An einem sonnigen Tag – so wie heute, als ich dieses Interview abtippe – kaufte ich meine erste RAINER MARIA-Schallplatte. Es gibt wenige Bands, die mich seitdem so berührt haben, und die ich so schätze, wie das ursprünglich aus Madison, WI stammende Emo-Trio RAINER MARIA, die sich 1995 aus der Asche von EZRA POUND gründeten, bestehend aus Sänger/Gitarrist Kyle Fischer und Drummer William Kuehn, plus Caithlin De Marrais an Bass und Gesang. Von ihrem ersten, in sechs Wochen aufgenommenen Demo konnten sie innerhalb kürzester Zeit 350 Kopien absetzen. Bei ihrem 2001er-Album „A Better Version Of Me“ waren es dann innerhalb von zwei Wochen 80.000 Platten weltweit. Vor kurzem dann das neue Album „Long Knives Drawn“, ihr bisher viertes neben einigen EPs, und erneut das Gefühl, die Gewissheit, dass RAINER MARIA und ihr süßlicher Indierock wichtig sind. Etwas überrascht war ich dann auch, als Gitarrist Kyle meine Fragen sogar auf Deutsch beantwortete. Na ja, so typisch amerikanisch ist der Nachname Fischer halt doch nicht.
Euer neues Album ist mal wieder ein schönes Stück Musik geworden, wofür steht denn eigentlich der Titel?
Der Titel wird von Caithlin in dem zweiten Lied gesungen: ‚I liked it best when we took the whole world on, back to back, long knives drawn.’ Wir wollten damit das Gefühl ausdrücken, wenn man sich in einer Beziehung zusammen gegen die ganze Welt zu verteidigen versucht.
Ihr habt ein Video für „Ears Ring“ gedreht, was auf einem Stück von Jean-Paul Sartre basiert, in dem es darum geht, dass die Hölle ein Raum sei, in den man mit zwei anderen Personen eingesperrt ist. Habt ihr euch dieses Thema ausgesucht?
Die Idee kam von dem Regisseur, einem Freund von uns, David Ahuja. Ihn interessierte unsere Verbindung zum Literarischen. Das Video wurde auf M2 in den Staaten gezeigt und man kann es auf der MTV-Homepage anschauen.
Wie fühlt man sich dabei?
Man freut sich, dass die Musik eine größere Chance hat, von Leuten gehört zu werden. Andererseits ist mir die Beziehung zwischen Kapitalismus und Unterdrückung – momentan Krieg – sehr bewusst. Trotz allem kommt man von dieser Verbindung nicht frei.
Wie hat sich euer berufliches Umfeld während des letzten Jahres geändert?
Wir wohnen alle endlich in Brooklyn, New York. New York City hat den Effekt, dass man sich jeden Tag aus dem Bett getreten fühlt. Das habe ich aber gerne – man muss immer arbeiten, sonst geht man unter. Also arbeiten wir.
Ist RAINER MARIA eine Band, die anhand von Spannungen funktioniert oder darüber, dass ihr euch so gut kennt?
Tja, jede Band ist wie eine kleine Familie. Wir haben dann und wann unseren Streit, ich würde aber die anderen bis zum Tode verteidigen. So ist das nun mal.
Wie gut kennt ihr euch denn? Sind Caithlin und du noch zusammen? Ich frage, weil die Musik so wie aus einer Seele klingt. Wenn dir die Frage zu persönlich ist, kann ich das verstehen.
Die persönliche Fragestellung stört mich nicht. Musik hat den Effekt auf den Hörer, dass man neugierig auf die Personen dahinter wird. Caithlin und ich waren sechs Jahre zusammen, haben uns vor fast zwei Jahren getrennt. Es ist für viele schwer zu verstehen, dass wir jetzt viel besser klar kommen als vorher. Das hat natürlich etwas gedauert. Wir sehen uns aber noch fast jeden Tag und verstehen uns ausgezeichnet. Das, was während einer RAINER MARIA-Probe passiert, ist für uns drei sehr einzigartig, fast zauberhaft. Ich schätze mich sehr glücklich, diese Erfahrung zu haben, und gehabt zu haben.
Hat euch der Erfolg von „A Better Version Of Me“ dazu veranlasst, noch etwas mehr auf Erfolg zu schielen?
Wir haben es nie zu unserem Ziel gemacht, erfolgreich zu sein. Man spielt Musik aus Liebe, nicht Habgier, zumindest in unserem Fall. Wir haben uns nie gesagt: ‚Lass uns versuchen, berühmt zu werden’. Dass viele Leute eine Verbindung zu unserer Musik gefunden haben, freut uns, aber das passiert nicht automatisch.
Wie erfolgreich seid ihr denn momentan?
Wir müssen keine Nebenjobs mehr machen. Wir haben auch eine Gesundheitsvorsorge durch RAINER MARIA, was in den USA nicht einfach ist. Ich freue mich, Musik als Beruf ausüben zu können.
Habt ihr in letzter Zeit irgendwelche Probleme mit dem Bandnamen gehabt? Weil er so europäisch klingt.
Ich möchte die USA nicht zu sehr beleidigen, aber ich glaube die Idioten, die die Europäer momentan nicht gerne haben, kennen Rainer Maria Rilke schon mal gar nicht. Ich weiß nicht, ob unsere Stimmen nach Europa reichen, aber viele in den USA und vor allem in New York hassen diesen Krieg und natürlich den Vollidioten, der ihn führt. Wenn er in anderthalb Jahren wiedergewählt werden sollten, kommen wir zu euch. Na, wer möchte mich heiraten, damit ich in Deutschland bleiben kann?
Letzte Neuigkeiten?
Wir haben vor kurzem eine 45-tägige USA-Tour gemacht. Jetzt haben wir wieder etwas mehr Zeit. Ich habe vor kurzem mein zweites Solo-Album aufgenommen. Caithlin ist mit ihrem Solo-Projekt PAPER BELLS beschäftigt, das richtig gut wird. Und Bill war mit seiner anderen Band PROSIACS im Studio. Also, wir sind alle gut beschäftigt. Aber ich schätze, wir werden bald wieder anfangen, neue Songs zu schreiben. Und ich hoffe, dass wir dieses Jahr noch in Europa auf der Bühne stehen werden.
Foto: Danielle St. Laurent
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