RADIO HAVANNA

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Wie viel Pop verträgt Punk?

RADIO HAVANNA, ein Quartett aus Berlin, dessen Mitglieder in der thüringischen Provinz aufwuchsen, sind der Prototyp einer Punkband. Ihnen geht es nicht nur um Musik, sondern auch darum, politisch aktiv zu sein. Das hört man ihrem neuen Album „Unsere Stadt brennt“ an. Andererseits hört man der Platte auch überraschend viel Pop-Affinität an. Gitarrist und Songschreiber Arni erklärte dem Ox, wer an „unserer Stadt“ zündelt und wie viel Pop der Punk verträgt.

Arni, das neue Jahr hat begonnen. Zeit für gute Vorsätze. An welchem werdet ihr 2015 auf jeden Fall scheitern?


Am Vorsatz, auf Tour weniger zu trinken. Wir bemühen uns zwar, das zu schaffen. Aber irgendwo steht doch immer wieder ein Kiste Bier herum, haha.

Welche realistischen Ziele habt ihr euch gesteckt?

Wir sind keine Band mit Masterplan. Aber: Wir durften in den vergangenen Jahren so viele tolle Konzerte spielen – das würden wir gerne weiter hinbekommen.

Dann nenne doch mal ein paar dieser Konzert-Höhepunkte.

Da gab es einige. Im November 2013 durften wir beispielsweise in den USA spielen. Als deutschsprachige Band. Da waren wir vor jedem Auftritt irre aufgeregt. Aber das war letztlich auch eine wunderbare Erfahrung! Vor allem, weil die Leute uns auch noch gemocht haben und ausgerastet sind.

Ihr seid auch mehrfach mit Genregrößen unterwegs gewesen.

Ja. Auch das war großartig. Es ist schon cool, mit Bands wie ANTI-FLAG, DIE TOTEN HOSEN oder NOFX zu spielen, die wir schon früher als Fans selber gehört haben. Und es ist eine tolle Erfahrung, sich mit ihnen auszutauschen.

Das kann toll sein. Es kann aber sicherlich auch nach hinten losgehen und desillusionieren, wenn man seinen Idolen plötzlich so nahe ist und sie abseits der Bühne kennen lernt.

Da hast du recht. Es gibt Beispiele, bei denen es tatsächlich desillusionierend war. Ich will jetzt keine Namen nennen. Aber bei ein paar Bands haben wir gemerkt: Die sind gar nicht so nett. Die wollen nicht auf Kumpel machen. Und das ist dann schon sehr schade. Denn gerade Zusammenhalt macht Punkrock doch aus.

Punk – das Stichwort: Ihr nennt euch „Radio Havanna“ und spielt Punk. Havanna ist die Hauptstadt Kubas. Und Kuba stand mal für Revolution. Das ist lange vorbei. RADIO HAVANNA dagegen haben sich die Polit-Attitüde bewahrt. Also: Wie kann man mit Punk heutzutage noch eine Revolution auslösen?

Das kommt darauf an. Punk ist im Verlauf der vergangenen vierzig Jahre ausgefranst. Da gibt es alles – natürlich auch Bands, die mit Politik gar nichts am Hut haben oder in die Charts und damit in den Mainstream kommen. Aber es ist noch möglich, etwas zu bewegen. Siehe PUSSY RIOT. Ich selber bin mit Musik aufgewachsen, die politisch war. TON STEINE SCHERBEN etwa sind mir seit jeher wichtig. Daher ist es für mich selbstverständlich, dass Musik generell – und Punk speziell – auch politisch ist. Sie muss nicht belehrend politisch sein. Aber sie sollte eine Aussage haben.

Ihr seid entsprechend politisch aktiv und unterstützt zahlreiche Menschenrechtsorganisationen. Kann man RADIO HAVANNA überhaupt losgelöst von dieser politischen Seite betrachten – einfach als Zusammenschluss von Musikern?

Auf gewisse Weise schon. Denn uns haben nicht nur Deutschpunk-Bands beeinflusst, sondern eben auch viele amerikanische Bands. Und bei denen stand die politische Aussage nicht immer so extrem im Vordergrund wie bei den deutschen Bands. Da spielte die Musik an sich eine große Rolle. Und genau das ist es ja: Es geht neben einer Aussage immer auch um anspruchsvolle Musik. Das haben zum Beispiel TERRORGRUPPE, WIZO und TON STEINE SCHERBEN geschickt hinbekommen. Die wollten nicht nur Krach machen. Die haben immer schon amerikanische Musik, die ja auf Blues basiert und sehr facettenreich ist, in ihre Songs einfließen lassen. Das sind alles tolle Musiker. Und das wollen wir auch sein. Wir wollen, dass man hört, wie viel Arbeit wir in unsere Musik stecken.

Euer neues Album heißt „Unsere Stadt brennt“. Wer hat die Stadt denn angezündet?

Die Stadt wurde von verschiedenen Leuten angezündet. Von den Hausbesetzern, die ihr Haus verteidigen, genauso wie von den Leuten, die die Nacht zum Tag machen und dem Hamsterrad des Alltags entfliehen.

Ich habe bei diesem Plattentitel ja zuerst an jene Leute als Zündler gedacht, die für Stadtplanung und damit für Gentrifizierung und damit wiederum für das Zerschlagen von Szenevierteln und Subkultur zuständig sind.

Das ist auch so. Auch diese Menschen zünden sie an. Auch um die geht es uns. Die Stadt kann von vielen Leuten angezündet werden, weil sie von den Leuten lebt. Die Menschen machen sie aus.

Im Song „Dynamit“ geht es um die von dir angesprochenen besetzten Häuser. Habt ihr je selbst in so einem Haus gelebt?

Nein. Aber wir hatten immer engen Kontakt zu Leuten, die das tun. Schon damals in Thüringen, wo wir herkommen. Für uns ist es spannend, dass die Menschen in diesen Häusern diesen konsequenten Gegenentwurf zur Gesellschaft entwickeln.

Ihr gehört zu einer neuen Generation von Punkbands und erreicht viele junge Menschen der Szene. Menschen, die in einer Zeit aufwachsen, in der es kein Wirtschaftswunder und keine Jobgarantie gibt. Die Songs auf eurem Album heißen „Feuer“, „Sturm“, „Kaputt“, „Geisterstadt“. Das klingt entsprechend düster. Kann man daraus schließen, dass die heutige junge Generation die erste nach dem Krieg ist, die einen Grund hat, „No Future“ zu schreien?

Dieser „No Future“-Geist hat immer schon eine Rolle gespielt. Und immer zu Recht. Aber das, was du sagst, stimmt trotzdem: Ich kenne tatsächlich viele jüngere Leute, die heute mehr unter diesem „No Future“ leiden als die ältere Generation. Diese Leute arbeiten zig Stunden am Tag und haben trotzdem kaum genug zum Leben und keinen sicheren Job. Dieser von Angst geprägte Zeitgeist existiert also. Aber ich bin dann doch jemand, der versucht, die Situation optimistisch zu sehen. Man muss diese Missstände als Anlass dafür nehmen, auf die Straße zu gehen und etwas zu verändern.

„Unsere Stadt brennt“ enthält viel Punk, allerdings auch Songs, die als Überraschung durchgehen. Für Punk-Puristen vielleicht als böse Überraschung. Ich möchte es mal so sagen: Wenn eine Band wie SILBERMOND eine Punk-Platte machen wollte, dann wären sie auf Songs wie „Raketen“ oder „Glasherz“ stolz. Wie viel Pop verträgt der Punk?

Ziemlich viel. Denn zahlreiche Bands, die wir als Einfluss angeben, haben eine Pop-Note in ihrer Musik. Siehe die RAMONES. Oder die DESCENDENTS. Deren Songs könnten auch problemlos als Titelmelodie einer TV-Sitcom taugen. Und das ist nicht böse gemeint. Das ist auch eine Qualität im Songwriting. Für mich ist der Unterschied zwischen einer Band wie SILBERMOND und uns die Aussage: Wir verwenden Pop-Elemente. Aber es stecken immer Kanten und Botschaften in den Songs. Ich weiß, dass es Leute gibt, die deswegen aufschreien. Trotzdem hoffe ich, dass es uns gelungen ist, Kontraste zu setzen. Ich finde es jedenfalls spannend, eine Platte zu hören, die eine gewisse musikalische Bandbreite bietet.

Dennoch besteht die Gefahr, durch so eine Entwicklung als Band irgendwann von Akteuren außerhalb der Punk-Szene vereinnahmt zu werden – siehe JUPITER JONES, die plötzlich bei Raab und Co. im Fernsehen endeten.

Ich verstehe, was du meinst. Und das stimmt schon. Aber diese Gefahr sehe ich bei uns nicht. Am Ende des Tages ist unsere politische Botschaft einfach noch zu sperrig. Und das ist auch gut so. Das unterscheidet uns von Bands wie JUPITER JONES und SILBERMOND: Wir wollen die Leute nerven, haha.

Mit „Schiffbruch“ habt ihr ein Stück auf dem Album, das sich mit der Flüchtlingsproblematik auseinandersetzt. Damit seid ihr nicht die Einzigen. Ist der Flüchtlingssong im Vergleich zu den Neunzigern der neue Anti-Nazi-Song?

Das ist eine sehr interessante These. Und ja, ich glaube, sie stimmt. Das machen derzeit tatsächlich viele Bands. Und für uns ist es wichtig, das gerade in Zeiten aufzuzeigen, in denen Rassismus nicht mehr nur mit Springerstiefeln und Bomberjacke daherkommt, sondern vielmehr – siehe PEGIDA – in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Der heutige Rassismus dreht sich darum, den eigenen Wohlstand zu verteidigen und gegen Menschen abzuschirmen, die Hilfe wirklich nötig haben. Das ist subtiler Rassismus – und unfassbar gefährlich.