschland zu treffen. Außerdem spielten wir auch eine ganze Reihe von wirklich genialen Shows in Deutschland. Es ist nun mal ein riesiges Land und da ist es schwer, das Ganze so zu analysieren, als wäre es eine einzige Szene. Belgien hat manchmal das Image, ein wenig versnobt und verwöhnt zu sein, und ich kann mir auch gut vorstellen, warum dies so ist. Aber obwohl Belgien ein lächerlich kleines Land ist, hatten wir schon immer eine der interessantesten und lebendigsten Hardcore/Punk-Szenen. Ich denke, das liegt daran, dass wir eine sehr weit gefächerte Sicht auf die Welt haben und uns von klein auf gelehrt wurde, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was jenseits der Grenzen unseres Landes passiert. Dass wir in der Mitte von Westeuropa liegen, hilft uns natürlich auch, da fast jede Band auf Tour hier Halt macht. Es geht hier nicht mehr so ab wie zum Beispiel vor fünf Jahren, aber es geht uns gut und es gibt immer noch viele großartige Bands hier wie AMENRA, OATHBREAKER, REPROACH, aufstrebende Bands wie HESSIAN, oder klassische Hardcore-Bands wie STRAIGHT UP und REDEMPTION DENIED.
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