Kurz und knapp haben RADIO HAVANNA ihr neues Album betitelt: „Veto“. Aber wer jetzt denkt, es gehe der Band aus Berlin darum, möglichst wenig Aussage in möglichst schnelle Riffs zu packen, der irrt. Das neue Album offenbart neben aller Wut auf die Entwicklungen da draußen auch eine tiefe Melancholie sowie einige intensive Rückblicke auf die eigene Biografie. Gitarrist und Songschreiber Arni erklärt „Veto“ im Interview.
Arni, eure letzte Platte hieß „Utopie“. Zwei Jahre ist das her. Es ging unter anderem um die Utopie von einer besseren Welt. Was ist davon übrig geblieben?
Wenig. Aber das ist ja meistens so: Utopien lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Das Wort „Utopie“ beschreibt ja eher eine Traumvorstellung, die nicht wirklich realisierbar ist. Dennoch ist es wichtig, so etwas zu haben. Eine Utopie ist nämlich eine Motivation, etwas zu tun. Und immerhin, derzeit scheint es vermehrt die Utopie einer Welt zu geben, deren Arten erhalten bleiben. Auch wenn in jeder Hinsicht nach wie vor vieles im Argen liegt.
Womit wir bei eurer neuen Platte wären. Sie heißt „Veto“. Einspruch. Das ist – im Gegensatz zu einer Utopie – schon etwas Konkretes.
Wir wollten dieses Mal eine klare Ansage machen. Denn die Zeiten fordern das. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wann war denn klar, dass das Album diesen Namen bekommt?
Es gibt ja Situationen, in denen man im Studio lange hin und her überlegt, wie man eine Platte nennt. Dieses Mal aber war das anders. Es ging schnell.
Na ja, „Veto“ ist ja auch nur ein Wort aus vier Buchstaben. Knapper geht es nicht.
Ja. In kurzen Statements liegt manchmal einfach mehr Magie als in einem ganzen langen politischen Satz. Und das Wort „Veto“ ist so kurz – und enthält doch so viel Bedeutung. Da schwingt so viel mit. Da braucht man nicht mehr.
Ihr seid jedenfalls nicht MUFF POTTER. Die haben seit jeher Songs, aus denen man nahezu jeden Satz nehmen und sofort auf Tische und Wände schmieren will.
Richtig, haha. Und ich finde die auch fantastisch! Aber mir ist das große Ganze manchmal wichtiger als ein langer Text. Ich kann die Songs von Nagel manchmal gar nicht richtig verarbeiten. Da ist dann so viel Bedeutung drin ... Mir ist eine einzelne heftige Emotion wichtiger als ein langer krasser Satz. Ich hatte schon MUFF-POTTER-Songs, die mich erst mal mit einem großen Fragezeichen zurückgelassen hatten und die ich erst fünfmal hören musste, um sie wirklich zu begreifen, haha.
Lebt ihr noch in eurer Heimatstadt Suhl?
Nein. Schon seit 2006 nicht mehr. Auch wenn wir alle dort aufgewachsen sind. Es ist einfach so, dass viele Leute dort irgendwann wegziehen, weil es kaum Arbeitsplätze gibt. Es gibt keine Uni. Kurz: Es gibt keine Perspektive. Und es gibt viele Rechte. Deshalb haut man irgendwann ab. Zum Beispiel nach Berlin. Wie wir.
FEINES SAHNE FISCHFILET legen nicht zuletzt aus politischen und ethischen Gründen Wert darauf, möglichst in ihrem ostdeutschen Städtchen zu bleiben und die Leute dort im Kampf gegen rechte Spinner nicht allein zu lassen.
Ja. Und ich finde es auch absolut bemerkenswert, dass die das so durchziehen. Wenn alle abhauen, dann sieht es tatsächlich schlecht aus. Aber wir hatten diese Nazisache irgendwann einfach satt. Es war zu anstrengend. Berlin ist dagegen das Paradies. Da ist es stadtteilübergreifend gefühlt erst mal Konsens, gegen Rassismus zu sein. Wobei wir nach wie vor einen sehr engen Draht zu den Leuten in Suhl und in anderen ostdeutschen Städten haben. Mitunter haben wir die auf unseren ersten Touren kennen gelernt. Die machen seit Jahren einen tollen Job dort. Und wir vergessen die Gegend nicht und lassen die Menschen, die dort arbeiten, wo es wirklich unbequem ist, nicht hängen. Letztes Jahr haben wir beispielsweise im Café Taktlos in Glauchau in Sachsen unser einziges Clubkonzert gespielt. Und wir werden mit „Veto“ in der Gegend ein Release-Konzert spielen.
Du sagst, ihr hättet es satt gehabt. Der Alltag von Jugendlichen in eurer Heimatstadt ist ja auch ein zentraler Aspekt auf „Veto“.
Du bist von Beginn an mit den Rechten aufgewachsen. Wir waren auf Demos, bei denen Beate Zschäpe auf der Gegenseite stand. Und damals war schon klar, dass da Faschisten herumlaufen. Keine rechten Politiker, sondern echte Rassisten und rechte Terroristen. Wenn du mit der falschen Buslinie gefahren bist, hast du Stress gekriegt. Du kanntest die Faschos. Die Faschos kannten dich. Die haben uns mit Stahlketten gejagt und unserem Sänger Fichte eine Knarre an den Kopf gehalten, aus der dann das Magazin herausgefallen ist. Das war die Realität. Und da hatte man zwangsläufig irgendwann den Gedanken: Wie komme ich hier raus?
Als Band aus dem Kosmos Punk ist man dazu verdonnert, politische Songs aufzunehmen, politische Platten zu machen, oder? Diese Themen sind immer akut. Diese Dinge erfordern ein „Veto“.
Ja, irgendwie schon. Das sucht man sich nicht aus. Das ist einfach so. Um die Politik kommt man nicht herum. Sie steckt im Alltag, sie umgibt dich. Und wenn jemand sagt, er sei nicht politisch, dann ist das Blödsinn. Jeder Mensch ist ein politischer Mensch. Wobei wir schon auch andere Dinge in unseren Songs ansprechen. „Veto“ ist meiner Meinung nach unsere persönlichste Platte – auch abseits der Politik. Wir arbeiten darauf viel auf. Auch non-politische Dinge. Dämonen aller Art, mit denen wir zu kämpfen hatten oder haben. Das gehört dazu.
Ein schönes Stichwort, Dämonen. Die hört man Songtiteln wie „Chaoskind“, „Herzschmerzsaufen“, „Hungerturm“ oder „Schatten“ deutlich an. Sind Punkmusiker also nicht nur dazu verdammt, politische Platten zu machen – sondern auch noch chronisch melancholische?
Ja, haha. Ich glaube ja. Aber nicht nur Punks. Ich denke, jeder große Künstler ist das. Joe Strummer, Johnny Cash, Bob Dylan – alle machen auf Moll. Und wir bekommen schon zu hören, dass unsere Lieder nicht unbedingt für die Gute-Laune-Liste bei Spotify taugen. Viele Menschen finden sich mit ihren Problemen in den Songtexten wieder. Das zeigt sich auch dadurch, dass sich seit ein paar Jahren immer mehr Leute Textzeilen von uns tätowieren lassen. Das finde ich extrem bewegend. Ich hätte beim Schreiben niemals gedacht, dass sich das mal jemand stechen lässt.
Gibt es einen Song, der dir selber bislang in deinem Leben schon besonders geholfen hat?
Oh, viele! Und manche werden sehr plötzlich sehr wichtigm da hätte man niemals damit gerechnet. Es gibt zum Beispiel von Johnny Cash auf „American Recordings“ eine Coverversion von Tom Pettys „I won’t back down“. Dieses Stück ist so schon unglaublich – und gewinnt durch Cash noch einmal eine wahnsinnige Tiefe. Da kann man gar nicht weghören, das geht nicht! Und das führte bei mir so weit, dass ich mich, nachdem ich dieses Lied hörte, auch mit Tom Petty beschäftigte und dann erst entdeckte, was für ein unglaublich großartiger Musiker er war. Ich hatte ihn vorher immer als uninteressant abgetan. Ich könnte zwanzig Beispiele nennen. Es gibt so viele Songs, die einem helfen.
Ein Stück auf der neuen Platte heißt „Helden“. In dem spielt ihr mit einer Unmenge an Klischees und Querverweisen. Im Text begegnen einem SLIME und DIE ÄRZTE. Zudem höre ich die Gitarre aus David Bowies „Heroes“.
Die hat bislang noch keiner gehört. Krass! Manchen Leuten fällt all das gar nicht auf. Dabei ist es tatsächlich so, dass wir in diesem Lied viel zitieren wollten.
Welche Helden – vornehmlich musikalische – hast du denn?
Ich habe Musiker, die mich geprägt haben. Aber Helden? Das ist ein sehr starkes, schweres Wort, damit bin ich vorsichtig. Nehmen wir mal Bob Dylan. Klar, ein krasser Musiker. Mit einem unfassbaren eigenen Kosmos, in dem er herumschwirrt. Ein Revoluzzer, der vor allem in Zeiten, in denen so was vielleicht unpopulär war, einfach immer das gemacht hat, was er machen wollte. Das ist beeindruckend. Aber es ist ja irgendwie ein offenes Geheimnis, dass er extrem unzugänglich ist. Also Kaffeetrinken ist mit ihm wohl eher nicht möglich, haha. Ein weiteres Beispiel: Joe Strummer. Ein ganz Großer. Aber ich weiß eben auch nicht, ob er wirklich ein netter Typ war. Ich meine, es gab ja wohl auch Zeiten, in denen THE CLASH krass auf Kokain waren. Also, mit Helden ist das so eine Sache.
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